Zu späte Gerechtigkeit

Als ein Nationalheld, dem großes Unrecht widerfuhr ging er in die Geschichte ein: Karel Janoušek, der im britishen Exil gegen Hitler kämpfte und nach seiner Rückkehr in die Tschechoslowakei von den Kommunisten dafür ins Gefängnis gesteckt wurde.

Wie viele seiner Generation wurde Janoušek im Ersten Weltkrieg 1915 in die Armee des Habsburgerreichs eingezogen, wofür er als patriotischer Tscheche nicht viel Begeisterung aufbringen konnte. Nach einigen Kriegserfahrungen an der italienischen Isonzofront versetzte man ihn nach Russland, wo er in Gefangenschaft geriet. Dort überzeugte er sich, dass er als tschechischer Panslawist bei der österreichischen Armee sowieso auf der falschen Seite gestanden hatte. Er heuerte erst bei einer serbischen Division an, dann – im Oktober 1916 – meldete er sich bei der Tschechoslowakischen Legion (frühere Beiträge u.a. hier, hier, hier, hier und hier) in Russland, die aus Freiwilligen bestand, die nun gegen die Mittelmächte und für das Ende der österreichischen Herrschaft in Böhmen kämpfte. Zurück in der 1918 gegründeten Tschechoslowakischen Republik meldete er sich nach einiger Zeit wieder beim Militär, genauer: bei der Luftwaffe. Dort brachte er es 1937 bis zum Brigadegeneral.

Als Anfang 1939 die Nazis das Land besetzten, schloss er sich zunächst der Widerstandsorganisation Obrana národa (Verteidigung der Nation), floh dann aber auf Umwegen nach Frankreich, wo er in die Luftstreitkräfte der dortigen Tschechoslowakischen Exilarmee eintrat. Die wurde nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Frankreich eilig nach Großbritannien verlegt. Zu dieser Zeit war die Exilregierung dort noch nicht anerkannt, aber Janoušek verhandelte aus, dass tschechoslowakische Piloten erst einmal in die Royal Air Force (RAF) integriert wurden und dann eigene Einheiten bilden konnten. Und so wurde im Juli 1940 die 310. Staffel als erster tschechoslowakischer Verband der RAF gegründet. Die Piloten trugen viel zum Sieg in der Battle of Britain bei (wir berichteten darüber hier). Janoušek wurde die Leitung des Inspektorats der tschechoslowakischen Luftwaffe übertragen, die nunmehr anerkannte Exilregierung ernannte ihn kurz darauf zum Inspektor der tschechoslowakischen Luftstreitkräfte. Im Mai 1945 beförderten ihn die Briten zum Dank für die Verteidigung des Landes zum Air Marshal.

Man hätte erwarten können, dass ihm bei der Rückkehr in die Tschechoslwakei nach dem Sieg über die Nazis höchste Ehren zuteil würden. Doch, obwohl eine noch demokratische Regierung existierte, hatten die Kommunisten bereits das Verteidigungsminsterium unter ihre Kontrolle gebracht. Und die mochten keine Leute, die beim englischen Klassenfeind gedient hatten. Das nutzte auf allgemeine Popularität nichts: Die Karriere stockte. Als im Februar 1948 die Kommunisten die ganze Macht an sich rissen, wurde er erst einmal zwangsbeurlaubt. Er bekam zwar einen Job bei der International Civil Aviation Organization (ICAO) angeboten, aber die dazu nötigen Ausreisegenehmigungen ins Ausland wurden brüsk abgelehnt. Stattdessen „fabrizierte“ die Staatssicherheit einen illegalen Fluchtversuch zum westlichen Klassenfeind. Zu 18 Jahren Gefängnis wurde er im Juni 1948 verurteilt. Der Versuch einer Revision wurde im Februar 1949 von den Herrschenden als stalinistischer Schauprozess organisiert – Teil einer „Säuberung“ des Militärs, die bis 1950 rund 6500 ehemalige Offiziere der Exilarmee ins Gefängnis, etliche sogar an den Galgen brachte. Die Strafe wurde auf 19 Jahre erhöht. 1950 hängte man ihm wieder einen Fluchtversuch an, was zur lebenslänglichen Verurteilung führte.

1960 wurde er im Zuge einer allgemeinen Amnestie zwar freigelassen, aber weder rehabilitiert, noch in seinen Rang zurückversetzt. Er durfte in einer Textilfabrik niedere Aufgaben für niedriges Gehalt ausführen und bezog ab 1967 eine mickrige Rente. Während des Prager Frühlings 1968 rehabiliterte man ihn immerhin, aber weder Rang noch angemessener Verdienst wurden im zugestanden. Immerhin konnte er 1964 wieder in die kleine Wohnung in dem vierstöckigen Wohnhaus U Železná lávky 127/4 am Klar Park (Park na Klárově) auf der Kleinseite einziehen, wo er schon 1945 bis 1948 gewohnt hatte, und wo er bis zu seinem Tod 1971 lebte. Das kommunistische Schreckensregime fiel mit der Samtenen Revolution 1989. Die neue Demokratie setzte Janoušek nicht nur posthum in den alten Rang zurück, sondern versetzte ihn in den höchsten Generalsrang. Endlich – wenn auch für ihn persönlich zu spät – widerfuhr ihm Gerechtigkeit.

Und im Oktober 2003 brachte man an dem Haus, in dem er zuletzt wohnte, eine Gedenktafel mit einem Portraitrelief an. Sie ist ein Gemeinschaftswerk des Architekten und Graphikers Antonín Kryl und des Bildhauers Josef Klimeš (wir erwähnten ihn bereits hier). Neben dem Portrait sieht man sowohl das Abzeichen der tschechoslowakischen Luftwaffe als auch das der RAF. Das Haus befindet sich übrigens ganz nahe beim Denkmal für die tschechoslowakischen Piloten der RAF, auch Denkmal des geflügelten Löwen (Památník Okřídleného lva) genannt, das 2014 auf dem Park errichtet wurde. Der Anblick hätte Janoušek mit Genugtuung erfüllt. (DD)

Perfide Mordtat

Heute vor 55 Jahren: Es war eine der perfidesten Mordtaten sowjetischer Truppen beim Einmarsch in die Tschechoslowakei 1968. Am westlichen Teil des Klarov Parks (Park na Klárově) nahe der Metro-Station Malostranská findet sich eine kleine marmorne Gedenkplatte, die daran erinnert.

Am 20. August 1968 waren Truppen des Warschauer Paktes unter Führung der Roten Armee in die Tschechoslowakei eingefallen, um die Demokratisierungstendenzen des Prager Frühlings zu beenden und das Land in eine Schreckensdiktatur zurück zu verwandeln. Sechs Tage später, am Mittag des 26. August, wollte die 25jährige Studentin Marie Charousková hier an dieser Stelle in eine andere Straßenbahn umsteigen. In der Nähe standen einige sowjetische Soldaten, anscheinend eine Art Wachposten. Die begabte Studentin, die kurz vor ihrem Ingenieursabschluss an der Tschechischen Technischen Universität Prag (České vysoké učení technické v Praze) stand und eine begeisterte Hobbyfliegerin war, hatte vier Jahre zuvor geheiratet und war gerade erst Mutter eines Sohnes geworden.

Plötzlich, ohne Warnung und ohne Grund, wurden aus der Gruppe der Soldaten Schüsse mit einem Maschinengewehr auf die junge Frau gefeuert. Die Kugeln durchsiebten ein Bein, Bauch und Oberschenkelschlagader. Ein vorbeikommender Polizist namens Miloslav Rogner leistete erste Hilfe und rief einen Krankenwagen. Aber jede Hilfe kam zu spät. Schon kurz nach Ankunft in einem Kleinseitner Krankenhaus war sie tot. Der empörte Rogner erstattete sogleich Anzeige. Kurz darauf tauchte bei ihm die Staatssicherheit (StB) auf. Sie drangsalierte Rogner, er solle zu Protokoll geben, die junge Frau habe die Sowjetsoldaten gefährlich angegriffen. Das wies er zurück, denn offensichtlich hatten die Soldaten willkürlich und ohne Anlass auf eine zufällig vorbeikommende Person gefeuert – und danach die Szenerie belustigt schwatzend, und Knabbereien zu sich nehmend, beobachtet. Rogner wurde kurz nach seiner Weigerung, die Unwahrheit zu sagen, aus dem Dienst entlassen.

