Als die Nazis im Januar 1933 die Macht übernahmen, begann damit die Demontage der Weimarer Republik und die Errichtung einer totalitären Diktatur. Der wichtigste der ersten Schritte war das Ermächtigungsgesetz, durch das sich Hitler im März vom Reichstag diktatorische Vollmachten übertragen ließ. Nur die 94 Abgeordneten der SPD stimmten gegen das Gesetz. Es war absehbar, dass die Nazis danach die Partei zerschlagen würden. Im Juni folgte das Verbot der Partei. Vorausschauend baute sich deshalb die Partei schon im Mai – also vor 90 Jahren! – einen Exilvorstand auf, die SoPaDe (Sozialdemokratische Partei Deutschlands). Und die hatte ihren Sitz in Prag.
Von allen Demokratien, die sich in Europa nach dem Ersten Weltkrieg gebildet hatten, hatte nur die Erste Tschechoslowakische Republik überlebt. Alle anderen – etwa Polen, Ungarn, Rumänien und ab 1933 eben auch Deutschland – waren zu Scheindemokratien oder gar offenen Diktaturen mutiert. Die Tschechoslowakei wurde zum Fluchtort für die Verfolgten Europas. Die SoPaDe erwarb Büros in einem großen Wohngebäude in der Křižíkova 179/26 (Ecke Karlínské náměstí) im Stadtteil Karlín. Von hier aus sollte sie mehrere politische Aufgaben erledigen. Dazu gehörte der Schutz besonders gefährdeter Politiker, etwa Otto Wels, der mutig im Reichstag gegen das Ermächtigungsgesetz gesprochen hatte. Aber auch die Rettung und Verwaltung zumindest von Teilen des Parteivermögens, die Sicherung der verbliebenen Organisationsstruktur, den Kontakt zur in Deutschland noch bis 1934 agierenden „illegalen Reichsleitung“ der Partei, die Entwicklung für den demokratischen Aufbau nach dem erwünschten Ende des Nationalsozialismus, die Herausgabe der Parteizeitschrift Vorwärts (als Neuer Vorwärts), die Kooperation mit anderen demokratischen Exilorganisationen. Bei letzterem hielt man bewusst, aber nicht unumstritten Distanz zu den Kommunisten, sondern suchte eher Kontakt zu bürgerlichen Gruppen. Zu der organisatorischen Struktur, die die rund 25 Mitarbeiter im Haus in der Křižíkova aufbauten, gehörten die sogenannten Grenzsekretariate, die die Verbindung zu Untergrundgruppen in Deutschland aufrechterhielten und Literatur und andere Werbemittel einschmuggelten. Zudem sammelten sie Informationen, die für die Veröffentlichung der Deutschland-Berichte verwendet wurden, durch die sich die SoPaDe ein Bild der Lage in Deutschland verschaffen wollten.
Als Anfang 1939 Hitlers Truppen in Prag einmarschierten, war die SoPaDe noch rechtzeitig geflohen, um in Paris ein neues Büro einzurichten. Das konnte nur bis zum Einmarsch der Wehrmacht 1940 arbeiten. Die nächste Station war London, aber dort waren die Möglichkeiten (z.B. naturgemäß keine Grenzbüros) so beschränkt, dass die Arbeit bald zum Erliegen kam. In Prag findet man immerhin ein wenig Gedenken an dieüberaus viel Mut erfordernde Tätigkeit der SoPaDe. Am 15. Mai 1990 hielt der frühere deutsche Bundeskanzler Willy Brandt, der die damalige Zeit im norwegischen Exil verbracht hatte, eine Grundsatzrede über Entwicklungspolitik an der Prager Karlsuniversität. Tags zuvor nutzte er die Gelegenheit, dem Haus in der Křižíkova einen Besuch abzustatten und dort eine sehr schlichte metallene Gedenktafel in Tschechisch und Deutsch einzuweihen, die an die SoPaDe und ihr Wirken in Prag erinnert: „Hier arbeitete der Exilvorstand der deutschen Sozialdemokraten in den Jahren 1933 bis 1938.“ (DD)
Hinter hohen Mauern versteckt sich der hübsche und historisch bedeutsame Park. Dass er heute zum Gelände einer Psychatrischen Klinik gehört, mag zusätzlich für den Besucher eine Hemmschwelle sein, hier einzutreten, um die Schönheit und Ruhe des Ortes zu genießen.
So bleibt es ein Geheimtipp, den an Werktagen geöffneten Katharinengarten (Kateřinská zahrada) am Rande der Neustadt (umgrenzt von den Straßen Apolinářská im Süden, Ke Karlovu im Osten, Kateřinská im Norden und Viničná im Westen) zu besuchen. Ein ummauertes Areal war das Ganze übrigens immer schon und das hatte nichts mit Psychatrie zu tun. Schon 1355 ließ Kaiser Karl IV. an dieser Stelle ein Augustinerkloster samt Kirche der Heiligen Katharina von Alexandria (kostel sv. Kateřiny Alexandrijské) erbauen. Von diesem gotischen Ursprungsbau, der 1420 während der Hussitenkriege niedergebrannt wurde, ist fast nichts mehr zu sehen; ebenso wenig von späteren Um- und Neubauten, die es etwa in den Jahren 1512, 1678 oder 1703 gab.
Erst im Jahre 1718 begann man im großen Stil mit der Wiederbelebung des Klosters, das nun in hochbarocker Pracht völlig neu gebaut wurde. Bis 1730 wurde ein formaler barocker Garten (mit Heilkräutern) angelegt und unter der Leitung des bedeutenden Architekten Franz Maxmilián Kaňka (wir erwähnten ihn u.a. bereits hier und hier) neue Klostergebäude errichtet. Eines dieser Gebäude, in dem sich heute eine Neurologische Klinik (an der Straßenseite der Kateřinská) befindet, ist noch als besonders schönes Beispiel für den Stil des Architekten erhalten und wird mit einer barocken Statue der namengebenden Heiligen Katharina von Alexandrien über dem Eingang geschmückt.
In den Jahren 1737 bis 1741 wurde dann die Kirche völlig neu gebaut, und zwar von dem bedeutenden Prager Barockarchitekten Kilian Ignaz Dientzenhofer, über den wir u.a. schon hier, hier und hier berichteten. Es handelt sich um einen einschiffigen Kirchenbau, der besonders durch seinen Turm auffällt, der im unteren Teil einen quadratischen Grundriss hat, aber oberhalb oktagonal wird (siehe großes Bild oben). Weil er eine entsprechend schlanke und aus der Ferne orientalisch anmutende Gestalt hat, wird er oft augenzwinkernd als Prager Minarett (Pražský minaret) bezeichnet. Und auf halber Höhe darf natürlich nicht die Heilige Katharina fehlen, die dort als Statue in einer barocken Nische steht (Bild links).
Nicht minder originell ist der Eingangsbereich, ein große konkav gebogener Portikus, der von drei halbkreisförmigen Bogenarkaden unterbrochen wird, und auf dem sich ein Balkon befindet. Kein Zweifel: Bei diesem Bau ist Dientzenhofer recht weit von jenen süddeutschen Barockkonventionen abgewichen, die sonst seine Bauwerke in Prag bestimmten. Es ist eines seiner unbekannteren, aber auch originelleren Werke.
Die Südfassade des rechteckigen Baus wird durch eine halbrunde Kapelle aufgelockert. Nun, das schöne Kloserleben hinter den Mauern endete 1783 abrupt. Im Zuge seiner aufklärerischen Kirchenreformen löste Kaiser Joseph II zahlreiche Klöster in Böhmen auf, darunter auch dieses. Im Jahr darauf wurde hier erst ein Armenhaus eingerichtet, dann im Jahre 1822 eine Anstalt für Geisteskranke. Die beherbergte in der Folge recht prominente Insassen. So starb hier 1874 der junge Komponist Vilém Blodek (der die heute nur noch selten gespielte, aber sehr hübsche Oper Studni – Der Brunnen – schuf) nach vier Jahren in der Anstalt im Alter von 39 Jahren. Und der große Nationalkomponist Bedřich Smetana, dem wir u.a. Die Moldau verdanken, endete hier 1884 in geistiger Umnachtung.
