Dynamischer Mann der Kirche

Er gehörte zu den großen Persönlichkeiten der Geschichte des Kollegiatskapitels auf dem Vyšehrad: Mikuláš Karlach. Kein Wunder, dass er vor Ort mit einem Denkmal geehrt wurde.

Karlach hatte schon früh großes Organisationstalent bewiesen, bevor er 1871 Domherr auf dem Vyšehrad. Er hatte Krankenhäuser bauen lassen, Aufforstungsprogramme und Fluthilfen organisiert Und vieles mehr. Als Domherr und dann ab 1902 als Probst legte er einen dynamischen Veränderungseifer an den Tag, der das Kirchenareal grundlegend verbessern sollte. Er vergrößerte den Nationalfriedhof, ließ an Stelle der kleinen Barockkirche die große neogotische Basilika St. Peter und Paul (1903) vollenden. Er baute eine Druckerei auf und gab wichtige katholische Zeitschriften heraus. Er schaltete sich in die Politik ein und wurde Stadtrat (wo er sich für die Fusion des Vyšehrad mit Prag einsetzte) und sogar Abgeordneter des Landtags. Schon als Domherr war er auch Banker geworden, als Gründer und Vorstand der Heiligen Wenzels Sparkasse (Svatováclavská záložna), einer Kreditgenossenschaft, deren Pleite und Streichung aus dem Handelsregister (1910) sein Image (aber nur für eine kurze Weile) ankratzte. Es kann aber schließlich nicht alles gelingen.

Und auf dem Vyšehrad hinterließ er aber auch noch eine bleibende Spur. In den Jahren 1890-91 ließ er neben Basilika und Nationalfriedhof einen großen Park mit schönem Baumbestand anlegen. Als Karlach 1911 starb, benannte man ihn umgehend in Karlach Park (Karlachovy Sady) um. Er ist allerdings erst seit 1954 für die Öffentlichkeit zugänglich und wird seither von Ausflüglern auf dem Vyšehrad gerne angenommen. Als sich das 100. Jubiläum der Einweihung der von ihm initierten neogotischen Basilika näherte, wollte man ihn hier noch einmal richtig ehren, und zwar mit einem Denkmal.

Dazu beauftragte man den Bildhauer Pavel Malovaný. Der machte sich ans Werk und schon im Juni 2000 konnte Erzbischof Miloslav Kardinal Vlk von Prag den Grundstein segnen. Und rechtzeitig zum Basiliken-Jubiläum wurde dann das Denkmal für Karlach in Anwesenheit des damaligen tschechischen Präsidenten Václav Klaus am 29. Juni 2003 enthüllt. Die Denkmalstatue zeigt Karlach in leicht abstrahierter Form und konzentriert sich auf das wesentliche am Charakter des Probstes. Man sieht Karlach im Priestergewandt und mit Birett auf dem Kopf eilig und recht dynamisch in Richtung jener Basilika streben, der er erbauen ließ – anscheinend mit den Bauplänen in der Hand. Das ist ein fast schon augenzwinkerndes Kompliment an einen Menschen, der unermüdlich viel bewirken wollte und viel bewirkt hat. (DD)

„Kapelle“ mit Überraschungseffekt

Der Karlach Park (Karlachovy Sady) auf dem Vyšehrad ist so etwas wie geweihter Boden. Direkt neben der Basilika St. Peter und Paul gelegen, befindet er sich auf dem Gelände des Kollegiatskapitels. Nähert man sich dort dem kleinen neogotischen Gebäude in der Mitte des Parks, ist man natürlich fest davon überzeugt, dass es sich um eine kleine Kapelle handelt, die den vorbeikommenden Wanderer zum Gebet anhält.

Der Wanderer dürfte, wenn er denn näherkommt, überrascht sein, dass er in diesem Fall eine kleine Wasserpumpe anbeten würde. Man hat sich hier einen kleinen architektonischen Scherz erlaubt. Das Gebäude hat tatsächlich die äußerliche Form einer gotischen Kapelle mit Spitzbögen. Aber drinnen befindet sich eben kein Heiligenbild, sondern ein technisches Gerät. Das steht da mit gutem Grund. Denn der Vyšehrad befindet sich auf der hochgelegenen Pankrác-Ebene, die lange Zeit wegen ihres Wassermangels als schwieriges Siedlungsterrain galt. Aus diesem Grund verschwand wahrscheinlich im frühen 15. Jahrhundert das nahegelegene Dort Krušina.

Zugegeben, als das Kollegiatskapitel im Jahr 1889 die Anlegung des Parkes initierte, der dann 1890-91 fertiggestellt war, gab es schon in Prag so etwas wie eine moderne Wasserversorgung mit neuen Pumpen und Wassertürmen (worüber wir u.a. hier und hier berichteten). Die Umgebung war nun bewohnbarer und verstädterte in der Folge teilweise dramatisch. Aber man kann sich trotzdem vorstellen, dass ein tiefer Brunnen bei der Bewässerung des rund einen Hektar großen Parks, der 1911 nach dem Probst des Vyšehrader Kapitels Mikuláš Karlach benannt wurde und erst seit 1954 für die Öffentlichkeit zugänglich ist, recht nützlich war. Heute wird die Pumpe, die man damals so originell in der Pseudokapelle unterbrachte, generell nicht mehr zu diesem Zweck genutzt. Dort ist sie für den Besucher immerhin noch für einen kleinen Überraschungseffekt gut. (DD)

Brutalistisches Gebetshaus in Eigeninitiative

Direkt neben dem berühmten Malvazinky Friedhof (wo Karel Gott beerdigt ist) in der Peroutkova 2482/57 im Stadtteil Smíchov (Prag 5) liegt dieses auffällige Gotteshaus der Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten (Církev adventistů sedmého dne, CASD).