Auch bei Charouskovás Mann Vladimir tauchte der StB auf. Dem jungen Vater wurde klar gemacht, dass er seinen Arbeitsplatz verliere, wenn er mit Dritten über den Vorfall spräche. Doch noch gab es Gegenwehr. Die Universität beschloss umgehend, ihr postum den Ingenieurstitel zu verleihen. An ihrer Beerdigung nahm eine riesige trauernde Menschenmenge teil. Und noch waren nicht aller Reformer von den Besatzern abgesetzt. Selbst Präsident Ludvík Svoboda schickte einen Kranz. Und in aller Eile stellte ihr Mann mit Freunden schon kurz nach der Mordtat die Gedenktafel her am Klarov Platz auf. Die neuen Regenten, die inzwischen alle Anhänger des Prager Frühlings von ihren Ämtern entfernt hatten, beschlossen 1969, die Tafel zu entfernen. 1990 fand man sie wieder, wenngleich leicht restaurierungsbedürftig, und stellte sie wieder auf. Immerhin, 1993 besuchte der damalige Präsident der Russischen Föderation, Boris Jelzin, zusammen mit dem tschechischen Präsidenten Václav Havel die Tafel und legte zur Entschuldigung für das geschehene schreiende Unrecht Blumen nieder. Auch wenn ein prominenterer Ort und eine Tafel, die mehr als die Lebensdaten Charouskovás enthält, wünschenswert wären, um die Erinnerung an die kommunistischen Verbrechen aufrechtzuerhalten, zieht auch diese kleine und unscheinbare Tafel immer noch öfters Bürger an, die vor ihr Blumen niederlegen. (DD)

Wiege des Kommunismus

In sehr vielen böhmischen Städten, die etwas auf sich hielten, bauten nationalgesinnte tschechische Bürger um die Jahrhundertwende solche Gebäude, aber das Národní dům (Nationalhaus) im heutigen Stadtteil Karlín (heute Prag 8) in der Hybešova 14/10 hat schon eine besondere Geschichte, aus der leider auch allerlei Unheil hervorghehen sollte

Ein Versammlungsort, kulturelles Zentrum und Ausdruck eines erstarkten Selbstbewusstsein der Tschechen innerhalb des als österreichische Fremdherrschaft empfundenen Habsburgerreichs dienten solche, von sozial engagierten wohlhabenden Bürgern durch Spendenaktionen finanzierten Nationalhäuser, in denen es große und kleine Säle und auch meist Restaurantbetriebe gab (Beispiele zeigten wir u.a hier und hier). Das in Karlín wurde in den Jahren 1910/11 nach Plänen des Architekten Josef Sakař erbaut. Der war ein Schüler von Josef Zitek, dem Erbauer des Nationaltheaters, und selbst ein Spezialist für den Bau von großen Bildungseinrichtungen und öffentlichen Bauten, wie die 1906 noch im historistischen Stil erbaute nahegelegene Grundschule und den Kindergarten von Karlín (wir berichteten hier).

Das Nationalhaus von Karlín (das damals noch eine eigene Stadt war und erst 1922 an Prag angeschlossen wurde) ist jedoch ein Werk des späten Jugendstils. In seiner Spätform hatte sich der Jugendstil von überbordenen und phantasiereichen floralen Mustern hin zu einer eher strengen geometrischen Formgebung gewandelt. In der Fassadenstruktur näherte sich das Ganz beim Karlíner Nationalhaus wieder stark an den Klassizismus an. Die ebenfalls recht zurückhaltend dezenten Skulpturen und dekorativen Stuckelemente stammten aus dem ganz in der Nähe gelegenen Atelier des Künstlers und Designers Otakar Rákosník, der sie zusammen mit seinem Mitstreiter Antonín Štrunc entwarf. Die Lage ist passend schön, befindet sich das Haus doch direkt am Rande des hübschen Kaizl Parks (Kaizlovy sady), über den wir schon hier berichteten.

Im Jahre 1921 näherten sich die seit dem Ersten Weltkrieg ständig zunehmenden parteiinternen Spannungen und Flügelkämpfe innerhalb der tschechoslowakischen Sozialdemokraten einem dramatischen Höhepunkt. 23 Abgeordnete des radikalen marxistisch-leninistisch orientierten Flügels verließen die Partei. Inspiriert von der russischen Oktoberrevolution und der erwarteten Aussicht, die Weltrevolution stehe kurz vor dem Ausbruch, gründeten sie am 14.-16. Mai die Kommunistische Partei der Tschechoslowakei (Komunistická strana Československa, abgekürzt: KSČ). Als ersten Vorsitzenden wählten die Delegierten des Gründungskongresses Václav Šturc, den ehemaligen sozialdemokratischen Bürgermeister von Kobylisy. Eine der Grundlagen für die 1948 einsetzende kommunistische Diktatur war gelegt. Und die Gründung der Partei fand eben genau in jenem Nationalhaus in Karlín – damals als eine Industrie- und Arbeiterstadt bekannt – statt. Nur wenige Menschen ahnten wohl, in welchem Unheil das einmal enden würde.

Die Kommunisten schwächten mit ihrem Eintritt in die politische Arena erst einmal die Sozialdemokraten, die bei den Wahlen 1925 nur noch 8,9 % der Stimmen bekamen. Aber auch die Kommunisten sollten sich bald selbst einem Stresstest unterziehen. 1929 kam bei ihnen eine Gruppe radikal-stalinistischer Fanatiker, unter ihnen Klement Gottwald, der spätere erste Präsident der kommunistischen Diktatur, an die Macht, die (wie der Zufall es wollte) auch hauptsächlich aus Karlín kam, und deshalb die Karlíner Buben (karlínští kluci) genannt wurden. Die Partei wurde nun autoritär regiert, Moskaus Führung unterworfen und die letzten Reste sozialdemokratischer Politik verschwanden. Die 1925 gewonnenen Stimmen gingen weitgehend verloren und viele Mitglieder verließen die Partei, etwa der Schriftsteller Vladislav Vančura (wir berichteten hier), aber auch Václav Šturc, der in Karlín 1921 zum Gründungsvorsitzenden gewählt worden war, und den die Karlíner Buben 1932 dazu brachten, sich wieder den Sozialdemokraten anzuschließen. Die Partei wurde zur Kadertruppe, die gar nicht mehr wirklich an irgendeine demokratische Legitimation glaubte, sondern mit allen revolutionären Mitteln die Gewaltherrschaft anstrebte.

Das Gebäude, indem die Schreckenspartei gegründet wurde, verlor einige Jahre danach die Funktion als Nationalhaus. Seit 1938 dient es dem tschechoslowakischen Rundfunk und es wurden u.a. Tonstudio eingebaut, in dem insbesondere in den 1950er und 60er Jahren berühmte Big-Band-Leader wie Karel Vlach oder Ferdinand Havlík ihre swingenden Klänge aufnahmen. In den Zeiten des Reichsprotektorats missbrauchten die Nazis die Einrichtungen für ihre Propaganda. Auch heute ist es noch der Sitz des Tschechischen Rundfunks (Český rozhlas), der von hier hauptsächlich regionale Programme sendet, die aber natürlich mit den beiden Totalitarismen der Vergangenheit, ob nationalsozialistisch oder kommunistisch, gebrochen haben.

Bis zum Ende des Kommunismus (1989), der hier seine Wiege hatte, hing neben dem Eingang an der Fassade eine bronzene Gedenktafel, mit dem die Kommunisten zuvor ihrer Gründung gedachten. Die entfernte man danach und steckte sie irgendwo unsichtbar in einen Kellerraum. Nichts scheint mehr an das Ereignis von 1921 zu erinnern, außer… Außer der Name der Straße, an das alte Nationalhaus liegt, der Hybešova. Die ist nämlich benannt nach dem sozialdemokratischen Abgeordneten Josef Hybeš, der zu denen gehörte, die sich 1921 abspalteten, um die Kommunisten zu gründen. Er hatte aber im Dezember 1920 während einer Parlamentsrede einen Schlaganfall bekommen und konnte daher im Mai am Gründungskongress nicht teilnehmen, sondern nur ein Grußwort schicken. Im Juli starb er. Da er keine aktive Rolle bei den Kommunisten spielen sollte und ansonsten als ein sehr integerer Mann galt (die Karlíner Buben hätten ihn sicher ausgeschlossen) behielt man den Straßennamen auch nach 1989 bei.

Ach ja, das große Moldauhochwasser von 2002 traf Karlín besonders hart und verschonte auch das Nationalhaus nicht. Die Reparaturarbeiten wurden aber schon im Jahr 2003 vollendet und seitdem kann man von hier aus wieder nette und nicht-kommunistische Radioprogramme empfangen. (DD)

Stalinistisches Studentenheim – leicht ironisch gestaltet

Das Häschen schnuppert mit dem Näschen, der Vogel trällert in den Blüten des Baumes, und der Spaten steht als Symbol der Arbeiterklasse entspannt in der Gegend herum… Ja, so sieht es aus, das sozialistische Werktätigenparadies. Irgendwie fast putzig. Dafür, dass politisch die stalinistische Epoche in der Tschechoslowakei über den Tod Stalins (1953) hinaus bis tief in die Amtszeit von Parteichef Antonín Novotný in den frühen 1960er Jahren andauerte, hat Prag recht wenig an genuin stalinistischer Architektur zu bieten. Dann aber bis an die Grenzen der Selbstparodie. War das Absicht?