Und 1911 wurde hier kein Geringerer als Jaroslav Hašek der Autor der berühmten Osudy dobrého vojáka Švejka za světové války (Die Erlebnisse des guten Soldaten Schwejk im Weltkrieg) eingeliefert. Passanten hatten ihn festgehalten, als er sich anscheinend über die Geländermauer der Karlsbrücke in die Tiefe stürzen wollte. Die verschiedenen Biographen sind sich nicht einig, ob das (a) ein echter Selbstmordversuch war, ob er (b) aus Verzweiflung über das Scheitern seiner Ehe mit Ehefrau Jarmila einen Selbstordversuch simulieren wollte, was später die berúhmte Simulantenszene im Švejk-Roman inspiriert haben soll, oder ob er (c) sich wieder einmal so mit seinen Kumpanen betrunken hatte, dass er sich nur ungeschickt über die Brückenmauer übergeben wollte. Das scheint immer noch eine rege diskutierte Frage zu sein. Auf jeden Fall wurde Hašek schon nach wenigen Tagen wieder entlassen.
Und wie ging es weiter? 1844 wurde der große Komplex des Instituts für Geisteskranke (die heute Psychatrische Klinik heißt) im klassizistischen Stil neu gebaut, die den Garten zur Südseite (Straße Apolinářská) abschließt (Bild links). Die alten barocken Gebäude an der Kateřinská wurden 1847/48 teilweise klassizistisch modernisiert. Die neuen Gebäude fügten sich dabei harmonisch in die verbleibende barocke Architektur ein.
Ebenfalls in dieser Zeit wurde der Garten radikal umgestaltet. Der formale barocke Garten wich einem klassischen Englischen Landschaftsgarten. Der inzwischen alte und beeindruckend gewachsen Baubestand auf dem 2,95 Hektar großen Park ist sehr artenreich – Eiben, Eichen, Rosskastanien, Gingkos, Silberahorne, Linden und andere Baumarten sorgen dafür, dass sich hier gerade für den Sommer eine schattige Ruheoase gebildet hat. Alles ist schön gepflegt. Den Patienten von Psychatrie und Neurologie (beides Abteilungen des großen Allgemeinen Universitätskrankenhauses am Karlsplatz), werden den Blick auf diesen Garten ebenso beruhigend und ansprechend finden, wie die Kenner unter den Pragbesuchern, die ihren Weg hierhin finden. (DD)
Die Sázava, ein Nebenfluss der Moldau, in die er rund 25 Kilometer südlich von Prag mündet, gehört zu den schönsten und romantischsten Wasserläufen Tschechiens.Und zu den schönste und romantischsten Abschnitten des Flusslaufs gehört der von der kleinen Ortschaft Kamenný Přívoz (Deutsch: Steinüberfuhr) flussabwärts nach Davle. Es erstaunt nur wenig, dass dieser Abschnitt der wochenends zurecht ein beliebtes Naherholungsziel für Ausflügler aus der Hauptstadt ist, als einer der historischen ersten Wanderwege ausgelegt wurde.
Beginnen wir in Kamenný Přívoz selbst, dessen kleiner Bahnhof mit direkter Regionalzugverbindung etwas oberhalb des Ortes liegt. Von hier aus geht man ca. 10 Minuten hinunter zum Flussufer. Wie der Name des 1310 erstmals urkundlich erwähnten Ortes andeutet war hier früher eine Fähre und von hier aus begannen bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts Flößer Ihre Fahrten flussabwärts zur Moldau nach Prag. Die sind heute nicht mehr da und man kann die Sázava über eine eiserne (und einspurige) Brücke queren, die mittlerweile für Autofahrer so ein Hindernis geworden ist, dass man dieses Jahr mit dem Bau einer neuen Brücke beginnen will. Aber die Brücke lässt man schnell hinter sich, denn jetzt fängt der eigentliche Wanderweg an. Ein Blick zurück über den Fluss und man kann noch einmal die über dem Ort würdevoll thronende Kirche der Heiligen Ludmilla (kostel sv. Ludmily), ein Barockbau aus dem Jahre 1681, bewundern. Hinter der Brücke sollte man übrigens nicht der Empfehlung folgen, die befahrene Straße nach oben zu begehen, sondern sich am Fußweg das Ufer entlang halten. Ist einfach schöner!
Die Umgebung von Kamenný Přívoz war einmal ein wirtschaftlicher Hotspot. Neben der Flößerei – Prag benötgte man viel Holz zum Bauen und Heizen – bestimmten die bis ins frühe 20. Jahrhundert genutzten Goldbergwerke und der Betrieb von Mühlen am Fluss, die man vor allem am gegenüberliegenden Ufer zwischen Kamenný Přívoz und dem benachbarten Ort Žampach bewundern kann (ein Beispiel sieht man im Bild rechts). Aber schon kurz danach dominiert die wilde Natur über die frühindustrialisierte pittoreske Landschaft. Man geht auf gut markiertem, aber nicht asphaltiertem Weg weiter. Die Abhänge und Felslandschaften sind steil und schroff. Um Felsen auszuweichen kann man nicht immer ebenerdig gehen. Stattdessen geht es immer wieder steil auf und ab. Ein wenig Kondition sollte man für die Strecke schon haben.
Wegen seiner wirtschaftlichen Bedeutung wurden die Orte am Fluss früh durch die Eisenbahn mit Prag verbunden. Technisch war der Bau einer Eisenbahn durch die Felslandschaft eine Herausforderung. Das Endergebnis nannte man dann auch stolz Posázavský Pacifik, in Anspielung auf die amerikanische Bahngesellschaft Union Pacific, die in den Vereinigten Staaten den großen und Wilden Westen erschloss. Das größte technische Meisterwerk der Strecke ist zweifelos der 180 Meter lange und fast 42 Meter hohe Žampacher Viadukt (Žampašský viadukt), über den wir schon hier berichteten. Er wurde 1900 eingeweiht. Auf dem Weg flussabwärts kann man ihn gegenüber in seiner ganzen Pracht bewundern – eine der schönsten Aussichten des Wegs.
Als die bisher lukrativen Wirtschaftszweige wie Gold und Flößen zur Beginn des 20. Jahrhunderts nicht mehr so recht lukrativ waren, wurde die Bahnstrecke mehr zur Ausflugsroute. Zurecht, denn wenn man den Ort erst einmal hinter sich gelassen hat, betritt man eine malerische Landschaft. Stolz wird dabei immer wieder verkündet, dass man nun ein Areal von beeindruckenden Wasserfällen bewundern kann. Nun, was Wasserfälle (vodopády) angeht, so neigen die Tschechen ein wenig zu Hyperbeln. Die Erwartungshaltung, man bekäme jetzt etwas zu sehen, das die Niagarafälle in den Schatten stellt, könnte ein wenig enttäuscht werden. Aber die steil den Hang herunterfließenden Bäche, die hier in die Sázava fließen sind trotzdem eine Bereicherung des Landschaftsbildes und tragen zur Schönheit des Ganzen bei.
Schon rund 3 Kilometer nach Verlassen der Brücke stößt man am Wegesrand auf die Hostěradické vodopády (Hostěradice Wasserfall, benannt nach Hostěradice, einem Ortsteil von Kamenný Přívoz). Die höchsten Kaskaden, wenn man sie so nennen soll, sind allenfalls 1,5 bis etwas weniger als 2 Meter hoch. Die unterste sieht man im Bild oberhalb rechts. Rund zwei Kilometer weiter und etwas höher gelegen trifft man auf die Ovčínské vodopády, die eigentlich ebenfalls eine sich über mehrere hundert Meter hinziehende steile Klamm ist mit mehreren Kaskaden sind, in denen sich das Wasser zum Teil schon immerhin über zwei Meter (!) in die Tiefe stürzt. Aber die Felsen aus sehr altem und verwitterten magmatischen Trondhjemit, durch die es sich herabstürzt, wirken enorm pittoresk und wild, wie man im Bild links gut sehen kann. Größe alleine ist eben nicht alles!