Recht wuchtig wirkt die Architekur im Stile des Brutalismus, der in den 70er und 80er Jahren in Ost und West en vogue war, und für den es in Prag zahlreiche herausragende Beispiele gibt (einige präsentierten wir u.a. hier. hier und hier). Der Schöpfern dieser Bauwerke ging es darum, durch klare Konstruktionen mit rohen Beton und Stahl zu einem authentischen kulturellen Statement zu formen. Gerade in Tschechien wird er oft fälschlich mit der Zeit des Kommunismus verbunden, aber natürlich gab es ihn auch auf der guten Seite des Eisernen Vorhangs.

Erstaunlich ist daher eher die Tatsache, dass man überhaupt solch ein großes Gotteshaus in den Zeiten des staatsbefohlenen Atheismus gebaut hat. Denn das Gebäude wurde in den Jahren 1982 bis 1985 nach den Plänen des Architekten Václav Tříska gebaut. An der Stelle befand sich vorher die Begräbniskapelle des Neuen Jüdische Friedhof in Smíchov (Starý židovský hřbitov na Smíchově). Der Friedhof wurde aber schon seit Jahrzehnten nicht mehr aktiv für Beerdigungen genutzt, weshalb man die Kapelle für überflüssig hielt.Der Friedhof wurde 1990 für die Öffentlichkeit geschlossen, steht aber unter Denkmalschutz. Die Kirche hat extra eine Empore neben der Mauer bauen lassen, die eine Besichtigung von außen ermöglicht.

Die karge Betonstruktur passt vielleicht zum Inhalt. Denn das ist keine Kirche (kostel), sondern dem Selbstverständnis der Siebten-Tags-Adventisten gemäß ein Gebetshaus (modlitebna). Dieses Selbstverständnis erteilt jedwedem ornamentalen Prunk eine Absage. Da die freikirchlichen Adventisten an eine baldige Wiederkunft Christi glauben, wäre so etwas ein unangemessenes und unzeitiges Indiz von Verweltlichung. Wie viele evangelischen Gemeinden verbinden auch die Adventisten ihr Gebetshaus mit dem Anspruch, gleichzeitg kulturelles und soziales Zentrum zu sein. Deshalb wurde ein etwas stilfremdes (im Bild links oberhalb auf der rechten Seite zu sehen) Nebengebäude gebaut, in dem es Pfarramt, Säle und Unterkünfte gibt.

Dafür, dass die Gemeinde sehr aktiv ist, spricht, dass das Gebetshaus – dem ja jede staatliche Unterstützung unter dem Kommunismus versagt war – mit viel Eigeninitiative errichtet wurde. In ihrer Freizeit halfen die Mitglieder damals bei den Bauarbeiten kräftig mit. Sonst wäre ein Gebetshaus dieses Ausmaßes wohl hier nicht entstanden. Zumindest der gesamte Vorplatzbereich ist architektonisch wohl gelungen, was selbst zugeben muss, der sonst mit brutalistischer Architektur wenig anfangen kann. Die weite Treppe und die kantig gefaltete Front, in die geschickt ein kreuzförmiges Fenster integriert wurde, sind durchaus formschön und originell. (DD)

Der erste heilige Böhme

Der Heilige Prokop ist einer der vielen böhmischen Nationalheiligen, deren Andenken man hierzulande pflegt. Heute, am 25. März, ist sein kirchlicher Feiertag, der an seinen Todestag im Jahr 1053 gedenkt.

Bei einer Jagd war dereinst Herzog Břetislav I. (möglicherweise war es aber auf dessen Vater Herzog Oldřich – da sind sich die Legendenforscher nicht so einig) im Wald auf den frommen und asketischen Einsiedler gestoßen. Der soll zwecks angemessener Bewirtung des hohen Gastes mal eben Wasser in guten Wein verwandelt haben, was einen solchen Eindruck auf den Herrscher machte, dass ab 1032 herzöglicherseits die Gründung des südlich von Prag gelegenen Klosters von Sázava gefördert wurde, dessen erster Abt Prokop nun wurde. Es war das vierte Kloster überhaupt im Lande und lange ein Hort der Schriftkultur des alten Kirchenslawisch, was ihm später einen Platz in der Gemütsgeschichte tschechischer Patrioten sichern sollte. Jedenfalls wirkte Prokop weiter im Sinne des Glaubens. Da das mit dem Wasser zu Wein nicht wirklich neu war (siehe Bibel Johannes 2.1), legte er später noch ein richtig neues Wunder drauf, worauf seine posthume Heiligsprechung im Jahre 1204 fast schon Formsache war. Er war der erste Böhme, der überhaupt in die Reihen der Heiligen eintrat.

