Das ist ein frühes Beispiel fúr das, was man heute manchmal leicht abschätzig Fassadismus nennt. Ein Gebäude wird völlig neu gebaut, aber außen bleibt die alte Fassade erhalten. Im Sinne des Erhalts von alten Stadtbildern ist das oft ja auch sinnvoll, aber es trägt meist keinen eigenen architektonischen Wert in sich. Das hier abgebildete Haus in der Vocelova 935/2 (mit Fassadenseiten zu den Straßen Jugoslávská und Legerova) in Vinohrady (Prag 2) ist eine Ausnahme. Hier entstand ein kreatives Ineinandergreifen von alt und neu.
So begann es: In den Jahren 1895 bis 1896 wurde hier an der Stelle, wo sich zuvor die 1874/75 abgerissene Stadtmauer der Neustadt befunden hatte, ein vierstöckiges Wohn- und Mietshaus gebaut. Der Architekt war Karel Janda, ein Spezialist für große Miets- und Apartmenthäuser. Das Haus folgte dem damaligen Modetrend der Prager Architektur und war ein Stück echten Historismus, in diesem Falle in seiner neobarocken Ausfertigung. Es war stilistisch vielleicht kein Gebäude, das man als grundlegend innovativ oder originell bezeichnet hätte, aber seine Stuckfassade war besonders opulent gestaltet, mit vielen Skulpturen an allen Seiten, Pilastern, Maskaronen und floralen Motiven. Es sah zumindest recht beeindruckend aus. Zu schön, um es zu zerstören.
Normalerweise hatte man da in den Zeiten des Fortschritts-optimismus der 1920er Jahre in der Ersten Republik wenig Skrupel. Historistischer Pomp war out, nüchterner Funktionalismus im Kommen. Und in genau diesen Zeiten wurde der Plan in Angriff genommen, das Gebäude einem anderen Zweck zu widmen und dafür kräftig umzubauen. Der Bildungsunternehmer Tomáš Madera erwarb damals das Haus, um hier eine private Handelsschule einzurichten, die dann 1926 – nach Abschluss der Bauarbeiten – eröffnet wurde..
Das erforderte einen radikalen Umbau, mit dem er die Architekten Pavel Moravec und Tomáš Pražák beauftragte, die später zu den Pionieren des Prager Funktionalismus gehörten (ein Beispiel dafür präsentierten wir hier). Da aber aus irgendeinem Grund beschlossen worden war, die schöne alte Fassade zu erhalten, aber sonst im Kern einen Neubau zu wagen, mussten sich die Architekten hier eine kreative Lösung ausdenken, die nicht phantasieloser Fassadimus war, aber das Neue ästhetisch einpasste und zugleich zweckmäßig war. Letzteres machte ein zusätzliches Stockwerk notwendig. Durch die Vertafelung aus dunklem Metall entstand etwas Neues, das aber einen leichten Anklang an die typischen Walmdächer von (neo-) barocken Häusern erkennen ließ.
Ansonsten wurde die alte Stuckfassade, hinter der sich im Prinzip nun ein neues Gebäude befindet, in eine moderne und optisch abgehobene Struktur eingehängt. An den beiden äußeren Ecken umrahmt das neue Gebäude um die alten Fassaden-Wände. Die vertikalen Strukturen sind beide unterschiedlich, einmal mit einem großen Erker, einmal mit kleinen Balkonen gestaltet (letzteres sieht man im Bild links unterhalb). Wenn es denn Fassadismus ist (wofür wir ein anderes Beispiel in Prag bereits zeigten), dann eine recht kühne Variante davon.
Die Dachaufbauten sind in einem oft Purismus genannten, sehr expressionistischen Stil gehalten, der moderne Abstraktion mit klassischer Formgebung in Einklang bringen wollte. Die eleganten geschwungenen Formen sind zwar (im damaligen Verständnis) ultramodern, passen aber erstaunlich harmonisch zu den geschwungenen Formen, wie für den Barock typisch waren.