Rund einen Kilometer weiter kommt der dritte der gefeierten Waserfälle: Der Třebsínský vodopád (etwas unterhalb der auf der Höhe liegenden kleinen Ortschaft Třebsín gelegen). Der ist tatsächlich recht beeindruckend. Obwohl nur mit einer maximalen Kaskadenhöhe von 2,7 Metern ausgestattet, befindet sich der Wasserfall am Zusammenfluss zweier Bäche, die sich mit einem Gefälle von 45° von zwei Seiten tief in den Fels gegraben haben. Man muss regelrecht eine Schlucht überqueren und kommt an der gegenüber liegenden nur mit Hilfe eines als Handgeländer fungierenden Seils wieder hinaus. Besonders in der Zeit der Schneeschmelze muss man das sich wohl dramatisch vorstellen. Ein kleines Stück Abenteuer auf der Route!
Es folgen auf der Höhe etliche bemerkenswerte Aussichtspunkte. Der erste ist die Raisova vyhlídka (Rais-Aussischt), benannt nach dem Schriftsteller Karel Václav Rais, über den wir bereits hier berichteten), der den auf 270m Höhe liegenden Ort gerne besuchte. Sie ist in letzter Zeit ein wenig von Bäumen zugewachsen worden, wie man auf dem Bild links erkennen kann. Um so mehr freut man sich auf die rund 900 Meter entfernte Klimentova vyhlídka (Kliment-Aussicht). Die ist nach dem Lehrer, Wanderaktivisten und lokalen Tourismusförderer Josef Kliment benannt. Wir befinden uns hier nämlich auf dem ersten Abschnitt des legendären Posázavská stezka (Pfad an der Sázava), der 1920 durch den 1888 gegründeten Klub českých turistů (Klubs der tschechischen Touristen) eingerichtet wurde.
Und Kliment war die treibende Kraft und der Planer dieses damals recht einzigartigen und wegen des schwierigen Terrains nicht gerade leicht anzulegenden Wanderwegs, den die Ausflügler heute (entlang der roten Markierung) immer noch so gerne nutzen. Ihm zu Ehren hat man wohl die Sicht immer schön freigehalten. Jedenfalls kann man von einer gut ausgebauten Plattform ungehindert einen richtig atemberaubenden Blick über den sich gemächlich dahinschlängelnden Fluss und die gegenüber liegende Fels- und Waldlandschaft genießen. Der ideale Ort für eine kleine Rast, ohne Frage!
Es handelt sich bei dem Posázavská stezka um einen gut ausgebauten, aber wegen der Steigungen und der kleinen Furten und Stege recht abwechslungsreichen und anspruchsvollen Weg, der immer wieder Höhenumwege oder den engen Raum zwischen Felswänden und Ufer nutzt (man sieht das im Bild links). An Wochenenden kann es hier ein wenig überlaufen sein, weil dann die Prager Ausflügler Zeit haben. Und man kann ihnen ja auch nicht vorwerfen, dass sie gerade diesen wunderschönen Weg so lieben. Aber man kann sich ja auch einmal an einen Wochentag freinehmen. Vielleicht schärft das auch den Blick für die Historie des Weges, der man sich ohne Gedrängel besser widmen kann.
So merkt man bald, dass der ganze Weg immer wieder von manchmal hoch in den Felsen versteckten (Bild rechts) oder in kleinen Klustern (meist Osada, also „Siedlung“ oder „Kolonie“, genannt) am Ufer befindlichen kleinen Ferienhäuschen gesäumt sind. Sie sind in der Regel aus Holz gebaut und stilistisch klar in die Anfangszeit des Weges in den 1920er oder 1935 Jahren zu verorten. In diesen Zeiten gab es eine für damalige Verhältnisse subkulturelle Szene in der Tschechoslowakei, die sich Tramps nannte. Tramps wollten den stressigen Alltag, aber auch die Politik hinter sich lassen, und lieber die Natur beim Wandern genießen. Die Bewegung erlebte übrigens wieder in den 1970er Jahren einen neuen Aufschwung, als nach der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 Auslandsreisen und sinnvolles politisches Engagement nicht mehr möglich waren. Es gab einen gewissen Trend hin zum Eskapismus. Dazu gehörte damals, dass man sich für längere Aufenthalte Holzhütten baute, die heute zum Teil denkmalgeschützt, aber auch jeden Fall als Kulturerbe gehegt und gepflegt werden. Die heutigen Gelegenheits- und Wochenendbewohner dürften heute die eigentliche Einwohnerschaft von Kamenný Přívoz zahlenmäßig deutlich übertreffen.
Auf jeden Fall begleiten einen die malerischen Häuschen nunmehr den ganzen Weg. Tramp sein, hieß übrigens nie, ein ungeselliger Eremit in der Natur zu sein. Zumindest wenn man das Schild für bare Münze nimmt, das einem dann doch neben einer der Tramperhütten auffallen muss. Das befindet sich beim schon auf dem Gebiet der Gemeinde Hradištko liegenden Klub Starcovy lesní restaurace (wörtlich: Waldrestaurant des Klubs alter Leute). Es ist nicht immer, sondern eher selten offen. Man hat wohl nicht den Anspruch, Ausflügerkneipe zu sein. Anscheinend feiern hier meist eher exklusiv vor allem lokale Bewohner und alte Tramps bei Bier und Grill- aber das wohl heftig. Als die Tramps Anfang der 1970er den kommunistischen Behörden etwas suspekt wurden, wurde das „Restaurant“ geschlossen, aber seit 2018 ist es unter den Fittichen eines alten Tramp-Veteranen wiederauferstanden. Die Beschriftung lautet übersetzt: Vorsicht Kriechtiere!
Keine 400 Meter weiter flussabwärts stößt man dann auf eine große bronzene Gedenktafel, die an den Bau der Wegstrecke erinnert. Hier an diesem Ort fand 1924 die Eröffnung des abschnittweise angelegten Posázavská stezka statt. Übersetzt lautet die tschechische Aufschrift: „Der Posázavská stezka wurde mit einer Länge von 6,8 km für 230.000 CZK vom Klub der Touristen der Tschechischen Republik in Prag in den Jahren 1919–1924 erbaut.“ Der Pfad war übrigens Teil eines größeren Projekts. Er ist heute imemr noch ein wichtiger Abschnitt der turistická trasač. 0001 (Touristenwanderweg 0001), die vom Klub im Jahre 1889 in Angriff genommen wurde, und 157 Kilometer von Beroun bis Chřenovice und eben durch das Sázava-Areal führt. Es ist der älteste erhaltene Wanderweg des Landes, der vom Touristenklub eingerichtet wurde!
Der felsig klüftige Teil der Wanderung liegt bald hinter uns. Man nähert sich dem am Ufer der Sázava gelegenen Ort Pikovice, der mehr auf freiem Feld und Uferaue liegt. Und hier endet auch der eigentliche Posázavská stezka. Aber natürlich kann man hier entlang der roten Markierung weiter der Wanderlust frönen. Der Fluss fließt hier übrigens schon sehr ruhig, denn der Rückstau der 14 Kilometer unterhalb befindlichen Moldautalsperre Vrané (wir berichteten bereits hier) reicht schon bis hierher. Bald sieht man eine Fußgängerbrücke, die über die Sázava hin zur kleinen Ortschaft Petrov u Prahy führt. Wenn man es sich leicht machen will, geht man eine kurze Strecke uferaufwärts zur kleinen Haltestelle der Regionalbahn, um flugs nach Prag zurückzukehren. Muss man aber nicht.
Denn es lohnt sich, dann doch noch zur nächsten Kleinstadt Davle weiterzuwandern, wo man rund 3,5 Kilometer weiter in die Bahn steigen kann. Hier kann man nun entspannt und bequem völlig ebenerdig auf teilweise asphaltierten oder gepflasterten Wegen spazieren. Der anstrengende Teil der Wanderung liegt hinter einem. man geht zunächst wieder an vielen Wochenendhäuschen und -siedlungen vorbei, die allerdings nicht so historisch bedeutsam und malerisch aussehen wie die der Tramps aus den 1920er Jahren, sondern die eher moderneren Ursprungs sind. Dafür sind sie innen möglicherweise etwas luxuriöser ausgestattet. Und der Weg am Fluss ist immer noch angenehm und die Landschaft ist durch die Häuschen (die ab und an von Bootsstegen aufgelockert sind) in keiner Weise verschandelt.