Bei diesem Wunder kann man ihn auf dem Schlussstein der Toreinfahrt des Hauses in der Prokopská 295/6, einer engen Nebengasse des Malteserplatzes, in Stein gemeißelt bestaunen (großes Bild oben). Es zeigt ihn, wie er den Teufel, der ihn wohl vom rechten Pfade abbringen wollte, mit einer Kette vor einen Pflug spannt, und mit einem Kruzifix in Schach hält. „Better to reign in Hell, then serve in Heav’n“ war, wenn man dem Dichter John Milton (Paradise Lost I.263) glaubt, das Motto des Satans beim Amtsantritt als Chef in der Hölle. In diesem Licht betrachtet, muss die Art der Behandlung durch den Heiligen Prokop schon ein harter Dämpfer für das Selbsbewusstsein des Teufels gewesen sein…

Das dreistöckige Wohnhaus, auf dem sich das Ganze befindet, trägt den Namen dům U Sixtů (Haus zum Sixtus), auch Sachsenberkovský dům (Sachsenberg-Haus) genannt. Beides bezieht sich wohl auf frühere Besitzer. Es handelt sich um ein Renaissancegebäude aus dem Beginn 17. Jahrhunderts. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde es im Barockstil ein wenig umgearbeitet, wobei die Fassade stärker ornamentiert wurde. Vor allem das in eine schnörkelige Kartusche eingerahmte und leider heute arg verwitterte Wandgemälde der Heiligen Jungfrau Maria stammt aus dieser Zeit. Und wohl auch das Relief des Heiligen Prokop. In den 1930er Jahren gab es anscheinend im Innenhofbereich größere Umbauten zwecks Modernisierung. Vor den Einflüsterungen des Beelzebubs sollte man in diesem Gebäude einigermaßen sicher sein, denn draußen hält ja der gute Prokop seine Kette zwecks Abschreckung bereit. (DD)

Landgutshaus – heute ohne Ziegelei

Der Stadtteil Košíře liegt ein wenig außerhalb des Stadtzentrums in Bezirk Prag 5 und war vor seiner Eingemeindung in die Stadt 1922 noch sehr ländlich geprägt. Das merkt man heute noch, vor allem, weil sich hier eine recht hohe Konzentration an schönen alten Landgutshäusern findet.

Beispiele für solche Landgüter in diesem Stadtteil zeigten wir bereits hier, hier und hier. Am Landgut Bulovka (usedlost Bulovka), an der Jinonická 204/59 in Košíře besticht, dass es noch nicht von der Stadt baulich eingeholt wurde, und das große ehemalige Landwirtschafts- und Parkareal noch ein wenig erahnbar ist. Hier gab es schon im 14. Jahrhundert anscheindend ein großes Weingut, das sich aber in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhundert auflöste. Das Gut geriet in den Besitz der Familie Bull von Bullenau, was dem Gut fortan den Namen Bulovka einbrachte. Ferdinand Bull von Bullenau ließ das Haupthaus (als Teil einer quadratischen Hofanlage) im spätbarocken Stil umbauen, was heute noch prägend ist, und betrieb von hier aus nun im großen Stil Landwirtschaft.

1874 kaufte es ein gewisser Josef Barth, dem schon das in der Nähe gelegene Gut Božinka gehörte. Unter ihm gab es weitreichende ökonomische Veränderungen.

Barth integrierte 1898 eine in der Nähe liegende Ziegelei in das Gut und baute eine Trockenpresse für Ziegel. Die Ziegelei wurde 1902 verpachtet und ab 1913 gehörten dann Gut, Gutshaus und Ziegelei dem Unternehmer Václav Procházka. Der baute – während aber immer noch Landwirtschaft betrieben wurde – ab 1923 eine richtig moderne und maschinelle Ziegelei auf, inklusive eines 25 Meter hohen Schornsteins. Bald wurden drei bis vier Millionen Ziegel pro Jahr hergestellt. Es kam der Krieg und 1942 endete die Produktion. Als mit den Kommunisten 1948 die Verstaatlichung kam, wurde die Ziegelei endgültig liquidiert, und nur der Hof übernommen. Von der Ziegelfabrik ist daher kaum etwas zu sehen. Die Natur hat sich das Areal zurückgeholt und überwuchert. Und Hobbyforscher freuen sich, dass an den alten Aufschlüssen des Ziegeltonabbaus viele interessante Fossilien finden lassen. Gehöft und Anlage wurden zum Staatshof und 1977 fand hier der Reiterverein des Tschechoslowakischen Films (Jezdecký Klub Československého Filmu) sein Domizil, wo unter anderem der bekannte Dressurreiter Pavel Turek (Olympiagold 1960) als Trainer für angehende Filmreiter und Stuntmen wirkte.

Der Kommunismus endete gottlob im Jahre 1989. Im Jahr darauf löste sich auch der Reiterverein, aber immerhin hinterließ er nutzbare Einrichtungen, die heute weiter von Hobbyreitern genutzt werden (siehe Bild oberhalb rechts). Und dann brachte die Privatisierung der 1948 enteigneten Familie Procházka durch Restitution volle Gerechtigkeit. Die neuen/alten Eigner haben viel investiert und das Gutshaus renoviert. Das sieht man besonders schön an dem barocken Haupthaus, in dem die Familie wohnt.

Haupthaus und Gebäude stehen übrigens seit 1964 unter Denkmalschutz. Vor dem Haus befindet sich noch ein gepflegter Garten, der ein wenig an die Zeiten des Barock erinnert. Da sich das Gane i Privatbesitz befindet, kann man es nicht wirklich besichtigen, sondern nur von außen sehen, was man sehen kann. Der Garten wird von einem kleinen Torbogen abgeschlossen (Bild rechts).

