Mährische Selbstbehauptung in Prag

Ja, auch in Prag, im Herzen Böhmens, sieht man ab und an den Mährischen Adler auf Fassaden und Amtsschildern. Dann aber meist als Teil des großen Staatswappens der Tschechischen Republik, wo er dem stolzen  Böhmischen Löwen (wir berichteten) klar untergeordnet ist.

Alleine für sich genommen gilt der Mährische Adler für die leider sehr zentralistisch gestimmten Prager schon fast als anrüchiges Symbol des Autonomismus. Aber hier an der Fassade dieses vierstöckigen Wohn- und Mietshauses in der Široká 117/22 im Stadtteil Josefov, wo einst das jüdische Ghetto lag, dass sich Ende des 19. Jahrhundert zur Luxusmeile entwickelte (wir berichteten bereits hier), wird das Mährentum mit stolzem Banner vorangetragen. Es handelt sich, wie ein großes Hausschild in Stuck zeigt, schließlich um das Haus zum Wappen der Markgrafschaft Mähren (dům U znaku Markrabství moravského).

Warum das im Jahre 1902 fertiggestellte neobarocke Haus in Namen und Symbolik diesen Bezug zur Markgrafschaft Mähren hat, habe ich (noch?) nicht herausfinden können. Aber natürlich ist klar, dass Mähren in der Geschichte der Tschechen eine große Rolle spielt. Ursprünglich, im 9. Jahrhundert, war Großmähren das erste echte Staatswesen in der westslawischen Welt, wurde aber danach schrittweise von der Herrscherdynastie der Přemysliden aus dem benachbarten Böhmen übernommen, das nach dem Untergang Großmährens die regionale Hegemoniemacht wurde. Ab 955 war es Teil der Ländereien des böhmischen Herzogtums. Als Mähren 1182 zur Markgrafschaft erhoben wurde, wurde es dadurch ein reichsunmittelbares Grenzgebiet des Heiligen Römischen Reiches, aber die Unterordnung unter Böhmen wurde 1197 bekräftigt. Meist wurde Mähren von Verwandten des jeweilgen böhmischen Herrscher in dessen Auftrag regiert, was auch nach dem Aussterben der Přemysliden unter den folgenden Dynastien so blieb – letztlich bis zum Untergang des Habsburgerreichs im Jahre 1918.

Das Wappen der Markgrafschaft taucht anscheinend erstmals im ersten Drittel des 13. Jahrhunderts auf einem Siegekl des Markgrafen Přemysl von Mähren auf, dem jüngsten Sohn von Böhmens König Otakar I. Přemysl. Da an dem Siegel der Zahn der Zeit genagt hat, ist man da nicht so ganz sicher. Aber definitiv taucht der Mährische Adler 1272 im Stadtwappen der Stadt Znojmo (Znaim). Unter Böhmens König Otakar II. Přemysl (zugleich Markgraf) hatte sich im Prinzip die hier gezeigte und bis heute gültige Form allgemein kodifiziert: Blauer Hintergrund, Adler mit rot-weißen Schachmuster (Bedeutung nicht so recht geklärt) und meist mit Krone (die beim Bild oben fehlt). Ab dem 15. Jahrhundert tauchte ab und an eine Variante mit rot-goldenem Schachmuster auf. Bei der Darstellung auf der Hausfassade in der Široká dürfte das nicht der Fall sein, aber die rote Farbe scheint verwittert zu sein.

Obwohl die mährische Geschichte immer eng mit der Böhmens verwoben war, gab es dorch stets auch deutliche politische und kultruelle Unterschiede. Viele prägende Entwicklungen Böhmen fanden hier wenig Niederschlag, etwa das Böhmen sehr prägende Hussitentum im frühen 15. Jahrhundert. Während Böhmen eine recht irreligiöse und industrialisierte Region ist, ist Mähren katholisch und ländlich bestimmt (erklärt das etwa das Kreuz auf dem Helm auf der Fassade des Hauses?). Ab und zu führen sie zu Diskussionen über eine föderale oder dezentrale Struktur im Lande, was besonders nach der Samtenen Revolution von 1989 und dem Ende des Kommunismus der Fall. Damals gelangten Vertreter regionalistischer Gruppen sogar ins Parlament. Nach einer Weile hatte sich aber die zentralistische Tradition der Tschechoslowakei wieder durchgesetzt und die Bestrebungen verebbten, sind aber immer noch latent vorhanden. Das kann man als verpasste Chance für eine dezentralere und bürgernähere Politik sehen. Aber auf jeden Fall reichen die Unterschiede tief in die Geschichte zurück. Umso mehr überrascht dieses Stück mährischer Selbstbehauptung hier mitten in Prag. (DD)

Generalissimus im Hinterhof

Nachdem er hoch oben in den Schweizer Bergen jene militärische Leistung vollbracht hatte, die ihm eine größere Fußnote in der Geschichtsschreibung sicherte, ruhte er sich etwas über einen Monat in Prag von den Strapazen aus: Alexander Wassiljewitsch Suworow.

Der russische Feldmarschall und Generalissimus kämpfte 1799 im Zweiten Koalitionskrieg mit seinen Truppen in Italien gegen Napoleon. Die verbündeten Österreicher und Briten wünschten jedoch, dass sich der militärische Druck auf die französischen Truppen nach Österreich verlagern solle, weshalb Suworow mit seinen (im Gebirgskampf ungeübten) Truppen durch die Schweiz (damals unter Kontrolle Napoleons) ins Habsburgerland ziehen sollte. Suworow schaffte am 24. September nach Gewaltmärschen die Eroberung des Gotthardspasses. Kurz darauf wurde er im Muotatal von französischen Truppen eingekreist, schaffte es trotz der Erschöpfung seiner Truppen, sich wieder freizukämpfen und erreichte mit unzähligen Gefangenen Österreich. Das war eine grandiose militärische Leistung, obwohl sie militärisch von geringem Nutzen war, denn in Österreich war das Hauptgeschehen schon vorbei. Dass Suworow zu spät kam, hatten sich die Ösis teilweise selbst zuzuschreiben, da sie den verbündeten Generalissismus mit falschem Kartenmaterial (mit eingezeichneten Wegen, die es nicht gab) und nicht der versprochenen Menge Lasttieren versorgt hatten.

Wie dem auch sei: Erschöpft zog sich Suworow danach mit seinen Truppen im Dezember 1799 nach Böhmen zurück. Ein Generalissimus und Kriegsheld übernachtete hier natürlich nicht in einer Kasernenbaracke. Vielmehr war er zu Gast in einem echten Palais in der heutigen Narodní 37/38 in der Neustadt. Heute wird das Gebäude Porges und Portheim-Palast (palác Porgesů z Portheimu) genannt – nach der Unternehmerfamilie Porges von Portheim, die es 1869 erwarb. Oben an der Fassade sieht man noch die hübsch aufbereiteten Initialen EPR, die für Eduard und Rosa Portheim stehen – die Käufer. Zu Suworows Zeiten hieß es aber noch Desfours Palast (Desfourský Palac), denn das frühklassizistische Gebäude wurde ursprünglich 1762 bis 1776 in den Jahren anstelle dreier mittelalterlicher Häuser für Maximillian Joachim Karl Graf Desfours durch den Architekten Johann Ignaz Palliardi erbaut.

Als Suworow hier sich von den Schweizer Strapazen erholte, war er allerdings schon Gast von Jakob Wimmer (den wir bereits hier erwähnten), der den Palast schon 1795 erworben hatte (damals redete man auch vom Wimmerův dům). Der war ein reicher Grundbesitzer, Unternehmer und Mäzen. Aber er hatte auch einmal den militärischen Rang eines Obersts bekleidet. Suworow und er dürften sich verstanden haben. Am 28 Januar 1800, also heute vor 222 Jahren, reiste Suworow ab – zurück ins heimische St. Petersburg, wo er schon im Mai des selben Jahres verstarb. Der Nachwelt blieb er als der Mann, der hoch in den Bergen tapfer der napoleonischen Bedrohung Europas entgegenstand. Es wurden ihm viele Denkmäler gesetzt, nicht zuletzt das berühmte Suworowkreuz am Gotthardpass bei Andermatt.