Nähert man sich dem eigentlichen Ortskern Davles, dann verändert sich das Erscheinungsbild drer Landschaft. Historisch scheint sich hier nicht mehr alles auf Flößerei und Mühlen zu fokussieren. Man kann durchaus sehr reich wirkende landwirtschaftliche Strukturen der Vergangenheit erkennen, etwa das im Bild oberhalb rechts abgebildete neobarocke Gutshaus in der Pikovická 2 aus dem 19. Jahrhundert, das sich recht imposant ausnimmt und – da es anscheinend nicht mehr landwirtschaftlichen Zwecken dient – einfühlsam modern renoviert wurde. Einige Meter weiter passiert man die kleine alte Kapelle des Heiligen Nepomuk (Kaple svatého Jana Nepomuckého), die wohl ebenfalls im 19. Jahrhundert errichtet wurde (Bild links). Ungefahr hier fließt dann die Sázava auch in die Moldau, die sich (dank des Rückstaus der Talsperre) langsam und majestätisch gen Norden bewegt.
Man ist jetzt recht nahe des Ortszentrums und des kleinen Bahnhofs. In der Ferne erkennt man bereits eine kleine Fußgängerbrücke aus Eisen. Das ist die berühmte Davle-Brücke, wo 1968 (in den Zeiten des Kommunismus!) der bekannte US-Kriegsfilm The Bridge at Remagen (Die Brücke von Remagen) gedreht wurde. Wie so etwas möglich war, das ist eine solch lange und seltsame Geschichte ist, dass ich dafür aus Platzgründen auf diesen meinen früheren Beitrag verweise. Kurz vor dieser ehemaligen einspurigen Kleinbahnbrücke, über die man heute zum eigentlichen Ortskern Davles unter Genuss eines schönen Ausblicks über die Moldau spazieren kann.
Darauf kann man aber auch verzichten, um kurz vor der Brücke zum kleinen Bahnhof zu gehen. In meinen Augen ist die tschechischste aller tschechischen Institutionen der ländliche Kleinbahnhof, wo gottlob immer noch mit roten Amtsmützen ausstaffierte Bahnhofsvorsteher hoheitlich, aber freundlich walten. Der Schriftsteller Jaroslav Rudiš hat ihnen mit seiner Graphic-Novel-Trilogie Alois Nebel ein literarisches Denkmal gesetzt. Und es gehört eine – fast immer mit einer kleinen, von einem dunklen Holzzaun umrahmten Terrasse versehene – Bahnhofskneipe dazu. In kleinen Ortschaften nimmt die im Herzen fast den Platz der eigentlichen Dorfkneipe für die örtliche Bevölkerung ein. Es ist immer einfach eingerichtet, schlicht, aber saugemütlich. Manche, wie eben die in Davle, führen ab und an sogar bessere als die üblichen Markenbiere. Zudem gibt im Mahlzeitenangebot tschechische Klassiker (z.B. Utopenci). Die Bahnhofskneipe in Davle heißt auch noch passend Hostinec Remagen (Gaststätte Remagen), in Erinnerung an das große historische Ereignis der amerikanischen Dreharbeiten von 1968. Man kann an einem Sonnentag nicht anders: Man setzt sich hin, wenn noch ein wenig Zeit ist, bis der nächste Zug nach Prag kommt, hin. Dann ist es so schön, dass man die nächsten zwei Züge erst einmal passieren lässt, um vielleicht noch ein Bier zu trinken. Oder noch eins. Das Leben in Tschechien kann doch schön sein! (DD)
Das Telefon nimmt einen bedeutenden Platz in der Fortschrittsgeschichte der Menschheit ein. Einen interessanteren Ort, diesen Fortschritt zu feiern als die Telegraphen- und Telefonzentrale (Telegrafní a telefonní ústředna) in der Fibichova 1500/19-21 im Stadtteil Žižkov (Prag 3) kam man sich kaum ausdenken. Hübsch in Stein gemeißelt prangt das Telefon hier über dem Eingang.
Nun, ein modernes Smartphone ist das natürlich noch nicht. Aber man fing ja auch klein an. Als 1882 in der Altstadt die erste Telefonzentrale eingerichtet wurde, gab es insgesamt 11 Telefonanschlüsse in Prag. Im Jahr darauf waren es immerhin schon 187 Nutzer, die sich immerhin von den Telefonisten und Telefonistinnen satte 53.000 Verbindungen manuell herstellen ließen. Danach ging es mit der Telefoniererei so aufwärts, dass man 1889 größere Räume im riesigen Hauptpostamt in der Neustadt einrichten musste. Zwar wurden irgendwann nach dem Ersten Weltkrieg vom Nutzer selbst wählbare Telefonnummern erfunden, die ihnen erlaubten, selbständig Verbindungen herzustellen, aber das funktionierte nur bei lokalen Telefonaten. Bei Fern- und Auslandsgesprächen mussten noch Telefonistinnen und Telefonisten die Verbindung herstellen. Und auch die nahmen so zu, dass man Anfang der 1920er Jahre über eine große neue Lösung nachdenken musste.
Dafür gewann man den renommierten Architekten Bohumír Kozák, der zwischen 1921 und 1926 hier eine Telefonzentrale von gigantischen Ausmaßen erbauen ließ. Kozák ist Architekturkritikern als Meister des modernen Funktionalismus (ein Beispiel hier) der 1930er Jahre geläufig, aber zu dieser Zeit profilierte er sich noch als Vertreter des Rondokubismus, einer typisch tschechischen historisierenden Form des Kubismus. Eines seiner Beispiele dafür ist das Hus Haus (Husův dům) in der Neustadt , über das wir hier berichteten, und eben auch die Telefonzentrale in Žižkov. Die war sein bedeutsamstes Werk in diesem Stil, weshalb er sich auch auf der Fassade namentlich verewigen ließ (Bild rechts).
Das Gebäude ist geradezu monumental und war vor der Errichtung des nahgelegenen Fernsehturms (wir berichteten hier) das Wahrzeichen des Stadtteils schlechthin. Je 22 Fensterachsen misst die Fassade zur Fibichova und je 19 zur Kubelíkova und Křížkovského. Die beiden oktagonalen Ecktürme machen das Ganze noch beeindruckender und geben dem Gebäude eine burgenhafte Erscheinung. Drinnen gab es hier die modernste Technik der Zeit und es arbeiteten über 350 Leute hier, die Verbindungen durch das Stöpseln von Kabelanschlüssen herstellten. Im ersten Betriebsjahr wurden hier 6.606.205 Gesprächsminuten abgewickelt. Gleichzeitig befand sich hier noch ein großes Telegraphenamt. In den 1930er Jahren zog hier zudem das Forschungsinstitut des Postministeriums ein, das erste Experimente mit dem entstehenden Medium Fernsehen machte und 1936-38 erste Testsignale aussendete.
Darüber hinaus wurde auch die ästhetische Seite nicht vernachlässigt. Der bekannte Bildhauer Ladislav Jan Kofránek (wir erwähnten ihn u.a. hier und hier) steuerte die skulpturale Ausstattung der Fassade bei. Über den beiden Haupteingängen sind das zum Beispiel zwei überlebensgroße allegorische Statuen, eine männlich, eine weiblich. Sie haben einen thematischen Bezug zum Gebäudezweck. Über dem linken Eingang werden dargestellt (siehe Bild oberhalb links): Der Postdienst (Mann mit einem Postrohr und einem Falken zu Füßen) und die Allegorie Kurzschrift/Stenographie (Frau mit einem Bleistift und Notizbuch, wiederum mit Falken zu Füßen. Beim rechten Eingang (Bild oberhalb rechts) sieht man eine Allegorie auf den Wohlstand (Frau mit Früchten und Füllhorn) und auf das Telefon (Mann mit Taube und einem Strommast zu Füßen).
Auch an anderen Stellen auf der Fassade findet man Kunst mit Bezug auf Post- und Telefondienste im weitesten Sinne. So etwa dieses Terracotta-Relief von Telefon-Leitungsmasten (links). Man sollte sich die Zeit nehmen, die ganze Fassade nach solchen putzzigen Details abzususchen. In den 1970ern wurde die Stöpselei der Telefonisten selbst im technologisch etwas rückständigen Kommunismus zunehmend obsolet. Für das Mehr und Moderner plante man nun ein neues Gebäude und so eröffnete man (ebenfalls in Žižkov) 1980 das Zentrale Telekommunikationsgebäude (Ústřední telekomunikační budova), über das wir hier berichteten.