Äußerlich blieb das Gebäude bis heute so, wie es auch heute noch ist. Aber hinter den Fassaden gab es wieder große Veränderungen. Die Schule wurde unter den Kommunisten geschlossen und 1951 wieder in ein Wohn- und Mietshaus zurückverwandelt. Das blieb so, auch als der Bau der unmittelbar nahen Metrostation I.P. Pavlova (wir berichteten hier) Teile des Kellers durch den Durchbruch für eine Eingangs-Treppenhaus tangierte. Heute gibt es hier Mieteinheiten und im Erdgeschoss residiert eine Bankfiliale. Nach dem Ende des Kommunismus wurde das Gebäude schön renoviert, so dass es würdig als das erscheint, was es ist: Eine originelle Kombination zweier Baustile aus zwei Bauepochen. (DD)
Ein ungewöhnliches Gebäude mit ungewöhnlicher Geschichte, in dem die Dramatik der Spannungen zwischen der tschechischen und deutschen Bevölkerung Prags ihre tiefen Spuren hinterlassen hat: Das Gebäude der Rechtsfakultät am nám. Curieových 901/7 in der nördlichen Altstadt direkt am Moldauufer.
Die 1348 gegründete Karlsuniversität (unser Bericht hier) hatte von Anfang an eine Rechtsfakultät. Das Recht gehörte zu den anerkannten Kernwissensgebieten im Mittelalter, so wie man sich auch heute noch kaum eine Welt ohne Juristen vorstellen kann.. Damals war aber die Zahl der Studenten noch ziemlich gering und das alte Universitätsgebäude im Herze der Altstadt reichte alle Fakultäten aus. Mit der Zunahme des Bildunsgniveaus wuchs die Zahl der Studenten und man brauchte mehr Platz. Ende des 19. Jahrhunderts wurde der Plan gefasst, mehrere neue Gebäude für die einzelnen Fakultäten zu bauen. Für die Juristen traf es sich günstig, dass in dieser Zeit das Areal des alten Jüdischen Ghettos in Josefov und die Umgebung im Norden der Altstadt grundlegend saniert und großzügig neu bebaut wurde (wir berichteten u.a. hier). Dadurch entstand viel Platz, den man nun nutzen wollte, und so beschloss die k.u.k.-Regierung 1906, an dieser Stelle ein geeignetes Grundstück zu kaufen.
Als Architekten des neuen Gebäudes wähle man Jan Kotěra (wir berichteten über ihn u.a. hier und hier) aus, der ein Star der modernen Architektur, ja vielleicht so etwas wie der Begründer der modernen Architektur in Böhmen überhaupt war. Der legte auch Pläne im Stil des späten geometrischen (ins Art Déco übergehenden) Jugendstil vor, aber den Verantwortlichen, allen voran Erzherzog Franz Ferdinand d’Este (das ist der, dessen Ermordung 1914 in Sarajevo den Ersten Weltkrieg auslöste), ging das zu weit. Als 1907 der Grundstein durch den Rektor der Karlsuniversität, Leopold Heyrovský, ein Kenner des Römischen Recht und renommierter Rechtshistoriker. der als Schüler des großen Theodor Mommsen sein Handwerk gelernt hatte, gelegt wurde, hatte der Plan schon starke Modifizierungen erfahren. Es sollte alles viel mehr an klassische Architektur erinnern. Aber auch das sollte nicht so schnell realisiert werden. Denn bald wurde der Erzherzog erschossen, der Weltkrieg kam und mit ihm ein Baustopp. Als kurz nach dem Krieg wieder über den Weiterbau nachgedacht wurde, gab es kein Habsburgerreich mehr, sondern eine unabhängige Tschechoslowakei.
