Der Legionär und sein Tagebuch

Er bekam ein besonders schönes und künstlerisch wertvolles Grab im schönen Prager Olšany-Friedhof in Žižkov (auch hier): Der Legionär Čeněk Klos. Kein Wunder, denn die Tschechischen Legionen (frühere Beiträge u.a. hier, hier, und hier) gehörten zu den Kernmythen der jungen Tschechoslowakischen Republik nach 1918. Die Legionen bestanden aus Soldaten, die nicht mehr für das Habsburgerreich, sondern auf Seite der Ententemächte für die Selbständigkeit von Tschechen und Slowaken kämpften. In Russland wurden sie dabei noch in den Russischen Bürgerkrieg verwickelt und bekämpften die Bolschewiki – zum Teil bis in das Jahr 1920.

Das war der Stoff, aus dem man in der Republik sich seinen Nationalstolz häkelte. Ein Phänomen dabei war die Popularität von Filmen, Theaterstücken und vor allem Memoirenliteratur über die Legionen. Zu letzteren gehörte auch das postum veröffentlichte Tagebuch von Klos. Im Oktober 1914 wurde Klos von der österreichischen Armee eingezogen und haderte von Anfang an mit seinem Schicksal. Er musste seine Verlobte Anežka verlassen und vor allem konnte er sich für das Habsburgerreich, für das er nun in den Weltkrieg ziehen sollte, nicht im Geringsten begeistern, denn er war überzeugter tschechischer Nationalist, der von der Loslösung Böhmens vom Reich träumte.

Im Februar 1915 ließ er sich zusammen mit anderen tschechischen Patrioten von der russischen Armee (die eine geschickte pan-slawistische Abwerbekampagne gestartet hatten) „freiwillig gefangennehmen“. Er arbeitete einge Zeit als Landarbeiter auf einem Bauernhof bei Samara bis er im Mai 1916 bei Kiew der neu gebildeten autonomen tschechischen Militäreinheit, die auf Seite des Zaren (mit dem Versprechen eines nicht-habsburgischen Böhmens) kämpfen sollte, beitrat – der Tschechischen Legion. Immer wieder mussten ihn seine Vorgesetzten von den Kämpfen zurückziehen, weil er plötzliche Schwächeanfälle bekam. Die Ärzte diagnostizierten eine schwere Diabetes – damals eine unheilbare Krankheit. Er versuchte, durchzuhalten und führte dabei ständig und mit einigem literarischen Talent sein Tagebuch. Es sollte nach seinem Tode veröffentlicht werden und es gibt viele Einblicke in den Legionärsalltag, das Kampfgeschehen, seine privaten Probleme (Anežka betrog und verließ ihn in der fernen Heimat, wie er aus Briefen erfuhr) und seinen unverbrüchlichen Willen, gegen Österreich-Ungarn zu kämpfen. Unter dem recht unmissverständlichen Titel Boj s rakouskou hydrou (Kampf gegen die österreichische Hydra) erschien denn auch sein Tagebuch.

Um aus dem Gewirr des Russischen Bürgerkrieg zu entrinnen, mussten sich die Legionäre über den Ural und durch Sibirien bis zum Hafen von Wladiwostok an der Pazifikküste durchkämpfen. Das dauerte bis zum Sommer 1920. Klos wurde wegen seines kritischen Gesundheitszustands schon im Februar 1919 mit dem italienischen Schiff „Roma“ via Yokohama und Singapur zurück in die Heimat gebracht, wo inzwischen zu seiner Freude ein unabhängiger und demokratischer Staat entstanden war. In der Heimat versuchten die Ärzte zu tun, was sie konnten. Vergebens! Am 27. Januar 1920 starb er in einem Rotkreuz-Krankenhaus in Prag-Karlín im Alter von nur 26 Jahren. Vier Tage vorher hatte er aufgehört, sein Tagebuch zu schreiben. Im Jahre 1921 entdeckten die beiden kanadischen Wissenschaftler Frederick Grant Banting und Charles Best das Insulin als Heilmittel zur Bekämpfung der Zuckerkrankheit – einige Monate zu spät, um Klos noch das Leben zu retten.

Bei seinen Legionärskameraden hatte er jedoch einen tiefen Eindruck hinterlassen und sie sorgten dafür, dass er ein würdiges Grabdenkmal bekam. Es handelt sich um eine Sandsteinstatue, die Klos in Lebendgröße als Legionärsoffizier darstellt. Geschaffen wurde sie von dem Bildhauer Karel Kotrba einem Schüler des damals hochangesehenen akademischen Bildhauers Otakar Spaniel. Kotrba gehörte zu den Vertretern des Kubismus, der in der Ersten Republik so etwas wie der Nationalstil der Tschechen war. Unter anderem hatte er bei der skulpturalen Fassadengestaltung der Legiobank (früherer Beitrag hier) mitgewirkt, die als Meisterwerk des Spätkubismus gilt – und die ebenfalls der Legion gewidmet ist. Die kubistische Dimension erkennt man besonders beim Sockel des Grabs, der aus den für den Kubismus so typischen geometrisch-kristallförmigen Formelementen besteht. Darauf steht eine Inschrift, die in Deutsch etwa lautet: „Du ruhst vom Kampf, wir vollenden das Werk. Der Verband der Tschechechoslawischen Legion ihrem Bruder.“ Weiter unten findet man Klos’s Namen, Lebensdaten und seinen Rang als Schützen des Regiments „Jan Hus“.

Klos steht auf dem Sockel zugleich als Soldat und als nachdenklicher Mensch, der sein Tagebuch in der Hand hält, um ein paar Zeilen aufzuschreiben – sein Vermächtnis an die Nachwelt. (DD)

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