Und da er nun einmal auch einen Monat in Prag verbrachte, gedachte man auch hier seiner. So kann der Passant an der Außenfassade des Porges und Portheim-Palastes heute eine kleine Gedenktafel sehen, die 2001 von dem Bildhauer Pavel Filip gestaltet wurde. „In diesem Haus hielt sich vom 20. Dezember 1799 bis zum 28. Januar 1800 der berühmte Kriegsherr Alexander Wassiljewitsch Suworow auf“, heißt es da auf Tschechich und Russisch. Die Tafel ist nicht besonders erhebend oder beeindruckend. eher arg schlicht. Dahinter steht ein wohl Politikum, das die Gemüter eine kurze zeitlang bewegte. Ab 1947 hatte sich nämlich auf der Fassade eine durchaus stattliche Denkmalsbüste befunden – ein Werk des Bildhauers Lubomír Boček. Die gibt es immer noch, aber sie wurde 2001 bei Renovierungsarbeiten in den Hinterhof verbannt, was zu bösen Kommentaren in der russischen Presse führte. Außen wurde darob die Tafel als „Ersatz“ angebracht.

Man kann aber den Hof betreten und sich dann fragen, warum der alte Generalissimus jetzt ein Schattendasein fristen muss. Vielleicht war man bis 1947 (ein Jahr bevor die Machtübernahme der Kommunisten mit Hilfe der Sowjets alle Illusionen zerstörte) in der Tschechoslowakei, die bis dato nie mit Russland in Konflikt geraten war, noch nicht sonderlich gegen die Russen eingenommen. Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings von 1968 und der Okkupation durch die Sowjets gab es da wohl einen Stimmungsumschwung. Vielleicht erinnerte man sich, dass Suworow, bevor er Europa vor Napoleon verteidigte, aber auch Freiheitsbewegungen in anderen Ländern niedergeschlagen hatte – etwa den Kościuszko-Aufstand in Polen 1794.

Wie dem auch sei, Suworow ist nun in einem versteckten Winkel des Hofs untergebracht. Der politische Ärger von 2001 wurde ganz typisch tschechisch ausgesessen und ist mittlerweile vergessen. Und Suworow wirkt auch hier immer noch ganz und gar wie der Held, der die Alpen bezwang. (DD)

Die Gifthütte – ein Ort der Legenden

Das 1932/33 im damals hochaktuellen Stil des Funktionalismus von Architekt Josef Kalous – immerhin der Erbauer der berühmten Messehalle in Brno – erbaute dreistöckige Wohnhaus in der Apolinářská 445/6 (Prag 2) mag nicht besonders spektakulär aussehen. Aber Geschichte dahinter ist es schon.

Denn hier stand dereinst die Jedová Chýše – die Gifthütte! Das war ein Ort, um den sich schaurige Mythen rankten. Die Gifthütte, das war eine Taverne mit üblem Ruf, deren Ursprünge sich in den Untiefen des Mittelalters verlieren. Beten macht Durst und so wurde die Kneipe wohl schon um 1362 eröffnet, als direkt in der Nachbarschaft die Kirche St. Apollinaris (Kostel svatého Apolináře) erbaut wurde. Und schon damals verbreiteten sich Geschichten um sie, dass in der Umgebung auffallend viele Morde und Überfälle stattfanden. Noch im 16. Jahrhundert soll der berühmte Golem des Rabbi Löw hier Bösewichte bestraft haben.

Eine von den vielen Sagen und Mythen der Zeit mag der Gifthütte den Namen gegeben haben. Wenn es denn stimmt. Jedenfalls besagt eine Legende, dass Anfang des 15. Jahrhunderts König Wenzel IV. als „normaler“ Bürger verkleidet in dieser Taverne einkehrte, die damals noch ganz unschuldig Na vinici (Zum Weinberg) hieß. Dort erkannte er zwei Übeltäter, die ihn vor einiger Zeit mit einem Gift umbringen wollten. Während die beiden bei einem Tanz abgelenkt waren, befahl der König seinem Henker, ihnen Gift in den Wein zu geben. Die beiden tranken den Wein und verendeten qualvoll. Seither, so heißt es, habe die Taverne Gifthütte geheißen. Es gibt aber auch andere (glaubwürdigere) Mutmaßungen über den Ursprung des Namens. Im 19. Jahrhundert wurden in der unmittelbaren Umgebung etliche Gebäude der Medizinischen Fakultät der Karlsuniversität erbaut. Danach kehrten hier gerne Medizinstudenten ein, die im Ruf standen, mit allerlei Giften zu hantieren. Aber das ist natürlich keine so schöne Legende, wie die mit dem alten König Wenzel.

Auf jeden Fall war zu diesem Zeitpunkt die Jedová Chýse eine wüste Kneipe. Im späten 19. Jahrhundert kam es immer wieder zu Schlägereien zwischen tschechischen und deutschen Studenten – ein böses Omen für die kommenden Übel des Nationalismus. Es heißt, der Wirt habe Angst gehabt, dass ihm ständig Besteck gestohlen werde. Deshalb aßen die Gäste gemeinsam Suppe aus einer im Holztisch eingekerbten Mulde und die billigen Holzlöffel waren am Tisch angekettet. Nach heutigen Standards eine etwas unhygienische Angelegenheit… In diesen Zeiten war aber die Gifthütte bereits die älteste Kneipe Prags und eine Legende, die immer neue Legenden gebahr. Etwa die, dass sich hier Mathieu Dreyfuss versteckt hielt, der Bruder des berühmten französischen Offiziers Alfred Dreyfus, der in Frankreich aufgrund von gefälschten Beweisen und einer großen Dosis Antisemitismus zu Unrecht wegen Landesverrat in den Kerker gesteckt worden war (Dreyfuss Affaire). Dass Mathieu Dreyfuss, der in Frankreich eine energische Kampagne zur Freilassung seines Bruders lancierte, tatsächlich zu dieser Zeit in Prag war, kann allerdings herzhaft bezweifelt werden.

Der Status, ein wahrer Mythos unter den Prager Schänken zu sein, erwies sich aber am Ende als geringer Schutz für die Gifthütte. Im Jahre 1926 erlebte sie noch einmal einen neuen Höhepunkt, als etliche Szenen der ersten Verfilmung des berühmten Romans vom guten Soldaten Schwejk (Dobrý voják Švejk), die sogar noch ein Stummfilm war (Filmausschnitt hier), hier gedreht wurden. Noch in den 1970er Jahren tauchte die Gifthütte in den Kriminalgeschichten von Jiří Marek, die in den 1920er Jahren spielen, immer wieder als Ganoventreff auf (etwa in der Sammlung Panoptikum sündiger Leute, 1974). Aber da war die Gifthütte bereits Vergangenheit. Im Jahre 1927 kaufte der Mediziner Professor Antonín Heveroch, ein berühmter Psychater und Neurologe, das Gebäude, um hier ein zusätzliches Klinikgebäude zu erbauen. Kurz vor Kaufabschluss warnte man ihn, dass das Haus verflucht sei. Er schlug die Warnung in den Wind und kurz darauf verstarb er plötzlich und unerwartet. Nun ja. Aus dem Klinikplan wurde nichts. Stattdessen entstand das von Kalous gebaute funktionalistische Mietshaus. Das sieht, wie gesagt, unspektakulär aus. Das passt. Denn die Umgebung gilt heute wegen ihrer ruhigen Lage eine der besseren und teuereren Wohngegenden Prags. Damit zog eine gewisse gepflegte Langeweile im Umfeld ein. Die turbulente Welt der Gifthütte ist unwiderbringlich passé. (DD)

Böse Botschaft

Hinter hohen Mauern und Gittern kann das Böse ungestört seine Ränke schmieden. Hier in dieser abgeschieden wirkenden Villa fasste vor genau 100 Jahren, am 9. Dezember 1922, das Evil Empire, die Sowjetunion, erstmals ein wenig Fuß in Prag.

Die Beziehungen der Ersten Tschechoslowakischen Republik zum Roten Reich waren zu Beginn definitiv eher unfreundlich. Noch bis September 1920 hatten die Tschechoslowakischen Legionen des Ersten Weltkriegs (über die berichteten wir bereits u.a. hier, hier, hier, hier und hier) sich mit der Roten Armee in Sibirien Gefechte geliefert. An reguläre diplomatische Beziehungen mit einem Staat, der alle demokratischen Grundsätze verachtete, war nicht zu denken. Und man wollte auch keine Alleingänge gegenüber den westlichen Alliierten. Sowohl Frankreich als auch Großbritannien sollten die UdSSR erst 1924 anerkennen, die USA sogar erst 1933. Aber die Realität forderte doch kleinere Konzessionen. Also ließ man im gegenseitigen Einvernehmen offizielle Handelsvertretungen zu. Der tschechoslowakische Verteter in Moskau, Josef Girsa, trat sein Amt im Januar 1923 an. Sein sowjetischer Amtskollege Pavel Mostovenko hatte sich eben schon am 9. Dezember 1922 in Prag niedergelassen.