Die Telefonzentrale verschwand zuerst, dann das Telegraphenamt. Einige Verwaltungseinheiten der Posten blieben noch eine zeitlang. Auch sie zogen irgendwann aus. 2006 bis 2010 fand hier eine Tierklinik ihr Domizil, die das Gebäude innen recht unsanft behandelte. Wunderschöne Sgraffiti im Treppenhaus wurden zum Beispiel zerstört. Und ab 2010 stand das Gebäude leer und ungenutzt. Zu groß und unzeitgemäß schien es zu sein. Die städtische Prager Immobilienverwaltung (Pražská správa nemovitostí) startete 2016 einen öffentlichen Wettbewerb für Ideen zur sinnreichen Nutzung des kulturhistorisch bedeutenden, aber recht unpraktischen (außer für obsolete Telefondienste) Gebäudes. Alles mögliche vom Wohnkomplex über Büros oder gar einem Jazzklub kamen dabei zusammen. Aber nichts, was die Verwaltung zu einem überzeugenden Beschluss inspirierte. Immerhin hat man sich 2022 zu Renovierungsarbeiten (vor allem am rechten Turm) aufgerafft, um dieses architektonische Juwel, das ein in Stein gebautes Lob des Telefons ist, nicht dem Verfall durch Leerstand auszuliefern. (DD)
Das stolze Logo der Bahn mit dem geflügelten Rad prangt immer noch auf dem Giebel. Züge fahren hier auch immer noch vorbei, aber keiner hält mehr. Als Bahnhof hat der Bahnhof von Vinohrady seine Zeit hinter sich.
Das geflügelte Rad, das war schon in den Zeiten der Doppelmonarchie das Logo der k.u.k. Eisenbahn. Als 1918 das Habsburgerreich unterging, übernahm es die Bahn der neuen Tschechoslowakischen Republik einfach. Erst in den Zeiten des Kommunismus wurde es durch einen Vorläufer des heutigen Logos der Tschechischen Bahn ersetzt. Das ist aber längst nicht so dekorativ wie das alte kakanische Logo. Und so freut man sich, es hier auf dem ehemaligen Bahnhofsgebäude in der Bělehradská 407/22 sehen zu können.
Aber nun zum Bahnhof selbst: Der Stadtteil Vinohrady (Weinberge), der damals noch gar kein Stadtteil, sondern eine eigene Stadt war, die Královské Vinohrady (Königliche Weinberge) hieß, wurde erst Ende des 19. Jahrhundert erschlossen, geplant und gebaut. Auf seinem Areal befand sich seit 1871 der Prager Hauptbahnhofs (mehr: hier). Der war, im Gegensatz zu früheren Bahnhöfen der Stadt (Beispiel hier) kein Kopf-, sondern ein Durchfahrtsbahnhof. Folglich musste er von zwei Seiten erreichbar sein. Doch im Süden versperrte ein größerer Bergfels bei Vinohrady den Weg. Deshalb wurde der große Eisenbahnunternehmer Adalbert Johann Joseph Lanna, jr. mit dem Bau des 1146 Meter langen Eisenbahntunnels von Vinohrady durch den Fels beauftragt, der die Aufgabe pünktlich zur Eröffnung des Bahnhofs erledigte. Den Aushub benutzte übrigens Lannas Mitunternehmer, der Eisenbahnindustrielle Moritz Gröbe, um darüber eine große Parkanlage mit Villa landschaftlich zu gestalten, die Grébovka (wir berichteten u.a. hier).
Durch den Tunnel: Auf der anderen Seite des Felsens wartete die Verbindung Richtung Südböhmen und Wien. 1868 wurde die k.k. privilegierte Kaiser Franz Josefs-Bahn ins Leben gerufen. Gründer der Bahnlinie war der Großgrundbesitzer und Diplomat Johann Adolf II. Fürst zu Schwarzenberg, der damit eine schnellere Verbindung von Wien nach České Budějovice (Budweis) schuf, von der wiederum eine Nebenlinie nach Prag führte, die sich wiederum 1871 mit der Prager Verbindungsbahn verband, die um diese Zeit für den innerstädtischen Verkehr gebaut worden war, und für die der Tunnel gebaut wurde. Alles war nun Richtung Süden miteinander verbunden.
Währenddessen wuchs Vinohrady. Vor allem im Talbereich des Botič war man doch ein wenig vom Hauptbahnhof entfernt und es bedurfte auch eines regionalen und örtlichen Eisenbahnbetriebs. So wurde 1888 der kleine Bahnhof von Královské Vinohrady errichtet. Das war noch ein einfacher hölzener Fachwerkbau mit einem sogar überdachten Bahnsteig und einer hölzernen Brücke über die Gleise. Immer mehr Verkehr kam auf und diese Lösung empfand man bald als zu klein geraten. 1891 kamen die ersten elektrischen Straßenbahnen, was die Verbindung mit dem Bahnhof zu allen Stadtteilen verbesserte. Mehr Menschen nutzten den Bahnhof. 1912-13 wurde der alte Bahnhof durch einen neuen und größeren ersetzt, der von dem Architekten Josef Heindl entworfen worden war. Es ist im Kern das im späten (geometrischen) Jugendstil gehaltene Gebäude, das man heute hier noch sieht.
Irgendwie verband der Bahnhof jetzt Vinohrady mit dem Rest Böhmens und deshalb sieht man auf der Fassade unterhalb des Bahn-Logos mit dem Flügelrad zwei Wappen – eines von Böhmen mit dem berühmten zweischwänzigen böhmischen Löwen (links), und eines mit dem Wappen von Vinohrady (rechts) mit einem Heiligen Wenzel zwischen zwei Türmen eines Stadttors.
Die Bahnanlage wurde aber am Ende zu groß für den dort gelegenen Bahnhof, der jetzt hätte vergrößert werden müssen. Schon 1872 wurde die Strecke des ersten Tunnels zweispurig. In den Jahren von 1940 wurde 1944 wurde ein zweiter zweigleisiger Tunnel gegraben. Ein dritter wurde auch 1940 begonnen, aber die Bauarbeiten blieben kurz darauf bis in die 1980er Jahre unterbrochen und er wurde erst 1989 eröffnet. Aber schon nach dem Bau von 1944 wurde der Bahnhof geschlossen. Das hatte auch etwa damit zu tun, dass Bahnhöfe, die in Kurven lagen (man sieht es gut bei der Sicht von oben, Bild links), zunehmend als Sicherheitsrisiko gesehen wurden. Dann wurde das Bahnhofsgebäude erst einmal eine zeitlang nicht richtig genutzt und dann, im Jahre 1955, wurde es in ein Verwaltungsgebäude der Bahn umgewandelt.
Damit hatte es mehr Glück als der nächste Bahnhof auf der Strecke, der nur etwas über einen Kilometer entfernte, schon 1872 errichtete Bahnhof Vyšehrad, den man seit seiner Schließung 1960 trotz seines kunsthistorischen Wertes (Jugendstil) allmählich ungenutzt verfallen ließ (über dieses Trauerspiel berichteten wir bereits hier). Immer noch grundsätzlich intakt, aber ein wenig abgenutzt wirkte indes der ehemalige Bahnhof Vinohrady auch in den letzten Jahren – bis man sich 2020/21 zu einer Renovierung aufraffte. Die lässt ihn zumindest auf der Straßenseite in vollem Glanze erstrahlen (auf der Bahnseite haben leider etliche Sprayer ihr schändliches Werk verrichtet). Und das nunmehr attraktive Gebäude mit den Flügelrädern wird seither nicht nur von der Eisenbahnverwaltung, sondern auch von Privatunternehmern genutzt, etwa von einer Augenarztpraxis. (DD)
Der Karlsplatz (Karlovo náměstí) inmitten der Neustadt bietet ein sehr abwechslungsreiches Spektrum an Häusern in verschiedensten Architekturstilen. Ein besonders opulentes Beispiel für den Neorenaissancestil ist das am Karlovo náměstí 557/30 gelegene Haus zum Goldenen Ochsen (dům U zlatého vola), das sich sogar rühmen kann, einem berühmten Bewohner ein Dach über dem Kopf geboten zu haben.