Der fünfstöckige Wohnblock in der Křížkovského 2420/4, Ecke Ševčíkova, im Stadtteil Žižkov ist da die Ausnahme und ein gerade archetypisches Beispiel für die stalinistsche Architektur des Sozialistischen Realismus (oft auch Zuckerbäckerstil genannt). Noch mehr als die etwas bekannteren Beispiele, wie das legendäre Hotel International in Prag Dejvice (wir berichteten) und der große Studentenheimkomplex Podolí Schlafsäle (Koleje Podolí) im Stadtteil Podolí (auch hier), führt er die innere Absurdität dieser Stilepoche deutlich vor Augen. Das Sgrafitto mit Häschen und Vögeln könnte es kaum besser ausdrücken: Die vorgeblich revolutionär-fortschrittliche Ideologie des Kommunismus gebahr ein ausgesprochen konservatives und geradezu kleinbürgerliches Kunstverständnis.

Architekt des Hauses, das 1956 (wie man auch einem der Sgrafitti – siehe rechts – entnehmen kann) fertigestellt wurde, war Jiří František Kaisler. Der wurde später in den Jahren 1959 bis 1961 für seine Pläne für die im Auftrag von Antonín Novotný erbaute Präsidentenvilla in Orlík nad Vltavou (Mittelböhmen) berühmt, die eher als ein großgeratenes Wochenendhaus konzipiert wurde. Da war allerdings der stalinistische Zuckerbäckerstil endgültg passé und er durfte ein tatsächlich modernes und progressiv anmutendes Haus im Stil des Funktionalismus bauen. 1956, als in der Sowjetunion Chruschtschows bereits seit drei Jahren „entstalinisiert“ wurde (das sogenannte Tauwetter), musste Kaisler allerdings noch auf die alte Art und Weise bauen. Aber man muss zugeben, dass er dabei äußerst zurückhaltend und wenig brachial vorging. Dadurch, dass dann auch noch die Sgrafitti ironisierend wirken, ist der ideologische Punkt sehr entschärft.

Das ist ihm im Großen und Ganzen nicht einmal so schlecht gelungen. Das Haus mit dem etwas versetzten Risalit, über dem es turmförmig sechs Stockwerke hat, ist einigermaßen in seine Umgebung eingepasst, die von Architektur aus der Zeit der Ersten Republik zwischen Weltkriegen geprägt ist. Es ist nicht mit einem Überschwang an skulpturalen Elementen überladen, wie es sonst in der stalinistischen Baukunst der Fall war. Dennoch wirkt es für ein hauptsächlich als Wohngebäude konzipiertes Gebäude ein in seiner leicht überdimensionierten Gestaltung und dem klassizistischen Eingangsbereich eher wie ein öffentliches Amtsgebäude. Aber im Kommunismus war das Private ja öffentlich und dem Gemeinschaftscharakter gebührte der Vorrang.

Und dann sind da die künstlerischen Aspekte… Dazu gehören die selbst im Kontext des Stalinismus schon leicht absurden und fehlplatzierten Sgrafitti über dem obersten Geschoss, an denen man leicht ob ihrer Höhe achtlos vorbeigehen kann, die aber – wenn man sie bemerkt – unweigerlich zum Schmunzeln einladen. Irgendwie passen sie mit ihren pastoralen Kleinszenen nicht so recht zu dem pompösen und offiziösen Charakter des Gebäudes. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb muss man sie einfach lieben. Neben dem schnuppernden Häschen mag ich besonders die kleine Katze auf einem Baumstumpf, unter der ein friedlich dreinschauender Fuchs sitzt. Auch die Widersprüche im Tierreich scheinen im Sozialismus aufgehoben und höherer Harmonie gewichen zu sein. Nur der bürgerliche Klassencharakter der überwundenen kapitalistischen Ordnung schien sie zuvor zu Gegnern gemacht haben…

Neben den putzeligen Sgrafitti oben sind noch die skulpturalen Elemente auf Höhes des Erdgeschosses bemerkenswert. Sie vermitteln eher den (wesentlich ernsteren) Eindruck, dass sie zu einem öffentlichen Administrationsgebäude gehören und nicht zu einem Mietshaus. Die Reliefs auf den Schlusssteinen der Fenster repräsentieren milde Versatzstücke der herrschenden Ideologie über den Zusammenhang von Arbeit und Wissenschaft (denn der Kommunismus beantspruchte, umgesetzte Wissenschaft zu sein). Ausgedrückt wird das in einfach verständlicher Symbolsprache: Ein Zirkel, ein Mikroskop, das Medizinerlogo Äskulapnatter und etliches mehr. Aber der tiefere Grund für die Wissenschaftsästhetik ist, dass es um ein unmittelbares Nachbargebäude bzw. eine Art Anbau des Kolej Švehlova (Švehla Kolleg) handelt, dem berühmten avantgardistischen Studentenheim aus der Zeit der Ersten Republik, über das wir letztens berichteten. Die Zahl der Studenten war in der Nachkriegszeit gestiegen und es galt, das Streben nach Wissenschaft auch bei der Gebäudeästhetik zu versinnbildlichen.

In den Proportionen passen das republikanische (kubistische) und das realsozialistische Studentenheim durchaus einigermaßen harmonisch zusammen, was auch daran liegt, dass sich Kaisler mit dem Zuckerbäckerdekor sehr zurückgehalten hat und zwar eine konservative, aber keine kitschige Architektur präsentierte. Die eigentliche Konzession an den Stalinismus besteht, wie gesagt, in der sachlichen klassizistischen Formgebung, was sich insbesondere am großen Eingangsportal zeigt. Außerdem wurde bei den steinernen Bauteilen der selbe Rot-Ton gewählt wie beim Švehla Kolleg.

In sie wurden die allegorischen Skulpturen eingesetzt. Deren Schöpfer war der Bildhauer Jindřich Severa, ein Schüler des bedeutenden Bildhauers Otakar Španiel, dem wir unter anderem die Masaryk-Statue auf der Burg verdanken. Severa war nicht so eindeutig republikanisch orientiert wie sein Lehrer, und schien als bekennender Kommunist sowohl politisch als auch künstlerisch mit dem Sozialistischen Realismus im Reinen zu sein. Aber er war ein handwerklich solider und begabter Künstler. Nun waren Allegorien und Portraitbüsten als architektonisches Designbestandteil 1956 im Westen schon ein wenig antiquiert, aber Severa hat auch sie so maßvoll eingesetzt, dass kein roter Kitsch entstand.

Das gilt auch für die drei Portraits von großen Wissenschaftlern im Eingangsportal, die ja auch thematisch passen. Es sind dies (v.l.n.r.): Bernard Bolzano, ein katholischer Theologe, Philosoph und bedeutender Mathematiker des frühen 19. Jahrhunderts, der sich in einigen politischen Schriften als durchaus radikal-aufgeklärter Denker erwiesen hatte. Jan Evangelista Purkyně (wir berichteten bereits hier), ein Naturwissenschaftler der Mitte des 19. Jahrhunderts, dessen Entdeckungen im Bereich der Physiologie (besonders der Zellforschung) bis heute maßgeblich sind, und dem die Kriminalistik die Analyse der Fingerabdrücke verdankt. Und Bedřich Hrozný, ein ehemaligee Rektor der Karlsuniversität, der zu den bedeutenden Altphilologen des Landes gehörte. Er entzifferte 1915 erstmals systematisch das Hethitische.

Auffallend ist, dass alle drei vielleicht für wissenschaftlichen Forschritt und Modernität standen, aber sich keineswegs direkt in die vorherrschende ideologische Linie einordnen lassen. Vielleicht sind die Zurückhaltung beim Dekor, der leicht surreale Charakter der Sgrafitti und die vergleichsweise wertneutrale skulpturale Ausstattung ein Indiz für den vorsichtigen Versuch, sich der künstlerischen Gängelung und Einengung des Systems wenigstens ein bisschen zu entziehen und ein paar subtile Nuancen von Freigeist walten zu lassen oder wider den Stachel zu löcken (ein deutlicheres Beispiel dafür zeigten wir hier). Und so bleibt das Studentenheim in der Křížkovského gleichermaßen ein Gebäude, das an eine Schreckenszeit erinnert, und ein Gebäude, das zum Grübeln einlädt. (DD)

Václav Havels erste Inhaftierung

Nein, eigentlich sieht dieses Haus nicht nach einem Gefängnis aus. Trotz des Gitters zum Innenhof. Lebte er heute noch, könnte Václav Havel jedoch erzählen, wie schrecklich es unten im Keller des Gebäudes vor dem Freiheitsjahr 1989 zuging. Hier war er zum ersten Mal inhaftiert worden. Der mutige Dissident gegen die Kommunistenherrschaft, der dann nach dem Ende der Tyrannei 1989 der erste demokratisch gewählte Präsident wurde, sollte noch so ziemlich jedes Gefängnis des Landes kennenlernen.

