Sie ist eine der ungewöhnlichsten und wohl auch schönsten Kirchen in Prag: St. Marien und Karl der Große (Kostel Nanebevzetí Panny Marie a sv. Karla Velikého na Karlově). Dass man in der Zeit des Barock gotische Kirchen aus dem Mittelalter nach eigenen Stilvorstellungen modernisierte, ist nichts Ungewöhnliches. In Prag – und nicht nur dort – gibt es unzählige Beispiele dafür.
Aber warum sieht das hier so anders und auch besser aus? In dieser Kirche sind Gotik und Barock nicht nur irgendwie zusammengesetzt, sondern zu einer harmonischen Einheit verschmolzen. Um die Erklärung zu finden, sollte man sich den Namen der Kirche anschauen. Nach Maria sind viele Kirchen benannt. Aber der zweite Namen? Karl der Große? Das sei einzigartig und ungewöhnlich, erklärte mir der Pfarrer beim Besuch der Kirche. Katholische Kirchen seien immer nach Heiligen benannt. Karl der Große sei aber nie heiliggesprochen worden. Die Benennung der Kirche habe etwas mit der Vorliebe des Kaisers und böhmischen Königs Karl IV. zu tun, der ein Bewunderer des großen Franken gewesen sei. Karl IV. versuchte sich auf diese Weise als der Vollender des karolingischen Erbes und Reichsgedankens darstellen. Um diesen recht säkularen Anspruch ein wenig zu kaschieren, fügte er im Namen noch die Maria hinzu.
Als Karl IV. im Zuge des Aufbaus der Prager Neustadt die Kirche 1354 (Weihung 1377) bauen ließ, wich er bewusst – aus geschichtspolitischen Gründen sozusagen – von der in seiner Zeit eigentlich üblichen Langschiffkonstruktion ab. Stattdessen wurde ein Oktogonalbau mit Kuppel geplant, der offen an die Pfalzkapelle Karls des Großen in Aachen anknüpfte. Was in seiner Zeit ungewöhnlich war, passte am Ende besonders gut zu darauf folgenden Stilen von Renaissance und Barock.
Das gilt besonders für die Kuppel (links), die in den folgenden Generationen noch ihren „Feinschliff“ bekam. Die Architekten Karls IV. mussten sich wahrscheinlich noch mit einer Zentralstütze zufrieden geben, um die Kuppel mit ihren 23 Metern Durchmesser zu stabilisieren. Darauf konnten die Renaissancebaumeister, die den Bau 1575 überarbeiteten, verzichten. Das Ergebnis war unmittelbar beeindruckend, vor allem wenn man sich vorstellt, dass die Wanddicke der Kuppel kaum 20 Zentimeter beträgt!
Ihre heutige Prachtvolle Ausstattung bekam der Innenraum im Barock in den Jahren 1733 bis 1738 als sich der Baumeister Franz Maximilian Kaňka seiner annahm. Die Nachahmung der „Heiligen Stiege“ des Laterans, aber vor allem die mit illusionistischen Malereien verwobenenen und überaus lebensecht wirkenden Stuckaturen (rechts) aus der Barockzeit, gehören zu den auffälligen Merkmalen der Kirche. Sie sind zum Teil an Originalität kaum zu überbieten.
Bleibt noch zu ergänzen, dass es dort ab und an kleine Konzerte oder Gottesdienste mit Musik gibt. Dann merkt man, dass die Oktogonform und die Kuppel zwar zum Barock passen, dass aber die Akkustik hier trotzdem viel besser ist als in den meisten anderen Barockkirchen. Im Mittelalter wusste man anscheinend noch, wie man so etwas macht. Alles in allem: Wenn man nach einer potenziellen Nummer 1 unter den schönsten Kirche Prags sucht, dann gehört sie bestimmt in die engere Auswahl. (DD)