Der brauchte natürlich eine akzeptable und repräsentative Unterkunft. Und die fand man in der Vila Tereza (Villa Therese) in der Italská 438/36 im Stadtteil Žižkov, ganz nahe an der Grenze zu Vinohrady direkt neben dem dortigen schönen Rieger Park. Das schöne einstöckige Ziegel- und Stuckgebäude im Neorenaissancestil wurde im Jahre 1873 für den Bauingenieur Jan Holejšovský durch den Bauunternehmer Josef Vevera erbaut. Holejšovský verkaufte es schon ein Jahr später 1874. Es folgten etliche weitere Besitzerwechsel. 1885 kaufte es der Schweizer Ingenieur Daniel Märky ​​​​und benannte es nach seiner Frau Therese. 1897 richte die Schweiz ein Konsulat in Prag ein und Märky wurde der Konsul. Das blieb er zu seinem Tod im Jahr 1903. Sein Nachfolger Emanuel Hess verkaufte das Gebäude schon 1904 und zog nach Vinohrady. Es folgten wieder Besitzerwechsel und 1922 war das bereits für diplomatische Aufgaben bewährte Haus frei für die Sowjetunion.

Während die tschechoslowakische Seite eine recht stabile Personalpolitik betrieb (Girsa blieb immerhin bis 1931 in Moskau), wechselten die sowjetischen Handelsvertreter in schneller Folge. Die interessanteste von ihnen war zweifellos der vierte Vertreter, nämlich Wladimir Alexandrowitsch Antonow-Owsejenko, der immerhin von 1924 bis 1928 hier residierte. Unter ihm wurde die Handelsvertretung zur Anlaufstelle der 1921 gegründeten Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei und – da ihm die Romantik eines echten Revoluzzers um Lenin anhaftete – zum Treffpunkt für linke Intellektuelle, wie etwa die Schriftsteller Vladislav Vančura (wir berichteten hier) und Julius Fučík (erwähnt hier) oder der Musikhistoriker Zdeněk Nejedlý, der später als Kulturminister brutal im Sinne stalinistischer Ideologie wirken sollte. Man betrieb also Subversionsarbeit und Perspektivagententum. Manch böser Plan wurde da wohl im Dienste der proletarischen Weltrevolution geschmiedet. Dabei half ihm, dass die Akkreditierung der jeweiligen Handelsvertretungen, deren Aufgaben so weit fassten, dass sie de facto (nicht aber de jure) schon fast so etwas wie richtige Botschaften waren.

Antonow-Owsejenko war anscheinend eine charismatische und intellektuelle Erscheinung. Das war definitiv mehr als der bald an die Macht in Moskau gekommene Josef Stalin vertragen konnte. Nach einer längeren diplomatischen Karriere (etwa in Spanien) kehrte Antonow-Owsejenko 1937 in die UdSSR zurück, nur um dort im nächsten Jahr im Zuge der Großen Säuberung hingerichtet zu werden. Zu den weiteren Handelsvertretern gehörte Sergej Aleksandrowski, der 1933 sein Amt antrat, aber das Glück hatte, dass 1934 (recht spät also) die beiden Länder volle diplomatischen Beziehungen aufnahmen, womit er dann tatsächlich der erste Botschafter der UdSSR in der Tschechoslowakei wurde. Die Vila Tereza war nun bis 1939, als die Nazis einmarschierten und alle Diplomatie ein Ende hatte, eine echte und vollwertige Botschaft.

Erst 1945 zog man in das unendlich größere und geradezu palastartige Gebäude im Stadtteil Bubeneč ein, das heute noch die Botschaft Russlands (der Nachfolgerstaat der Sowjetunion) beherbergt. Die neue Riesen-Botschaft passte auch besser zu dem imperialen Status, den die Sowjetunion (vor allem nach der kommunistischen Machtergreifung 1948) gegenüber der unterjochten Tschechoslowakei innehatte, als die vergleichsweise doch irgendwie recht beschauliche Vila Tereza neben dem Rieger Park. Die wiederum zog sich in eine bescheidene Privatexistenz zurück.

Nach der Privatisierung des seit 1975 unter Denkmalschutz stehenden Gebäudes, die nach dem Ende des Kommunismus (1989) erfolgte, dient es heute als kleines Bürohaus, unter anderem für eine Firma für Computersicherheit. Die Mauern um das Gebäude versinnbildlichen schon fast diesen neuen Zweck. Der böse Geist der Sowjetunion scheint aber gottlob endgültig vertrieben. Der findet sich nur noch auf der mit Hammer und Sichel geschmückten Bronzeplakette neben dem Eingang, die noch in den Zeiten kommunistischer Herrschaft angebracht wurde, und in Tschechisch und Russisch dem Ereignis gedenkt, dass hier dereinst die erste sowjetische Vertretung eröffnet wurde. (DD)

Švejkscher Humor bevor es Švejk gab…

Das ist schon so etwas wie der gute Soldat Švejk noch bevor es den Švejk überhaupt gab. Oder gab es den Soldaten Švejk im eigentlichen Sinn etwa immer schon? Steckt etwa in jedem böhmischen Soldaten ein kleiner Švejk?

Jedenfalls haben die putzigen Sgraffiti auf der Fassade des dreistöckigen Wohnhauses in Ostrovní 1707/14 in ihrem Sinn für das Karikaturenhafte, gepaart mit einem gewissen Unernst gegenüber soldatischem Drill schon auf den ersten Blick etwas gemein mit den von Josef Lada angefertigten originalen Illustrationen zu Jaroslav Hašeks Schelmenroman vom guten Soldaten Švejk. Nur, dass der erste Band des Roman mit Ladas köstlichen Zeichnungen 1921 erschien (nachdem es schon erste literarische Versuche mit dem Charakter 1912 – den Ur-Schwejk sozusagen – gegeben hatte). Und das, was wir hier sehen, stammt aus dem Jahre 1890. Da war der Autor des Švejk gerade einmal sieben Jahre alt.

Was ist der Hintergrund dieser witzig gehaltenen soldatischen Motive? Nun, das Haus, das nach den Plänen des Architekten Architekt Čeněk Štraybl (über den ich nichts herausfand, außer dass er noch dieses Gebäude gebaut hat) ersetzte ein zuvor dort befindliches militärisch genutztes Gebäude. An der Stelle stand nämlich ein Werbungs- und Rekrutierungsbüro der Österreichischen Armee. Die wurde übrigens im selben Jahr 1890 im Sinne der Reichseinheit Kakaniens mit der Ungarischen Armee zu einer Gemeinsamen Armee zusammengelegt. Ob das Verschwinden des Rekrutierungsbüros etwas damit zu tun hatte, weiß ich nicht, aber es verschwanden Ende des 19. Jahrhundert sowieso und unabhängig davon alle militärischen Einrichtungen (meist Kasernen, Soldatenfriedhöfe oder Militärhospitäler) aus dem Innenstadtbereich Prags.

Wie dem auch sei: Beim Neubau wurde der militärischen Vergangenheit des Hauses jedenfalls sichtbar gedacht. Und zwar auf witzige Art, wie man auf dem großen Bild oben sieht. Die vor dem Essenfassen wartenden Soldaten der k.u.k.-Armee, die von ihrem Offizier lächelnd betrachtet werden, sind offenbar guter Stimmung und mehr am leiblichen Wohl, denn am Kampfeinsatz interessiert. Selbst ab und an notwendige Disziplinierungen (Hiebe auf den Hintern), werden, wie das kleine Bild links zeigt), allenfalls von dem Betroffenen unangenehm aufgenommen. Die Offizieren sehen das Leben weiterhin von der leichten Seite und schäkern mit den Mädels herum…

Das ist schon große Kunst. Kein Wunder, denn man hatte für die Gestaltung der Sgraffiti ja auch einen großen Künstler gewonnen, nämlich keinen Geringeren als Mikoláš Aleš (frühere Beiträge u.a. hier und hier). Der galt als einer der großen Historienmaler seiner Zeit. Normalerweise ging es dabei sehr ernst und pathosgeladen zu. Hier lernt man ihn von seiner ungewohnt heiteren Seite kennen. Ausgeführt wurden die Bilder nach seinen Entwürfen von dem damals benfalls recht bekannten Maler Josef Bosáček.

Man muss sich das Ganze näher anschauen, um noch mehr Witziges zu finden. Man nehme die (links im Fries befindliche) Anfangsszene, in der ein potentieller Rekrut das Heim der Eltern verlässt. Ganz klar ging der Künstler dabei von der Vermutung aus, dass nur naive Landeier sich überhaupt in den Wehrdienst hineinbugsieren ließen. Auch findet sich, wie das Bild oberhalb rechts zeigt, ein Panorama von österreichischen Soldaten aus allerlei Zeiten (aktuell, napoleonische Kriege, 17. Jahrhundert), die hier irgendwie zusammen dienen.