Mit der neuen Republik veränderte sich zunächst die Karlsuniversität, die vorher in eine deutsche und eine tschechische Universität aufgeteilt war. Jetzt war die tschechische Universität die alleinige Rechtsnachfolgerin der Karlsuniversität. Und auch die für das Gebäude vorgesehen Rechtsfakultät sollte eine rein tschechische sein. Aber auch das Bauwerk selbst war betroffen, denn besonders bei öffentlichen Bauaufträgen legten die Verantwortlichen im neuen Staat oft einen bedauerlichen Nationalchauvinismus an den Tag (ein anderes Beispiel erwähnten wir hier). Man fand heraus, dass Architekt Kotěras Mutter Deutsche war. Weil man der Überzeugung war, dass nur ein reiner Tscheche ein solches Gebäude bauen durfte, veranstalteten die Behörden einfach eine neue Ausschreibung für das Gebäude, um so den ungewünschten „Halbtschechen“ auszuschalten. Das war, wenn man ehrlich ist, recht mies. Aber Kotěra wurde von seinen Architektenkollegen als bedeutender Pionier der modernen Baukunst hoch verehrt. In einem herzanrührenden Akt der Solidarität weigerten sie sich alle Architekten in Prag geschlossen und unter Protest, an der Ausschreibung teilzunehmen, sodass Kotěra der einzige Bewerber blieb. Zähneknirschend mussten die Verantwortlichen ihn nun doch akzeptieren.
Kurz nach Baubeginn starb Kotěra im April 1923. DIe Arbeiten wurden danach von seinem Schüler Ladislav Machoň (wir berichteten hier und hier) fortgesetzt, der sich wo immer möglich genau an die Pläne seines Lehrer hielt. 1925 liefrete er die Ausführungsplänbe und in der Jahren 1926 bis 1931 wurde das Gebäude fertiggestellt und im selben Jahr begann auch der Lehrbetrieb. Das Gebäude war gewisse eines: Groß genug! Es wurde auf einer enormen Grundfläche von 4864 m² erbaut und ist vier Stockwerke hoch. Vor allem von der Moldauuferseite betrachtet erkennt man die wahren Ausmaße (Bild rechts). Sechs Baufirmen mussten ein Konsortium bilden, um das Ganze fertigzustellen. Am Ende fehlte sogar ein wenig das Geld. Auf einige künstlerische Extras, wie zum Beispiel ein für innen in der großen Aula geplantes Riesenmosaik über die Entwicklung des Juristenstandes seit der Antike des Malers Max Švabinský, musste verzichtet werden. Aber auch ohne sie wirkt das Gebäude überwältigend und opulent ausgeschmückt.
Vor allem aber beim Hauptportal an der Nordseite wird der eigentliche architektonische Charakter des Bauwerks sichtbar, nämlich das Bemühen des Architekten, den klassizistischen Stil zu wahren, aber diesen durch moderne geometrische Formen auszudrücken. In mancher Hinsicht nähert sich Kotěra bei der Fassade, die man im großen Bild oben sieht, bereits dem Stil des sogenannten Rondokubismus, der kurz darauf modern wurde (Beispiele brachten wir u.a. hier und hier). Insbesondere die rechtwinkligen Dreiecksformen, aus der die Fassade größtenteils zusammengesetzt zu sein scheint, deuten klassische Proportionen an, ohne welche zu sein. Jedenfalls fällt das Gebäude schon auf den ersten Blick als ungewöhnlich auf.
Das gilt auch für die im Stil des 1930er-Jahre-Klassizismus gehaltenen modernen Skulpturen, nicht nur auf dem Dreiecksgiebel oben, sondern auch direkt über dem Portikus. Dort befinden sich vier Relief mit allegorischen Symbolen des Rechts. In dem Bild rechts sind sie zusammengestellt. Man sieht das römische Liktorenbündel (o.l.) aus Ruten und Beil, dass für die Rechtsvollstreckung stand (und von den Faschisten später als Symbol missbraucht wurde) und darunter (u.l.) die Attribute der Gerechtigkeit Waage und Schwert. Daneben (o.r) findet sich eine Darstellung der Gründungsurkunde der Karlsuniversität und darunter (u.r.) ein Buch mit dem Datum 28.X.1918. Man könnte meinen, es ginge da um die Verfassung des 1918 gegründeten neuen Staates, aber die erste provisorische verfassung wurde erst im November 1918 vom Tschechoslowakischen Nationalausschuss beschlossen (die reguläre Verfassung folgte 1920). In der Tat handelt es sich beim 28. Oktober 1918 um den Tag der Unabhängigkeitserklärung.
