Wappen eines Vielvölkerstaats mit Problemen

Die alte Tschechoslowakei der Ersten Republik gibt es nicht mehr. Von der Gründung 1918 bis zur Trennung der von der Slowakei 1993 durchlief der tschechoslowakische Staat viele Metamorphosen – auch territoriale. Fast jedes Mal mussten dabei auch die Staatswappen verändert werden. Normalerweise schraubte man dafür bei öffentlichen Gebäuden eine Plakette von der Wand und ersetzte sie. Nur der Tatsache, dass es so massiv in Stein gemeißelt wurde, verdankt dieses alte Wappen aus der Zeit nach 1920, dass es noch immer die Fassade des tschechischen Finanzministeriums in der Letenská 525/15 in Prag 1 schmücken darf. Eine Seltenheit!

Und ein besonders großes und prachtvolles Exemplar ist es obendrein. Das bietet die Gelegenheit ein paar Worte der Erklärung zu diesem Staatswappen zu verlieren und auch zu dem Gebäude, an dem es sich befindet. Fangen wir bei dem Wappen an. Am 29. Februar 1920 wurde die Festlegung von Flagge und den Wappen zusammen mit der am selben Tage verabschiedeten Verfassung der Tschechoslowakei beschlossen. Obwohl diese Verfassung explizit nicht föderativ, sondern recht zentralistisch angelegt war, trug man bei der Gestaltung des Wappens der Tatsache Rechnung, dass die Tschechoslowakei sich zwar ein wenig wie ein Nationalstaat gerierte, aber realiter ein Vielvölkerstaat war. Also wurden die Landesteile mit den verschiedenen Bevölkerungen in das Wappen einbezogen.

Das wird im Bild unten kurz illustriert. Im Kern sieht man hier ein Bündel von fünf Landeswappen. Wie es dargestellt wurde, und was dabei fehlt, deutet bereits auf Probleme hin, mit denen sich die Erste Republik sehr bald, oft mehr schlecht als recht herumschlagen musste.

Bleiben wir erst einmal bei dem, was man hier sieht. Bei dreien der fünf Wappen war es recht einfach, sie zu gestalten, denn sie waren Traditionswappen von einstmals im Verlauf der Geschichte souveränen oder zumindest politisch klar definierten Territorialhoheiten – als da waren Böhmen (Königreich), Mähren (Markgrafschaft) und Schlesien (Herzogtum). Bemerkenswert ist, dass der Böhmische Löwen als Wappentier (über ihn berichteten wir hier) so zentral über die vier anderen Wappen gesetzt wurde, dass er diese teilweise sogar verdeckt. Irgendwie macht das schon klar, wo damals „die Musik spielte“. In allen Regierungen der Republik hatten Böhmen die absolute Mehrheit. Die „Kern-Tschechen“ sahen sich als die Elite des Landes, die es sich zur exklusiven Aufgabe gesetzt hatte, die anderen Landesteile erst einmal „voranzubringen“. Das berühmte Pittsburgh Agreement, das eigentliche „Gründungsdokument“ der Tschechoslowakei, das in Präsenz des späteren ersten Präsidenten Tomáš Garrigue Masaryk noch während des Ersten Weltkriegs im März 1918 von Exilanten unterzeichnet wurde, sah noch ein föderatives Staatswesen mit vielen Selbstbestimmungsrechten insbesondere der Slowaken vor. Als nach dem Ende des Krieges und des Habsburgerreichs im Oktober die Unabhängigkeit kam, erwies sich dieses Versprechen als Makulatur. Ein böhmisch bestimmter Zentralstaat mit Anspruch, ein richtiger Nationalstaat zu sein, wurde errichtet. Da es sich in Wirklichkeit um einen Vielvölkerstaat handelt, barg das viel politischen Sprengstoff in sich, der am Ende der Republik die Existenz kostete.

Von den vier vom böhmischen Löwen überdeckten Wappen gehören zwei allerdings tatsächlich zu den Traditionsländern der früheren böhmischen Krone. Der Adler unten links, der in farbiger Darstellung rot-weiß kariert wäre, ist der Adler von Mähren. Mähren war schon im Jahre 1019 lehensrechtlich mit der böhmischen Krone verbunden worden. Auch als es 1182 eine dem Heiligen Römischen Reich unmittelbare Markgrafschaft wurde blieb das so. Meist war böhmische König auch zugleich mährischer Markgraf (wenn es nicht ein Verwandter war). Diese lange Historie mag erklären, warum es ab und an so etwas wie Autonomiebewegungen in Mähren gibt, aber die Mährer sich insgesamt an den Böhmen untergeordnetet Status gewöhnt zu haben scheinen. Der Adler unten links ist der schlesische Adler – schwarz mit Silbermond auf der Brust. Auch das im Norden Tschechiens gelegene Schlesien (heute in eine böhmische und mährische Hälfte aufgeteilt) war in Teilen schon im späten 9. Jahrhundert von Böhmen beherrscht worden. Heute gehört der nördlichere Teil zu Polen. Die heutige Nordgrenze des tschechischen Schlesiens wurde im wesentlichen durch den Österreichischen Erbfolgekrieg (1741-48) mit Preußen gezogen. Auch hier ist die Unterstellung zu Böhmen historisch schon lange festgeschrieben.

Anders ist es mit den beiden oberen Wappen. Etwa das der Slowakei – ein Patriarchen- oder Doppelkreuz über einem Dreiberg. Beide Symbole lassen sich aus der Geschichte des ungarischen Königtums ableiten. Denn: Irgendein eigenes Wappensymbol, das die Staatlichkeit der Slowakei begründete gab es vor der Unabhängigkeit der Tschechoslowakei nicht. Vorgängerentwürfe gab es allerdings während des Aufstandes gegen die Ungarn im Zuge der Revolution von 1848. Aber es weist auf ein Problem der Tschechoslowakei hin. Das Gebiet der Slowakei war seit dem frühen 10. Jahrhundert Teil Ungarns. 1920 bekam die Tschechoslowakei nach einem kurzen Krieg (1919) große Gebiete Ungarns im Frieden von Trianon zugesprochen. In großen Teilen des zugesprochenen Gebiets gab es fast reine ungarische Bevölkerungen und kaum Angehörige des „slawischen Brudervolks“ der Slowaken. Dass sie von den böhmischen Tschechen (laizistisch/progressiv/urban) politisch dominiert wurden, fand unter den Slowaken (mehrheitlich streng katholisch/rural/konservativ) nicht nur positive Resonanz, und erleichterte es wohl, dass sie beim Einmarsch der Nazis in Prag 1939 recht schnell ihre Eigenstaatlichkeit als Verbündeter Hitlers erklärten. Die Dominanz des böhmischen Löwen auf dem tschechoslowakischen Wappen steht daher für eines der großen strukturellen Probleme der Ersten Republik.

Und dann noch ein anderes Wappen eines Landesteils mit keiner eigenstaatlichen Geschichte und auch keiner historischen Verbindung zu Böhmen, das aber trotzdem in die Tschechoslowakei eingegliedert wurde, die ihre Landesteile mit böhmischen Zentralismus regierte: Das Bären-Wappen von Transkarpatien. Die heute ukrainische Region Transkarpatien war auch seit dem 10. Jahrhundert Teil Ungarns, die beherrschte Bevölkerung war aber mehrheitlich ruthenisch (und sprach eine dem Ukrainischen verwandte Sprache). Eine nationalistische Bewegung der Ruthenen bestand seit dem 19. Jahrhundert, war aber vergleichsweise schwach. Man fühlte sich mit der ukrainischen Nationalismus verbunden. Als Ungarn nach dem Krieg mit der Tschechoslowakei 1919 auch dieses Gebiet verlor, war aber die Ukraine gerade dabei in Bürgerkriegen, Kriegen mit Polen und der Sowjetunion zu versinken. Zudem wollten die Alliierten des Weltkriegs, dass das durch den Vertrag von Trianon territorial dezimierte Ungarn auch von verlässlichen Bündnispartnern „umzingelt“ werden solle, wozu man die Tschechoslowakei zählte. Und da die Tschechoslowakische Republik trotz ihres Zentralismus einen im Vergleich zu allen Alternativen recht liberalen Umgang versprach, wurde dies auch von den Ruthenen akzeptiert. Das an für sich historisch merkwürdige gemeinsame Glück endete 1939, als Hitler die Tschechoslowakei zerschlug und Transkarpatien wieder Ungarn zuschlug. Um dem zu entgehen, riefen die Transkarpaten-Ruthenen ihre eigene Republik aus, die aber von ungarischen Truppen innerhalb eines Tages besetzt wurde. 1945 fiel das Gebiet kurz wieder an die Tschechoslowakei zurück, die aber schon im nächsten Jahr mit „Nachdruck“ dazu gebracht wurde, es an die Sowjetunion abzutreten. Heute gehört das Gebiet zur Ukraine (wo es kulturell auch irgendwie hingehört) und führt als Landesteil seit 2009 wieder den Bären und die blau-gelben Streifen im Wappen, die man schon im tschechoslowakischen Wappen von 1920 fand. Als im Februar 2022 Putins Armee in die Ukraine einfiel, hisste man in Tschechien selbstredend überall die ukrainische Fahne hier und unterstützte die Ukrainer nach Kräften, denn irgendwie ist aus der kurzen Episode des tschechoslowakischen Transkarpatien eine große Grundsympathie der Tschechen für die Ukraine erwachsen (siehe Bild oberhalb links).