Für das dreistöckige Miets- und Geschäftshaus musste ein älteres Gebäude mit mittelalterlichen Ursprüngen weichen. Dessen Name Zum Goldenen Ochsen wurde aber für das neue Gebäude, das der Architekt und Bauunternehmer Karel Janda in der Mitte der 1890er Jahre erbaut hatte, beibehalten. Es war eine Erinnerung daran, dass der heutige Karlsplatz, als er im 14. Jahrhundert von Kaiser Karl IV. gegründet wurde, Viehmarkt (Dobytčí trh) hieß und auch es war – siehe dazu auch diesen früheren Beitrag. Erst als das Vieh dort nicht mehr verkauft wurde und der Platz zwischen 1843 und 1863 schrittweise in eine Park- oder Grünanlage verwandelt wurde, benannte man ihn 1848 in Karlsplatz um.
Und so steht es nun da, das Haus zum Goldenen Ochsen, dass nur noch nominell etwas mit Viehhandel zu tun hat. Den Rückgriff auf die italienische Renaissance-Architektur, der ja wiederum ein Rückgriff auf die römische Antike war, wurde durch den Architekten sehr konsequent betrieben. Man sieht das sehr schön an den drei Büsten im Mittelrisalit über dem zweiten Stock, wo wir Kopien antiker Büsten bewundern können: Links der Kopf des Apollon von Belvedere, in der Mitte die sogenannte Juno Ludovisi und rechts der Kopf der Diana von Versailles.
Bemerkenswert ist auch der Eingang, der einer römischen Aedikula, einem Kleintempel, nachempfunden ist. Aber nicht das ist der Grund, warum das Haus einen prominenten Platz in der Ortsgeschichte der Neustadt einnimmt. Denn hier machte einer der großen Künstler des Landes seine ersten Schritte: Josef Lada. In Deutschland kennt man ihn meist nur als genialen Original-Illustrator von Jaroslav Hašeks Roman vom guten Soldaten Švejk. Aber er war mehr als das. „Lada ist Ihr größter Maler“, soll Pablo Picasso einmal bei einer Nachkriegsausstellung tschechoslowakischer Kunst gesagt haben – und er meinte es. Gleichzeitig kennt man ihn hierzulande als Schriftsteller, Märchen- und Kinderbuchautor (der berühmte Kocour Mikeš, den man in Deutschland als Kater Mikesch kennt, wurde von ihm 1936 erdacht) oder Bühnenbildner mit einem unverkennbaren tschechischen Sinn für volkstümlichen, aber subtilen Humor. Mehr über ihn haben wir hier geschrieben.
Als er in das Haus zum Goldenen Ochsen zog, stand er jedoch noch ganz am Anfang seines beruflichen Lebenswegs. Im Jahre 1901 war er erstmals aus seinem Heimatdorf Hrusice nach Prag gezogen, wo er eine Lehre als Bühnenmaler begann und in das Joaneum, einem katholischen Lehrlingsheim in der Salmovská 1538/8 (Neustadt), einzog, das man im Bild rechts sehen kann. Das streng katholische Reglement dort behagte ihm nicht und er wurde nur zu niederen Arbeiten wie Farbeimerschleppen ausgenutzt, während man ihn aber nicht künstlerisch förderte. Er fühlte sich, wie er später schrieb, „wie ein Vogel im Käfig“ Und „der Aufseher, der Priester, sah streng aus, eher wie ein Inquisitor.“ Nach wenigen Monaten ging er, nur um kurz darauf wieder nach Prag zu kommen, wo er bei dem Buchbinder Jan Karásek wieder eine Lehre begann. Und zwar genau im Haus zum Goldenen Ochsen (nur wenige hundert Meter vom Joaneum entfernt).
Dort war die Buchbinderei und Meister Karásek lebte hier auch mit seiner Familien. Mit seinen Mitlehrlingen verstand sich Lada bestens und Karásek schien ein guter Lehrmeister zu sein. Die Arbeit machte Spaß. Und 1902 bekam er (im Alter von 15 Jahren) sogar eine Festanstellung. Das Haus empfand er auch als angenehmen Ort zum leben: „Das Haus ,U zlatého vola‘ war damals ein Palast und bestand aus drei Teilen. Vorne auf dem Platz das Hauptgebäude; zweitens kleiner; und dann noch eins, in dem es auch Ställe für Drogeriepferde gab. Zu diesem letzten Hausteil führten großzügige Durchgänge durch die beiden Vorderhäuser“, schrieb er später in seinen Erinnerungen.
Das Gute daran war, dass Karásek ihm auch Zeit ließ, seine eigentlichen künstlerischen und literarischen Talente weiter zu entwickeln. Die örtliche Lage war günstig, denn in der Nähe befand sich der Verlag und die Buchhandlung von Jan Ott, der sich einen Namen durch schön gestaltete und illustrierte Lexikoneditionen geschaffen hatte, darunter die tschechische Edition von Brehms Tierleben, die Lada eingehend studierte. Er übernahm erste Aufträge als Bühnenmaler für Amateurtheater-Gruppen. 1904 kam der erste Durchbruch. Die renommierteste Kulturzeitschrift des Landes, das Almanach Máj, druckte vier seiner Zeichnungen ab. Damit war der Weg Ladas irgendwie vorgezeichnet.
1905 schloss er zwar seine Gesellenprüfung als Buchbinder bei Karásek ab, beschloss aber zugleich, den Beruf des Buchbinders aufzugeben, um Maler und Zeichner zu werden. Er zog um, allerdings nicht weit weg vom Haus zum Goldenen Ochsen. Neue Heimstatt für den Beginn des Künstlerlebens war in Sichtnähe das alte Barockhaus U Šálků auf der gegenüberliegenden Seite des Karlsplatzes. Schon 1906 zog er andernorts innerhalb Prags um. Das U Šálků wurde leider 1938 abgerissen. Heute steht hier ein modernes Büro- und Einkaufsgebäude aus viel Glas und Stahl (siehe Bild links), das sich etwas wie ein Fremdkörper in der Umgebung des Karlsplatzes ausnimmt, den Lada wohl sehr schätzte.
Die Buchbinderei von Jan Karásek, der sich zweifellos sehr um den Lebensweg Ladas verdient gemacht hatte, gibt es hier im Haus zum Goldenen Ochsen schon lange nicht mehr. Im Erdgeschoss, wo er seine Auslagen hatte, befinden sich heute ein Bekleidungsgeschäft und eine kleine Apotheke. Nicht einmal eine Plakette erinnert daran, dass hier eine Künstlerkarriere ihren Anfang nahm. Die Schönheit der Neorenaissance-Fassade kann man aber immer noch genießen – wie damals in Ladas Zeiten. (DD)
Als sie hier erbaut wurde, stand sie weitab von Prags Innenstadt. Dort, wo sich heute der dicht bewohnte Stadtteil Žižkov befindet, gab es weites offenes Land mit nur wenigen Dörfern. Und es gab einen Grund, sie fernab vom Treiben der Stadt halten, denn die Kirche der Heiligkreuzerhöhung (kostel Povýšení sv. Kříže) war die Kapelle eines Pestfriedhofs.
Heute steht sie inmitten von großen Wohnblöcken in der Čajkovského 2422/12 auf einem kleinen, etwas eingepferchten Stück Grünfläche – fast so etwas wie eine Ruheoase in der Großstadt. Als sie auf Betreiben des 1716 in den Adelsstand erhobenen Bürgermeisters der Prager Neustadt, Johann Franz Krusius von Krausenberg, in den Jahren 1717 bis 1719 durch einen heute nicht mehr bekannten Architekten im Stil des Hochbarocks erbaut wurde, war gerade die große Pestseuche von 1713 bis 1716, die rund 20.000 Bewohnern Prag das Leben kostete (zur Erinnerung: Die Gesamtbevölkerung der Stadt betrug Ende des 18. Jahrhunderts rund 75.000), vorbeigegangen – wir berichteten u.a. hier. Die Pesttoten sollten wenigstens in einem halbwegs würdigen Umfeld ihr Massengrab auf einem Friedhof finden, denn die kleinen Kirchhöfe im Stadtgebiet hatten gar nicht das Fassungsvermögen.