Das Gebäude in der Bartolomějská 308/9 ist heute ein gepflegtes und hübsches Hotel. Und dem Haus war auch nicht in die Wiege gelegt worden, dass Havel (und unzählige andere Dissidenten) dereinst hier im Keller von der Staatssicherheit (StB) in kleinen Zellen eingesperrt werden sollten. Nicht nur einmal soll er hier festgehalten worden sein, meist nur für Verhöre und zur Untersuchungshaft. Dabei hatte das Haus zweistöckige Gebäude ursprünglich einem frommen und guten Zweck gedient. Es diente als ein Nebengebäude des Konvikt mit der kleinen Bartholomäuskirche (konvikt s kostelem sv. Bartoloměje), einer Internat, das zunächst von den Jesuiten betrieben wurde. Es zwischen 1726 und 1731 wurde es nach Plänen des bedeutenden Barockarchitekten Kilian Ignaz Dientzenhofer erbaut, der das barocke Prag so geprägt hat, dass wir ihn schon u.a. hier, hier, hier und hier erwähnten. Ab 1853 residierte hier die Kongregation der Schwestern von der hl. Elisabeth (bisweilen auch die „Grauen Schwestern“ genannt), die den ganzen Komplex als Kloster nutzte. Auf dem Bild links sieht man den Eingang der Klosterkirche neben dem Gebäude 308/9.

1949, schon ein Jahr nach ihrer Machtergreifung, zerschlugen die Kommunisten den Orden und die Schwestern wurden verschleppt. Im Jahr darauf zog der StB hier ein, der direkt nebenan in der Bartolomějská 306/7 sein großes Hauptquartier hatte – ein funktionalistischer Bau aus den Jahren 1936-42, den man wegen seiner Kachelung auch manchmal spöttisch als kachlíkárna (Kachelbude) bezeichnete (wir berichteten im vorherigen Beitrag). In dem nicht im Geringsten als dazugehörig aussehenden barocken Gebäude Nr. 308/9 fanden meist Verhöre statt und es wurden im Keller sieben Zellen für die zu verhörenden männlichen Untersuchungshäftlinge eingerichtet. Und eine davon trug die Nummer P06.

Der prominenteste Insasse von P06, Václav Havel, wurde vom StB am 7. Januar 1977 hier das erste Mal eingeliefert. Am Tag zuvor war es ihm mit einigen Mitstreitern gelungen, die Charta 77 geschickt in die (vor allem auch westliche) Weltpresse zu platzieren. Es war der eigentliche Beginn einer größeren Dissidentenbewegung. Die Charta erinnerte daran, dass die Staaten des Warschauer Paktes – und damit auch die Tschechoslowakei -in der Schlussakte von Helsinki (1975) sich zur zur Einhaltung der „Menschenrechte und Grundfreiheiten, einschließlich der  Gedanken-,  Gewissens-,  Religions-  oder  Überzeugungsfreiheit  für  alle  ohne  Unterschied  der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion“ verpflichtet hatten. Schon alleine, weil die Gruppe das Manifest erfolgreich an die westliche Presse geschleust hatte, wo es enormes Furore machte, sah sich das Regime bedroht und schlug hart zu. Etliche Unterzeichner landeten erst einmal im Gewahrsam der Staatssicherheit.

Erst im Mai wird Havel aus der Untersuchungshaft entlassen und bald darauf zu 14 Monaten Haft wegen „Schädigung der Interessen der Republik im Ausland“ auf Bewährung verurteilt,. Er wird nicht das letzte Mal sein, dass man den ungebrochen Widerständigen einsperrt. Er lernt viele Gefängnisse im Lande kennen. 1978 gründet er mit anderen Charta-Mitgliedern das Komitee für die Verteidigung zu Unrecht Verfolgter (Výbor na obranu nespravedlivě stíhaných; Abk.: VONS) und landet darob wieder in der Untersuchungszelle in der Bartolomějská und wird anschließend sechs Monate unter Hausarrest gestellt. Kaum ist die vorüber, verurteilt man ihn (und etliche Mitstreiter) im Mai 1979 zu 4,5 Jahren Gefängnis, die er zuerst im Gefängnis im mährischen Ostrava-Heřmanice, dann ab 1981 im Gefängnis in Bory bei Pilsen absitzen muss, wo er die Häftlingsnummer 2789 trägt. Hier schrieb er seine erschütternden, aber von Freiheitswillen getragenen Briefe an Olga, seine Frau und mutige Mitstreiterin. Wegen der unmenschlichen Haftbedingungen begann seine seine Gesundheit dramatsich zu leiden. Nur seine mittlerweile große internationale Berühmtheit (die auch seiner schriftstellerischen Tätigkeit geschudet ist) retten ihm das Leben. Heftige Proteste aus dem Ausland führen zur vorzeitigen Freilassung.

Für eine zeitlang steckt man ihn nun aus Furcht vor negativer Publicity nicht mehr ins Gefängnis. Selbst seine recht öffentlich und provokant inszenierte Urlaubsreise nach Bratislava 1985, wo er Freunde aus der Dissidentenszene, wie etwa die Schauspielerin Vlasta Chramostová, besucht – ein Ereignis, das 2004 in dem Film Občan Havel jede na dovolenou (Bürger Havel geht auf Urlaub) mit Havel selbst nachgestellt wird – führt nicht ins Gefängnis, sondern „nur“ zu zwei kleinen Verhören durch die Polizei. So geht es bis zum Oktober 1988. Da hält er bei einer eigentlich erlaubten Kundgebung eine allzu regimekritische Rede und wird Gefängnis von Ruzyně (Prag 6) für fast eine Woche eingesperrt. Schon im November landet er wieder dort für vier Tage, weil er auf einen internationalen Symposium Československo ´88 (Tschechoslowakei 88) teilgenommen hatte, an dem viele Dissidenten erstmal öffentlich mit westlichen Intellektuellen diskutiert hatten.

In Januar 1989 jährt sich der Tod von Jan Palach zum 20. Male, jenem Studenten, der sich gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings selbst verbrannt hatte (wir berichteten u.a. hier und hier). Havel nahm an einer illegalen Gedenkveranstaltung teil und diesmal wollten die Kommunisten wieder einmal ein Exempel statuieren. Für neun Monate sollte er ins Prager Gefängnis Prag Pankrác ab Februar gesperrt werden. Aber die Samtene Revolution und das Ende des kommunistischen Schreckens stand schon vor der Tür. Schon im Mai wird er – auch aus Gesundheitsgründen – nach Protesten im In- und Ausland wieder freigelassen. Es sollte das letzte Mal sein, dass Havel inhaftiert wird. Im Dezember wird er der erste nicht-kommunistische Präsident seit 1948 und führt das Land in die Freiheit.

Es gibt also viele potentielle Gedenkstätten, die an die ebenfalls vielen Inhaftierungen Havels erinnern könnten. Aber der Untersuchungszelle in dem gar nicht gefängnisartigen Haus in der Bartolomějská gebührt die „Ehre“ die erste von ihnen zu sein. Das Haus gehört übrigens nicht mehr der Staatssicherheit, die ja gottlob sofort nach dem Sturz des Kommunismus aufgelöst wurde. Es wurde an die Kirche restituiert und die Nonnen des Konvikts versuchten zuerst in diesem Teil des Klosterkomplexes eine kleine Pension – insbesondere für fromme Pilger – einzurichten, wozu man das Gebäude 1992 erst einmal teuer renovierte. Dazu gab es auch Zuschüsse gemeinnütziger Stiftungen, wie etwa dem Prague Heritage Fund, den kein Geringerer als Prinz Charles gegründet hatte, der dann hier 1993 auch zusammen mit Václav Havel auftauchte und sich von diesem die Geschichte seiner er Inhaftierung erzählen ließ. Und, wie oben gesagt, tauchte Havel noch einmal 2004 zu den Dreharbeiten zu Občan Havel jede na dovolenou hier auf. In der bestehenden Form ließ sich die Pension allerdings anscheinend kaum rentabel aufrecht erhalten, so dass sie 2006 noch einmal renoviert und umgebaut wurde. Seither wird das Gebäude als Hotel Unitas voll professionell betrieben, wozu es sich eigentlich schon wegen der Altstadtlage und der Hübschen Barockarchitektur hervorragend eignet.

Das Hotel hat die Zelle P06 im Keller wohl weitgehend erhalten. Nur das primitive Stehklo wurde demontiert, aber das Waschbecken ist noch original. Klein und eng ist der Raum. Trotzdem wurden hier vier bis sechs Pritschenbetten hereingestellt. Die wurden in der Zeit der Nutzung der Zelle durch die Staatssicherheit tagsüber an die Wand gelehnt, damit für die Insassen überhaupt Platz war. Um 22 Uhr wurden sie wieder auf Befehl zum Schlafen hergerichtet. Für Havel war dies hier der Vorgeschmack für das, was ihm noch weiter wiederfahren sollte.