Der transkarpatische Wappenteil mit dem Bären verschwand kurioserweise übrigens erst 1960 aus dem Wappen der Tschechoslowakei. Und nach der Trennung von der Slowakei 1993 verschwand auch deren Wappen aus dem Wappen, sodass heute nur noch zwei böhmische Löwen (Böhmen dominiert immer noch einen zentralistischen Staat) und je einmal der mährische und schlesische Adler zu finden sind. Noch zu erwähnen: Interessant an dem Wappen von 1920 ist natürlich auch, dass man den großen deutschsprachigen Gebieten keinen Platz auf dem Wappen zugestand, obwohl die Deutschen die zweitgrößte Bevölkerungsgruppe waren. Und den Ungarn, die in den Slowakischen Landesteilen in großen Arealen die Mehrheit bildeten, auch nicht. Psychologisch geschickt war das zumindest nicht und war zumindest sichtbares Indiz für die am Ende doch eher missglückte Minderheitenpolitik der Ersten Republik. Aber wie dem auch sei, nach 1920 schmückte das Wappen die öffentlichen Gebäude des Staates. So auch – bis heute – das Finanzministerium. Die kleinere Tafel mit dem aktuellen Wappen (Bild oberhalb rechts) macht natürlich klar, was heute Sache ist, und dass das alte Wappen hier nur als Teil eines denkmalgeschützten Gebäudes erhalten wurde.

Das Gebäude selbst wurde im Jahr 1928 nach den Plänen der Architekten František Roith (dem wir u.a. das stilgleiche Gebäude der Nationalbank und die Residenz des Prager Bürgermeisters verdanken) und Karel Pecánek im Stile eines schon recht modern angehauchten Klassizismus fertiggestellt. Da es mitten in der alten Kleinseite liegt, trifft auch die naheliegende Vermutung zu, dass hier an der Stelle früher ein anderes Gebäude stand. Es steht nämlich auf dem alten Palast oder Hof des Bischofs von Prag, der 1248 erstmals erwähnt wurde. 1655 erwarben es die Nonnen des Karmeliterordens, um hier 1663 ihr Kloster zu eröffnen. Das ging gut, bis durch die Kirchenreformen Kaiser Josephs II das Kloster 1782 enteignet und säkularisiert wurde. Das wurde nach einer Weile rückgängig gemacht, aber der Orden verkaufte 1829 Teile des Grundstücks, so dass hier ein Geschäftshaus entstand. 1906 kamen nach einem Teilabriss noch Mehrfamilienhäuser dazu. Schließlich, im Jahre 1921, verkaufte der Orden die restlichen Liegenschaften, die er schon lange nicht mehr selbst nutzte – er war nämlich ins Kloster der Kirche des Heiligen Benedikt (Kostel sv. Benedikta) am westlichen Ende des Burgplatzes umgezogen. Für 7 Millionen Kronen ging es nun an den neu gegründeten Staat. Der brauchte Räumlichkeiten für sein Finanzministerium, das seit 1918 beengt im barocken Clam-Gallas Palais (Clam-Gallasův palác) in der Altstadt provisorisch residierte und ständig irgendwelche zusätzlichen Büros anmieten musste. Jetzt machte man Nägel mit Köpfen.

Von der Rückseite hat der Finanzminister übrigens einen schönen Ausblick auf den ehemaligen Klostergarten, der heute als Vojan Park (Vojanovy sady) eine öffentliche Grünanlage ist (wir berichteten) – und umgekehrt sieht man das Finanzministerium dort. Dort ist die Fassade immer noch barock angepasst zum ursprünglichen gehalten, wie die Architekt damals überhaupt darauf achteten, dass das neue Gebäude die Vorgeschichte nicht gänzlich auslöschte. Auch im Inneren wurde Teile des Klosterbaus (etwa das ehemalige Äbtissinnenbüro mit einer einzigartig bemalten Kassettendecke) erhalten.

Ach ja, und das große steinerne Wappen ist gar nicht so selbstverständlich noch an dieser Stelle. Als 1939 Hitlers Truppen in Prag einmarschierten, hätten die dieses Relikt einer verhassten Republik sicher gerne zerstört. Doch eifrige Mitarbeiter des Ministeriums montierten es als Symbol ihrer Freiheit schnell noch ab und versteckten es mit Erfolg bis zum Kriegsende, worauf es dann wieder anmontiert wurde. (DD)

Václav Havels erste Inhaftierung

Nein, eigentlich sieht dieses Haus nicht nach einem Gefängnis aus. Trotz des Gitters zum Innenhof. Lebte er heute noch, könnte Václav Havel jedoch erzählen, wie schrecklich es unten im Keller des Gebäudes vor dem Freiheitsjahr 1989 zuging. Hier war er zum ersten Mal inhaftiert worden. Der mutige Dissident gegen die Kommunistenherrschaft, der dann nach dem Ende der Tyrannei 1989 der erste demokratisch gewählte Präsident wurde, sollte noch so ziemlich jedes Gefängnis des Landes kennenlernen.

Das Gebäude in der Bartolomějská 308/9 ist heute ein gepflegtes und hübsches Hotel. Und dem Haus war auch nicht in die Wiege gelegt worden, dass Havel (und unzählige andere Dissidenten) dereinst hier im Keller von der Staatssicherheit (StB) in kleinen Zellen eingesperrt werden sollten. Nicht nur einmal soll er hier festgehalten worden sein, meist nur für Verhöre und zur Untersuchungshaft. Dabei hatte das Haus zweistöckige Gebäude ursprünglich einem frommen und guten Zweck gedient. Es diente als ein Nebengebäude des Konvikt mit der kleinen Bartholomäuskirche (konvikt s kostelem sv. Bartoloměje), einer Internat, das zunächst von den Jesuiten betrieben wurde. Es zwischen 1726 und 1731 wurde es nach Plänen des bedeutenden Barockarchitekten Kilian Ignaz Dientzenhofer erbaut, der das barocke Prag so geprägt hat, dass wir ihn schon u.a. hier, hier, hier und hier erwähnten. Ab 1853 residierte hier die Kongregation der Schwestern von der hl. Elisabeth (bisweilen auch die „Grauen Schwestern“ genannt), die den ganzen Komplex als Kloster nutzte. Auf dem Bild links sieht man den Eingang der Klosterkirche neben dem Gebäude 308/9.

1949, schon ein Jahr nach ihrer Machtergreifung, zerschlugen die Kommunisten den Orden und die Schwestern wurden verschleppt. Im Jahr darauf zog der StB hier ein, der direkt nebenan in der Bartolomějská 306/7 sein großes Hauptquartier hatte – ein funktionalistischer Bau aus den Jahren 1936-42, den man wegen seiner Kachelung auch manchmal spöttisch als kachlíkárna (Kachelbude) bezeichnete (wir berichteten im vorherigen Beitrag). In dem nicht im Geringsten als dazugehörig aussehenden barocken Gebäude Nr. 308/9 fanden meist Verhöre statt und es wurden im Keller sieben Zellen für die zu verhörenden männlichen Untersuchungshäftlinge eingerichtet. Und eine davon trug die Nummer P06.

Der prominenteste Insasse von P06, Václav Havel, wurde vom StB am 7. Januar 1977 hier das erste Mal eingeliefert. Am Tag zuvor war es ihm mit einigen Mitstreitern gelungen, die Charta 77 geschickt in die (vor allem auch westliche) Weltpresse zu platzieren. Es war der eigentliche Beginn einer größeren Dissidentenbewegung. Die Charta erinnerte daran, dass die Staaten des Warschauer Paktes – und damit auch die Tschechoslowakei -in der Schlussakte von Helsinki (1975) sich zur zur Einhaltung der „Menschenrechte und Grundfreiheiten, einschließlich der  Gedanken-,  Gewissens-,  Religions-  oder  Überzeugungsfreiheit  für  alle  ohne  Unterschied  der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion“ verpflichtet hatten. Schon alleine, weil die Gruppe das Manifest erfolgreich an die westliche Presse geschleust hatte, wo es enormes Furore machte, sah sich das Regime bedroht und schlug hart zu. Etliche Unterzeichner landeten erst einmal im Gewahrsam der Staatssicherheit.

Erst im Mai wird Havel aus der Untersuchungshaft entlassen und bald darauf zu 14 Monaten Haft wegen „Schädigung der Interessen der Republik im Ausland“ auf Bewährung verurteilt,. Er wird nicht das letzte Mal sein, dass man den ungebrochen Widerständigen einsperrt. Er lernt viele Gefängnisse im Lande kennen. 1978 gründet er mit anderen Charta-Mitgliedern das Komitee für die Verteidigung zu Unrecht Verfolgter (Výbor na obranu nespravedlivě stíhaných; Abk.: VONS) und landet darob wieder in der Untersuchungszelle in der Bartolomějská und wird anschließend sechs Monate unter Hausarrest gestellt. Kaum ist die vorüber, verurteilt man ihn (und etliche Mitstreiter) im Mai 1979 zu 4,5 Jahren Gefängnis, die er zuerst im Gefängnis im mährischen Ostrava-Heřmanice, dann ab 1981 im Gefängnis in Bory bei Pilsen absitzen muss, wo er die Häftlingsnummer 2789 trägt. Hier schrieb er seine erschütternden, aber von Freiheitswillen getragenen Briefe an Olga, seine Frau und mutige Mitstreiterin. Wegen der unmenschlichen Haftbedingungen begann seine seine Gesundheit dramatsich zu leiden. Nur seine mittlerweile große internationale Berühmtheit (die auch seiner schriftstellerischen Tätigkeit geschudet ist) retten ihm das Leben. Heftige Proteste aus dem Ausland führen zur vorzeitigen Freilassung.