Der Gang durch die Zeiten wird oberhalb zwischen den Fenstern des ersten Stocks fortgesetzt, wo man fünf große Tafeln mit einzelnen Darstellungen von Offizieren bewundern kann. Auf dem Bild rechts von links oben nach rechts unten: Ein Husar aus der Zeit Maria Theresias (Mitte des 18. Jahrhunderts), ein Dragoner aus der Zeit der Napoleonischen Kriege (um 1813), ein Ulan aus dem österreichisch-preußischen Krieg von 1866, ein Jäger aus der gleichen Zeit und ein Kürassier, wiederum aus der Zeit von Mara Theresia.

Schmale Sgraffiti an den Seiten des Hauses mit (ausnahmsweise recht konventionell dargestellten) Militärtrophäen ergänzen das Ganze.

Kurz: Das hübsche, aber an sich eher unscheinbare Neo-Renaissance-Haus Straybls wurde durch die karikaturenhaften Darstellungen von Mikoláš Aleš in ein humorvolles Gebäude mit Erlebniswert verwandelt – ein Soldatenpanoptikum, bei dem man die große Zeit des guten Soldaten Švejk schon am Horizont der Zeit erahnen kann. (DD)

Der Balkon der Samtenen Revolution

Der gemeinsame Auftritt der beiden am 23. November 1989 – heute vor 33 Jahren! – auf diesem Balkon gab den Menschen endgültig die Hoffnung, dass der Spuk des Kommunismus bald vorbei sein werde. Als der Schriftsteller Václav Havel, die weltweit bekannte Symbolfigur des Widerstandes, und Alexander Dubček, der 1968 gestürzte Architekt des Prager Frühlings, vor der Menge erschienen, brach riesiger Jubel aus.

300.000 Menschen hatten sich hier auf dem Wenzelplatz zu einer gigantischen Demonstration gegen das Regime versammelt. Es war die erste Demonstration des neuen Oppositionsbündnisses Bürgerforum (Občanské fórum), das sich am 19. November gegründet hatte, und das schon am 26. November Gespräche mit der kommunistischen Regierung führen sollte, um deren Machtmonopol zu brechen. Es war alles ganz schnell gegangen. Am 17. November 1989 hatte die erste große Studentendemonstration stattgefunden, die gemeinhin als Beginn der Samtenen Revolution gilt. Die Demonstration wurde zwar von der Polizei niedergeprügelt, aber die Demonstration gingen weiter und wurden größer und größer.

Von allen Demonstrationen der Samtenen Revolution sollte die am 23. November die größte Strahlkraft haben. Es war ein wahres Riesenaufgebot von Prominenten aus Kultur und Politik, die hier auf dem Balkon des Hauses am Václavské náměstí 793/36 der Menge zeigten, dass sie sich vom Regime in Protest abgewendet hatten. Zu den ersten Rednern gehörte Rudolf Hrušínský, der populäre Schauspieler und Švejk-Darsteller (der bald darauf als einer der ersten demokratischen Parlamentsabgeordneten gewählt wurde). Die Menge sang begeistert mit, als die Sängerin Marta Kubišová ihr berühmtes Lied Modlitba pro Martu sang, das so etwas wie die Hymne des Prager Frühlings gewesen war. Kubišová hatte zu den Erstunterzeichnern der Charta 77 gehört und war danach ungeheueren Repressalien des Staates ausgesetzt. Auch der Schlagerstar Karel Gott trat auf den Balkon. Er hatte sich zwar immer recht systemtreu verhalten und sogar für das Regime eine Anti-Charta zur Charta 77 unterzeichnet. Jetzt sang er unter dem Jubel der Menge die Nationalhymne, und zwar ausgerechnet im Duet mit dem Protestsänger Karel Kryl, der 1968 nach dem Ende des Prager Frühlings aus dem Land hatte fliehen musste. Aber vielleicht war gerade dies das Signal, dass es mit dem Regime zu Ende ging, dass auch angepasstere Prominente wie Gott nun aus der Deckung kamen.

Aber es war vor allem die Rede von Alexander Dubček, die der Revolution zusätzliche Legitimation verschaffte. Er war der Zeitzeuge dafür, dass das System seine Versprechen brach und gab dem Umsturz quasi seinen Segen (weshalb er bald demokratisch gewählter Parlamentspräsident wurde). Und dann kam Havel. Der hartnäckige Dissident und Einiger der Opposition und ihr glaubwürdiger Repräsentant. Aber Havel hatte ja bis dato nur im Untergrund gewirkt, und so wurde dies seine erste große öffentliche Rede. Er meisterte die Herausforderung brillant. Seine Forderungen nach Freiheit und Demokratie stießen auf Begeisterung. Die Menge rief immer wieder „Havel na hrad“ – Havel auf die Burg, also in den Präsidentenpalast. Und Präsident war er dann bald tatsächlich. Am 29. Dezember wählte ihn die Föderalversammlung derTschechoslowakei in das Präsidentenamt. Dass für den Auftritt am 23. November ausgerechnet der Balkon dieses Gebäudes ausgewählt wurde, mag kein Zufall gewesen sein, denn auch ohne die Samtene Revolution wäre es ein bedeutender Teil der politischen Geschichte des Landes.

Das fünfstöckige Büro- und Geschäftsgebäude wurde von 1911 bis 1913 nach den Plänen des bekannten Architekten Bedřich Bendelmayer als Palác Hvězda (Stern-Palast) gebaut (wir erwähnten ihn u.a. bereits hier und hier). Es handelt sich um ein Meisterwerk des späten geometrischen Jugendstils. Die steinernen Skulpturen (insbesondere die, die den Balkon tragen) und vor allem die farbigkräftigen Glasmosaike mit symbolistischen Darstellungen stammen von dem Bildhauer, Illustrator und Maler Vratislav Mayer.

Das Gebäude schrieb schon kurz nach Fertigstellung ein Stück tschechischer Demokratie-geschichte als hier 1913 der 1897 als Genossenschaft gegründete Verlag Melantrich (Nakladatelství Melantrich) einzog. Dieser Verlag war nach Georg Melantrich von Aventin (eigentlich: Jiří Černý Rožďalovický) benannt, einem Pionier des Druckwesens in Böhmen im 16. Jahrhunderts. Der Verlag stand der National-Sozialen Partei (Česká strana národně sociální) nahe, die nach der Unabhängigkeit der Tschechoslowakei 1918 als zentristische Partei mithin die staatstragende Gruppierung der Republik war und mit Tomáš Garrigue Masaryk den Präsidenten stellte. Wichtigstes (aber nicht einziges) Produkt des Verlages war die 1907 ins Leben gerufene Tageszeitung České slovo (Tschechisches Wort), die großen Zeitungen des Landes gehörte. Das Erscheinen der Zeitung wurde nur kurz während des Ersen Weltkriegs unterbrochen. Selbst unter der Nazi-Herrschaft erschien sie weiter, wenngleich weitgehend zensiert.

Als die Republik 1945 wiedergegründet wurde, änderte man den Namen in Svobodné slovo (Freies Wort). Von Anfang an bekämpfte das Blatt den Vormarsch der Kommunisten. Selbst als die Kommunisten im Februar 1948 die Macht ergriffen hatten, setzte sie noch kurz ihren Widerstand fort – bis einige Tage darauf die Produktion für zwei Tage eingestellt wurde. Danach stand sie unter neuer und regimetreuer Leitung und blieb es auch. Aber: Ein wenig vom alten republikanischen Geist hatte wohl in den Redaktionszimmern überlebt….

Denn als am 17. November 1989 die erste Demonstration der Samtenen Revolution von der Polizei niedergeschlagen wurde, war Svobodné Slovo die erste große Zeitung des Landes, die die Polizeiaktion scharf verurteilte und sich auf die Seite der Revolution stellte. Sie publizierte Manifeste der Demonstranten und die Redaktionsräume wurden zu Treffpunkten der Dissidenten. Und dann war da noch der Balkon, der mithin die beste Rednerbühne am Wenzelplatz bot. Und deshalb wurde der Balkon auch zu dem zentralen Ort der Revolution, auf dem Václav Havel seine erste große Rede hielt.