Man kann im großflächigen Umfeld des Gutsgebäudes noch erkennen, dass es sich neben dem landwirtschaftlichen Nutzareal auch um eine Parkanlage, wie das bei vielen größeren Gutshäusern üblich war und der Erholung und Entspannung der Besitzer und ihrer Besucher diente. Dazu passt auch die hübsche neogotische Gloriette, die vor einigen Jahren ebenfalls restauriert wurde. Eine Gloriette ist ein erhöht liegendes Gebäude – meist ein Pavillon oder ein Tempel – in einer großen Gartenanlage. Vor diesem Pavillon hatte man damals (bzw. hat man immer noch) gewiss eine wunderschöne Aussicht in Ruhe und Entspannung.

Ach ja, man darf dieses Landgut Bulovka in Košíře nicht mit dem gleichnamigen Landgut Bulovka im Stadtteil Libeň verwechseln. Das wurde so genannt, weil es fast gleichzeitig von der Familie Bull von Bullenau erworben wurde. Allerdings sucht man vergebens nach dem entsprechenden Landhaus, denn dieses wich 1905 dem heutigen Krankenhausbau (natürlich Bulovka geannt), über den wir bereits hier berichteten. (DD)

Das Haus der Beerdigungsbruderschaft

Die Heilige Bruderschaft jener, die Taten der Barmherzigkeit vollbringen (hebräisch: Chewra kadischa de-gomle chasadim), die schon 1564 in Prag gegründet wurde, ist die wohl berühmteste aller jüdischen Beerdigungsbruderschaften in Europa und vielleicht darüber hinaus.

Und ihr Namenszug steht auch über dem Haupteingang des Hauses der Beerdigungs-Bruderschaft Chewra Kadischa (Dům pohřebního bratrstva Chevra kadiša) in der Široká 36/5 und 37/7 im ehemaligen Judenghetto Josefov. Man sieht auf dem großen Bild oben, dass das Gebäude direkt neben dem Alten Jüdischen Friedhof (wir berichteten hier) liegt, dessen Außenmauer man erkennen kann.

Die Chewra Kadischa ist eine freiwillige, auf Spenden der Gemeinde beruhende Institution, der die jeweils die angesehensten Männer der Gemeinde (seit dem 19. Jahrhundert gibt es auf vereinzelt Beerdigungsschwesterschaften) angehören, die sich um die Sterbenden und die Sterberituale in der Gemeinde kümmern. Dazu gehören Besuche am Sterbebett, die Leichenwaschung, die Bekleidung mit Grabgewändern, die Beerdigung selbst (möglichst am Todestag), die Trauerrituale, der Besuch der Hinterbliebenen während der siebentägigen Trauerzeit und vieles mehr. Sie erfüllt eine religiöse Kernaufgabe, die als besonders verdienstvoll gilt.

Das recht groß dimensionierte Gebäude der Chewra Kadischa in der Široká diente der Bruderschaft nicht zur Durchführung der Beerdigungszeremonien, etwa der Leichenwaschung. Dafür gab es die nahegelegene und zur gleichen Zeit erbaute Zeremonienhalle in der U Starého hřbitova 243/3a, die heute ein Teil des über das ganze Viertel verstreuten Komplexes des Jüdischen Museums von Prag ist. Vielmehr nutzte es die Bruderschaft als Treffpunkt und vor allem als Verwaltungsgebäude. Und von Anbeginn an wurde auch der größte Teil des vierstöckigen Doppelhauses als Wohnungen vermietet. Eine Vielzahl von Büros und Mietswohnungen bestimmen heute völlig die Nutzung des Hauses.

Das Gebäude wurde in den Jahren 1910/11 erbaut. Der Architekt war Bohumil Hypšman (die ursprüngliche deutsche Schreibweise Hübschmann tschechisierte er nach 1945). Hypšman war ein Schüler des bedeutenden österreichischen Architekten und Stadtplaners Otto Wagner. Das Haus der Chewra Kadischa war sein einziges spezifisch für jüdische Institutionen gebautes Gebäude. Unter seinen vielen öffentlichen Gebäuden ragt das 1923 geplante Gebäude des heutigen Gesundheitsminsteriums in Prag heraus. Das Haus der Chewra Kadischa ist ein herausragendes Beispiel für die Anfänge der Moderne nach dem Auslaufen des Jugendstils. Es besticht durch seine einfachen kubischen Formen. Auffällig ist, dass die Vorderseite zum Friedhof, die der Bruderschaft als Sitz diente, aufwendiger (zum Teil mit Perlmuttschmuck) dekoriert ist (Bild oberhalb links) als die Rückseite (Bild rechts). (DD)

Überreste eines Landgutes

Die äußeren Stadtteile Prags, die fast alle erst im 20. Jahrhundert ihre Selbständigkeit verloren, waren oft noch recht ländlich, bevor sie von der expandierenden Großstadt aufgesogen wurden. In kaum einem Stadtteil kann man das so gut studieren wie in Košíře (heute Prag 5).

Das schlägt sich auch in einer großen Zahl alter Gutshäuser nieder, die man hier noch sehen kann (über ein Beispiel berichteten wir hier). Von einem besonders großen Landgut kann man allerdings nur noch verstreute Überreste finden, die aber einen gewissen Eindruck von der früheren Pracht schwach erahnen lassen. Es handelt sich um das das Landgut Popelka (Usedlost Popelka) in der Na Popelce. Anscheinend hat es wohl schon im Mittelalter hier ein landwirtschaftliches Gehöft gegeben, von dem aber nichts erhalten ist. Wirklich in die Geschichte tritt das Ganze aber erst 1704 durch urkundliche Erwähnung ein. Es gehörte damals möglicherweise (!) der bedeutenden böhmischen Adelsfamilie Popel von Lobkowicz (Popel z Lobkovic) als Weingut und Agrarbetrieb. Aus dem Familiennamen Popel (der in tschechischen Ohren nicht so lustig klingt wie im Deutschen, sondern „Asche“ bedeutet) leitet sich wohl der Name des Gutes Popelka ab.