Für eine zeitlang steckt man ihn nun aus Furcht vor negativer Publicity nicht mehr ins Gefängnis. Selbst seine recht öffentlich und provokant inszenierte Urlaubsreise nach Bratislava 1985, wo er Freunde aus der Dissidentenszene, wie etwa die Schauspielerin Vlasta Chramostová, besucht – ein Ereignis, das 2004 in dem Film Občan Havel jede na dovolenou (Bürger Havel geht auf Urlaub) mit Havel selbst nachgestellt wird – führt nicht ins Gefängnis, sondern „nur“ zu zwei kleinen Verhören durch die Polizei. So geht es bis zum Oktober 1988. Da hält er bei einer eigentlich erlaubten Kundgebung eine allzu regimekritische Rede und wird Gefängnis von Ruzyně (Prag 6) für fast eine Woche eingesperrt. Schon im November landet er wieder dort für vier Tage, weil er auf einen internationalen Symposium Československo ´88 (Tschechoslowakei 88) teilgenommen hatte, an dem viele Dissidenten erstmal öffentlich mit westlichen Intellektuellen diskutiert hatten.

In Januar 1989 jährt sich der Tod von Jan Palach zum 20. Male, jenem Studenten, der sich gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings selbst verbrannt hatte (wir berichteten u.a. hier und hier). Havel nahm an einer illegalen Gedenkveranstaltung teil und diesmal wollten die Kommunisten wieder einmal ein Exempel statuieren. Für neun Monate sollte er ins Prager Gefängnis Prag Pankrác ab Februar gesperrt werden. Aber die Samtene Revolution und das Ende des kommunistischen Schreckens stand schon vor der Tür. Schon im Mai wird er – auch aus Gesundheitsgründen – nach Protesten im In- und Ausland wieder freigelassen. Es sollte das letzte Mal sein, dass Havel inhaftiert wird. Im Dezember wird er der erste nicht-kommunistische Präsident seit 1948 und führt das Land in die Freiheit.

Es gibt also viele potentielle Gedenkstätten, die an die ebenfalls vielen Inhaftierungen Havels erinnern könnten. Aber der Untersuchungszelle in dem gar nicht gefängnisartigen Haus in der Bartolomějská gebührt die „Ehre“ die erste von ihnen zu sein. Das Haus gehört übrigens nicht mehr der Staatssicherheit, die ja gottlob sofort nach dem Sturz des Kommunismus aufgelöst wurde. Es wurde an die Kirche restituiert und die Nonnen des Konvikts versuchten zuerst in diesem Teil des Klosterkomplexes eine kleine Pension – insbesondere für fromme Pilger – einzurichten, wozu man das Gebäude 1992 erst einmal teuer renovierte. Dazu gab es auch Zuschüsse gemeinnütziger Stiftungen, wie etwa dem Prague Heritage Fund, den kein Geringerer als Prinz Charles gegründet hatte, der dann hier 1993 auch zusammen mit Václav Havel auftauchte und sich von diesem die Geschichte seiner er Inhaftierung erzählen ließ. Und, wie oben gesagt, tauchte Havel noch einmal 2004 zu den Dreharbeiten zu Občan Havel jede na dovolenou hier auf. In der bestehenden Form ließ sich die Pension allerdings anscheinend kaum rentabel aufrecht erhalten, so dass sie 2006 noch einmal renoviert und umgebaut wurde. Seither wird das Gebäude als Hotel Unitas voll professionell betrieben, wozu es sich eigentlich schon wegen der Altstadtlage und der Hübschen Barockarchitektur hervorragend eignet.

Das Hotel hat die Zelle P06 im Keller wohl weitgehend erhalten. Nur das primitive Stehklo wurde demontiert, aber das Waschbecken ist noch original. Klein und eng ist der Raum. Trotzdem wurden hier vier bis sechs Pritschenbetten hereingestellt. Die wurden in der Zeit der Nutzung der Zelle durch die Staatssicherheit tagsüber an die Wand gelehnt, damit für die Insassen überhaupt Platz war. Um 22 Uhr wurden sie wieder auf Befehl zum Schlafen hergerichtet. Für Havel war dies hier der Vorgeschmack für das, was ihm noch weiter wiederfahren sollte.

Anscheinend zeigt das Hotelmanagement ab und an ausgesuchten Besuchern die Zelle im Keller. Meine Anfragen per Mail wurden allerdings nie beantwortet. Deshalb gibt es für diesen Beitrag nur Photos des Gebäudes von außen. Und das lässt heute nichts von dem Erahnen, was sich hier dereinst abspielte. (DD)

Mährische Selbstbehauptung in Prag

Ja, auch in Prag, im Herzen Böhmens, sieht man ab und an den Mährischen Adler auf Fassaden und Amtsschildern. Dann aber meist als Teil des großen Staatswappens der Tschechischen Republik, wo er dem stolzen  Böhmischen Löwen (wir berichteten) klar untergeordnet ist.

Alleine für sich genommen gilt der Mährische Adler für die leider sehr zentralistisch gestimmten Prager schon fast als anrüchiges Symbol des Autonomismus. Aber hier an der Fassade dieses vierstöckigen Wohn- und Mietshauses in der Široká 117/22 im Stadtteil Josefov, wo einst das jüdische Ghetto lag, dass sich Ende des 19. Jahrhundert zur Luxusmeile entwickelte (wir berichteten bereits hier), wird das Mährentum mit stolzem Banner vorangetragen. Es handelt sich, wie ein großes Hausschild in Stuck zeigt, schließlich um das Haus zum Wappen der Markgrafschaft Mähren (dům U znaku Markrabství moravského).

Warum das im Jahre 1902 fertiggestellte neobarocke Haus in Namen und Symbolik diesen Bezug zur Markgrafschaft Mähren hat, habe ich (noch?) nicht herausfinden können. Aber natürlich ist klar, dass Mähren in der Geschichte der Tschechen eine große Rolle spielt. Ursprünglich, im 9. Jahrhundert, war Großmähren das erste echte Staatswesen in der westslawischen Welt, wurde aber danach schrittweise von der Herrscherdynastie der Přemysliden aus dem benachbarten Böhmen übernommen, das nach dem Untergang Großmährens die regionale Hegemoniemacht wurde. Ab 955 war es Teil der Ländereien des böhmischen Herzogtums. Als Mähren 1182 zur Markgrafschaft erhoben wurde, wurde es dadurch ein reichsunmittelbares Grenzgebiet des Heiligen Römischen Reiches, aber die Unterordnung unter Böhmen wurde 1197 bekräftigt. Meist wurde Mähren von Verwandten des jeweilgen böhmischen Herrscher in dessen Auftrag regiert, was auch nach dem Aussterben der Přemysliden unter den folgenden Dynastien so blieb – letztlich bis zum Untergang des Habsburgerreichs im Jahre 1918.

Das Wappen der Markgrafschaft taucht anscheinend erstmals im ersten Drittel des 13. Jahrhunderts auf einem Siegekl des Markgrafen Přemysl von Mähren auf, dem jüngsten Sohn von Böhmens König Otakar I. Přemysl. Da an dem Siegel der Zahn der Zeit genagt hat, ist man da nicht so ganz sicher. Aber definitiv taucht der Mährische Adler 1272 im Stadtwappen der Stadt Znojmo (Znaim). Unter Böhmens König Otakar II. Přemysl (zugleich Markgraf) hatte sich im Prinzip die hier gezeigte und bis heute gültige Form allgemein kodifiziert: Blauer Hintergrund, Adler mit rot-weißen Schachmuster (Bedeutung nicht so recht geklärt) und meist mit Krone (die beim Bild oben fehlt). Ab dem 15. Jahrhundert tauchte ab und an eine Variante mit rot-goldenem Schachmuster auf. Bei der Darstellung auf der Hausfassade in der Široká dürfte das nicht der Fall sein, aber die rote Farbe scheint verwittert zu sein.

Obwohl die mährische Geschichte immer eng mit der Böhmens verwoben war, gab es dorch stets auch deutliche politische und kultruelle Unterschiede. Viele prägende Entwicklungen Böhmen fanden hier wenig Niederschlag, etwa das Böhmen sehr prägende Hussitentum im frühen 15. Jahrhundert. Während Böhmen eine recht irreligiöse und industrialisierte Region ist, ist Mähren katholisch und ländlich bestimmt (erklärt das etwa das Kreuz auf dem Helm auf der Fassade des Hauses?). Ab und zu führen sie zu Diskussionen über eine föderale oder dezentrale Struktur im Lande, was besonders nach der Samtenen Revolution von 1989 und dem Ende des Kommunismus der Fall. Damals gelangten Vertreter regionalistischer Gruppen sogar ins Parlament. Nach einer Weile hatte sich aber die zentralistische Tradition der Tschechoslowakei wieder durchgesetzt und die Bestrebungen verebbten, sind aber immer noch latent vorhanden. Das kann man als verpasste Chance für eine dezentralere und bürgernähere Politik sehen. Aber auf jeden Fall reichen die Unterschiede tief in die Geschichte zurück. Umso mehr überrascht dieses Stück mährischer Selbstbehauptung hier mitten in Prag. (DD)

Generalissimus im Hinterhof

Nachdem er hoch oben in den Schweizer Bergen jene militärische Leistung vollbracht hatte, die ihm eine größere Fußnote in der Geschichtsschreibung sicherte, ruhte er sich etwas über einen Monat in Prag von den Strapazen aus: Alexander Wassiljewitsch Suworow.