Für die Zeitung und den Verlag selbst war die Samtene Revolution allerdings kein Segen. Sie wurden privatisiert, indem man sie an den Investor Chemapol verkaufte, der die Teitung 1997 in Slovo (Das Wort) umtaufte. Chemapol geriet 1998 in die Krise geriet und stieß das Blatt an die Herausgeber der (2001 ebenfalls bankrott gegangenen) Zeitung Zemské noviny (Landeszeitung) ab, der Slovo aber nicht halten konnte und kurz darauf die Produktion einstellte. Das Verlagsgebäude des Palác Hvězda wurde 1999 versteigert. Heute residiert hier im hinteren Gebäudeteil eine große Filiale eines britischen Mode- und Lebensmittelgeschäfts. Zur Frontseite hat sich ein Hotel angesiedelt. Bucht man dort Zimmer 203, kann man anscheinend den Balkon, der so viel Geschichte schrieb, betreten. Bedauerlich ist, dass sich am Haus selbst nirgendwo eine Gedenkplakette befindet. Das sollte man möglichst bald ändern. (DD)

Sympathisches Museum mit Gruselexponaten

Heute ist Halloween. Da gibt es in diesem Blog immer etwas Gruseliges zu sehen. Wie dieses verrostete Fass zum Beispiel. In das wurde dereinst die Leiche eines ermordeten Menschen gesteckt, der wurde danach mit Säure übergossen, anschließend noch einmal in Wasser gekocht und dann von einer Brücke aus in den großen Orlík-Stausee geworfen. Als das Fass nach einiger Zeit gefunden und herausgeholt wurde, hatten die Forensiker mit dem Inhalt keine schöne und leichte Arbeit vor sich…

Solch schaurige Dinge kann man massenhaft begutachten im Polizeimuseum der Tschechischen Republik (Muzeum Policie ČR) in der Ke Karlovu 453/1 in der Neustadt. Aber nicht nur. Man kann sich eigentlich gar nicht vorstellen, wie groß, vielfältig und interessant so ein Polizeimuseum sein kann, bevor man dieses gesehen hat. Die oben erwähnten Orlík Mörder (Orličtí vrazi), eine kriminelle Bande, die in den Jahren 1991 bis 1993 sechs (meist etwas zweifelhafte) Geschäftsleute mit windigen Geschäften gegen Bares anlockten, sie dann aber ermordeten, das Geld einsteckten und die Leichen in Fässern versenkten, werden auch eher ein Beispiel für erfolgreich angewandte wissenschaftliche Kriminalistik bei der Entlarvung präsentiert, denn als Horrorshow. Nun ja, wie man oberhalb links bei dieser Dokumentationstafel über vorsätzlich verursachte Schädelfrakturen sieht, sind die Übergänge zwischen Wissenschaft und Grusel natürlich manchmal fließend.

Weder, dass es hier gruselig, noch dass es hier so umfassend informativ zugeht, kann man erraten, wenn man sich dem schönen und friedlich aussehenden Gebäude nähert. Es handelt sich um ein mit der wunderschönen barockisiert-gotischen Kirche St. Marien und Karl der Große (Kostel Nanebevzetí Panny Marie a sv. Karla Velikého na Karlově – wir berichteten hier) verbundenes Gebäude, das einmal dem Kloster gehörte, zu dem die Kirche einst gehörte. Die Kirche aus dem Jahr 1354, die in den 1730er Jahren barock umgebaut wurde, ist passenderweise heute so etwas wie die Stammkirche der Christlichen Polizei-Vereinigung (Křesťanská policejní asociace).

Zurück zum Museum: Der schon seit 1785 säkularisierte Bau wurde 1960 (also in kommunistischen Zeiten) dem Innenministerium übergeben, das hier 1965 ein Museum für den Grenzschutz einrichtete, dann 1973 eines für die nationale Sicherheit. Alles stramm an der herrschenden Ideologie ausgerichtet. Immerhin schuf man im Gartenbereich 1982 einen Verkehrskindergarten, was auch heute noch politisch wenig anrüchig erscheint. Mit dem Fall des Kommunismus 1989 war die Chance gekommen, das Ganze vom ideologischen Ballast zu entrümpeln und auf seine umfassende Ausstellung zur Geschichte und den vielen Tätigkeitsfeldern der Polizei in der Tschechoslowakei/Tschechien zu konzipieren – ohne die dunklen Seiten auszublenden. Und so wurde das Museum 1991 eröffnet und seither immer wieder verbessert.

Ein wesentlicher Teil des Museums ist der Geschichte des Polizeiwesens seit der Gründung der Ersten Tschechoslowakischen Republik im Jahre 1918 in allen Aspekten gewidmet. Die Polizei und Gendarmerie des alten k.u.k. Habsburgerreichs, aus der es ja letztens historisch erwuchs, wird nur knapp als Einführung dargestellt. Aber unter den ausgestellten Stücken über diese Zeit befinden sich durchaus – insbesondere, wenn es um altertümliche Bewaffnung geht (Bild rechts) – recht ansehnliche Stücke. So vorbereitet bekommt man im Folgenden ein Gefühl dafür, wie rapide sich das Polizeiwesen im Guten wie im Bösen danach im Lande entwickelte. Und so ist es auch gemeint. Auch wenn das Ganze dem Innenministerium gehört und die Sache unter großer und enthusiastischer Beteiligung der Polizei organisiert wird (Museumsdirektor Radek Galaš war selbst bei der Polizei und hatte an der Polizeiakademie studiert), werden die Schattenseiten aus den dunkleren Kapiteln der Geschichte nicht ausgeklammert.

Im Bild links sieht man eine Offiziersmütze mit rotem Stern aus dem Jahr 1954, die einem Mitarbeiter der Staatssicherheit StB (Státní bezpečnost), die wie kaum eine andere Organisation für die direkte politische Repression und Bespitzelung stand. In den 1980er Jahren arbeiteten 12.500 fest angestellte und 75.000 informelle Mitarbeiter für den StB, um Bürger zu überwachen, einzusperren und oft sogar zu ermorden (einen Fall beschrieben wir hier). Erst die Samtene Revolution von 1989 setzte diesem grausamen Spuk ein Ende und der StB wurde Anfang 1990 aufgelöst.

Da es der Anspruch des Museums ist, alle Sicherheitskräfte im Museum zu erfassen, kommt auch der Grenzschutz nicht zu kurz, dessen opferreiche Arbeit in den 1930er Jahren gegen Hitlers Saboteure und Terroristen einerseits geradezu zelebriert, aber dessen Funktion als (neben dem StB wohl offenkundigsten) Teil des kommunistischen Terrorsystems deutlich herausgestellt wird. Einer der vielen Menschen, die auch privat von der eisernen Grenze zwischen Kommunismus und Freiheit „profitierten“, war Hubert Pilčík. Der brutale Serienmörder gab sich als Fluchtorganisator aus, ermordete aber zwischen 1948 und 1951 eine immer noch unbekannte Zahl von Ausreisewilligen, um sie auszurauben. Die 12jährige Nichte zwei seiner Opfer fesselte er auf dem rechts gezeigten Brett, wobei ihr Kopf in die schalldichte Kiste am Ende gesteckt wurde, damit er sie über längere Zeit ungestört foltern und vergewaltigen konnte. Dann zwang er sie, Briefe zu schreiben, in denen sie berichtete, dass Onkel und Tante (in Wirklichkeit grausam ermordet) glücklich in Bayern lebten und sich wünschten, das Pilčík der Vormund der Nichte werde. Der Anblick der Kiste lässt einem das Blut erstarren vor so viel abgrundtiefer menschlicher Niedrigkeit. Als er 1951 verhaftet wurde, beging Pilčík im Gefängnis Selbstmord. Dass ihm das trotz aller Sicherheitsvorkehrungen gelang, hat immer wieder zu (nicht endgültig beweisbaren) Gerüchten geführt, dass er zumindest eine zeitlang mit dem StB unter einer Decke steckte, der in diesen Zeiten die Jagd auf „Republikflüchtige“ brutal verschärfte.

Jetzt aber zu den etwas harmloseren Aspekten: Die Polizei fängt ja auch richtige Verbrecher oder regelt den Verkehr und tut auch sonst durchaus Sinnvolles. Und dabei musste sie immer technisch mit dem Fortschritt der Zeit mithalten. Links sieht man eine damals moderne Wachstation aus den späten 1920er Jahren. Die verfügte über einen Telegraphen, eine kleine Telefonzentrale, eine (manuelle) Schreibmaschine und über ein Radio (Röhrengerät). Supermodern war das damals!

In den 1970er Jahren hatte man schon, wie das Bild rechts zeigt, die ersten sehr großen, aber vergleichsweise noch wenig leistungsstarken Computer und bediente sich des Funkverkehrs. Lautsprecheranlagen und Telefone, die keine Zentrale mehr brauchten, sondern nur eine Wählscheibe, waren irgendwie damals bereits Selbstverständlichkeiten. Und dabei war man damals im Kommunismus sicher noch nicht annähernd so technisch fortgeschritten wie im Westen…

Überhaupt ist das Museum auch etwas für Technikbegeisterte. Das gilt schon alleine für die geradezu gigantische Sammlung an Polizeifahrzeugen aller Zeiten und vor allem aller Arten – so etwa die Motorräder, von denen wir links eine Auswahl sein. Um mit den zu jagenden Bösewichtern mithalten zu können, musste die Polizei stets zu Lande, zu Wasser und zur Luft mobil sein. Auf einigen wenigen Fahrzeugen kann man sogar „Probesitzen“, was eines von vielen Dingen ist, warum das Museum auch bei Kindern außerordentlich beliebt ist, und die sich an den Leichenfässern und ähnlichen Gruselstücken anscheinend weniger stören als man annehmen könnte.