Drinnen wirkt das Gebäude wesentlich moderner und unkonventioneller als außen. Das hat auch etwas damit zu tun, dass für die skulpturale Ausstattung am Ende nicht viel Geld übrig war. Möglicherweise – aber das ist natürlich eine Frage des Geschmacks – hat das der Sache gut getan. Die eigentlich und ursprüngliche von Kotěra gewollte Modernität kommt so auf einmal zum Tragen. Was die Skulpturen angeht, so ist die im Eingangs-Foyer vom Bildhauer Josef Václav Myslbek (der durch die große Reiterstatue des Heiligen Wenzel auf dem Wenzelsplatz berühmt wurde) geschaffene Allegorie Hingabe (Oddanost) die einzige bemerkenswerte. Und sie ist auch nicht sehr optisch präsent oder gar dominierend.
Vom Foyer aus betritt man das große Hauptatrium, das oft salopp als Schwimmbad oder Basin (bazén) bezeichnet wird. Der quadratische Raum mit zwei symmetrischen Treppenaufgängen an den Seiten erstreckt sich über die ganze Höhe des Gebäudes. Von oben kommt das Tageslicht durch eine Facettenglasdecke hinein, was die Architektur sehr leicht erscheinen lässt. Eine überbordene Ausstattung mit Skulpturen, wie es ursprünglich geplant worden war, hätte vermutlich die überwältigende Gesamtwirkung des streng strukturierten Raumes sogar beeinträchtigt. Jetzt wirkt er ganz für sich. Und der edle Marmor der Verkleidung verleiht dem ganzen trotzdem einen Hauch von Luxus.
Rund um das Hauptatrium strukturieren die Wandelgänge oder Galerien mit ihren eckigen Pfeilern rhythmisch geordnet die Fassaden. Von ihnen aus erreicht man die Hörsäle über ungewöhnlich breite Treppen. Das Atrium ist ja eine Art mit Gls überdachter Innenhof. Dahinter (d.h. südlich) befindet sich übrigens noch ein echter, d.h. nicht überdachter Hof. Das Atrium mit seiner lichten Konstruktion wurde aufgrund seiner ästhetischen Qualitäten oft zweckentfremdet (was Geld in die Kassen der Universität spült), etwa für Filmaufnahmen (eine Übersicht auf Tschechisch findet sich hier) oder für kommerzielle Veranstaltungen wie die Mercedes-Benz Prag Fashion Week. Aber auch etwas zwecknähere internationale wissenschaftliche Tagungen finden hier öfters statt, man denke an die European Society of Criminology Annual Conference von 2014.
Im ersten Stock kann man zur Nordseite hin die große Aula, auch Collegium Maximum genannt, bewundern. Das Collegium Maximun ist mit 560 Plätzen nicht nur der größte Saal, sondern auch architektonisch vielleicht der konservativste Teil des Fakultätsgebäudes (der Erzherzog hätte ihn geliebt). An den Seiten vermitteln großzügige Arkaden einen Hauch von Renaissance-Architektur. Die in den 1960er Jahren erstellten großen Gobelins mit Szenen aus der Zeit der Universitätsgründung unter Karl IV. unterstreichen diese Botschaft. Fast alles an der Innenausstattung ist übrigens original aus den späten 1920ern/frühen 1930ern.
Ganz oben findet sich noch ein großer Saal, das sogenannte Amphitheater. Warum es so heißt, ist leicht ersichtlich. Es handelt sich um einen aufsteigenden und halbrunden Saal, der eben genauso aussieht wie ein altes römisches Amphitheater. Das Amphitheater wirkt (trotz der Anlehnung an ein antikes Vorbildmodell) sehr modern. Es befindet sich aber wohl auch weniger von der Originaleinrichtung darinnen.
