Der Friedhof der Großen

Wie alle Kirchen im Mittelalter, war auch die Peter und Paul Kirche (Bazilika sv. Petra a Pavla) auf dem Vyšehrad (früherer Beitrag hier) von einem Kirchhof umgeben, der sich in diesem Fall bis in das Jahr 1260 zurückverfolgen lässt. Die meisten dieser kleinen Kirchhöfe in Prag wurden Ende des 18. Jahrhunderts aufgelöst. Der Friedhof auf dem Vyšehrad hingegen machte Karriere. Er wurde zum großen Nationalfriedhof. Das verdankte er vor allem dem Wirken des Dekans und späteren Probstes der Kirche, Václav Štulc.

Štulc war ein begeisterter tschechischer Patriot und hatte 1863 sogar wegen anti-habsburgischer Agitation zwei Monate im Gefängnis gesessen. Und für tschechische Patrioten war der Vyšehrad so etwas wie ein heiliger Ort. Es war der mythische Sitz der ersten böhmischen Herrscher und hier hatte die Seherin Libuše (früherer Beitrag hier) den Aufstieg Prag zur Hauptstadt vorhergesehen. Und so sollte nach dem Willen Štulcs hier eine Art tschechische Walhalla entstehen; ein Ort, wo die Großen der Nation ihre letzte Ruhe und die Nation ein Symbol ihrer Größe finden sollte.

Und diese Idee, für die er viele Anhänger und Spender fand, setzte er 1869 um. Das mit 0,81 Hektaren nicht einmal so riesige Areal wurde grundlegend umgearbeitet und künstlerisch so gestaltet, dass es dem noblen Zweck dienen konnte. Das auffälligste und definierende Element dabei ist der große Arkadengang, der die gesamte West-, Nord- und Teile der Ostseite des Friedhofs umfasst. Sie wurde im Neo-Renaissancestil von dem Architekten Anton Viktor Barvitius entworfen. Dazu entwarf er schon einmal einige passende Mausoleen. Der Arkadengang ist zudem innen mit schönen passenden Fresken versehen.

Da hier fast ausschließlich bedeutendere Tschechen beerdigt wurden, ließ man sich bei der Gestaltung der Gräber und Mausoleen auch generell nicht lumpen. Neorenaissance, Neogotik, Jugendstil, Art Déco, Kubismus oder Funktionalismus – alle Stilrichtungen seit dem 19. Jahrhundert finden sich hier vertreten. Sich die Gräber anschauen, heißt, einen Gang durch die Kunstgeschichte zu machen. Sowieso ist es bemerkenswert, wie originell gerade modernistische Grabgestaltungen sein können (kleines Bild links). Über ein Grab im Comics-Stil hatten wir ja hier schon einmal berichtet.

Neben der Gestaltung der Gräber beeindruckt natürlich auch, wer da so alles begraben wurde. Es handelt sich um das Who’s Who der neueren tschechischen Geschichte. Über das Grab des großen Komponisten Antonín Dvořák hatten wir bereits hier berichtet, aber auch der nicht minder bedeutende Komponist Bedřich Smetana (das ist der mit der Moldau) ruht auf dem Vyšehrad. Die beiden kleinen Bilder zeigen die Grabstätten des Schriftsteller Jan Neruda (links) und den ebenfalls berühmten Maler Mikoláš Aleš (rechts).

Andere große Namen sind der Jugendstilmaler Alfons Mucha, der Bildhauer Josef Václav Myslbek, der Geiger Josef Suk, die Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Božena Němcová und der Schriftsteller Karel Čapek. Über das Kenotaph der von den Kommunisten hingerichteten Widerständlerin Milada Horáková hatten wir bereits hier berichtet. Die Liste der Großen ist fast endlos. Aber wie gesagt, selbst wenn der eine oder andere Namen in Vergessenheit geraten sein sollte, sind manchmal trotzdem die Grabsteine noch ein längeres Verweilen und Betrachten wert (ein handgreiflich originelles Beispiel oberhalb rechts).

Damit kommen wir zum Zentralstück des Nationalfriedhofs: Dem Slavín. Es handelt sich um eine große Sammelgrabstätte an der Ostmauer des Friedhofs (Bild links). Erbaut wurde sie von dem Neo-Renaissance-Architekten Antonín Wiehl in den Jahren 1889 bis 1893. Die Skulpturen entwarf der Bildhauer Josef Mauder.

Die Idee dafür kam aus dem Verband Svatobor, der etliche große Schrifsteller vereinigte, die nationale Heimatpflege betrieben. Der Verein betreut das Grab mit seinen kleinen Krypten immer noch und entscheidet, welche Großen Tschechiens darin ihre letzte Ruhe finden darf. 1901 begann es mit dem Schriftsteller Julius Zeyer. Zu den neueren Eingängen gehört der Dirigent Rafael Kubelík. Oben auf dem Grab befindet sich die Skulptur einer vor einem Sarkophag stehenden engelsgleichen Figur, die den Genius der tschechischen Heimat darstellen soll.

Kleine Tafeln erinnern an die dort Beerdigten. Darüber steht ein Vers von Zeyer mit dem Motto: „Obwohl sie starben, sprechen sie noch.“ Nicht nur Touristen, sondern vor allem auch viele Tschechen besuchen den Friedhof und den Slavín regelmäßig. Sie tun dies, um eine Reise durch Kultur und Geschichte zu unternehmen, oder um die Ruhe des Ortes (die man nur außerhalb der Hauptferienzeit findet) zu genießen, der nicht zuletzt wegen seines alten Baumbestandes ein angenehmer Ort ist. Informationstafeln am Eingang ermöglichen das Auffinden der bedeutendsten Grabstätten auf dem Friedhof. Zu ihnen gehört auch die von Václav Štulc, dessen Patriotismus wir diesen schönen Friedhof verdanken, und der 1887 hier seine letzte Ruhe fand. (DD)

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