Was so groß ist, dass man es nicht in den Räumlichkeiten unterbringen kann, steht draußen im Garten. So zum Beispiel der riesige Polizei-Helikopter sowjetischer Provenienz vom Typ Mil Mi-2. Der Typ wurde 1961 entwickelt und ging 1962 in Produktion. Rund 5450 wurden bis 1986 gebaut und für die tschechoslowakische/tschechische Polizei waren sie von 1972 bis 1996 im Einsatz. Der Hubschrauber ist neben allerlei Dienstautos, Lastwagen und sogar Polizeibooten eine der Attraktionen des Museumsgarten.

Die Attraktion schlechthin ist ein aber Fahrzeug, dass auf den ersten Blick definitiv einem Kleinpanzer ähnelt. Tančík (Tänzer) nennt man das Exponat und es sieht nur aus wie ein Panzer. Sogar das vermeintliche Kanonenrohr ist nur ein Guckloch. Mit diesem aus verschiedenen Autoteilen (ein Wartburg 311 lieferte u.a. den Rahmen) und anderen Gebrauchtteilen zusammengebastelten Fahrzeug hatte 1970 der Schlosser Vladimír Beneš zusammen mit seiner Frau und vier Kindern (sie waren wohl recht dicht gedrängt drinnen) versucht, den Grenzwall bei Hrušky nach Österreich zu durchbrechen. Leider hatte das Gerät, von dem man nicht weiß, ob es furchterregend oder putzig aussieht, auf dem Weg eine Panne. Man ließ den „Panzer“ zurück. In Absprache mit seiner Familie floh Beneš, dem eine heftige Strafe drohte, wenn das Gerät erst einmal gefunden worden war, erst einmal alleine ohne „Panzer“. Das gelang ihm anscheinend recht leicht. Seine zurückgebliebene Frau wurde zu einer leichten Haftstrafe verurteilt, die bald verkürzt wurde. Sie und die Kinder durften 1977 in die USA ausreisen, wo sie alle wieder vereint waren. Der kleine Tančík, den die Polizei bald fand und aufbewahrte, steht heute im Museum als ein Dokument dafür, was Menschen alles für ihre Freiheit wagen. Dass man ihn vor einiger Zeit etwas poppig bunt bemalt hat, verleiht ihm eine gewisse tragik-komische Note.

Seien noch etliche der unzählig vielen Themen und Aspekte kurz erwähnt: Verkehrskontrollen, berittene Polizei, Geldfälscherei, Bürokratie, Polizeihundeschulung, berühmte Kriminalisten (etwa den berühmten Regierungsrat Josef Vaňásek, den wir schon hier erwähnten) und vieles, vieles mehr. Generös wie man ist, hat auch die Feuerwehr, die ja auch im Dienst der öffentlichen Sicherheit steht, eine eigene Abteilung. Auch dies eine Geschichte technischen Fortschritts. Im Bild rechts sieht man vorne einen Feuerwehrmann aus den 1920er Jahren, der noch keinen Schutzanzug, sondern eine schnieke Uniform trägt. Dahinter ein dem Katastrophenschutz verpflichteter Feuerwehrmann aus der Zeit des Kalten Krieges. Der ist sehr viel umfassender geschützt und moderner ausgerüstet.

Über alle die Schaustücke, die man sieht, sollte man ab und an auch mal an das Gebäude denken, in dem sie sich befinden. Das war ja mal ein prachtvoll barock gestyltes Kloster. Also: Hin und wieder den Blick nach oben schweifen lassen, um die nicht polizeilich relevanten Stuckarbeiten auf der Decke zu bewundern, die zum Teil noch mit herrlichen Fresken versehen sind! Touristen verirren sich in dieses Museum eher selten, obwohl das Museum auch für sie einen hohen Erlebniswert haben dürfte. Der einzige kleine Wermutstropfen ist dabei leider, dass fast alle Beschriftungen der Exponate ausschließlich in Tschechisch sind. Man sollte sein Smartphone mitnehmen, um wenigstens das Wichtigste mitzubekommen – obwohl vieles sich auch von selbst erschließt.

Und dann sind da noch die, um die es geht: Die Polizisten. Die tragen „ihr“ Museum mit Begeisterung. Die Photos für diesen Beitrag entstanden bei der Museumsnacht im Juni dieses Jahres. Personal und Polizisten führten die Besucher begeistert durch die Räume. Die Polizeikapelle spielte munter böhmisch auf. Zusätzliches Polizeigerät wurde herbeigeschafft. Und überall liefen Polizisten in passenden historischen Kostümen herum. Hier sieht man einen behelmten und besäbelten Gendarmen aus der Zeit der Ersten Republik (frühe 1920er) sich fröhlich mit kommunistischen Kollegen aus den 1970ern unterhalten. Das Ganze hat trotz der recht vielen Gruselexponate irgendwie einen äußerst sympathischen „human touch“. (DD)

Haus zweier bedeutender Frauen

Es ist schwer, im Schatten eines großen Vaters zu stehen. Tomáš Garrigue Masaryk, der Gründungspräsident der 1918 gegründeten Ersten Tschechoslowakischen Republik nimmt in der Geschichte des Landes einen Platz ein, der an geradezu mythischer Größe allenfalls mit dem des ersten nach-kommunistischen Präsidenten Václav Havel vergleichbar ist. Doch seine Tochter Alice Garrigue Masaryková brachte es in der Tat zu eigenständigem Ruhm und gilt als eine der prägenden Frauengestalten ihrer Zeit.

Vater Masaryk war ein für damalige Verhältnisse sehr moderner Vater. Mit der emanzipierten Amerikanerin Charlotte Garrigue Masaryková (wir berichteten bereits hier) verheiratet, tat er alles, um seinen Kindern Chancen zu eröffnen. Alices Bruder Jan Masaryk (wir berichteten hier) wurde etwa Außenminister, bevor er 1948 wahrscheinlich von den Kommunisten ermordet wurde. Die Förderung, die Alice zuteil wurde, war ungewöhnlich. Sie studierte an der Prager Karlsuniversität und wurde als eine der ersten Frauen überhaupt zur Promotion zugelassen. 1903 erhielt die Soziologin und Philosophin den Doktortitel. 1911 sollte sie die Soziologische Fakultät der Universität aufbauen. Zwischendurch hatte sie 1904/05 in Chicago studiert. Ihre Studien, die sich mit der Lager der Arbeiter, mit Alkoholismus und Geschlechtskrankheiten befassten, sollten stets lebensnah sein und praktischen Nutzen für Sozialreform abwerfen.

Und sie unterstützte die Politik ihres Vaters, die Tschechen vom Habsburgerreich zu befreien und eine eigene Republik zu gründen. Das tat sie auch während des Ersten Weltkriegs als der Vater im amerikanischen Exil war. 1915 wurde sie sogar für einige Zeit von den österreichischen Behörden ins Gefängnis gesteckt. Dabei drohte ihr die Todesstrafe, was aber durch die Intervention amerikanischer Diplomaten abgewendet werden konnte. Als die tschechoslowakische Unabhängigkeit kam, wurde sie 1919 die erste Vorsitzende des tschechoslowakischen Roten Kreuzes. Aber sie wurde nicht nur karitativ aktiv, sondern auch politisch. Sie gehörte unter anderem zu den Mitglieder der Nationalversammlung der Tschechoslowakischen Republik (Národní shromáždění republiky Československé), die den Aufbau der Republik einleitete. Besonders intensiv setzte sie sich in der Folge für die Frauenrechte ein. Als ihre Mutter Charlotte 1923 starb, trat sie an der Seite ihres Vaters als First Lady auf. Es heißt, ihr politischer Einfluß auf ihren Vater sei groß gewesen. Vor den Nazis, die 1939 einmarschierten, floh sie rechtzeitig in die USA, wo sie wieder in Chicago lehrte, aber sich vor allem für die Befreiung ihrer Heimat einsetzte. 1945 kehrte sie wieder nach Prag zurück, um sich für den Wiederaufbau der Demokratie zu engagieren, aber schon drei Jahre später kam die nächste Diktatur, diesmal die der Kommunisten. Die mutmaßliche Ermordung ihres Bruders 1948 war das Signal, wieder in die USA zurückzukehren, von wo aus sie in Ansprachen über Radio Free Europe den Freiheitskampf in der Tschechoslowakei unterstützte. Sie starb 1966 im US-Exil.