Die Rechtsfakultät, die schon mit den Intrigen gegen Kotěra ein unschönes Kapitel der tschechisch-deutschen Beziehungen durchlebt hatte, durchlebte nach der Nazi-Besetzung 1938 einen neuen, noch schrecklicheren Tiefpunkt. Im November des 1939 kam es zu Massendemonstrationen von Studenten gegen die Besetzung, die brutal niedergeschlagen wurden. Danach schlossen die Nazis einfach die tschechischen Universitäten. Teile des Gebäudes der Rechtsfakultät wurden im Laufe des Krieges zu einem Lazarett für Luftwaffenangehörige. Der größte Teil wurde aber zu einem örtlichen Hauptquartier der SS umgewandelt. Während des Prager Aufstands im Mai 1945 (siehe u.a. auch hier, hier und hier) fanden um das Gebäude heftige Kämpfe mit vielen Opfern statt, woran eine sehr drastisch von dem Bildhauer Jan Znoj 1946 gestaltete Gedenktafel (Bild oberhalb rechts) an der Außenwand erinnert.
Es gibt im Gebaäudeinneren noch eine, leicht kuriose Erinnerung an die Zeit des Mißbrauch der Räumlichkeiten durch die Nazis. Als die SS abzog wollte man das Gebäude schnell wieder für den Lehrbetrieb nutzen. Die Spuren der barbarei wurden deshalb etwas unsorgfältig beseitigt. In einem der kleineren Hörsäle sieht man unter einer Uhr durch den dünnen Putz noch vage die Umrisse (Bild links) eines damals dort befindlichen deutschen Adlersymbols, das augenscheinlich ein Hakenkreuz in den Krallen hielt. Gottlob haben sich die Zeiten – und damit das deutsch-tschechische Verhältnis – so gewandelt, dass das Relikt Besuchern eher als putziges Kuriosum vorgestellt wird und weniger als ein Memento des Schreckens, das es eigentlich ist.
Mit der Vertreibung der Nazis waren die Leiden der Studenten hier nicht zu Ende. Im Februar 1948 übernahmen die Kommunisten die Macht und es gab abermals riesige Studentendemonstrationen, die abermals brutal niedergeschlagen wurden. Auch viele Studenten der Fakultät wurden verhaftet und/ober relegiert. Deshalb ist man auch Stolz, dass sich unter den Lehrern auch ein Großer unter den Dissidenten und Mitunterzeichnern der Charta 77 befindet, nämlich Petr Pithart. Der war neben Václav Havel einer der Architekten der Samtenen Revolution von 1989, die den Kommunistenspuk beendete. Er wurde 1990 der erste richtig nicht-kommunistische Ministerpräsident und später Senatspräsident. Immer mehr ein Intellektueller denn ein Machtpolitiker konzentriert er sich seit 1994 hier auf seiner Lehrtätigkeit als Politologe bei der Fakultät, bei der er in den 1960er Jahren sein Jurastudium abschloss. Die Türe seines Büro wird bei Führungen von den Studenten, die ihn hoch verehren, immer gerne stolz gezeigt.
Ach ja, wo wir gerade beim Thema Führungen ist: Man kann dabei für die Sehenswürdigkeiten in den verschiedenen Stockwerken den Aufstieg eine der prachtvollen Treppen benutzen, die das Atrium umgeben. Aber es biete sich eine wesentlich originellere Option an. Es gibt hier nämlich noch einen echten Paternoster, der hier nur noch fahren darf, weil er unter Denkmalschutz steht (ein anderes Beispiel findet man in Prag hier). Der Paternoster der Fakultät ist insofern eine Besonderheit, als er der einzige von der berühmten Autofirma Škoda gebaute ist – oder zumindest der einzige noch existierende. Er ist nach einer Renovierung, die im Jahre 2018 abgeschlossen wurde, immerhin ab und an in Betrieb. Auf Höhe des zweiten Stocks gibt es eine kleine Ausstellung über den Paternoster.