Um 1840 erwarb der Großgrundbesitzer Karl Dittrich, der bereits in der Nähe die beiden Landgüter Cihlářka und Provaznice besaß, das gesamte Gut. Es kam aber bald zu Aufteilungen. Schon 1849 erwarb die jüdische Gemeinde von Košíře einen kleinen Teil des Landes, um hier eine kleine Synagoge zu bauen (wir berichteten). Um 1880 war wohl das Gutsland in drei Teile aufgeteilt und verkauft. Landwirtschaft im großen Stil gab es bald nicht mehr und die Umgebung verstädterte. Im Jahre 1900 wurde das eigentliche Gutshaus abgerissen. An seiner Stelle steht hier heute ein kleines Familienhotel, das immerhin den Traditionsnamen aufrecht erhält: Hotel Popelka. Die Architektur des Gebäudes lehnt sich ein ganz klein wenig an den Barockstil des ursprünglichen Gebäudes an.

Ansonsten muss man ein wenig suchen. So gibt es noch den alten barocken Torbogen des Gehöfts. Das befindet sich aber mittlerweile unzugänglich auf einem Privatgrundstück, dort wo die Besitzer gerne ihre Autos parken. Wenn man die Kamera hoch über das Einfahrtstor herrscht, kann man die schönen geschwungenen Barockformen des Tors bildlich festhalten (siehe Bild links). Auf dem obersten kleinen Bild links erkennt man die Rückseite.

Die große Besonderheit, die auch am besten erhalten ist, ist eine sogenannte Sala terrena. Das ist ein meist ebenerdiger Gartensaal, der Hauptaus und Garten verband, und in dem man in den Zeiten von Renaissance oder Barock gerne im Schatten, aber bei frischer Luft lustwandelte oder feierte. Ungewöhnlich ist bei der Sala terrena des Popelka-Gutes, dass sie sich an der Außenmauer des Gutes befindet, und dass sie nicht ebenerdig ist, sondern ein wenig im Boden versenkt ist. Warum, weiß keiner so genau. Ob es etwas mit der Wasserquelle zu tun hat, die man bei Restaurationsarbeiten entdeckte? Es gibt Urkunden, in denen von Heilquellen, die man gerne nutzte, die Rede ist, und die man vielleicht mit der Sala terrena kombinierte. Das erklärte auch die Lage.

Jedenfalls ist das Gebäude in seiner Eleganz ein kleines barockes Schmuckstück. Die entsprechende Anerkennung hat es jedoch nicht immer erfahren. Mit der Auflösung des Gutes zu Beginn des 20. Jahrhunderts verlor das Gebäude seinen Ursprungszweck und verfiel und überwucherte. Zeitweise wurde es als Scheune genutzt, dann aber wieder verlassen und sich selbst überlassen. In der Umgebung wurden viele Wohnhäuser gebaut, so dass man in den Zeiten des Kommunismus beschloss, direkt davor eine Reihe von Garagen für die Autos der Bewohner zu bauen – obwohl das Gebäude 1958 zum geschützten Denkmal erklärt worden war. Die sind immer noch da und trüben den Gesamteindruck nachhaltig in unschöner Weise.

Aber ein wenig gebessert haben sich die Zeiten schon. Der Eigner der Sala terrena, die Stadtverwaltung Prag 5, nahm sich des Gebäudes an. In den Jahren 2007 bis 2010 ließ sie das Gebäude durch die Firma Gema art aufwendig restaurieren. Dabei schloss man unter anderem den Innenraum mit Glasfenstern gegen die Witterungseinflüsse ab. Auch die Wasserquelle, die etwas unkontrolliert den Stuck zersetzt hatte, wurde wieder gebändigt. Seither sieht das Gebäude wieder richtig schmuck aus. Da es etwas abgelegen ist und optisch immer noch von den Garagen beeinträchtigt ist, hat man noch keine adäquate Nutzung gefunden. Für soziale Events, Hochzeiten oder ähnliches könnte sich die Sala terrena unter anderen Umständen durchaus eignen. Das Thema bleibt auf der Tagesordnung. (DD)

Ein kleines Stück vergessener Geschichte: Die Synagoge von Košíře

In den damals noch selbständigen, aber heute zu Prag gehörenden Stadtteilen finden sich viele alte jüdische Synagogen, die man von außen kaum als solche wahrnimmt. Ein Beispiel sieht man hier, die Synagoge von Košíře (Košířská synagoga).

Zu den bleibenden Errungenschaften der niedergeschlagenen liberalen Revolution von 1848 bleibt die Erklärung der Judenemanzpation, die aus den Juden im Land gleichberechtigte Bürger machte und vor allem auch den Ghettozwang aufhob. Juden konnten nun leben und wohnen, wo sie wollten. In vielen Ortschaften gründeten sich viele neue Gemeinden und es entstanden damit auch neue, meist kleine Synagogen. So auch im damals ländlichen Košíře, wo dieses Gebäude schon 1849 eingeweiht wurde. Es sah wohl schon damals eher wie ein kleines und unscheinbares Wohnhaus aus und die Zeitläufe haben es optisch immer mehr in diese Richtung verändert. Das Gebäude, an dem man ohne Vorwissen wahrscheinlich achtlos vorbeigehen würde, liegt in der Na Popelce 771/11, direkt neben dem ehemaligen großen Gutshaus Popelka (usedlost Popelka), von dem aber heute nur noch wenig erhalten ist.