Während des Kommunismus war alles, was mit der Demokratie und dem Namen Masaryk zusammenhing, aus der Öffentlichkeit verbannt. Erst in den 1990er Jahren wurde eine schlichte bronzene Gedenktafel an dem Doppelhaus in der Loretánská 179/15 und 13 angebracht, in dem sie in den Jahren 1937 bis 1939 und dann noch einmal 1945 bis 1948 lebte. Das barocke Haus war im 17. Jahrhundert vom kaiserlichen Vizekanzler bewohnt worden.

Nur ein wenig neben der Tafel befindet sich eine andere Gedenktafel, die zweisprachig (englisch/tschechisch) daran erinnert , dass von 1945 bis 1948 hier auch Marcia Davenport lebte. Man könnte deshalb auch von einem Haus zweier bedeutender Frauen sprechen. Die amerikanische Schriftstellerin und Musikkritikerin (sie hatte neben zahlreichen Romanen u.a. 1932 eine Standardbiographie Mozarts veröffentlicht) hatte während des Weltkrieges tschechoslowakische Emigranten unterstützt und war mit Alices Bruder Jan liiert. Der wurde 1945 Außenminister und sie zog mit ihm nach Prag. Das Haus in der Loretánská befindet sich in Sichtweite des Palais Czernin (Černínský palác), wo das Außenminsterium residiert. Als die Kommunisten 1948 die Macht ergriffen, zog Davenport nach London. Jan Masaryk wollte nach einer Weile folgen, um sie zu heiraten. Doch am 10. März fand man ihn tot unter einem hoch liegenden Fenster des Ministeriums. Die Kommunisten behaupteten, es sei Selbstmord gewesen, aber daran regen sich zurecht immer wieder Zweifel (wir berichteten hier). Darauf zog sie zurück nach Amerika, wo sie 1996 starb. (DD)

Der Fälscher im Prunkgrab

Als der Schwindel richtig aufflog, war es zu spät. Da lag er bereits in einem besonders schmuck- und ehrenvollen Grab auf dem Nationalfriedhof hoch oben über der Stadt auf dem Vyšehrad. Und als er dort 1861 beerdigt wurde, schrieb die tschechische patriotische Zeitung Národní Listy, seine „Beerdigung war in der Tat und im wahrsten Sinne des Wortes eine nationale Feier, großartig und beindruckend.“

Ja, der Mann hatte tatsächlich den Nationalstolz der Tschechen im Habsburgerreich angefacht. Im Jahr 1817 trat Václav Hanka mit der sensationellen Nachricht an die Öffentlichkeit, er habe im Turm der Kirche Johannes des Täufers (Kostel svatého Jana Křtitele) in Dvůr Králové nad Labem (dt.: Königinhof) eine Handschrift aus dem 13. Jahrhundert gefunden. Es handle sich um das älteste Stück Literatur in tschechischer Sprache und sei das Fragment eines großen Epos, dem zusätzlich einige Gedichte beigefügt worden waren.

Das war zu schön, um wahr zu sein. Griechenland hatte seinen Homer; die Engländer die Artussage und die Deutschen ihr Nibelungenlied. Jetzt hatten auch die Tschechen ein großes Epos aus früher Zeit: Die Königinhofer Handschrift (Rukopis královédvorský)! Man hätte gewarnt sein können. Schon einmal, im Jahre 1760, hatte ein Schriftsteller namens James Macpherson die literarischen Minderwertigkeitskomplexe der Schotten ausgenutzt, um ihnen seine „schottische“ Epenfälschung Ossian anzudrehen – ein grober Betrug, der einige Jahre später entlarvt wurde. Aber im Gegensatz zu Macpherson, der sich einfach recht plump weigerte, die (realiter nicht existierenden) Originalmanuskripte Experten zur Überprüfung vorzulegen, lag den Tschechen hier etwas vor, das wirklich wie eine echte mittelalterliche Handschrift aussah. 1818 legte Hanka noch einmal nach und präsentierte noch eine Handschrift ähnlicher Machart, die Grünberger Handschrift (rukopis zelenohorský).

Die sah auch echt aus. Und warum sollte man Hanka nicht glauben? Der war einer der renommiertesten Erforscher der alttschechischen Sprache überhaupt und galt als der ausgewiesene Kenner mittelalterlicher Dokumente schlechthin. Er war Schüler des legendären Josef Dobrovský, der die erste tschechische Grammatik verfasst hatte (wir berichteten hier) und später wurde er Leiter der Literaturabteilung des Nationalmuseums. Dazu kam noch viel später eine Professur an der Karlsuniversität. An seinem philologischen Wissen konnte zu Recht niemand zweifeln. Folglich gerieten die Tschechen ganz und gar aus dem Häuschen als sie von seiner Entdeckung eines urtschechischen Nationalepos erfuhren. Die Begeisterung schwappte auch über die Grenzen Böhmens. Goethe veröffentlichte schon bald eine deutsche Nachempfindung eines der nicht-epischen Gedichte (Das Sträußchen) aus der Handschrift. Sie war wiederum inspiriert von der 1819 erschienenen deutschen Übersetzung des Werkes, die ein Werk von Hankas Mitarbeiter (und möglicherweise Mitfälschers) Václav Alois Svoboda war. Romantiker aus allen Ländern schwärmten von der Urwüchsigkeit und Authenzität der mittelalterlichen Lyrik, darunter Jacob Grimm und François-René de Chateaubriand.

Und tatsächlich hatte die Handschrift auch das Zeug zum Historienbestseller. Im Mittelpunkt stehen die Schlachten, die die beiden vorhistorischen alttschechischen Kriegerfürsten Záboj und Slavoj siegreich gegen den bösen Eindringling Luděk bestehen, der wohl in Wirklichkeit ein Ludwig und somit Deutscher war. Das bestätigte das Geschichtsbild, das tschechische Patrioten, die unter der Habsburgerdominanz litten, gerne hörten. Die unweit von Hankas Grab befindlichen Monumentalstatuen, die der Bildhauer Josef Václav Myslbek zwischen 1889 und 1897 errichtete (Bild oberhalb rechts), zeugen von der Popularität des Mythos der beiden Ur-Helden (wir berichteten hier).

Der als „Vater der Nation“ geltende Nationalhistoriker František Palacký verwendete die Handschrift und ihre „Überlieferung“ bei seiner 1848 erschienenen „Geschichte des tschechischen Volkes in Böhmen und Mähren“ als Quelle. Sie unterstrich dabei das patriotische Generalthema, dass die böhmische Geschichte primär ein ewiger Kampf zwischen gewalttätigen Germanen/Deutschen und friedvollen, aber tapferen Slawen gewesen war. Diese Botschaft fand sich nicht nur in den Kämpfern Záboj und Slavoj personifiziert, sondern vor allem auch bei dem feinsinnigen aber todesmutigen Sänger Lumír, „der mit Wort und Sange rührt den Wyšehrad und alle Lande.“ Er wurde zur Kulturikone, nach der 1851 eine bedeutende Kulturzeitschrift benannt wurde, und der deshalb auch nicht bei dem opulenten Fassadenschmuck des Nationaltheaters (1881) fehlen durfte, wo er poetisch die Leier spielt und mutig trotzend in die Ferne schaut (Bild oberhalb).

Erste Zweifel an der Echtheit äußerte erstmals, aber ganz vorsichtig der damals sehr bekannte Slawist Jernej Kopitar im Jahr 1824. Da die meisten tschechischen Wissenschaftler aber ungebrochen an die Echtheit glaubten und der Zweifel nur verhalten war, ging das fast unbemerkt unter. Auch Hankas Lehrer Dobrovský äußerte verhalten Zweifel. Bei so einem patriotischen Überschwang bei der Rezeption des neuen „Nationalepos“ war jedoch absehbar, dass die Äußerung von Zweifeln an der Echtheit eher eine riskante Sache werden könnte, weshalb der erste Zweifler, der 1858 ganz eindeutig behauptete, das Ganze sei eine Fälschung Hankas, vorsorglich anomym blieb. Das war klug, wie der Sturm der Empörung zeigte, der nun aufbrauste. Aber die Debatte war da! Und sie ging nicht wieder weg. 1859 veröffentlichte der Wiener Historiker Max Büdinger einen wissenschaftlich fundierten Artikel, den Hankas Unterstützer nicht mehr so einfach wegschieben konnten. Büdinger legte 1861 mit seinem Buch „Die Königinhofer Handschrift und ihre neusten Vertheidiger“ noch einmal ausführlich nach. Unter normalen Bedingungen hätte das die Sache erledigt. Aber hier ging es nicht nur um philologische Kleinigkeiten, sondern um vaterländische Gefühle.

