Wiehls architektonisches Aushängeschild

Wenn ein berühmter Architekt ein Haus für sich selbst baut, darf er sich nicht lumpen lassen. Sein Haus muss letztlich Werbeträger und Aushängeschild für das Können des Meisters sein. Deshalb hat sich Antonín Wiehl 1896 beim Bau seines Hauses am Wenzelsplatz (Václavské náměstí 792/34, Ecke Vodičkova) zuerst einmal eine zentral sichtbare Lage gesichert und dann noch Künstler ersten Ranges als Mitstreiter einbezogen.

Keine Frage: Das Wiehlův Dům (Wiehl Haus) macht was her. Antonín Wiehl gilt als einer der führenden Vertreter des Neorenaissance, die – vor allem nach dem in Sichtweite liegenden und damals trendsettenden Bau des großen Nationalmuseums in diesem Stil – im Prag des späten 19. Jahrhunderts voll im Trend lag (früherer Beitrag hier). Bei der Gestaltung seines eigenen Hauses bediente er sich allerdings nicht der Stilelemente der italienischen Renaissance, wie er das sonst häufig tat.

Um seine patriotische Gesinnung zu zeigen, schien ihm ein Stil geeigneter, der typisch tschechisch bzw. böhmisch war. Folglich wählte er eine Nachempfindung der Jagiellonen-Gotik (Jagellonská gotika), ein Stil, der in Regierungszeit von Vladislav II.  – einem Mitglied der polnisch-litauischen Dynastie der Jagiellonen – im frühen 15. Jahrhundert seine Blüte erlebte. Der König hatte in der Nationalgeschichte einen Ehrenplatz, weil er damals die Glaubensfreiheit im Lande verteidigt hatte. Außerdem ging der gotische Stil zu dieser Zeit immer mehr in den der Renaissance über.

Das kann man an dem mit klassischen Bauelementen versehenen Erker zum Beispiel gut sehen. Überhaupt lag es Wiehl sehr daran, dass bei der Fassadengestaltung nicht gegeizt wurde. Daher gingen gleich zwei damals sehr berühmte Künstler ans Werk. Für die skulpturalen Ornamente zeichnete sich der Architekt Josef Fanta , der u.a. den Hauptbahnhof entworfen hatte (siehe hier und hier), verantwortlich. Und für die üppigen Malereien sorgte der auf Jagiellonengotik geradezu spezialisierte Historienmaler Mikoláš Aleš (frühere Beiträge hier und hier).

Dessen zierlich gemalten Bilder sollte man sich genau anschauen – und es gibt viele davon zu sehen. Neben zahlreichen allegorischen und rein ornamentalen Darstellungen, ist es vor allem der schöne „Zyklus des Lebens“ auf Höhe des zweiten Stocks, der das Haus zu einer Besonderheit macht.

Es zeigt den Lebensweg eines mittelalterlichen Menschen von der Taufe über Kindheit und Aufstieg zum erwachsenen Kriegshelden (der vom Kaiser vor den Prager Altstadttürmen geehrt wird) bis zum hohen Alter (mit seinen Enkeln) in einzelnen Bildern, die zwischen den Fenstern rum um die zwei Fassadenwände auf der Straßenseite führen.

Ein Stockwerk höher präsentiert der Maler allegorische Figuren über denen jeweils ein hintergründiger Sinnspruch steht. So etwa bei dem oben im großen Bild dargestellten Studenten, der ein Buch in der Hand hält. Darüber stehen die Worte: „Strom, jak vzroste, tak stojí“ (dt.: Der Baum steht, wie er gewachsen ist) – eine hübsche Versinnbildlichung von Bildung als Wert. Wiehl, so sagen die Architekturhistoriker, liebte es, wenn seine Häuser „Geschichten erzählten“, die zugleich moralisch belehrend und witzig waren.

Dieses humoristisch-gelehrsame Geschichtenerzählen ist Antonín Wiehl und seinen Mitstreitern Mikoláš Aleš und Josef Fanta bei diesem Haus jedenfalls bestens gelungen.

Und wer sich die Zeit nimmt, sich die Geschichten genauer anzusehen, der hat vielleicht Lust auf mehr davon, möglicherweise in gedruckter Form. Für ihn befindet sich im Erdgeschoss auch noch ein hübscher und großer Buchladen, der zum Bücherkauf einlädt. (DD)

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