Die jüdische Gemeinde war so klein, dass anscheinend irgendwann die Nutzung als Synagoge nicht mehr sinnvoll war. Um 1930 wurde das Gebäude in ein jüdisches Waisenhaus umgewandelt. Als 1939 die Nazis ins Land einmarschierten, kam das jüdische Leben gänzlich zum Erliegen. Die meisten Juden wurden wohl ermordet. Das jüdische Leben in Košíře erholte sich davon nie mehr und das Gebäude wurde in ein reines Wohn- und Mietshaus umgewandelt. In kommunistischen Zeiten und leider auch danach verfiel es ein wenig und wurde stark renovierungsbedürftig. 2019 wurde eine Renovierung mit größeren Umbauten begonnen, die 2021 weitgehend abgeschlossen war. Äußerlich gibt es eine gewisse Kontinuität, aber es wurde ein zusätzliches Stockwerk aufgesetzt und die Ummauerung des Grundstücks modernisiert. Die bis dahin auf Höhe des ersten Stocks noch sichtbare Jahreszahl 1849, die in Eisenlettern gegossen war, ist seither auch verschwunden. Das ist schade, damit verschwand auch die letzte sichtbare Erinnerung daran, dass dieses Haus auf ein wichtiges Stück Prager Stadtgeschichte zurückblicken kann. Hier besteht einfach Bedarf an Erinnerungskultur. Vielleicht kommt ja die Stadtverwaltung irgendwann einmal auf die Idee, eine Gedenk- und Informationstafel anzubringen. (DD)

Zum 170. Todestag von Christian Andreas Doppler

Braust ein Feuerwehrwagen mit Sirene an einem vorbei, dann wird der Ton (der tatsächlich gleich bleibt) beim Herannahen als höher wahrgenommen als nach dem Vorbeifahren. Wiiiiieeeoouuuu! Das ist der sogenannte Doppler-Effekt. Erstmals erforscht hat ihn Christian Andreas Doppler, der heute vor 170 Jahren starb. Und der hatte seit 1835 in Prag gelehrt und gewirkt. Deshalb hat man auch stolz an dem Haus in der U obecního dvora 799/7 eine Gedenktafel zu seinen Ehren angebracht – und damit indirekt auch zu Ehren des damals in Blüte befindlichen Wissenschaftsstandorts Prag.

1835 wurde der gebürtige Salzburger, der sich bereits zuvor einen wissenschaftlichen Ruf erworben hatte, Professor für Arithmetik, Algebra und Geometrie an der Ständischen Realschule in Prag und lehrte kurz darauf im Polytechnischen Institut. 1840 wurde er in die renommierte Königliche Böhmische Gesellschaft der Wissenschaften (der Vorläuferin der heutigen Akademie der Wissenschaften) berufen und dann, zwei Jahre später veröffentliche er das Werk, das ihn berühmt machen sollte: Über das farbige Licht der Doppelsterne und und einiger anderer Gestirne des Himmels. Das ist das Buch, in dem er die Theorie des Doppler-Effekts darlegte. Nun fragt sich der heutige Laie: Da geht es doch gar nicht um hohe und tiefe Töne bei schnell vorbesausenden Fahrzeugen (oder gar Flugzeugen), sondern um Licht bei Sternen. Für uns heute ist der Doppler-Effekte im Sinne eines akustischen Phänomens etwas leicht Erkennbares und wird eigentlich als etwas Normales aus der Alltagswahrnehmung empfunden. Man fragt sich, warum das nicht Dopplers Zugang zu dem nach ihm benannten Effekt war. Aber so schnelle Fortbewegungsmittel gab es 1842 nicht und somit handelte es sich für Doppler und seine Zeitgenossen nicht um eine gewöhnliche Alltagserfahrung. Bei astronomischen Studien hatte Doppler hingegen beobachtet, dass die stellaren Bewegungen die Lichtwellen irgendwie ähnliche Verschiebungen durchmachen (Blau-Rot-Töne). Das wurde bald mit gutem Grund bezweifelt, weil Sterne dafür zu langsam seien, aber die die Erfindung der Dampflok – das erste hinreichend schnelle Fahrzeug – ermöglichte ihm später, den nun zu Recht Doppler-Effekt genannten Effekt zu belegen.

Doppler konnte nun immer noch wissenschaftlich gültige Formeln entwickeln, wie bei hoher Gschwindigkeit die Schallwellen hinter dem sich bewegenden Objekt gedehnt und vor dem Objekt gestaucht werden, was den Tonhöhenunterschied hervorruft. Ob er gewusst hat, was er damit den Autofahrern antat? Denn aufgrund dieser Erkenntnis wurden für die Polizei jene Geräte für die Geschwindigkeitsmessung entwickelt, die dem Fahrer, der gerade so richtig Lust am Fahren bekommen hat, selbige wieder verderben. Wie dem auch sei: Der große Wissenschaftler fand 1848 die um ihn herum tobende Revolution irgendwie beunruhigend und ging wieder nach Österreich zurück, wo er umgehend zum Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften berufen wurde. 1850 wurde er Erster Direktor des Physikalischen Institutes an der Universität Wien, wo er Experimenatlphysik lehrte.Der international anerkannte und mit akademischen Ehren überhäufte Wissenschaftler stand auf dem Höhepunkt seiner Karriere.Dann, 1852, entwickelte er eine starke Lungenkrankheit. Wegen des günstigen Klimas fuhr er mit seiner Frau nach Venedig (damals zum österreichischen Kaiserreich gehörend), was aber am Ende nicht half. Am 17. März 1853 – heute vor 170 Jahren – starb er.