Das war nicht das letzte Mal, dass Schreckensereignisse hier Massenbegräbnisse notwendig machten. Im Laufe der Belagerung und Besetzung Prags während des Österreichischen Erbfolgekriegs in den Jahren 1741 und 1742 wurden hier noch einmal 6000 bis 7000 gefallene französische Soldaten in Schachtgräbern beerdigt. Bei Bauarbeiten in der Umgebung der Kirche im Jahre 1957 fand man noch unzählige Skelettreste auf dem Gelände. Verwaltet wurde die Kirche in ihrer Zeit als Pestkirche von der Pfarre der Kirche des Hl. Heinrich und der Hl. Kunigunde (Kostel sv. Jindřicha a sv. Kunhuty) in der Neustadt (wir berichteten über sie hier).
Nach dem Krieg von 1742 gab es wenigstens keine Massenbegräbnisse mehr. Der Angriff der Preußen auf Prag im Siebenjährigen Krieg im Jahre 1757 richtete nur kleinere Schäden an. Inzwischen wuchs Žižkov immer mehr und man benötigte eine eigene Pfarrkirche. 1784 wurde die Begräbniskapelle zur eigenständigen Gemeindekirche umgewandelt. Der Friedhof wurde fortan nicht mehr für Begräbnisse genutzt, nicht zuletzt, weil Kaiser Joseph II. in den frühen 1780ern dekretiert hatte, dass die städtischen Kirchhöfe stillgelegt werden sollten – ein Beitrag zur städtischen Hygiene.
Bis 1842 diente die Kirche nun als Gemeindekirche, dann wurde die Gemeinde umstrukturiert und ihre Pfarrkirche zur nahe gelegenen St. Rochus Kirche (wir berichteten darüber hier) verlegt, die übrigens ursprünglich auch als Pestseuchen-Kapelle inmitten eines Pest-Friedhofs entstanden war (nach der Pest von 1680). Die Kirche der Heiligkreuzerhöhung stand nun leer und wurde irgendwann in ein Lagergebäude umgewandelt. Das Interieur wurde in andere Kirchen geschafft, die Stuckausschmückungen verschwanden im Laufe der zweckentfremdeten Nutzung. So ist heute nur noch das Äußere als im originalen Barockstil erkennbar.
Ab 1887 gab es erste Initiativen, das Gebäude zu sanieren, die aber an Geldmangel scheiterten. Erst 1961 wurden durch die Stadtverwaltung konkrete Aufträge für eine Renovierung und Neugestaltung an die Architekten Jaroslav Koreček und Ivo Bílý vergeben. Mit der Realisierung der Pläne begann man dann 1977. Allerdings sollte das Gebäude nicht mehr kirchlichen Zwecken dienen, sondern zu einem Kulturzentrum umgebaut werden. 1984 war man damit fertig und nun diente das Kirchengebäude als Konzertraum oder Saal für wechselnde Ausstellungen. Zudem hatte man einen neuen funktionalistischen Anbau mit kulturell nutzbaren Räumen und einem kleinen Café angebaut. Atrium heißt das Kulturzentrum nun, das von einem gemeinnützigen Verein namens Za Troku (Für Drei) engagiert betreut wird, der von der Stadtregierung Prag 3 ins Lben gerufen und größtenteils finanziert wird. Als gepflegte Kulturstätte wird sie von den Bewohnern der Umgebung (und darüber hinaus) gerne angenommen. Auf dem Dach des Anbaus kann man übrigens eine Kopie eines der skurrilen Babies (miminka) des exzentrischen Bildhauers David Černý (wir berichteten über ihn unter anderem hier, hier, und hier) bewundern, die seit dem Jahr 2000 den nahen Fernsehturm Žižkov (Žižkovská televizní věž) schmücken und zu den Wahrzeichen des Stadtteils gehören. (DD)
Wer nach einem richtig beeindruckenden Beispiel für die Architektur des Art Déco in Prag sucht, wird zurecht meist zuerst auf den Akropolis Palast (Palác Akropolis) in der Kubelíkova 1548/27 im Stadtteil Žižkov (Prag 3) hingewiesen.
Mit dem Pálac Akropolis erfüllte sich der unternehmungslustige Architekt Rudolf Václav Svoboda seinen Traum. Gleichzeitig Bauherr, wollte er ein Kulturzentrum für den Stadtteil organisieren. Ein „Haus, in dessen vielfältigen Räumen ich große Musik, Theater, bildende Kunst finden würde. Wo ich hinging, um mich zu treffen, ein Bier zu trinken, mit Freunden zu tanzen und bis zum Morgen Spaß zu haben. Wo Dinge verkauft würden, die es woanders nicht gibt, und wo sich Menschen treffen würden, die es woanders nicht gibt“, wie er später sagte.
Ein Wohnhaus für gehobenes Bürgertum (in den oberen Etagen) mit Dachterasse und (in den unteren Etagen) ein (so nicht mehr existierender) THeatersaal mit 500 Sitzen plus kleinerer Säle (von denen der heutige Große Saal noch einen überragenden Eindruck der ursprünglichen Art Déco-Eleganz vermittelt (Bild rechts). Und natürlich ein modern ausgestattes Kino und ein schickes Café – und das alles in einem Gebäude mit Stil. Die Bauarbeiten begannen im März 1927 und im Januar 1928 war das Gebäude fertiggestellt.
Doch der Traum platzte schnell. Zu teuer, zu wenig Einnahmen: Svoboda war bald gezwungen, das Haus in einer Zwangsversteigerung zu verkaufen. Eine Tragödie! Damit ging es 1928 in den Besitz des Theaterintendanten Prokop Laitrich, der ein Komödientheater aufmachen wollte, aber 1929 kam die Weltwirtschaftskrise und auch dieser Traum ging schnell zu Ende. Der damals überaus beliebte Schauspieler Karel Želenský übernahm das Haus, aber das Publikum kam nicht im erwarteten Umfang, denn es bevorzugte Theater, die im Kern der Innenstadt lagen, und Žižkov liegt etwas außerhalb (wenngleich verkehrsgünstig) und galt teilweise als nicht mondänes Arbeiterviertel, was man heute total „hip“ findet, damals aber nicht. Ende der 1930er Jahre übernahm der damalige Direktor der Großen Operette in der Altstadt, Jiří Koldovský, das Theater, der mit riesigem Staraufgebot Nägel mit Knöpfen machte.
Die Erröffnung von Koldovskys Theater unter der künstlerischen Leitung von František Filipovský erfolgte 1939. Aber da kam Unheil über das ganze Land, das nun unter die Knute Hitlers geriet. Das erträumte Großstadttheater war nur noch für sporadische Filmvorführungen gut. Gutes Theater lief ab 1940 nicht mehr. Nach dem Kriegsende 1945 eröffnete man kurz wieder, aber mit der Machtergreifung der Kommunisten 1948 erfolgte eine neuerliche Schließung. Oben in den Mietwohnungen wohnten immer noch Leute, aber dort, wo das Kulturleben blühen sollte, gab es nur noch Lagerräume und eine zeitlang eine billige Kantine. Hinzu kam die im Kommunismus übliche Vernachlässigung, die zu allmählichem Verfall führte. Irgendwie stand das doch so beeindruckende Traumgebäude Svobodas von Anfang an unter einem ausgesprochen unglücklichen Stern.
Dann kam die neue Glückssträhne. Der Kommunismus verschwand 1989 gottlob von der Bildfläche. Und 1991 wurde (mit Zuschüssen von der Stadtregierung Prag 3) das Haus von der Theater- und Musikagentur Žižkov (Žižkovská divadelní a hudební agentura) gekauft und mit Hilfe der Stiftung Prag Fünf (Nadace Pražská pětka) in den Jahren von 1992 bis 1995 renoviert und das neu eingerichtete Restaurant in Betrieb genommen. Der Theatersaal wurde umgebaut und das Theaterprogramm um Konzerte und andere kulturelle Veranstaltungen erweitert. Die Wohnung oben gehören teilweise den Wohneigentümern oder einem privaten Investor.
Seit dem Abschluss der Renovierung 1995 sieht das Gebäude wieder richtig schick aus. Das Ganze ist zum Kulturszeneort geworden. In Žižkov findet sich Dank einer etwas alternativ getönten Gentrifizierung auch das Publikum, das den Betreibern in der Zwischenkriegszeit fehlte. Die Renovierung setzte auch optisch behutsam neue Akzente, wofür vor allem dem Maler, Bildhauer und Designer František Skála Dank gebührt. Der setzte mit kleine skulpturalen Elementen, allen voran das inmitten des Schriftzuges „Palác Akropolis“ platzierte „pulsierende Auge“, neue ästhetische Akzente.