Anscheinend zeigt das Hotelmanagement ab und an ausgesuchten Besuchern die Zelle im Keller. Meine Anfragen per Mail wurden allerdings nie beantwortet. Deshalb gibt es für diesen Beitrag nur Photos des Gebäudes von außen. Und das lässt heute nichts von dem Erahnen, was sich hier dereinst abspielte. (DD)

Bösewichter in der Kachelbude

Von hier aus wurde sie gesteuert, die vielleicht Schrecken erregendste Institution des kommunistischen Regimes in der Tschechoslowakei: Die Staatssicherheit (Státní bezpečnost). Der Anblick dieses Gebäudes in der Bartolomějská 306/5, in dem sich die Zentrale befand, jagt noch vielen Menschen kalten Schauer den Rücken hinunter.

Das Gebäude war eigentlich für diese grausame Aufgabe nicht konzipiert worden. Es wurde nämlich in den Jahren 1936 bis 1942 als Sitz der Verwaltung des Zentralen Sozialamts der Hauptstadt Prag (Ústřední sociální úřad hl. m. Prahy) gebaut. Die Pläne stammten vom Architekten Bohumír Kozák (den wir bereits hier und hier kennenlernten), der mit dem großen, vierstöckigen und dreiflügeligen Gebäude ein geradezu typisches Beispiel des in der Endphase der Ersten Republik modernen Funktionalismus schuf. Die zeittypische Verkachelung mit sehr kleinen Kacheln trug dem Gebäude früh den Nicknamen kachlíkárna (Kachelbude) ein. Im Mai 1945 spielte das Haus sogar eine heroische Rolle in einem Freiheitskampf. Von hier aus steuerte nämlich der Tschechische Nationalrat (Česká národní rada) den Prager Aufstand (siehe u.a. auch hier, hier und hier) gegen die Nazibesatzer und zwang sie am 8. Mai 1945 zur Kapitulation.

Aber die Heldengeschichte half nicht dagegen, dass eine böse Nutzung sich anbahnte. 1945 wurde die Staatssicherheit gegründet. Das war noch vor der kommunistischen Machtergreifung vom Februar 1948, aber die Kommunisten hatten dafür gesorgt, dass ihnen in der ansonsten bürgerlichen Regierung die relevanten Sicherheitsdienste (Polizei, Armee, Geheimdienste) unterstellt wurden. Und der stalinistische Hardliner Václav Nosek sorgte als Innenminister dafür, dass der Inlandsgeheimdienst im kommunistischen Interesse arbeitete. Und das machte man in der Bartolomějská, wo man bald noch zusätzliche Gebäude erwarb, um dort Menschen brutal zu verhören, zu foltern oder für Spitzeldienste anzuwerben, um Informationen über fast jeden Bürger zu sammeln.

Denn Platz brauchte die stets wachsende Riesenbehörde. 1954 hatten Staatssicherheit schon rund 13.000 reguläre Mitarbeiter, Mitte der 1980er Jahre registrierte sie 75.000 geheime Mitarbeiter. Anfang der 1960er Jahre wurden fast 100.000 Personen wegen des Verdachts sogenannter staatsfeindlicher Aktivitäten observiert. Die Schreckenstaten des StB sind zu viele, als dass man sie an dieser Stelle aufzählen könnte. In den Kellern des Gebäude wurde ohne Rücksicht auf Menschenleben gefoltert und viele Menschen starben dabei. Der Priester Josef Toufar (wir berichteten hier) und der Philosoph und Dissident Jan Patočka (erwähnt hier) seien als Beispiele genannt. Man versuchte, die Dissidentenszene zu infiltrieren. So heuerten sie mit Josef Hodic einen Unterzeichner der Charta 77, der in den Westen „floh“, um dort die Exilszene zu beobachten, wo man ihn als glaubwürdigen Widerstandshelden sah. Am schlimmsten war vielleicht, dass niemand mehr sicher sein konnte, ob nicht seine besten Freunde oder engsten Verwandten ihn in Wirklichkeit bespitzelten.

Die Bösewichter sind allerdings seit 1990 aus der Kachelbude vertrieben. Nachdem der Kommunismus 1989 zusammenbrach und der Dissident Václav Havel (der im Nebengebäude öftern inhaftiert und verhört worden war) Präsident wurde, löste der neue (nicht-kommunistische) Innenminister die StB auf. Archive wurden bald darauf geöffnet und 2007 wurde das Institut für das Studium totalitärer Regime (Ústav pro studium totalitních režimů), das die Untaten der StB erforscht und wichtige Beiträge zur Erinnerungskultur an die Grauen des Kommunismus leistet. Die Tschechoslowakische Republik verfügt inzwischen über Institutionen der inneren und äußeren Sicherheit, die der nunmehr demokratischen Kultur des Landes entsprechen. Wenn man also heute an der Kachelbude vorbeigeht und dort auf Schildern sieht, dass hier heute die Polizei residiert (und zwar hauptsächlich so gewaltfreie Dinge wie die Immobilienverwaltung, die Polizeigewerkschaft und das Rechnungswesen), dann braucht man keine Angst mehr zu bekommen. (DD)

Biene mit spießiger Ästhetik

Heute ist der 1. Mai – der Tag der Arbeit. Da ist an dieser Stelle immer Arbeiterromatik zu bewundern, deren Spuren man in Prag überall findet. So wie dieses schmucke Relief, das definitiv nicht aus den Zeiten stammt, als die Kommunisten schon an der Macht waren. Aber sie planten natürlich auch damals bereits böse Dinge.

Dabei hatte es mit dem Gebäude am Tylovo náměstí, 15/3 (Tyl Platz) ganz harmlos mit einer zünftig böhmischen Gaststätte (hostinec) angefangen. In den Jahren 1879/80 ließ nämlich der Grundbesitzer und Gastwirt František Možný hier neben dem Marktplatz ein damals noch dreistöckiges Gebäude im Stil der damals modernen Neorenaissance bauen, in dem dann seine Gaststätte U Možných (Bei Možný) betrieben wurde. Die Baupläne stammten entweder von dem Architekten Antonín Bureš oder dem vor Ort ungleich bekannteren Alois Bureš (einem späteren Bürgermeister von Vinohrady) entworfen. Genaueres weiß man nicht, weil die Pläne anscheinend nur mit „A. Bureš“ signiert wurden.

Um zusätzliche Gästezimmer für das der Hostinec angeschlossene Hotel Možnýs einrichten zu können, erweiterte man 1882 den Bau zur Rückseite, so dass nun eine weitere Fassade in der dahinter liegenden Lublanšká 146/46 entstand. Hier findet man nicht nur immer noch den Schriftzug U Možných über dem Portal, sondern kann auch einen Eindruck bekommen, wie die Fassade im Stil der Neorenaissance ursprünglich aussah (siehe kleines Bild oberhalb links). Im Erdgeschoss der Seite auf der Lublanšká befindet sich heute übrigens wieder eine Gaststätte, die immerhin im Namen an das alte U Možných erinnert.

Bei der vorderen Seite zum Tyl Platz sieht man nichts mehr von Možný und auch nichts mehr von der Neorenaissance-Fassade. Denn in den 1930ern begannen hier umfangreiche Umbauten. 1932 wurden zunächst einmal eine 4. und 5. Etage durch den Architekten und Bauunternehmer Alois Vavrouš aufgesetzt. Und 1937 (eine Zeit, das die Neorenaissance völlig „out“ war) ersetzte die Firma des Bauunternehmers Karel Skorkovský – ein Pionier neuer Betontechniken und des Autobahnbrückenbaus – die Fassade komplett. Sie behielt die Struktur der alten Fassade bei, aber die alte Ornamentik verschwand. Das ganze bekam einen nüchternen und fast funktionalistischen Touch – so wie wir es heute noch sehen.

Mit dem neuen und modernen Stil kamen auch neue Besitzer. Možnýs Gaststätte gab es da schon lange nicht mehr. 1938 eröffnete hier die Prager Zentrale der Konsum-Genossenschaft Včela (Spotřební družstvo Včela). Und die brachte das steinerne Relief über dem Haupteingang an. Včela – zu Deutsch: Biene – was war das überhaupt? Zurück zum Ursprung: Die genossenschaftliche Organisation wurde 1905 als Zentraler Arbeiter-Konsumverein (Ústřední dělnický spolek konsumní; abgekürzt: ÚDSK) von Angehörigen der böhmischen Sozialdemokratischen Partei (Česká strana sociálně demokratická, abgekürzt ČSSD) gegründet, die sich 1878 noch als Teil der österreichen Sozialdemokraten formiert hatten, aber ab 1897 als eigene separate Landespartei agierten. Es ging dem Konsumverein um freiwillige Selbstorganisation von Arbeitern (eine recht liberale Form des Sozialismus), die sich zusammen organisierten, um günstiger das Lebensnotwendige erwerben zu können (Kaufkraftbündelung).