Der russische Feldmarschall und Generalissimus kämpfte 1799 im Zweiten Koalitionskrieg mit seinen Truppen in Italien gegen Napoleon. Die verbündeten Österreicher und Briten wünschten jedoch, dass sich der militärische Druck auf die französischen Truppen nach Österreich verlagern solle, weshalb Suworow mit seinen (im Gebirgskampf ungeübten) Truppen durch die Schweiz (damals unter Kontrolle Napoleons) ins Habsburgerland ziehen sollte. Suworow schaffte am 24. September nach Gewaltmärschen die Eroberung des Gotthardspasses. Kurz darauf wurde er im Muotatal von französischen Truppen eingekreist, schaffte es trotz der Erschöpfung seiner Truppen, sich wieder freizukämpfen und erreichte mit unzähligen Gefangenen Österreich. Das war eine grandiose militärische Leistung, obwohl sie militärisch von geringem Nutzen war, denn in Österreich war das Hauptgeschehen schon vorbei. Dass Suworow zu spät kam, hatten sich die Ösis teilweise selbst zuzuschreiben, da sie den verbündeten Generalissismus mit falschem Kartenmaterial (mit eingezeichneten Wegen, die es nicht gab) und nicht der versprochenen Menge Lasttieren versorgt hatten.

Wie dem auch sei: Erschöpft zog sich Suworow danach mit seinen Truppen im Dezember 1799 nach Böhmen zurück. Ein Generalissimus und Kriegsheld übernachtete hier natürlich nicht in einer Kasernenbaracke. Vielmehr war er zu Gast in einem echten Palais in der heutigen Narodní 37/38 in der Neustadt. Heute wird das Gebäude Porges und Portheim-Palast (palác Porgesů z Portheimu) genannt – nach der Unternehmerfamilie Porges von Portheim, die es 1869 erwarb. Oben an der Fassade sieht man noch die hübsch aufbereiteten Initialen EPR, die für Eduard und Rosa Portheim stehen – die Käufer. Zu Suworows Zeiten hieß es aber noch Desfours Palast (Desfourský Palac), denn das frühklassizistische Gebäude wurde ursprünglich 1762 bis 1776 in den Jahren anstelle dreier mittelalterlicher Häuser für Maximillian Joachim Karl Graf Desfours durch den Architekten Johann Ignaz Palliardi erbaut.

Als Suworow hier sich von den Schweizer Strapazen erholte, war er allerdings schon Gast von Jakob Wimmer (den wir bereits hier erwähnten), der den Palast schon 1795 erworben hatte (damals redete man auch vom Wimmerův dům). Der war ein reicher Grundbesitzer, Unternehmer und Mäzen. Aber er hatte auch einmal den militärischen Rang eines Obersts bekleidet. Suworow und er dürften sich verstanden haben. Am 28 Januar 1800, also heute vor 222 Jahren, reiste Suworow ab – zurück ins heimische St. Petersburg, wo er schon im Mai des selben Jahres verstarb. Der Nachwelt blieb er als der Mann, der hoch in den Bergen tapfer der napoleonischen Bedrohung Europas entgegenstand. Es wurden ihm viele Denkmäler gesetzt, nicht zuletzt das berühmte Suworowkreuz am Gotthardpass bei Andermatt.

Und da er nun einmal auch einen Monat in Prag verbrachte, gedachte man auch hier seiner. So kann der Passant an der Außenfassade des Porges und Portheim-Palastes heute eine kleine Gedenktafel sehen, die 2001 von dem Bildhauer Pavel Filip gestaltet wurde. „In diesem Haus hielt sich vom 20. Dezember 1799 bis zum 28. Januar 1800 der berühmte Kriegsherr Alexander Wassiljewitsch Suworow auf“, heißt es da auf Tschechich und Russisch. Die Tafel ist nicht besonders erhebend oder beeindruckend. eher arg schlicht. Dahinter steht ein wohl Politikum, das die Gemüter eine kurze zeitlang bewegte. Ab 1947 hatte sich nämlich auf der Fassade eine durchaus stattliche Denkmalsbüste befunden – ein Werk des Bildhauers Lubomír Boček. Die gibt es immer noch, aber sie wurde 2001 bei Renovierungsarbeiten in den Hinterhof verbannt, was zu bösen Kommentaren in der russischen Presse führte. Außen wurde darob die Tafel als „Ersatz“ angebracht.

Man kann aber den Hof betreten und sich dann fragen, warum der alte Generalissimus jetzt ein Schattendasein fristen muss. Vielleicht war man bis 1947 (ein Jahr bevor die Machtübernahme der Kommunisten mit Hilfe der Sowjets alle Illusionen zerstörte) in der Tschechoslowakei, die bis dato nie mit Russland in Konflikt geraten war, noch nicht sonderlich gegen die Russen eingenommen. Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings von 1968 und der Okkupation durch die Sowjets gab es da wohl einen Stimmungsumschwung. Vielleicht erinnerte man sich, dass Suworow, bevor er Europa vor Napoleon verteidigte, aber auch Freiheitsbewegungen in anderen Ländern niedergeschlagen hatte – etwa den Kościuszko-Aufstand in Polen 1794.

Wie dem auch sei, Suworow ist nun in einem versteckten Winkel des Hofs untergebracht. Der politische Ärger von 2001 wurde ganz typisch tschechisch ausgesessen und ist mittlerweile vergessen. Und Suworow wirkt auch hier immer noch ganz und gar wie der Held, der die Alpen bezwang. (DD)

Die Gifthütte – ein Ort der Legenden

Das 1932/33 im damals hochaktuellen Stil des Funktionalismus von Architekt Josef Kalous – immerhin der Erbauer der berühmten Messehalle in Brno – erbaute dreistöckige Wohnhaus in der Apolinářská 445/6 (Prag 2) mag nicht besonders spektakulär aussehen. Aber Geschichte dahinter ist es schon.

Denn hier stand dereinst die Jedová Chýše – die Gifthütte! Das war ein Ort, um den sich schaurige Mythen rankten. Die Gifthütte, das war eine Taverne mit üblem Ruf, deren Ursprünge sich in den Untiefen des Mittelalters verlieren. Beten macht Durst und so wurde die Kneipe wohl schon um 1362 eröffnet, als direkt in der Nachbarschaft die Kirche St. Apollinaris (Kostel svatého Apolináře) erbaut wurde. Und schon damals verbreiteten sich Geschichten um sie, dass in der Umgebung auffallend viele Morde und Überfälle stattfanden. Noch im 16. Jahrhundert soll der berühmte Golem des Rabbi Löw hier Bösewichte bestraft haben.

Eine von den vielen Sagen und Mythen der Zeit mag der Gifthütte den Namen gegeben haben. Wenn es denn stimmt. Jedenfalls besagt eine Legende, dass Anfang des 15. Jahrhunderts König Wenzel IV. als „normaler“ Bürger verkleidet in dieser Taverne einkehrte, die damals noch ganz unschuldig Na vinici (Zum Weinberg) hieß. Dort erkannte er zwei Übeltäter, die ihn vor einiger Zeit mit einem Gift umbringen wollten. Während die beiden bei einem Tanz abgelenkt waren, befahl der König seinem Henker, ihnen Gift in den Wein zu geben. Die beiden tranken den Wein und verendeten qualvoll. Seither, so heißt es, habe die Taverne Gifthütte geheißen. Es gibt aber auch andere (glaubwürdigere) Mutmaßungen über den Ursprung des Namens. Im 19. Jahrhundert wurden in der unmittelbaren Umgebung etliche Gebäude der Medizinischen Fakultät der Karlsuniversität erbaut. Danach kehrten hier gerne Medizinstudenten ein, die im Ruf standen, mit allerlei Giften zu hantieren. Aber das ist natürlich keine so schöne Legende, wie die mit dem alten König Wenzel.

Auf jeden Fall war zu diesem Zeitpunkt die Jedová Chýse eine wüste Kneipe. Im späten 19. Jahrhundert kam es immer wieder zu Schlägereien zwischen tschechischen und deutschen Studenten – ein böses Omen für die kommenden Übel des Nationalismus. Es heißt, der Wirt habe Angst gehabt, dass ihm ständig Besteck gestohlen werde. Deshalb aßen die Gäste gemeinsam Suppe aus einer im Holztisch eingekerbten Mulde und die billigen Holzlöffel waren am Tisch angekettet. Nach heutigen Standards eine etwas unhygienische Angelegenheit… In diesen Zeiten war aber die Gifthütte bereits die älteste Kneipe Prags und eine Legende, die immer neue Legenden gebahr. Etwa die, dass sich hier Mathieu Dreyfuss versteckt hielt, der Bruder des berühmten französischen Offiziers Alfred Dreyfus, der in Frankreich aufgrund von gefälschten Beweisen und einer großen Dosis Antisemitismus zu Unrecht wegen Landesverrat in den Kerker gesteckt worden war (Dreyfuss Affaire). Dass Mathieu Dreyfuss, der in Frankreich eine energische Kampagne zur Freilassung seines Bruders lancierte, tatsächlich zu dieser Zeit in Prag war, kann allerdings herzhaft bezweifelt werden.

Der Status, ein wahrer Mythos unter den Prager Schänken zu sein, erwies sich aber am Ende als geringer Schutz für die Gifthütte. Im Jahre 1926 erlebte sie noch einmal einen neuen Höhepunkt, als etliche Szenen der ersten Verfilmung des berühmten Romans vom guten Soldaten Schwejk (Dobrý voják Švejk), die sogar noch ein Stummfilm war (Filmausschnitt hier), hier gedreht wurden. Noch in den 1970er Jahren tauchte die Gifthütte in den Kriminalgeschichten von Jiří Marek, die in den 1920er Jahren spielen, immer wieder als Ganoventreff auf (etwa in der Sammlung Panoptikum sündiger Leute, 1974). Aber da war die Gifthütte bereits Vergangenheit. Im Jahre 1927 kaufte der Mediziner Professor Antonín Heveroch, ein berühmter Psychater und Neurologe, das Gebäude, um hier ein zusätzliches Klinikgebäude zu erbauen. Kurz vor Kaufabschluss warnte man ihn, dass das Haus verflucht sei. Er schlug die Warnung in den Wind und kurz darauf verstarb er plötzlich und unerwartet. Nun ja. Aus dem Klinikplan wurde nichts. Stattdessen entstand das von Kalous gebaute funktionalistische Mietshaus. Das sieht, wie gesagt, unspektakulär aus. Das passt. Denn die Umgebung gilt heute wegen ihrer ruhigen Lage eine der besseren und teuereren Wohngegenden Prags. Damit zog eine gewisse gepflegte Langeweile im Umfeld ein. Die turbulente Welt der Gifthütte ist unwiderbringlich passé. (DD)

Böse Botschaft

Hinter hohen Mauern und Gittern kann das Böse ungestört seine Ränke schmieden. Hier in dieser abgeschieden wirkenden Villa fasste vor genau 100 Jahren, am 9. Dezember 1922, das Evil Empire, die Sowjetunion, erstmals ein wenig Fuß in Prag.