Dass das Werk, das ihn im übertragenen Sinne unsterblich sollte, in Prag entstanden war, ist unbezweifelbar. Und deshalb findet man an etlichen Orten Gedenktafeln. Die oben im großen Bild gezeigte Bronzetafel in der U obecního dvora 799/7 wurde im Jahr 2006 hier angebracht und ist das Werk der bekannten akademischen Bildhauerin Ellen Jilemnická. Unter dem Portraitrelief stehen auf Tschechisch und Deutsch die Worte: “ Von 1843-1847 wohnte in diesem Haus der Mathematiker und Physiker Christian Doppler * 1803 Salzburg † 1853 Venedig.“. Bei dem Haus, in er wohnte und an dem sich die Tafel befindet handelt es sich ein zweistöckiges Wohnhaus mit Mansarde im spätbarocken Stil aus dem Jahr 1779, das 1805 noch einmal vor allem innen ein wenig klassizistisch überarbeitet wurde, und das sich an der Stelle eines früheren mittelalterlichen Gebäudes befindet, von dem es noch Überbleibsel im Keller gibt. Auffallend sind die putzigen Maskaronen (Fratzengesichter) aus der Barockzeit über den Torbögen des Erdgeschosses (bild links).

Die Tafel am Haus wurde für künstlerisch so gelungen erachtet, dass im Jahr darauf am Christian Doppler Gymnasium (Gymnázium Christiana Dopplera) auf der Kleinseite (Zborovská 621/45 in Prag 5) eine neu gegossene Kopie angebracht wurde. Das Gymnasium, das nach vielen historisch begründeten Umbenennungen (zwischen 1953 und 1990 trug es sogar den Namen des Erzkommunisten und ersten Präsidenten der „DDR“ Wilhelm Pieck) 1999 nach Doppler benannt worden war, befindet sich in einem historistischen Gebäude aus dem Jahre 1896. Die Umbenennung geschah auf Initiative von Zdeněk Kluiber, der von 1990 bis 2004 Rektor der Schule war, und der als international renommierter Physikpädagoge das Gymansium stark in eine naturwissenschaftliche Ausrichtung prägte. Einen besseren Namenspartron als Doppler hätte er kaum finden können. Hier im Bild rechts die Außenansicht des Gymnasiums. Die Tafel ist leider drinnen und nicht so einfach zugänglich. Aber man weiß ja, wie sie aussieht, nämlich genau wie die in der U obecního dvora, deren Kopie sie ja ist.

Und dann gibt es noch ein Tafel zu Ehren Dopplers. In der U obecního dvora wohnte er ja erst ab 1843, aber in Prag lebte und wirkte er ja bereits ab 1835. In der Zwischenzeit wohnte er in einem Haus am nördlichen Ende des Karlsplatzes. Das wurde allerdings zu Beginn des 20. Jahrhunderts abgerissen, um dem heutigen Amtsgericht (Městský soud) der Neustadt – direkt an das Rathaus angebaut – Platz zu machen. Aber Doppler wollte man dabei nicht dem Vergessen anheimfallen lassen. Und wurde mit der Fertigstellung des historistischen Gebäudes 1903 auch eine Gedenktafel an der Fassade des Karlovo náměstí 6/20 angebracht, die aus weißem Marmor angefertigt wurde.Der ausführliche Text wurde sogar in vergoldeten Lettern verfasst: „In dem Haus Nr. 4-II, das an dieser Stelle stand, lebte und forschte, bevor er sein weltberühmtes Prinzip (1842) an der Technischen Universität veröffentlichte, auf dem die heutige Astrophysik basiert, der renommierte Gelehrte Kristian Doppler, Professor für Mathematik und praktische Geometrie. Er wurde 1803 in Salzburg geboren. Er starb 1854 in Venedig.“ Der Text ist übrigens ausschließlich in Tschechisch gehalten; sogar der Vorname wurde von Christian zu Kristian und der Geburtsort Salzburg in Solnohrad eintschechisiert. Darauf hat man bei der neuen Tafel in der U obecního dvora 2006 verzichtet.

Wo wir schon einmal beim Namen sind. Das gibt die Gelegenheit zu etlichen Korrekturen und zur Beseitigung von Missverständnissen. Die Schöpferin der Tafel von 2006 hat klugerweise und im Kern auch korrekt Doppler als Christian Doppler bezeichnet und den Mittelnamen (Andreas!) ausgelassen. In etlichen Darstellungen finden wir Doppler nämlich als Christian Johann Doppler. So hat ihn wohl ohne böse Absicht Dopplers deutscher Astronomenkollege Julius Scheiner in seinem bekanntesten Werk Die Photographie der Gestirne von 1897 genannt, was sich irgendwie bis heute festgesetzt hat, aber inkorrekt ist: Christian Andreas Doppler hieß er! Zudem kursiert in manchen Websites (etwa hier und hier), dass Ellen Jilemnickás Tafel von 2006 am Gebäude in der U obecního dvora 798/5 angebracht sei, also dem unmittelbaren Nachbarhaus. Das hat sich dann auf die Mehrheit der entsprechenden Websites übertragen. Es ist also definitiv Haus 799/7. Die Verwirrung wird komplett, weil man an Haus 798/5 eine Tafel zu Ehren des böhmischen Malers Josef Mánes angebracht hat, der in diesem Haus 1820 geboren wurde. Auf der Bronzetafel steht aber, dass er sich aber in 799/7 gebar – also dem Haus, in dem Doppler wohnte. Was falsch ist. Aber wenn erst einmal die falsche Ziffer in Metall gegossen ist, lässt sich das nicht mehr ändern.