Das Skálasche „Auge“, das in vereinfachter Form auf der Fassade regelmäßig wiederkehrt (dann aber im Original von 1927), knüpft allerdings ein wenig an die Äthetik des Kubismus mit seinen kristallinen geometrischen Formen an. Auf den ersten Blick könnte man daher das Gebäude in diese Stilrichtung einordnen, zumal der Türbereich tatsächlich sehr wuchtig-kubistisch wirkt (und möglicherweise dadurch geprägt wurde). Kubismus und Art Déco sind sehr verwandte und daher gut zusammenpassende Stile. Aber der Gesamtblick auf die Fassade, die sich an die Stromlinien-Form des Art Déco anlehnt, lässt es doch als das erscheinen, was es ist. Eleganz, an Technik orientiertes Design, bunte Farben, Symmetrie – das alles findet sich in diesem Musterbeispiel Prager Art Décos in unnachahmlicher Weise wieder.
Und das Ambiente scheint wirklich inspirierend zu sein. Man befindet sich hier in der etwas hippen Alternativszene mit viel kreativem Elan. Ab und an gibt es auch internationale Vorführungen (man ist ja kosmopolitisch hier in Žižkov. Wir amüsierten uns vor einem Jahr bei einem internationalen Puppentheaterfestival. Es gibt zudem zwei mega-gemütliche Bars (rechts die Kellerbar), in denen sich auch gerne Leute tummeln, die gar nicht eine Theateraufführung besuchen. Ein echter Kultur- und Szenetreff. Möglicherweise hatte sich dereinst Gründer Svoboda das genauso gedacht. (DD)
In den alten böhmischen Ländern feiert man ihn heute, am 16. Mai, obwohl der offizielle katholische Feiertag der 20. März (sein Todestag) ist: Den Heiligen Johannes Nepomuk.
König Wenzel IV. ließ den Generalvikar des Prager Erzbischofs am 20. März 1393 von der Karlsbrücke werfen. Angeblich sei der eifersüchtige Monarch erzürnt gewesen, weil der fromme Geistliche nichts über die Beichte der königlichen Gemahlin ausplaudern wollte (weshalb er u.a. später Patron des Beichtgeheimnisses wurde). In Wirklichkeit ging es wohl um die im Mittelalter üblichen politischen Spannungen um Bischofsbenennungen und Ländereien. Anscheinend hatte Wenzel auch weniger auf Nepomuk selbst abgezielt, sondern wollte seinem Opponenten Erzbischof Johann von Jenstein ein „deutliches“ Signal senden. Seine Bedeutung als katholischer Nationalheiliger bekam er allerdings erst im Zuge der Gegenreformation, weshalb er erst lange nach seinem Tod, nämlich 1729, heilig gesprochen wurde. Es war der Wille der damaligen habsburgischen Machthaber, mit ihm eine Art „ideologisches Gegengewicht“ zu dem unter den Tschechen immer noch beliebten Frühreformator Jan Hus als nationale Symbolfigur zu schaffen. Ein Nepomuk-Kult wurde mit allen Mittel gefördert.
Folglich findet man in Tschechien (und auch Österreich) Nepomuk-Statuen allerorten und in Hülle und Fülle. Vor allem auf Brücken, denn Dank seiner Todesart wurde er zum heiligen Schutzpatron der Brücken. Hier in diesem Beitrag steht er ausnahmsweise aber mal mitten in einem Park auf einem Berg. Das hier ist nämlich die Statue des Heiligen auf dem direkt neben der großen Peter und Paul Basilika (Bazilika svatého Petra a Pavla) gelegenen Karlach Park (Karlachovy sady) auf dem Vyšehrad. Die Statue ist wohl sehr lose der Nepomuk-Statue auf der Karlsbrücke nachempfunden. Sie zeigt den Heiligen mit seinen klassischen Attributen: Kruzifix in den Armen, Birett auf dem Haupte und darüber ein Sternenkranz. Nepomuk ist der einzige Heilige neben der Jungfrau Maria, die einen Sternenkranz tragen darf – er allerdings nur mit fünf Sternen, sie mit 12 Sternen. Bei manchen Nepomuk-Darstellungen findet man noch eine Märtyrerpalme, aber darauf wurde in diesemFall verzichtet.
Die neo-gotische Nepomuk-Statue im Karlach Park ist das Werk der Bildhauer Josef und František Ducháček, über die ich nicht mehr herausfinden konnte, als dass sie Cousins waren. Der Sockel, der aus demselben Sandstein gemeißelt wurde, stammt von Ludvík Šalda, einem der damals führenden Steinfabrikanten Böhmens, der übrigens ganz nebenan im Nationalfriedhof auf dem Vyšehrad begraben liegt. Darauf steht eine lateinische Inschrift, die daran erinnert, dass die Statue des Heiligen und Märtyrers hier im Jahre 1895 von Mikuláš Karlach, der als Probst und Domherr auf dem Vyšehrad im Sinne einer effektiveren und moderneren Kirchenorganisation wirkte (wir berichteten hier), und nach dem der (brückenfreie) Park benannt ist, auf dem sich die Statue des Heiligen Nepomuk befindet. (DD)
Ein wenig palastartig wirkt es auf den ersten Blick, das Dům Riva (Riva Haus) in der Haškova 1175/2 (Ecke Milady Horákové) im Stadtteil Holešovice. Als es in den Jahren 1915/16 gebaut wurde, war Holešovice erst seit rund 20 Jahren Teil Prags und im Kern eine kleine Industriestadt mit vielen Fabriken, aber auch einem prosperierenden Bürgertum.
Das erklärt vielleicht die repräsentativ gestaltete Fassade des vierstöckigen Doppelwohn- und Bürohauses (mit Nr. 1176/4). die in einem sehr klassizistisch anmutenden Jugendstil gehalten ist. Erbaut wurde es in den Jahren des Ersten Weltkriegs durch den Bauunternehmer Karel Dušek nach den Plänen des Architekten Bohumír Kozák. Es handelt sich um ein Frühwerk des Architekten, das er zusammen mit seinem weniger bekannten Mitarchitekten Otto Máca entwarf. Kozák war gerade selbständiger Architekt geworden, nachdem er vorher im Atelier des wohl bedeutendsten Prager Jugendstilarchitekten Osvald Polívka (über den wir bereits u.a. hier, hier und hier berichteten) gearbeitet und das Handwerk gelernt hatte. Obwohl der Jugendstil in dieser Zeit eigentlich schon leicht passé war, trat Kozák hier noch einmal in die Fußstapfen seines Lehrers.
Als Frühwerk sollte das Riva Haus eines der wenigen Beispiele für Jugendstil aus der Hand Kozák sein, denn er konnte sich mit der verspielten Form dieses Stils, die sein Lehrmeister Polívka pflegte, nicht so recht anfreunden. Deshalb ist das Riva Haus in einem sehr streng geometrischen Jugendstil mit wenig, und dann rigiden klassizistischen Dekor gehalten. Auch mit dem Kubismus, der den Jugendstil bald ablösen sollte, experimentierte er nur kurze Zeit (ein Beispiel hier). Richtig berühmt wurde er daher erst als bedeutender Vertreter des Funktionalismus der 1930er Jahre, bei dem er sich als ausgesprochener Modernist in seinem Element fühlte (wofür wir hier bereits ein Beispiel präsentierten).
Zurück zum Riva Haus: Die klassisch strukturierte Fassade wird von einer opulenten Balkonlandschaft aufgelockert. Den Eckabschluss bildet eine oktagonale Laterne auf den Dach. Die für den Jugendstil typischen floralen Stuckmotive sind äußerst sparsam eingesetzt, was das Haus vom floralen Überschwang Polívkas kontrastierend absetzt. Stattdessen sind strikt an klassischen Vorbildern angelehnte Büsten in runden Medaillons angesagt. Das Ganze wirkt schon wie eine gewissen Distanzierung vom Jugendstil und eine Hinwendung zu funktionalistischeren Konzepten in der Architektur. Zentral in der Ecke pragt in kapitalen Lettern der Schriftzug RIVA. Warum das Haus diesen Namen trägt, habe ich nicht herausfinden. Der Name des Besitzers, oder der einer darin residierenden Firma? Für Hinweise bin ich dankbar, (DD)