Die Beziehungen der Ersten Tschechoslowakischen Republik zum Roten Reich waren zu Beginn definitiv eher unfreundlich. Noch bis September 1920 hatten die Tschechoslowakischen Legionen des Ersten Weltkriegs (über die berichteten wir bereits u.a. hier, hier, hier, hier und hier) sich mit der Roten Armee in Sibirien Gefechte geliefert. An reguläre diplomatische Beziehungen mit einem Staat, der alle demokratischen Grundsätze verachtete, war nicht zu denken. Und man wollte auch keine Alleingänge gegenüber den westlichen Alliierten. Sowohl Frankreich als auch Großbritannien sollten die UdSSR erst 1924 anerkennen, die USA sogar erst 1933. Aber die Realität forderte doch kleinere Konzessionen. Also ließ man im gegenseitigen Einvernehmen offizielle Handelsvertretungen zu. Der tschechoslowakische Verteter in Moskau, Josef Girsa, trat sein Amt im Januar 1923 an. Sein sowjetischer Amtskollege Pavel Mostovenko hatte sich eben schon am 9. Dezember 1922 in Prag niedergelassen.

Der brauchte natürlich eine akzeptable und repräsentative Unterkunft. Und die fand man in der Vila Tereza (Villa Therese) in der Italská 438/36 im Stadtteil Žižkov, ganz nahe an der Grenze zu Vinohrady direkt neben dem dortigen schönen Rieger Park. Das schöne einstöckige Ziegel- und Stuckgebäude im Neorenaissancestil wurde im Jahre 1873 für den Bauingenieur Jan Holejšovský durch den Bauunternehmer Josef Vevera erbaut. Holejšovský verkaufte es schon ein Jahr später 1874. Es folgten etliche weitere Besitzerwechsel. 1885 kaufte es der Schweizer Ingenieur Daniel Märky ​​​​und benannte es nach seiner Frau Therese. 1897 richte die Schweiz ein Konsulat in Prag ein und Märky wurde der Konsul. Das blieb er zu seinem Tod im Jahr 1903. Sein Nachfolger Emanuel Hess verkaufte das Gebäude schon 1904 und zog nach Vinohrady. Es folgten wieder Besitzerwechsel und 1922 war das bereits für diplomatische Aufgaben bewährte Haus frei für die Sowjetunion.

Während die tschechoslowakische Seite eine recht stabile Personalpolitik betrieb (Girsa blieb immerhin bis 1931 in Moskau), wechselten die sowjetischen Handelsvertreter in schneller Folge. Die interessanteste von ihnen war zweifellos der vierte Vertreter, nämlich Wladimir Alexandrowitsch Antonow-Owsejenko, der immerhin von 1924 bis 1928 hier residierte. Unter ihm wurde die Handelsvertretung zur Anlaufstelle der 1921 gegründeten Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei und – da ihm die Romantik eines echten Revoluzzers um Lenin anhaftete – zum Treffpunkt für linke Intellektuelle, wie etwa die Schriftsteller Vladislav Vančura (wir berichteten hier) und Julius Fučík (erwähnt hier) oder der Musikhistoriker Zdeněk Nejedlý, der später als Kulturminister brutal im Sinne stalinistischer Ideologie wirken sollte. Man betrieb also Subversionsarbeit und Perspektivagententum. Manch böser Plan wurde da wohl im Dienste der proletarischen Weltrevolution geschmiedet. Dabei half ihm, dass die Akkreditierung der jeweiligen Handelsvertretungen, deren Aufgaben so weit fassten, dass sie de facto (nicht aber de jure) schon fast so etwas wie richtige Botschaften waren.

Antonow-Owsejenko war anscheinend eine charismatische und intellektuelle Erscheinung. Das war definitiv mehr als der bald an die Macht in Moskau gekommene Josef Stalin vertragen konnte. Nach einer längeren diplomatischen Karriere (etwa in Spanien) kehrte Antonow-Owsejenko 1937 in die UdSSR zurück, nur um dort im nächsten Jahr im Zuge der Großen Säuberung hingerichtet zu werden. Zu den weiteren Handelsvertretern gehörte Sergej Aleksandrowski, der 1933 sein Amt antrat, aber das Glück hatte, dass 1934 (recht spät also) die beiden Länder volle diplomatischen Beziehungen aufnahmen, womit er dann tatsächlich der erste Botschafter der UdSSR in der Tschechoslowakei wurde. Die Vila Tereza war nun bis 1939, als die Nazis einmarschierten und alle Diplomatie ein Ende hatte, eine echte und vollwertige Botschaft.

Erst 1945 zog man in das unendlich größere und geradezu palastartige Gebäude im Stadtteil Bubeneč ein, das heute noch die Botschaft Russlands (der Nachfolgerstaat der Sowjetunion) beherbergt. Die neue Riesen-Botschaft passte auch besser zu dem imperialen Status, den die Sowjetunion (vor allem nach der kommunistischen Machtergreifung 1948) gegenüber der unterjochten Tschechoslowakei innehatte, als die vergleichsweise doch irgendwie recht beschauliche Vila Tereza neben dem Rieger Park. Die wiederum zog sich in eine bescheidene Privatexistenz zurück.

Nach der Privatisierung des seit 1975 unter Denkmalschutz stehenden Gebäudes, die nach dem Ende des Kommunismus (1989) erfolgte, dient es heute als kleines Bürohaus, unter anderem für eine Firma für Computersicherheit. Die Mauern um das Gebäude versinnbildlichen schon fast diesen neuen Zweck. Der böse Geist der Sowjetunion scheint aber gottlob endgültig vertrieben. Der findet sich nur noch auf der mit Hammer und Sichel geschmückten Bronzeplakette neben dem Eingang, die noch in den Zeiten kommunistischer Herrschaft angebracht wurde, und in Tschechisch und Russisch dem Ereignis gedenkt, dass hier dereinst die erste sowjetische Vertretung eröffnet wurde. (DD)

Švejkscher Humor bevor es Švejk gab…

Das ist schon so etwas wie der gute Soldat Švejk noch bevor es den Švejk überhaupt gab. Oder gab es den Soldaten Švejk im eigentlichen Sinn etwa immer schon? Steckt etwa in jedem böhmischen Soldaten ein kleiner Švejk?

Jedenfalls haben die putzigen Sgraffiti auf der Fassade des dreistöckigen Wohnhauses in Ostrovní 1707/14 in ihrem Sinn für das Karikaturenhafte, gepaart mit einem gewissen Unernst gegenüber soldatischem Drill schon auf den ersten Blick etwas gemein mit den von Josef Lada angefertigten originalen Illustrationen zu Jaroslav Hašeks Schelmenroman vom guten Soldaten Švejk. Nur, dass der erste Band des Roman mit Ladas köstlichen Zeichnungen 1921 erschien (nachdem es schon erste literarische Versuche mit dem Charakter 1912 – den Ur-Schwejk sozusagen – gegeben hatte). Und das, was wir hier sehen, stammt aus dem Jahre 1890. Da war der Autor des Švejk gerade einmal sieben Jahre alt.

Was ist der Hintergrund dieser witzig gehaltenen soldatischen Motive? Nun, das Haus, das nach den Plänen des Architekten Architekt Čeněk Štraybl (über den ich nichts herausfand, außer dass er noch dieses Gebäude gebaut hat) ersetzte ein zuvor dort befindliches militärisch genutztes Gebäude. An der Stelle stand nämlich ein Werbungs- und Rekrutierungsbüro der Österreichischen Armee. Die wurde übrigens im selben Jahr 1890 im Sinne der Reichseinheit Kakaniens mit der Ungarischen Armee zu einer Gemeinsamen Armee zusammengelegt. Ob das Verschwinden des Rekrutierungsbüros etwas damit zu tun hatte, weiß ich nicht, aber es verschwanden Ende des 19. Jahrhundert sowieso und unabhängig davon alle militärischen Einrichtungen (meist Kasernen, Soldatenfriedhöfe oder Militärhospitäler) aus dem Innenstadtbereich Prags.

Wie dem auch sei: Beim Neubau wurde der militärischen Vergangenheit des Hauses jedenfalls sichtbar gedacht. Und zwar auf witzige Art, wie man auf dem großen Bild oben sieht. Die vor dem Essenfassen wartenden Soldaten der k.u.k.-Armee, die von ihrem Offizier lächelnd betrachtet werden, sind offenbar guter Stimmung und mehr am leiblichen Wohl, denn am Kampfeinsatz interessiert. Selbst ab und an notwendige Disziplinierungen (Hiebe auf den Hintern), werden, wie das kleine Bild links zeigt), allenfalls von dem Betroffenen unangenehm aufgenommen. Die Offizieren sehen das Leben weiterhin von der leichten Seite und schäkern mit den Mädels herum…

Das ist schon große Kunst. Kein Wunder, denn man hatte für die Gestaltung der Sgraffiti ja auch einen großen Künstler gewonnen, nämlich keinen Geringeren als Mikoláš Aleš (frühere Beiträge u.a. hier und hier). Der galt als einer der großen Historienmaler seiner Zeit. Normalerweise ging es dabei sehr ernst und pathosgeladen zu. Hier lernt man ihn von seiner ungewohnt heiteren Seite kennen. Ausgeführt wurden die Bilder nach seinen Entwürfen von dem damals benfalls recht bekannten Maler Josef Bosáček.