Es kam die Erste Tschechoslawische Republik (1918) und mit ihr politische Umbrüche im Parteiensystem. Als sich 1921 Teile der Partei abspalteten, um die Kommunistische Partei zu gründen, teilten sich beide Gruppierungen – Sozialdemokraten und Kommunisten – eine zeitlang den Konsumverein. In den 1930er Jahren, als man hier am Tylovo náměstí einzog, war der Verein aber bereits fest in kommunistischen Händen. 1931 gründeten die Sozialdemokraten ihren eigenen Konsumverein Rovnost (Gleichheit) und die Kommunisten benannten den alten ÚDSK-Verein, den sie nun endgültig steuerten, in Včela um. Der verfolgte zumindest vordergründig weiterhin einen guten Zweck. Und so steht auch auf dem Kernstück des Reliefs über dem Eingang das anrührende Wort bratrství (Brüderlichkeit).

Die Včela betrieb weiterhin eine Kette von Läden, in denen nicht so gut betuchte Menschen gut und preisgünstig einkaufen konnten. Gleichzeitig diente das Hauptgebäude am Tyl Platz aber auch dazu, Listen mit vertrauenwürdigen Genossen anzulegen, die irgendwo im Genossenschftssystem Funktionen ausübten, über die man weitere Linientreue einschleusen konnte, um so die Sozialdemokraten zu verdrängen und Machtmittel an die Hand zu bekommen. Die Včela war damit zugleich eine brave Genossenschaft, aber auch ein strategisches Werkzeug der Kommunsiten, um sich ein „menschliches Anlitz“ zu verschaffen, und im leninistische Unterwanderungs- und Infiltrationstaktiken zu planen und umzusetzen. Als die Kommunisten dann 1948 die Macht ergriffen, spielte die „Biene“ im nunmehr staatlich kontrollierten Zentralrat der Genossenschaften (Ústřední rada družstev) eine wesentliche Rolle. Einige wichtige Amtsträger des Regimes, wie etwa der stalinistische Staatspräsident Antonín Novotný, kamen aus der Včela-Genossenschaft.

Als Včela hier einzog, gab es bereits klare Weisungen aus Moskau, dass die Zeit avantgardistischer Experimente vorbei sei, und dass in Sachen Ästhetik sozialistischer Realismus und Zuckerbäckerstil strikt angesagt seien. Folglich ist das über dem Eingang werbende Relief arg bieder, altmodisch und strotzt von dick aufgetragener Allegorik. Das Medaillon in der Mitte (mit der Aufschrift bratrství ) zeigt die klassischen Symbole der Arbeiterklasse (hauptsächlich Zahnräder) und der Bauern (Pflug). Da es sich aber um eine Konsumgenossenschaft handelt, befindet sich auch noch eine große Einkauftasche dazwischen. Eingerahmt wird das Medaillon von den üblichen kraftvollen sozialistischen Realkörpern: Links eine muskulöser Arbeiter mit Hammer (Bild oberhalb rechts) und rechts eine barbusige Allegorie der Landarbeiterin mit Korb. Es ist immer wieder erstaunlich, wie sehr schon bei solch frühen Manifestationen des Sozailsitsichen Realismus, der radikal-progressive Anspruch der Kommunisten mit der extrem antiquierten und recht spießigen Ästhetik kollidierte.

Auch die „Biene“ hat hier ihre Zeit schon länger hinter sich. In kommunistsichen Zeiten wurde das Hauptquartier verlegt. Es wurden hier fortan hauptsächlich Wohnungen vermietet. Nach dem Ende des Kommunismus wurde das Gebäude privatisiert. EIn großer Umbau, bei dem unter anderem ein zusätzlicher Dachboden hinzugefügt wurde, erfolgte 1997. Kurz danach wurde dann hier das Clarion Hotel Prague City eröffnet. Das wird solide nach kapitalistischen Prinzipien betrieben. Ob sich die Gäste Gedanken über dieses kleine Stück kommunistscher Ästhetikgeschichte über dem Eingang machen, wenn sie unter dem Relief in das Hotel eintreten? (DD)

Das Geburtshaus der Märtyrerin

Kein Zweifel, dass die Tschechen sie liebevoll in Erinnerung haben, wie kaum eine andere Persönlichkeit ihrer Geschichte: Milada Horáková war eine aufrechte Demokratin und Frauenrechtlerin, die Opfer zweier totalitärer Diktaturen wurde. Sie ist für die Tschechen die große Symbolfigur, die Märtyrerin der Freiheit schlechthin.

Kurz nach ihrem 100. Geburtstag wurde ihr auch an ihrem Geburtshaus im Stadtteil Vinohrady ein Denkmal gesetzt – eines von vielen, die es in Prag gibt (wir berichteten bereits u.a. hier, hier, hier und hier). Hier in der heutigen Rumunská 18/22, Ecke Bělehradská, wurde sie am 25. Dezember 1901 – heute vor 101 Jahren – als Milada Králová geboren. Nach der Gründung der Ersten Republik gehörte sie zu den ersten Frauen, die Jura studierten, und 1926 promovierte. Früh engagierte sich für Frauenrechte und gehörte 1923 zu den führenden Gründungsmitgliedern des Nationalen Frauenrats (Ženská národní rada), der Sammelbewegung aller Frauenbewegungen im Lande. Damit war es zu Ende, als 1939 Hitlers Wehrmacht einmarschierte. 1940 wurde sie wegen ihrer Widerstandstätigkeit verhaftet, ins Konzentrationslager gesperrt und entging nur knapp einem Todesurteil.

Als sie 1945 befreit wurde und zurückkehrte, glaubte sie an eine demokratische Zukunft der Tschechoslowakei und ließ sich sogar ins Parlament wählen. Dann kam der kalte Putsch der Kommunisten unter „Stalins ergebenen Lehrling“ Klement Gottwald. Sie machte aus ihrer Gegnerschaft zu den Kommunisten keinen Hehl und engagierte sich – gewaltfrei, wohlgemerkt – im geheimen Widerstand. Das flog auf und Gottwald sah eine neue Gelegenheit, sich spektakulär politischer Gegner zu entledigen. Ein Schauprozess mit grotesken Beschuldigungen wurde vom 31. Mai bis zum 8. Juni 1950 Horáková und 12 Mitangeklagten gemacht, in dem das Urteil bereits feststand. Als einzige Angeklagte weigerte sie sich, sich für Einstehen für demokratische Ideale zu entschuldigen, um die Richter gndig zu stimmen. Als das Todesurteil kam, reichte sie bei Präsident Gottwald als einzige kein Gnadengesuch ein, nicht nur, weil sie wusste, dass Gottwald keine Gnade walten lassen würde, sondern dass man einem Unmenschen wie ihn nicht unterwürfig entgegentreten durfte. Internationale Appelle nutzten nichts. Am 27. Juni 1950 wurde sie am Galgen hingerichtet.

Am 10. Januar 2022, also einige Tage nach dem 100. Jahrestages ihrer Geburt (die ja auf einen Weihnachtstag fiel), wurde am Geburtshaus eine künstlerisch gestaltete Gedenkplatte angebracht. Bei der Enthüllung waren die Bürgermeisterin des Stadtteils, Alexandra Udženija, und ihre Vorgängerin und heutige Verteidigungsministerin Jana Černochová zugegegen. Filip Novák der Direktor des örtlichen Milada Horaková Gymnasiums und Vize-Vorsitzender des Dr. Milada Horaková Klubs (Klub dr. Milady Horákové), der sich Andenken Milada Horakovás und der Opfer des Kommunismus widmet, und die Historikerin und Schriftstellerin Zora Dvořáková, hielten Redebeiträge zur Würdigung Horakovás.

Das Denkmal wurde von Graphikerin Jana Šindelová und dem Architekten und Künstler Michal Motyčka gestaltet. Es handelt sich um eine gerundete längliche Platte aus Cortenstahl. In der unteren Hälfte befindet sich die eingravierte Inschrift, die auf Deutsch übersetzt besagt: „In diesem Haus wurde am 25.12.1901 die Mitbegründerin der tschechoslowakischen Frauenbewegung, die Juristin und Politikerin Dr. jur.Milada Horáková, geborene Králová, geboren, seit 1940 wegen antinazistischen Widerstands inhaftiert, 1949 wegen antikommunistischen Widerstands vor Gericht gestellt, zum Tode verurteilt und am 27. Juni 1950 ohne Begräbnis hingerichtet.“ In der oberen Hälfte ist eine konkave Spiegellinse eingelassen, die ein auf den Kopf gestelltes Spiegelbild der Umgebung liefert. Diese Linse symbolisiere, so ließen die Künstler verlauten „eine Art Weltenpunkt zum Innehalten“. Und innehalten sollte jeder, der an diesem sehr angemessenen und würdigen Denkmal für die große Märtyrerin der Freiheit vorbeigeht. (DD)

Kafkas Erbe aufrechterhalten

Dass Franz Kafka zu den ganz Großen der Weltliteratur gehört, wird niemand ernsthaft bezweifeln. Um so mehr überrascht, dass es in Prag, seiner Heimatstadt, erst seit 1989 die Franz-Kafka-Gesellschaft (Společnost Franze Kafky) gibt.