Also noch einmal: Mánes wurde in Nr. 798/5 geboren – was immer auch auf der Tafel steht. Doppler lebte in Nr. 799/7 – was immer auch im Internet steht. Und sein Mittelname war Andreas. Jetzt ist alles richtiggestellt. Und man kann sich wieder in Ruhe daran erinnern, dass dies heute der Todestag eines der ganz großen Wissenschaftler ist, die in Prag wirkten. (DD)

Mährische Selbstbehauptung in Prag

Ja, auch in Prag, im Herzen Böhmens, sieht man ab und an den Mährischen Adler auf Fassaden und Amtsschildern. Dann aber meist als Teil des großen Staatswappens der Tschechischen Republik, wo er dem stolzen  Böhmischen Löwen (wir berichteten) klar untergeordnet ist.

Alleine für sich genommen gilt der Mährische Adler für die leider sehr zentralistisch gestimmten Prager schon fast als anrüchiges Symbol des Autonomismus. Aber hier an der Fassade dieses vierstöckigen Wohn- und Mietshauses in der Široká 117/22 im Stadtteil Josefov, wo einst das jüdische Ghetto lag, dass sich Ende des 19. Jahrhundert zur Luxusmeile entwickelte (wir berichteten bereits hier), wird das Mährentum mit stolzem Banner vorangetragen. Es handelt sich, wie ein großes Hausschild in Stuck zeigt, schließlich um das Haus zum Wappen der Markgrafschaft Mähren (dům U znaku Markrabství moravského).

Warum das im Jahre 1902 fertiggestellte neobarocke Haus in Namen und Symbolik diesen Bezug zur Markgrafschaft Mähren hat, habe ich (noch?) nicht herausfinden können. Aber natürlich ist klar, dass Mähren in der Geschichte der Tschechen eine große Rolle spielt. Ursprünglich, im 9. Jahrhundert, war Großmähren das erste echte Staatswesen in der westslawischen Welt, wurde aber danach schrittweise von der Herrscherdynastie der Přemysliden aus dem benachbarten Böhmen übernommen, das nach dem Untergang Großmährens die regionale Hegemoniemacht wurde. Ab 955 war es Teil der Ländereien des böhmischen Herzogtums. Als Mähren 1182 zur Markgrafschaft erhoben wurde, wurde es dadurch ein reichsunmittelbares Grenzgebiet des Heiligen Römischen Reiches, aber die Unterordnung unter Böhmen wurde 1197 bekräftigt. Meist wurde Mähren von Verwandten des jeweilgen böhmischen Herrscher in dessen Auftrag regiert, was auch nach dem Aussterben der Přemysliden unter den folgenden Dynastien so blieb – letztlich bis zum Untergang des Habsburgerreichs im Jahre 1918.

Das Wappen der Markgrafschaft taucht anscheinend erstmals im ersten Drittel des 13. Jahrhunderts auf einem Siegekl des Markgrafen Přemysl von Mähren auf, dem jüngsten Sohn von Böhmens König Otakar I. Přemysl. Da an dem Siegel der Zahn der Zeit genagt hat, ist man da nicht so ganz sicher. Aber definitiv taucht der Mährische Adler 1272 im Stadtwappen der Stadt Znojmo (Znaim). Unter Böhmens König Otakar II. Přemysl (zugleich Markgraf) hatte sich im Prinzip die hier gezeigte und bis heute gültige Form allgemein kodifiziert: Blauer Hintergrund, Adler mit rot-weißen Schachmuster (Bedeutung nicht so recht geklärt) und meist mit Krone (die beim Bild oben fehlt). Ab dem 15. Jahrhundert tauchte ab und an eine Variante mit rot-goldenem Schachmuster auf. Bei der Darstellung auf der Hausfassade in der Široká dürfte das nicht der Fall sein, aber die rote Farbe scheint verwittert zu sein.

Obwohl die mährische Geschichte immer eng mit der Böhmens verwoben war, gab es dorch stets auch deutliche politische und kultruelle Unterschiede. Viele prägende Entwicklungen Böhmen fanden hier wenig Niederschlag, etwa das Böhmen sehr prägende Hussitentum im frühen 15. Jahrhundert. Während Böhmen eine recht irreligiöse und industrialisierte Region ist, ist Mähren katholisch und ländlich bestimmt (erklärt das etwa das Kreuz auf dem Helm auf der Fassade des Hauses?). Ab und zu führen sie zu Diskussionen über eine föderale oder dezentrale Struktur im Lande, was besonders nach der Samtenen Revolution von 1989 und dem Ende des Kommunismus der Fall. Damals gelangten Vertreter regionalistischer Gruppen sogar ins Parlament. Nach einer Weile hatte sich aber die zentralistische Tradition der Tschechoslowakei wieder durchgesetzt und die Bestrebungen verebbten, sind aber immer noch latent vorhanden. Das kann man als verpasste Chance für eine dezentralere und bürgernähere Politik sehen. Aber auf jeden Fall reichen die Unterschiede tief in die Geschichte zurück. Umso mehr überrascht dieses Stück mährischer Selbstbehauptung hier mitten in Prag. (DD)