Man muss sich das Ganze näher anschauen, um noch mehr Witziges zu finden. Man nehme die (links im Fries befindliche) Anfangsszene, in der ein potentieller Rekrut das Heim der Eltern verlässt. Ganz klar ging der Künstler dabei von der Vermutung aus, dass nur naive Landeier sich überhaupt in den Wehrdienst hineinbugsieren ließen. Auch findet sich, wie das Bild oberhalb rechts zeigt, ein Panorama von österreichischen Soldaten aus allerlei Zeiten (aktuell, napoleonische Kriege, 17. Jahrhundert), die hier irgendwie zusammen dienen.

Der Gang durch die Zeiten wird oberhalb zwischen den Fenstern des ersten Stocks fortgesetzt, wo man fünf große Tafeln mit einzelnen Darstellungen von Offizieren bewundern kann. Auf dem Bild rechts von links oben nach rechts unten: Ein Husar aus der Zeit Maria Theresias (Mitte des 18. Jahrhunderts), ein Dragoner aus der Zeit der Napoleonischen Kriege (um 1813), ein Ulan aus dem österreichisch-preußischen Krieg von 1866, ein Jäger aus der gleichen Zeit und ein Kürassier, wiederum aus der Zeit von Mara Theresia.

Schmale Sgraffiti an den Seiten des Hauses mit (ausnahmsweise recht konventionell dargestellten) Militärtrophäen ergänzen das Ganze.

Kurz: Das hübsche, aber an sich eher unscheinbare Neo-Renaissance-Haus Straybls wurde durch die karikaturenhaften Darstellungen von Mikoláš Aleš in ein humorvolles Gebäude mit Erlebniswert verwandelt – ein Soldatenpanoptikum, bei dem man die große Zeit des guten Soldaten Švejk schon am Horizont der Zeit erahnen kann. (DD)

Der Balkon der Samtenen Revolution

Der gemeinsame Auftritt der beiden am 23. November 1989 – heute vor 33 Jahren! – auf diesem Balkon gab den Menschen endgültig die Hoffnung, dass der Spuk des Kommunismus bald vorbei sein werde. Als der Schriftsteller Václav Havel, die weltweit bekannte Symbolfigur des Widerstandes, und Alexander Dubček, der 1968 gestürzte Architekt des Prager Frühlings, vor der Menge erschienen, brach riesiger Jubel aus.

300.000 Menschen hatten sich hier auf dem Wenzelplatz zu einer gigantischen Demonstration gegen das Regime versammelt. Es war die erste Demonstration des neuen Oppositionsbündnisses Bürgerforum (Občanské fórum), das sich am 19. November gegründet hatte, und das schon am 26. November Gespräche mit der kommunistischen Regierung führen sollte, um deren Machtmonopol zu brechen. Es war alles ganz schnell gegangen. Am 17. November 1989 hatte die erste große Studentendemonstration stattgefunden, die gemeinhin als Beginn der Samtenen Revolution gilt. Die Demonstration wurde zwar von der Polizei niedergeprügelt, aber die Demonstration gingen weiter und wurden größer und größer.

Von allen Demonstrationen der Samtenen Revolution sollte die am 23. November die größte Strahlkraft haben. Es war ein wahres Riesenaufgebot von Prominenten aus Kultur und Politik, die hier auf dem Balkon des Hauses am Václavské náměstí 793/36 der Menge zeigten, dass sie sich vom Regime in Protest abgewendet hatten. Zu den ersten Rednern gehörte Rudolf Hrušínský, der populäre Schauspieler und Švejk-Darsteller (der bald darauf als einer der ersten demokratischen Parlamentsabgeordneten gewählt wurde). Die Menge sang begeistert mit, als die Sängerin Marta Kubišová ihr berühmtes Lied Modlitba pro Martu sang, das so etwas wie die Hymne des Prager Frühlings gewesen war. Kubišová hatte zu den Erstunterzeichnern der Charta 77 gehört und war danach ungeheueren Repressalien des Staates ausgesetzt. Auch der Schlagerstar Karel Gott trat auf den Balkon. Er hatte sich zwar immer recht systemtreu verhalten und sogar für das Regime eine Anti-Charta zur Charta 77 unterzeichnet. Jetzt sang er unter dem Jubel der Menge die Nationalhymne, und zwar ausgerechnet im Duet mit dem Protestsänger Karel Kryl, der 1968 nach dem Ende des Prager Frühlings aus dem Land hatte fliehen musste. Aber vielleicht war gerade dies das Signal, dass es mit dem Regime zu Ende ging, dass auch angepasstere Prominente wie Gott nun aus der Deckung kamen.

Aber es war vor allem die Rede von Alexander Dubček, die der Revolution zusätzliche Legitimation verschaffte. Er war der Zeitzeuge dafür, dass das System seine Versprechen brach und gab dem Umsturz quasi seinen Segen (weshalb er bald demokratisch gewählter Parlamentspräsident wurde). Und dann kam Havel. Der hartnäckige Dissident und Einiger der Opposition und ihr glaubwürdiger Repräsentant. Aber Havel hatte ja bis dato nur im Untergrund gewirkt, und so wurde dies seine erste große öffentliche Rede. Er meisterte die Herausforderung brillant. Seine Forderungen nach Freiheit und Demokratie stießen auf Begeisterung. Die Menge rief immer wieder „Havel na hrad“ – Havel auf die Burg, also in den Präsidentenpalast. Und Präsident war er dann bald tatsächlich. Am 29. Dezember wählte ihn die Föderalversammlung derTschechoslowakei in das Präsidentenamt. Dass für den Auftritt am 23. November ausgerechnet der Balkon dieses Gebäudes ausgewählt wurde, mag kein Zufall gewesen sein, denn auch ohne die Samtene Revolution wäre es ein bedeutender Teil der politischen Geschichte des Landes.

Das fünfstöckige Büro- und Geschäftsgebäude wurde von 1911 bis 1913 nach den Plänen des bekannten Architekten Bedřich Bendelmayer als Palác Hvězda (Stern-Palast) gebaut (wir erwähnten ihn u.a. bereits hier und hier). Es handelt sich um ein Meisterwerk des späten geometrischen Jugendstils. Die steinernen Skulpturen (insbesondere die, die den Balkon tragen) und vor allem die farbigkräftigen Glasmosaike mit symbolistischen Darstellungen stammen von dem Bildhauer, Illustrator und Maler Vratislav Mayer.

Das Gebäude schrieb schon kurz nach Fertigstellung ein Stück tschechischer Demokratie-geschichte als hier 1913 der 1897 als Genossenschaft gegründete Verlag Melantrich (Nakladatelství Melantrich) einzog. Dieser Verlag war nach Georg Melantrich von Aventin (eigentlich: Jiří Černý Rožďalovický) benannt, einem Pionier des Druckwesens in Böhmen im 16. Jahrhunderts. Der Verlag stand der National-Sozialen Partei (Česká strana národně sociální) nahe, die nach der Unabhängigkeit der Tschechoslowakei 1918 als zentristische Partei mithin die staatstragende Gruppierung der Republik war und mit Tomáš Garrigue Masaryk den Präsidenten stellte. Wichtigstes (aber nicht einziges) Produkt des Verlages war die 1907 ins Leben gerufene Tageszeitung České slovo (Tschechisches Wort), die großen Zeitungen des Landes gehörte. Das Erscheinen der Zeitung wurde nur kurz während des Ersen Weltkriegs unterbrochen. Selbst unter der Nazi-Herrschaft erschien sie weiter, wenngleich weitgehend zensiert.

Als die Republik 1945 wiedergegründet wurde, änderte man den Namen in Svobodné slovo (Freies Wort). Von Anfang an bekämpfte das Blatt den Vormarsch der Kommunisten. Selbst als die Kommunisten im Februar 1948 die Macht ergriffen hatten, setzte sie noch kurz ihren Widerstand fort – bis einige Tage darauf die Produktion für zwei Tage eingestellt wurde. Danach stand sie unter neuer und regimetreuer Leitung und blieb es auch. Aber: Ein wenig vom alten republikanischen Geist hatte wohl in den Redaktionszimmern überlebt….

Denn als am 17. November 1989 die erste Demonstration der Samtenen Revolution von der Polizei niedergeschlagen wurde, war Svobodné Slovo die erste große Zeitung des Landes, die die Polizeiaktion scharf verurteilte und sich auf die Seite der Revolution stellte. Sie publizierte Manifeste der Demonstranten und die Redaktionsräume wurden zu Treffpunkten der Dissidenten. Und dann war da noch der Balkon, der mithin die beste Rednerbühne am Wenzelplatz bot. Und deshalb wurde der Balkon auch zu dem zentralen Ort der Revolution, auf dem Václav Havel seine erste große Rede hielt.