Die grausamen Wirrungen des 20. Jahrhunderts sind auch an der Erinnerungskultur an das reiche deutsch-jüdische Literaturerbe Prags nicht vorübergegangen. Und noch Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg war der Name Kafkas in seinem eigenen Lande Tabu. Das hatte nicht nur etwas damit zu tun, das nach Naziherrschaft und Vertreibung in der Tschechoslowakei generell ein geringes Interesse, wenn nicht gar eine Aversion gegen die früher so reiche deutsche Kultur im Lande herrschte, sondern Kafka (links seine von dem tschechisch-israelischen Bildhauer Dan Kulka geschaffene Büste im Tagungsraum der Gesellschaft) war bei den Kommunisten, die 1948 die Macht ergriffen hatten, noch einmal gesondert in Acht und Bann gesetzt worden. Obwohl als Sozialist eigentlich theoretisch für sie vereinnahmbar (und von Marxisten im Westen auch gerne rezipiert), wurden die Bücher Kafkas in der Tschechoslowakei unmittelbar auf den Index gesetzt.

Dann kam der Prager Frühling. Im Jahre 1968 war die Zensur vorbei. Tschechische Übersetzungen der Werke Kafkas stürmten – 44 Jahe nach dem Tod des Autors – die Bestsellerlisten des Landes. Möglicherweise, so sagten ernstzunehmende Stimmen, war es nicht nur so, dass die Kafka-Rezeption in der ČSSR nicht nur durch die kulturelle Liberalisierung des Prager Frühlings Aufschwung genommen hatte, sondern das umgekehrt die Kulturliberalisierung durch die Kafka-Rezeption erst vorangetrieben worden war. Denn die kulturelle Entstalinisierung war ja nicht auf einmal gekommen, sondern hatte sich langsam vorbereitet. Und einer der Meilensteine der Entwicklung war die berühmte internationale Kafka-Konferenz im Jahre 1963, die auf dem seit 1952 von der Akademie für Wissenschaften genutzten Schloss Liblice stattgefunden hatte. Eigentlich hätte es die wegen des Banns über Kafka nicht geben dürfen. Aber man konnte sich das inzwischen erlauben. Und heikel war das Thema: Entfremdung. Das war ein Kernthema für Kafka, aber auch für Karl Marx. Und Kafka in Beziehung zu Marx zu setzen, war ein intellektuell reizvolles, aber gewagtes Projekt.

Die Diskussionen verliefen kontrovers. Während etliche Literaturwissenschaftler aus der „DDR“ den orthodoxen Standpunkt vertraten, Kafkas Auseinandersetzung mit dem Thema Entfremdung kapituliere vor dem Rahmen einer bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft, habe daher für eine fortgeschritttene real-sozialistische Gesellschaft keinerlei Relevanz. Westliche Teilnehmer, wie der Österreicher Ernst Fischer, betonten, dass Kafkas Ideen weiterhin aktuell seien, da sie ein demokratisch-sozialistisches Anlegen mit Bürokratiekritik verbinde. Und dann waren da noch die tschechoslowakischen Teilnehmer, allen voran der Organisator der Konferenz und spätere Präsident des tschechoslowakischen Schriftstellerverbandes Eduard Goldstücker, der die Ansicht vertrat, dass das Phänomen der Entfremdung gerade in sozialistischen Transformationsphasen besonders stark auftreten könne. Mit Kafka könne man die stalinistische Epoche neu bewerten und andere Wege zum Sozialismus – einem mit „menschlichem Anlitz“ (so dies denn überhaupt möglich ist…) – finden.

Die sehr wirksame öffentliche Vermarktung und vor allem die Tatsache, dass das Ganze unter der Schirmherrschaft der staatlichen Akademie der Wissenschaft stattfand, verlieh der Veranstaltung eine enorme politische Wirkung, wie der in Amerika lehrende Literaturhistoriker Ehrhard Bahr 1980 rückblickend feststellen sollte: „Diese Tagung war mehr als ein literarisches Kolloquium, sie war ein politisches Ereignis.“ Es brachte eine kulturelle Liberalisierungswelle in Gang. 1965 durfte erstmals die Übersetzung von Kafkas Der Process erscheinen. Bis zur Niederschlagung des Prager Frühlings entwickelte sich die Tschechoslowakei zu einem Land mit vergleichsweise großer Kunstfreiheit. Walter Ulbricht, Generalsekretär der SED in der „DDR“ machte später die Konferenz als Beginn der Abkehr vom Sozialismus aus, die man dann mit dem Truppeneinmarsch im August 1968 beendete.

Kafkas Werke wurden danach nicht wieder verboten, aber erst einmal aus dem Sortiment der meisten Buchhandlungen genommen – außer in Prager Buchhandlungen für Westttouristen. Wer wollte, konnte Exemplare in Büchereien finden. Das war es aber auch. Das änderte sich mit der Samtenen Revolution, die 1989 den Kommunismus zu Fall brachte. Und schon im November wurde eben die Prager Kafka-Gesellschaft gegründet.

Die Kontinuität zur Konferenz von 1963 war gewollte und deutlich sichtbar. Mit dem deutschen Germanisten Kurt Krolop wurde sogar ein damaliger Teilnehmer zum ersten Präsidenten gewählt – ein Amt, das er bis zu seinem Tod 2016 innenhatte. Seitdem ist der Medienunternehmer Vladimír Železný Präsident der Gesellschaft und der ehemalige Geschäftsführer des Bundes Jüdischer Gemeinden, Tomáš Kraus (im Bild links mit der israelischen Botschafterin Anna Azari während einer Veranstaltung in der Kafka Gesellschaft), sein Stellvertreter. Die Gesellschaft residiert heute in der Široká 65/14, mitten im alten Judenviertel Josefov. Es handelt sich um ein vierstöckiges Neobarockhaus aus der Zeit um 1900 (ohne einen biographischen Bezug zu Kafka), in dessen Erdgeschoss eine Kafka und der deutsch-jüdischen Prager Literatur gewidmete Buchhandlung befindet.

Das eigentliche Zentrum der Kafka-Gesellschaft befindet sich jedoch im Hinterhof in einem eingeschossigen Gebäude mit einem Tagungsraum und Bibliothek im Keller. Die Bibliothek ist etwas besonderes. Es handelt sich um eine vom deutschen Autobauer Porsche gespendete Doublette der rund 1000 Bücher umfassenden persönlichen Bibliothek Kafkas, die man aus Bestandsverzeichnissen rekonstruieren konnte.Vielleicht verdankte man die Spende dem historischen Umstand, dass Firmengründer Ferdinand Porsche ein gebürtiger Böhme aus dem Ort Maffersdorf (heute: Vratislavice nad Nisou) im heutigen Tschechien war. Im Bibliotheksraum und Tagungssaal finden auch zahlreiche der Lesungen, Vorträge und Veranstaltungen der Gesellschaft statt. Womit wir beim Zweck der Kafka Gesellschaft sind. Der ist die Pflege des Erbes von Kafka im speziellen und der der deutsch-jüdisch-tschechischen Kulturtradition mit einer europäischen Zukunftsperspektive – darin dem (übrigens auch von Kurt Krolop mitgegründeten) Prager Literaturhaus ähnelnd. Sie tut das nicht nur durch Veranstaltungen, sondern auch publizistsich. Im eigenen Verlag strebt man die vollständige Übersetzung aller Werke Kafkas ins Tschechische an. Dazu kommt noch wertvolle wissenschaftliche Sekundärliteratur.

Obendrein verleiht man jährlich den renommierten und mit 10.000 $ dotierten Franz-Kafka-Literaturpreis (Cena Franze Kafky), den 2001 der jüdisch-amerikanische Schriftsteller Philip Roth als erster bekam. Zu den weiteren Preisträgern gehörten unter anderem Elfriede Jelinek (2004), Václav Havel (2010) oder Margret Atwood (2017). Und auch herausragende Einzelprojekte gibt es. Etwa 2003, als sie das bekannte Franz-Kafka-Denkmal neben der Spanischen Synagoge errichten ließ. Das Werk des bekannten tschechischen Bildhauers Jaroslav Róna (wir berichteten bereits hier), das rechtzeitig zum 120. Geburtstag Kafkas entstand, spiegelt die Surrealität des Kafkaschen Werks auf grandiose Weise wieder. Klar ist: Den Beitrag, den die Kafka-Gesellschaft zur Wiederbelebung und Pflege des Kafkaschen Erbes für unsere Zeit geleistet hat und noch leistet, kann man kaum überschätzen. (DD)

Der letzte Triumph der Karlíner Buben

Gedenkorte, die freudig an einen Karrieresprung Klement Gottwalds erinnern, gibt es heutzutage aus verständlichen Gründen eher wenige in Prag. Stalins ergebener Lehrling hatte schließlich 1948 die kommunistische Diktatur begründet und bis zu seinem Tod recht brutal regiert. Diese Plakette am Doppelhaus in der Na Maninách 1149/32 bzw. 1525 / 32a, im Stadtteil Holešovice hat zwar das Ende des Kommunismus überlebt, aber dafür ist sie permanent Gegenstand allgemeinen Zorns.