1861 starb auch Hanka und sein Riesenbegräbnis war eine patriotische Demonstration, wie ja Narodný Listek auch korrekt berichtete. Sie waren von recht wenig solide fundierten Gerüchten begleitet, die fiesen Fälschungsvorwürfe hätten ihn in den Tod getrieben. Und immer noch standen große Teile des (tschechischen) wissenschaftlichen und literarischen Establishments auch noch posthum auf seiner Seite – allen voran Palacký, an dessen Autorität als Nationalhistoriker man damals kaum vorbei kam.

Als man 1885 mit dem Bau des großen Nationalmuseums (Národní Muzeum) begann, über das wir hier berichteten, wurden über den Fenstern des zweiten Stocks Stucktafeln angebracht mit den Namen unzähliger großer Wissenschaftler und Intellektueller Böhmens – sozusagen eine Zurschaustellung von akademischem Patriotismus. Und selbstredend (und Büdingers Forschungen zum Trotz) fehlte Hankas Namen nicht. Noch heute befindet er sich hier zwischen dem slowakischen Slawisten Pavel Jozef Šafárik und dem Physiker Franz Adam Petřina. Dieses trotzige Aufbäumen konnte die zweite Welle der Debatte in den späten1880er Jahren aber nicht mehr verhindern. An ihr beteiligte sich auch der spätere erste Präsident der Tschechoslowakischen Republik, Tomáš Garrigue Masaryk, der gewiss nicht im Verdacht stand unpatriotisch zu sein. In einem Artikel in der Zeitschrift Athenaeum zeigte er 1889 auf, dass es sich nur um eine Fälschung handeln könne – in aller Wahrscheinlichkeit das Werk Hankas selbst. Damals wohnte Masaryk mit seiner Familie zur Miete in der Villa des Schriftstellers Václav Vlček, der ihn aus patriotischer Entrüstung aus der Wohnung warf (wir berichteten hier). Das nutzte in der Sache nichts. Und Masaryk betonte weiter, dass die modernen Tschechen für ihren Nationalstolz keine erfundenen Mythen bräuchten. Inzwischen haben moderne Materialforschungen in den 1990er Jahren, die man zu Hankas Zeiten noch nicht zur Verfügung hatte, die für damalige Verhältnisse sehr gut gemachte Fälschung nachgewiesen.

Es gibt immer noch Verteidiger Hankas, die behaupten, die Diskussion sei von Feinden der Nation (schließlich leugneten auch die Kommunisten die Echtheit der Handschrift) gesteuert. Oder einige die meinen, er sei von seinem Mitarbeiter Svoboda reingelegt worden, der der wahre Fälscher gewesen sei. Nun ja, auf jeden Fall liegt Hanka an prominenter Stelle auf dem Nationalfriedhof. Das riesige das obeliskenähnliche Prunkgrab finanzierte 1863 (zwei Jahre nach dem Ableben) die renommierte Svatobor Gesellschaft (Spolek Svatobor), eine Vereinigung, die arme Schriftsteller unterstützt und vor allem die Nationalgrabstätte Slavín (drittes Bild von unten) betreut. „Nationen gehen nicht unter, wenn die Sprache lebt!“, steht auf der Inschrift, die damit vorsichtshalber auf die unbestrittenen Verdienste Hankas für die slawische Philologie hinweist und nicht auf die Königinhofer Handschrift. Die Unterstützung des Grabdenkmals durch die Svatobor Gesellschaft erklärt übrigens auch das seltsame Symbol auf der Spitze des Grabes – drei Hände, die einen Ring festhalten. Das ist nämlich das Logo des Vereins, der sich hiermit selbst verewigt hat. (DD)

Unter dem Doppeladler

Spätestens mit der Niederlage bei der Schlacht am Weißen Berg 1620 mussten sich die Böhmen damit abfinden, endgültig unter der Herrschaft der Habsburger zu stehen und damit ihre Unabhängigkeit zu verloren zu haben. Der in in Stuck modellierte Doppeladler der Habsburger über dem Eingang des passend Haus zum Schwarzen Adler (dům U Černého orla) genannten Gebäudes in der Mostecká 279/11 auf der Kleinseite, ganz nahe der Karlsbrücke, unterstreicht diesen Machtanspruch Habsburgs deutlich.

Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, dass der Doppeladler der Gründung der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie 1867 sein Leben verdankt – Doppeladler und Doppelmonarchie, das scheint ja auch irgendwie zu passen. Aber der hier abgebildete Doppeladler ist deutlich vor 1867 zu datieren. Also: Das Heilige Römische Reich verwendete ursprünglich den einköpfigen Adler als Wappentier (was seit dem Bismarck-Reich 1871 für Deutschland übernommen wurde). Unter Kaiser Sigismunds wurde jedoch 1433 der Doppeladler eingeführt, weil der Kaiser des Reiches zugleich deutscher König war. In diesem Sinne war bereits das alte Reich eine Art Doppelmonarchie. Ab dem 16. Jahrhundert hatten die Habsburger die Kaiserwürde quasi durchgängig inne, weshalb die Familie den Doppeladler bald übernahm, womit klar war, dass sie Reich und Dynastie als ein unteilbares Ganzes dachten. Ihre jeweiligen unterschiedlichen Ländereien wurden nun durch ein Wappen in der Mitte (im Herzschild) markiert. Genau das sieht man hier: den Doppeladler mit dem  Böhmischen Wappenlöwen (wir berichteten hier) in der Mitte. Als das alte Heilige Römische Reich 1806 zusammenbrach, behielten die Habsburger einfach den Doppeladler für ihr restliches Österreichisches Kaisertum, das dann 1867 in die k.u.k. Österreich-Ungarische Doppelmonarchie (auch Kakanien genannt) überging.

Und nun zum Haus selbst: Dort, wo sich heute dieses dreistöckige Wohngebäude befindet, stand ursprünglich ein gotisches Gebäude. Kaiser Karl IV. (zugleich böhmischer König) hatte es zum Hof des mit ihm verbündeten Mainzer Erzbischofs Ludwig gemacht, der dafür 1376 den Ausschlag bei der Wahl von Karls Sohn Wenzel zum deutschen König gab – für Karl ein Herzenanliegen. Das Haus wurde später – längst nicht mehr im erzbischöflichen Besitz! – immer wieder umgebaut, im Jahre 1583 und noch einmal 1610 im Renaissancestil, wobei es dabei seinen heutigen Grundriss bekam.

Im zweiten Viertel des 18. Jahrhunderts, um 1732, bekam es im Kern die heutige spätbarocke Fassade, die sich durch einen späteren klassizistischen Umbau, der mehr das Innere betraf, nur unwesentlich veränderte. Ein neuerlicher Umbau um 1930 betraf ebenfalls nur den hinteren Teil zum Innenhof.

Selbst in der zum Königsweg gehörenden Mostecká, in der es von schönen Häusern nur so wimmelt, ragt dieses Haus als besonders schön heraus. Die reich bestuckte Fassade mit dem Doppeladler, etlichen zierlichen Schmiedearbeiten, aber auch etlichen hübschen Medaillons wird oben durch ein prachtvolles Gesims abgeschlossen, das Kenner an ein Werk des berühmten Architekten Giovanni Battista Alliprandi erinnert, jenen großen Barockmeister, dem wir die Schönheit der heutigen deutschen Botschaft verdanken (worüber wir hier berichteten).

Hoch über dem dreieckigen Giebel steht eine etwas überlebensgroße barocke Sandsteinstatue des Heiligen Florian. Der scheint seinem Zweck als Patron des Brandschutzes wirkungsvoll zu dienen, denn abgebrannt ist das Gebäude tatsächlich noch nie.

Wer den Doppeladler an der Fassade veranlasst hat, habe ich noch nicht herausgefunden, aber er war offenkundig ein flammend begeisterter Parteigänger der Habsburgerdynastie. Der Adler ist mit seinen fein ziselierten Federn und seiner polychromen Gestaltung so kunstvoll gestaltet (es gibt kaum einen schöneren in Prag!), dass selbst der größte tschechische Patriot nicht umhin kann, ihm etwas abzugewinnen. Auch ist die Schmach vom Weißen Berg schon so lange Geschichte und es hätte den Böhmen auch Schlimmeres an dynastischer Herrschaft passieren können als die Habsburger, so dass schon längst der Schwamm ordentlich drüber gewischt ist. Schön ist es jedenfalls, das Haus zum Schwarzen (Doppel-) Adler. (DD)