Für die Zeitung und den Verlag selbst war die Samtene Revolution allerdings kein Segen. Sie wurden privatisiert, indem man sie an den Investor Chemapol verkaufte, der die Teitung 1997 in Slovo (Das Wort) umtaufte. Chemapol geriet 1998 in die Krise geriet und stieß das Blatt an die Herausgeber der (2001 ebenfalls bankrott gegangenen) Zeitung Zemské noviny (Landeszeitung) ab, der Slovo aber nicht halten konnte und kurz darauf die Produktion einstellte. Das Verlagsgebäude des Palác Hvězda wurde 1999 versteigert. Heute residiert hier im hinteren Gebäudeteil eine große Filiale eines britischen Mode- und Lebensmittelgeschäfts. Zur Frontseite hat sich ein Hotel angesiedelt. Bucht man dort Zimmer 203, kann man anscheinend den Balkon, der so viel Geschichte schrieb, betreten. Bedauerlich ist, dass sich am Haus selbst nirgendwo eine Gedenkplakette befindet. Das sollte man möglichst bald ändern. (DD)

Sympathisches Museum mit Gruselexponaten

Heute ist Halloween. Da gibt es in diesem Blog immer etwas Gruseliges zu sehen. Wie dieses verrostete Fass zum Beispiel. In das wurde dereinst die Leiche eines ermordeten Menschen gesteckt, der wurde danach mit Säure übergossen, anschließend noch einmal in Wasser gekocht und dann von einer Brücke aus in den großen Orlík-Stausee geworfen. Als das Fass nach einiger Zeit gefunden und herausgeholt wurde, hatten die Forensiker mit dem Inhalt keine schöne und leichte Arbeit vor sich…

Solch schaurige Dinge kann man massenhaft begutachten im Polizeimuseum der Tschechischen Republik (Muzeum Policie ČR) in der Ke Karlovu 453/1 in der Neustadt. Aber nicht nur. Man kann sich eigentlich gar nicht vorstellen, wie groß, vielfältig und interessant so ein Polizeimuseum sein kann, bevor man dieses gesehen hat. Die oben erwähnten Orlík Mörder (Orličtí vrazi), eine kriminelle Bande, die in den Jahren 1991 bis 1993 sechs (meist etwas zweifelhafte) Geschäftsleute mit windigen Geschäften gegen Bares anlockten, sie dann aber ermordeten, das Geld einsteckten und die Leichen in Fässern versenkten, werden auch eher ein Beispiel für erfolgreich angewandte wissenschaftliche Kriminalistik bei der Entlarvung präsentiert, denn als Horrorshow. Nun ja, wie man oberhalb links bei dieser Dokumentationstafel über vorsätzlich verursachte Schädelfrakturen sieht, sind die Übergänge zwischen Wissenschaft und Grusel natürlich manchmal fließend.

Weder, dass es hier gruselig, noch dass es hier so umfassend informativ zugeht, kann man erraten, wenn man sich dem schönen und friedlich aussehenden Gebäude nähert. Es handelt sich um ein mit der wunderschönen barockisiert-gotischen Kirche St. Marien und Karl der Große (Kostel Nanebevzetí Panny Marie a sv. Karla Velikého na Karlově – wir berichteten hier) verbundenes Gebäude, das einmal dem Kloster gehörte, zu dem die Kirche einst gehörte. Die Kirche aus dem Jahr 1354, die in den 1730er Jahren barock umgebaut wurde, ist passenderweise heute so etwas wie die Stammkirche der Christlichen Polizei-Vereinigung (Křesťanská policejní asociace).

Zurück zum Museum: Der schon seit 1785 säkularisierte Bau wurde 1960 (also in kommunistischen Zeiten) dem Innenministerium übergeben, das hier 1965 ein Museum für den Grenzschutz einrichtete, dann 1973 eines für die nationale Sicherheit. Alles stramm an der herrschenden Ideologie ausgerichtet. Immerhin schuf man im Gartenbereich 1982 einen Verkehrskindergarten, was auch heute noch politisch wenig anrüchig erscheint. Mit dem Fall des Kommunismus 1989 war die Chance gekommen, das Ganze vom ideologischen Ballast zu entrümpeln und auf seine umfassende Ausstellung zur Geschichte und den vielen Tätigkeitsfeldern der Polizei in der Tschechoslowakei/Tschechien zu konzipieren – ohne die dunklen Seiten auszublenden. Und so wurde das Museum 1991 eröffnet und seither immer wieder verbessert.

Ein wesentlicher Teil des Museums ist der Geschichte des Polizeiwesens seit der Gründung der Ersten Tschechoslowakischen Republik im Jahre 1918 in allen Aspekten gewidmet. Die Polizei und Gendarmerie des alten k.u.k. Habsburgerreichs, aus der es ja letztens historisch erwuchs, wird nur knapp als Einführung dargestellt. Aber unter den ausgestellten Stücken über diese Zeit befinden sich durchaus – insbesondere, wenn es um altertümliche Bewaffnung geht (Bild rechts) – recht ansehnliche Stücke. So vorbereitet bekommt man im Folgenden ein Gefühl dafür, wie rapide sich das Polizeiwesen im Guten wie im Bösen danach im Lande entwickelte. Und so ist es auch gemeint. Auch wenn das Ganze dem Innenministerium gehört und die Sache unter großer und enthusiastischer Beteiligung der Polizei organisiert wird (Museumsdirektor Radek Galaš war selbst bei der Polizei und hatte an der Polizeiakademie studiert), werden die Schattenseiten aus den dunkleren Kapiteln der Geschichte nicht ausgeklammert.

Im Bild links sieht man eine Offiziersmütze mit rotem Stern aus dem Jahr 1954, die einem Mitarbeiter der Staatssicherheit StB (Státní bezpečnost), die wie kaum eine andere Organisation für die direkte politische Repression und Bespitzelung stand. In den 1980er Jahren arbeiteten 12.500 fest angestellte und 75.000 informelle Mitarbeiter für den StB, um Bürger zu überwachen, einzusperren und oft sogar zu ermorden (einen Fall beschrieben wir hier). Erst die Samtene Revolution von 1989 setzte diesem grausamen Spuk ein Ende und der StB wurde Anfang 1990 aufgelöst.

Da es der Anspruch des Museums ist, alle Sicherheitskräfte im Museum zu erfassen, kommt auch der Grenzschutz nicht zu kurz, dessen opferreiche Arbeit in den 1930er Jahren gegen Hitlers Saboteure und Terroristen einerseits geradezu zelebriert, aber dessen Funktion als (neben dem StB wohl offenkundigsten) Teil des kommunistischen Terrorsystems deutlich herausgestellt wird. Einer der vielen Menschen, die auch privat von der eisernen Grenze zwischen Kommunismus und Freiheit „profitierten“, war Hubert Pilčík. Der brutale Serienmörder gab sich als Fluchtorganisator aus, ermordete aber zwischen 1948 und 1951 eine immer noch unbekannte Zahl von Ausreisewilligen, um sie auszurauben. Die 12jährige Nichte zwei seiner Opfer fesselte er auf dem rechts gezeigten Brett, wobei ihr Kopf in die schalldichte Kiste am Ende gesteckt wurde, damit er sie über längere Zeit ungestört foltern und vergewaltigen konnte. Dann zwang er sie, Briefe zu schreiben, in denen sie berichtete, dass Onkel und Tante (in Wirklichkeit grausam ermordet) glücklich in Bayern lebten und sich wünschten, das Pilčík der Vormund der Nichte werde. Der Anblick der Kiste lässt einem das Blut erstarren vor so viel abgrundtiefer menschlicher Niedrigkeit. Als er 1951 verhaftet wurde, beging Pilčík im Gefängnis Selbstmord. Dass ihm das trotz aller Sicherheitsvorkehrungen gelang, hat immer wieder zu (nicht endgültig beweisbaren) Gerüchten geführt, dass er zumindest eine zeitlang mit dem StB unter einer Decke steckte, der in diesen Zeiten die Jagd auf „Republikflüchtige“ brutal verschärfte.

Jetzt aber zu den etwas harmloseren Aspekten: Die Polizei fängt ja auch richtige Verbrecher oder regelt den Verkehr und tut auch sonst durchaus Sinnvolles. Und dabei musste sie immer technisch mit dem Fortschritt der Zeit mithalten. Links sieht man eine damals moderne Wachstation aus den späten 1920er Jahren. Die verfügte über einen Telegraphen, eine kleine Telefonzentrale, eine (manuelle) Schreibmaschine und über ein Radio (Röhrengerät). Supermodern war das damals!

In den 1970er Jahren hatte man schon, wie das Bild rechts zeigt, die ersten sehr großen, aber vergleichsweise noch wenig leistungsstarken Computer und bediente sich des Funkverkehrs. Lautsprecheranlagen und Telefone, die keine Zentrale mehr brauchten, sondern nur eine Wählscheibe, waren irgendwie damals bereits Selbstverständlichkeiten. Und dabei war man damals im Kommunismus sicher noch nicht annähernd so technisch fortgeschritten wie im Westen…

Überhaupt ist das Museum auch etwas für Technikbegeisterte. Das gilt schon alleine für die geradezu gigantische Sammlung an Polizeifahrzeugen aller Zeiten und vor allem aller Arten – so etwa die Motorräder, von denen wir links eine Auswahl sein. Um mit den zu jagenden Bösewichtern mithalten zu können, musste die Polizei stets zu Lande, zu Wasser und zur Luft mobil sein. Auf einigen wenigen Fahrzeugen kann man sogar „Probesitzen“, was eines von vielen Dingen ist, warum das Museum auch bei Kindern außerordentlich beliebt ist, und die sich an den Leichenfässern und ähnlichen Gruselstücken anscheinend weniger stören als man annehmen könnte.

Was so groß ist, dass man es nicht in den Räumlichkeiten unterbringen kann, steht draußen im Garten. So zum Beispiel der riesige Polizei-Helikopter sowjetischer Provenienz vom Typ Mil Mi-2. Der Typ wurde 1961 entwickelt und ging 1962 in Produktion. Rund 5450 wurden bis 1986 gebaut und für die tschechoslowakische/tschechische Polizei waren sie von 1972 bis 1996 im Einsatz. Der Hubschrauber ist neben allerlei Dienstautos, Lastwagen und sogar Polizeibooten eine der Attraktionen des Museumsgarten.