„Vrah“, hat jemand – offensichtlich empört – in Rot draufgesprayt: Mörder! Ein Vorwurf, der nicht von der Hand zu weisen ist. Aber was bedeutet die Plakette und wessenthalben ehrt sie den schrecklichen Gottwald? Schauprozesse, Folter, Hinrichtungen, Bespitzelung, Außerkraftsetzung aller Grundrechte, Abschaffung der Demokratie, Zwangsarbeit (für Dissidenten mit Vorliebe in radioaktiv verseuchten Uranminen) – das alles gehörte zum Standardinstrumentarium der Herrschaft des Diktators, der 1953 kurz nach dem Tod seines Idols Stalin selbst an Alkoholismus und Syphillis verstarb. Und das, woran die Bronzetafel erinnert, war für klarsichtige Beobachter schon lange vor der kommunistischen Machtergreifung von 1948 ein böses Omen für das, was man von diesem Mann erwarten konnte. Reisen wir also zurück in die Gründerzeit der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei (Komunistická strana Československa, abgekürzt KSČ) während der Zeit der Ersten Tschechoslowakischen Republik

Damals gehörte die KSČ zu den stärksten kommunistischen Parteien Mitteleuropas, was aber vor allem daran lag, dass die Tschechoslowakei demokratisch geblieben war, als in vielen andere Ländern rechtsautoritäre Regime an die Macht kamen (Ungarn 1919, Italien 1922) und Kommunisten gewaltsam unterdrückt wurden. Umgekehrt galt die KSČ bei ihrer Gründung im Jahr 1921 als vergleichsweise gemäßigt und folgte nicht immer treu dem politischen Kurs des kommunistischen „Musterlandes“ der Sowjetunion.Insbesondere Generalsekretär Bohumil Jílek sorgte für einen relativ unabhängigne Kurs und erlaubte sogar ein gewisses Maß an internem Pluralismus. Allerdings sah man bald düstere Wolken am Horizont. 1927 hatte Stalin seine Macht in der Sowjetunion endgültig konsolidiert. Über das Instrument der Kommunistischen Internationale wollte er die ausländischen Parteien unter seine Kontrolle bringen. Auch die tschechoslowakische. Der 5 Parteitag der KSČ, der vom 18. bis 23. Februar 1929 in Prag stattfand, war der Zeitpunkt dafür.

Unter der Führung von Klement Gottwald bereitete eine Karlíner Buben (karlínští kluci) genannte Gruppe radikaler Stalinisten einen internen Putsch gegen Jílek und sein Umfeld vor. Zu der Gruppe, die sich nach dem Stadtteil Karlín nannte, in dem sich die Geschäftsstelle der KOmmunisten befand, gehörte unter anderem auch Rudolf Slánský, den Gottwald 1952 als potentiellen Rivalen nach einem infamen Schauprozess mit ebenso infamen antisemitischen Ausfällen hinrichten lassen sollte. Der Putsch gelang jedenfalls und Gottwald ging sofort daran, die Partei von „Abweichlern“ zu säubern. Dagegen erhob sich zunächst großer Protest. Eine Gruppe Intellektueller um den Schriftsteller Vladislav Vančura protestierten in dem berühmten Manifest der Sieben gegen die Gleichschaltungspolitik (wir berichteten hier). Gottwald reagierte hart und schloss alle Kritiker aus. Der Partei liefen die Mitglieder in Scharen davon. Die über 100.000 Mitglieder schrumpften in einem Jahr auf 40.000 zusammen. Aber dem autoritären Gottwald behagte wohl sowieso eine stramme Kaderorganisation mehr als eine genuine Volksbewegung. Unter dem Schutz der Besatzermacht Sowjetunion konnte die Organisation, die schon unter den Nazis durch Widerstandszellen (ohne jegliche Kooperation mit der deutlich größeren bürgerlichen Widerstandsbewegung) ihre Kampfkraft stärkte, recht professionell und ungehemmt ihre Macht durchsetzen.

Gottwalds Marsch zur Macht begann also mit dem Parteiputsch von 1929. Deshalb wurde im Jahr 1957 von den Kommunisten auch die Gedenkplatte für dieses Ereignis angebracht, und zwar in genau dem Haus, in dem der berüchtigte 5. Parteitag stattgefunden hatte. Gottwald war das zwar schon vier Jahre tot, aber die Entstalinisierung, die in der Sowjetunion 1956 einsetzte, machte in der Tschechoslowakei unter dem Nachfolger Gottwalds, dem stalinistischen Apparatschik Antonín Zápotocký, keinerlei Eindruck. m Gegenteil: Unter ihm begann ein wahrer posthumer Personenkult von irrsinnigem Ausmaß. Gottwalds Leiche wurde mumifiziert im Nationaldenkmal zwecks Anbetung öffentlich aufgebahrt (wir berichteten hier). In jeder Stadt wurden Denkmäler des Tyrannen aufgestellt und Straßen und Plätze nach im benannt. Leichte Liberalisierungen setzten in der Politik des Landes erst Mitte der 1960er Jahren ein. Man feierte also 1957 GottwaldsTriumph noch ungebrochen mit den in Bronze gegossenen Worten: „In diesem Gebäude fand vom 18. bis. 23. Februar 1929 der historische 5. Kongress der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei. Hier wurde Genosse Klement Gottwald zum Parteivorsitzenden gewählt. Unter seiner Führung begab sich die Kommunistische Partei auf einen ruhmreichen Weg des Kampfes für den Sieg der Werktätigen.“

Jetzt hing sie da, die Tafel. Und es schien, als ob der gerissene Gottwald schon bei der Wahl des Tagungsortes von 1929 daran gedacht hatte, sein Andenken über alle Zeiten zu verewigen. Und zwar unzerstörbar. Das Gebäude in der Na Maninách steht nämlich seit 1975 unter striktem Denkmalschutz. Nicht wegen des Parteitags von 1929, sondern weil es tatsächlich ein architektonisches Kulturdenkmal ist. Die Gedenktafel wurde zum „Trittbrettfahrer“ der Hauses, das sie nun mitschützte. An dem Gebäude darf keine so tiefgreifende Änderung wie die Abmontage der Tafel erfolgen. Basta! Denn: Es handelt sich nämlich um das Kulturhaus Domovina (Kulturní dům Domovina), das in den Jahren 1919 bis 1922 nach den Plänen der Architekten Otto V. Máca und Karel Roštík erbaut wurde.

Primär handelte es sich um ein genossenschaftliches Mietshaus, das Eisenbahnarbeitern und Schaffnern als qualitativ hochstehendes und preisgünstiges Domizil dienen sollte. Gleichzeitig gehört es aber auch zu den ersten Wohnhäusern mit „kombinierten Funktionen“, das heißt, man sollte hier nicht nur wohnen, sondern auch am Kulturleben teilnehmen. Im Untergeschoss gab es zum Beispiel ein Kino, in dem bis 1995 Filme vorgeführt wurden. Im ersten Stock wurde ein recht großer Theatersaal geboten – jener Raum mit guter Akkustik, in dem sich die Kommunisten 1929 trafen. In dieser Form gab es den Saal aber schon bald nicht mehr, denn er wurde in ein Tonstudio umgewandelt. Dafür zog 2018 in den alten (umgebauten) Kinosaal ein neues Theater ein. Die Hauptfassade des Hauses ist ebenfalls ein geradezu archetypisches Beispiel für den damals in der Tschechoslowakei modernen Funktionalismus in Kombination mit historisierenden Elementen, wie die beiden turmähnlichen Risalite, die jeweils auf einem Portikus ruhen. Die Kombination erhob den Anspruch von Modernität, wirkte aber gleichzeit auch traditionell wohnlich.

Kurz: Das Haus verdient seinen Status als geschütztes Gebäude, aber das Ärgenrnis der Gottwald-Plakette ist deshalb nicht aus der Welt zu schaffen. Irgendwie haben die Karlíner Buben triumphiert. Mehrfach gab es Anläufe der Stadtregierung von Holešovice, die Plakette entfernen zu lassen. So im Jahre 2002, wo man in der Diskussion darüber gleich noch einige Straßennamen ändern wollte, durch die weniger relevante lokale Kommunisten geehrt wurden. Oder nochmals 2015. Aber immer scheiterte es daran, dass man die gesetzlichen Bestimmungen des Denkmalschutzes nicht einfach so aufheben kann. Die meisten Bürger haben sich damit abgefunden und betrachten die Tafel als Dokument eines nun einmal realen Kapitels der Geschichte betrachten, mit dem man sich auseinandersetzen muss. Aber auch dann wäre vielleicht wenigstens eine zusätzlche erläuternde Tafel ratsam. Aber einige Menschen können sich nicht damit abfinden, dass eine so finstere Gestalt wie Gottwald immer noch so viel Ehre erfährt. Deshalb ist das nicht das erste, und sicher auch nicht das letzte Mal, dass die Tafel Opfer von Sprayanschlägen wird. (DD)