Die Attraktion schlechthin ist ein aber Fahrzeug, dass auf den ersten Blick definitiv einem Kleinpanzer ähnelt. Tančík (Tänzer) nennt man das Exponat und es sieht nur aus wie ein Panzer. Sogar das vermeintliche Kanonenrohr ist nur ein Guckloch. Mit diesem aus verschiedenen Autoteilen (ein Wartburg 311 lieferte u.a. den Rahmen) und anderen Gebrauchtteilen zusammengebastelten Fahrzeug hatte 1970 der Schlosser Vladimír Beneš zusammen mit seiner Frau und vier Kindern (sie waren wohl recht dicht gedrängt drinnen) versucht, den Grenzwall bei Hrušky nach Österreich zu durchbrechen. Leider hatte das Gerät, von dem man nicht weiß, ob es furchterregend oder putzig aussieht, auf dem Weg eine Panne. Man ließ den „Panzer“ zurück. In Absprache mit seiner Familie floh Beneš, dem eine heftige Strafe drohte, wenn das Gerät erst einmal gefunden worden war, erst einmal alleine ohne „Panzer“. Das gelang ihm anscheinend recht leicht. Seine zurückgebliebene Frau wurde zu einer leichten Haftstrafe verurteilt, die bald verkürzt wurde. Sie und die Kinder durften 1977 in die USA ausreisen, wo sie alle wieder vereint waren. Der kleine Tančík, den die Polizei bald fand und aufbewahrte, steht heute im Museum als ein Dokument dafür, was Menschen alles für ihre Freiheit wagen. Dass man ihn vor einiger Zeit etwas poppig bunt bemalt hat, verleiht ihm eine gewisse tragik-komische Note.

Seien noch etliche der unzählig vielen Themen und Aspekte kurz erwähnt: Verkehrskontrollen, berittene Polizei, Geldfälscherei, Bürokratie, Polizeihundeschulung, berühmte Kriminalisten (etwa den berühmten Regierungsrat Josef Vaňásek, den wir schon hier erwähnten) und vieles, vieles mehr. Generös wie man ist, hat auch die Feuerwehr, die ja auch im Dienst der öffentlichen Sicherheit steht, eine eigene Abteilung. Auch dies eine Geschichte technischen Fortschritts. Im Bild rechts sieht man vorne einen Feuerwehrmann aus den 1920er Jahren, der noch keinen Schutzanzug, sondern eine schnieke Uniform trägt. Dahinter ein dem Katastrophenschutz verpflichteter Feuerwehrmann aus der Zeit des Kalten Krieges. Der ist sehr viel umfassender geschützt und moderner ausgerüstet.

Über alle die Schaustücke, die man sieht, sollte man ab und an auch mal an das Gebäude denken, in dem sie sich befinden. Das war ja mal ein prachtvoll barock gestyltes Kloster. Also: Hin und wieder den Blick nach oben schweifen lassen, um die nicht polizeilich relevanten Stuckarbeiten auf der Decke zu bewundern, die zum Teil noch mit herrlichen Fresken versehen sind! Touristen verirren sich in dieses Museum eher selten, obwohl das Museum auch für sie einen hohen Erlebniswert haben dürfte. Der einzige kleine Wermutstropfen ist dabei leider, dass fast alle Beschriftungen der Exponate ausschließlich in Tschechisch sind. Man sollte sein Smartphone mitnehmen, um wenigstens das Wichtigste mitzubekommen – obwohl vieles sich auch von selbst erschließt.

Und dann sind da noch die, um die es geht: Die Polizisten. Die tragen „ihr“ Museum mit Begeisterung. Die Photos für diesen Beitrag entstanden bei der Museumsnacht im Juni dieses Jahres. Personal und Polizisten führten die Besucher begeistert durch die Räume. Die Polizeikapelle spielte munter böhmisch auf. Zusätzliches Polizeigerät wurde herbeigeschafft. Und überall liefen Polizisten in passenden historischen Kostümen herum. Hier sieht man einen behelmten und besäbelten Gendarmen aus der Zeit der Ersten Republik (frühe 1920er) sich fröhlich mit kommunistischen Kollegen aus den 1970ern unterhalten. Das Ganze hat trotz der recht vielen Gruselexponate irgendwie einen äußerst sympathischen „human touch“. (DD)

Haus zweier bedeutender Frauen

Es ist schwer, im Schatten eines großen Vaters zu stehen. Tomáš Garrigue Masaryk, der Gründungspräsident der 1918 gegründeten Ersten Tschechoslowakischen Republik nimmt in der Geschichte des Landes einen Platz ein, der an geradezu mythischer Größe allenfalls mit dem des ersten nach-kommunistischen Präsidenten Václav Havel vergleichbar ist. Doch seine Tochter Alice Garrigue Masaryková brachte es in der Tat zu eigenständigem Ruhm und gilt als eine der prägenden Frauengestalten ihrer Zeit.

Vater Masaryk war ein für damalige Verhältnisse sehr moderner Vater. Mit der emanzipierten Amerikanerin Charlotte Garrigue Masaryková (wir berichteten bereits hier) verheiratet, tat er alles, um seinen Kindern Chancen zu eröffnen. Alices Bruder Jan Masaryk (wir berichteten hier) wurde etwa Außenminister, bevor er 1948 wahrscheinlich von den Kommunisten ermordet wurde. Die Förderung, die Alice zuteil wurde, war ungewöhnlich. Sie studierte an der Prager Karlsuniversität und wurde als eine der ersten Frauen überhaupt zur Promotion zugelassen. 1903 erhielt die Soziologin und Philosophin den Doktortitel. 1911 sollte sie die Soziologische Fakultät der Universität aufbauen. Zwischendurch hatte sie 1904/05 in Chicago studiert. Ihre Studien, die sich mit der Lager der Arbeiter, mit Alkoholismus und Geschlechtskrankheiten befassten, sollten stets lebensnah sein und praktischen Nutzen für Sozialreform abwerfen.

Und sie unterstützte die Politik ihres Vaters, die Tschechen vom Habsburgerreich zu befreien und eine eigene Republik zu gründen. Das tat sie auch während des Ersten Weltkriegs als der Vater im amerikanischen Exil war. 1915 wurde sie sogar für einige Zeit von den österreichischen Behörden ins Gefängnis gesteckt. Dabei drohte ihr die Todesstrafe, was aber durch die Intervention amerikanischer Diplomaten abgewendet werden konnte. Als die tschechoslowakische Unabhängigkeit kam, wurde sie 1919 die erste Vorsitzende des tschechoslowakischen Roten Kreuzes. Aber sie wurde nicht nur karitativ aktiv, sondern auch politisch. Sie gehörte unter anderem zu den Mitglieder der Nationalversammlung der Tschechoslowakischen Republik (Národní shromáždění republiky Československé), die den Aufbau der Republik einleitete. Besonders intensiv setzte sie sich in der Folge für die Frauenrechte ein. Als ihre Mutter Charlotte 1923 starb, trat sie an der Seite ihres Vaters als First Lady auf. Es heißt, ihr politischer Einfluß auf ihren Vater sei groß gewesen. Vor den Nazis, die 1939 einmarschierten, floh sie rechtzeitig in die USA, wo sie wieder in Chicago lehrte, aber sich vor allem für die Befreiung ihrer Heimat einsetzte. 1945 kehrte sie wieder nach Prag zurück, um sich für den Wiederaufbau der Demokratie zu engagieren, aber schon drei Jahre später kam die nächste Diktatur, diesmal die der Kommunisten. Die mutmaßliche Ermordung ihres Bruders 1948 war das Signal, wieder in die USA zurückzukehren, von wo aus sie in Ansprachen über Radio Free Europe den Freiheitskampf in der Tschechoslowakei unterstützte. Sie starb 1966 im US-Exil.

Während des Kommunismus war alles, was mit der Demokratie und dem Namen Masaryk zusammenhing, aus der Öffentlichkeit verbannt. Erst in den 1990er Jahren wurde eine schlichte bronzene Gedenktafel an dem Doppelhaus in der Loretánská 179/15 und 13 angebracht, in dem sie in den Jahren 1937 bis 1939 und dann noch einmal 1945 bis 1948 lebte. Das barocke Haus war im 17. Jahrhundert vom kaiserlichen Vizekanzler bewohnt worden.

Nur ein wenig neben der Tafel befindet sich eine andere Gedenktafel, die zweisprachig (englisch/tschechisch) daran erinnert , dass von 1945 bis 1948 hier auch Marcia Davenport lebte. Man könnte deshalb auch von einem Haus zweier bedeutender Frauen sprechen. Die amerikanische Schriftstellerin und Musikkritikerin (sie hatte neben zahlreichen Romanen u.a. 1932 eine Standardbiographie Mozarts veröffentlicht) hatte während des Weltkrieges tschechoslowakische Emigranten unterstützt und war mit Alices Bruder Jan liiert. Der wurde 1945 Außenminister und sie zog mit ihm nach Prag. Das Haus in der Loretánská befindet sich in Sichtweite des Palais Czernin (Černínský palác), wo das Außenminsterium residiert. Als die Kommunisten 1948 die Macht ergriffen, zog Davenport nach London. Jan Masaryk wollte nach einer Weile folgen, um sie zu heiraten. Doch am 10. März fand man ihn tot unter einem hoch liegenden Fenster des Ministeriums. Die Kommunisten behaupteten, es sei Selbstmord gewesen, aber daran regen sich zurecht immer wieder Zweifel (wir berichteten hier). Darauf zog sie zurück nach Amerika, wo sie 1996 starb. (DD)