Ja, das Gebäude der Rechtsfakultät gehört zweifellos zu den interessantesten öffentlichen Gebäuden der frühen Moderne der Tschechoslowakei, sowohl als Baudenkmal als auf als Ort einer spannungsgeladenen Geschichte. Und gottlob haben spätere Umbauten und Renovierungen – etwa 1954, 1968 und 1970 – wenig am Originalcharakter des Bauwerks verändert. Es gab keine groben Verschandelungen – was in den Zeiten des Kommunismus keineswegs häufig vorkam. In den Jahren 1996 und 2007 gab es abermals kleinere Umgestaltungen. Zuletzt baute man im Dachgeschoss ein exakt nachgebauten Gerichtssaal ein, in dem die Studenten praktische Übungen machen können. Gute Idee! Universitäre Gebäude sind normalerweise selten das Ziel von touristischen Besichtigungen, aber dieses Gebäude sollte sich der Kulturbeflissene nicht entgehen lassen. (DD)
Das Bauwerk, das die meisten Pragkenner mit dem Stadtteil Troja (Prag 7) im Norden Prags verbinden, dürfte wohl das barocke Schloss sein (wir berichteten hier). Wer sich aber ein wenig umherschaut, wird hier aber auch bei der Suche noch avantgardistischer moderner Architektur fündig. Die Villa Diviš (Divišova vila) in der Trojská 224/134 muss dabei an erster Stelle genannt werden.
Die gehört zu den bemerkenswertesten Beispielen für die funktionalistische Villenarchitektur der Zeit der Ersten Republik zwischen Weltkriegen. Das will etwas heißen, denn Prag ist schon so etwas wie eine Hochburg dieses Stil (Beispiele nannten wir u.a. hier, hier und hier). Die Villa Diviš wurde in den Jahren 1928/29 nach den Plänen des Architekten Adolf Benš erbaut. Der war als Baumeister privater funktionalistischer Villen in seiner Zeit allgemein berühmt und nachgefragt (Beispiel hier), erreichte aber auch für eine stattliche Zahl öffentlicher Gebäude hohe Bekanntheit, etwa der 1937 erbauten Eincheckhalle des internationalen Flughafens Prag-Ruzyně, des Gebäudes der Prager Elekrizitätswerke (1935) oder der Wirtschaftshochschule in Mladá Boleslav von 1928. Kurzum: Ein damaliger Star seiner Branche.
Die Villa Diviš baute er für den Straßenbau-Unternehmer Václav Diviš in einem heute noch sehr idyllisch anmutenden Teil Troja. Seine Nachfahren bewohnen das Haus immer noch. Heute ist das Areal unterhalb der Villa dichter bebaut als zur Zeit er Errichtung. Damals dürfte man auf allen Stockwerken eine ungehinderte Sicht auf die nahe Moldau gehabt haben, was bei den oberen Stockwerken immer noch der Fall sein dürfte. Die Villa ist nämlich an einen steilen Hang mit satten 25 Meter Gefälle gebaut (weshalb sie zwei Kelleretagen hat). Umgeben ist das Gebäude von einem üppig bewachsenen Terrassengarten (man befindet sich in der Nähe großer Weinberge). Durch die Anhöhung ist das Haus auch klar von der vorbeilaufenden Straße isoliert.
An dem Gebäude kann man erkennen, welche architektonischen Ideen Benš geprägt haben. Als Schüler eines der Pioniere der modernen tschechischen Architektur, dem Kubisten Josef Gočár, ließ er sich später stark von von dem bekannten Meisterarchitekten Le Corbusier inspirieren. Das kann man bei der Villa Diviš – eine damals hochmoderne Stahlbetonskelett-Konstruktion – deutlich erkennen. Die technizistische Ästhetik des ausrechteckigen Kuben bestehenden Gebäudes spricht hier für sich.
Und man kann sich kaum ein Haus vorstellen, an dem sich die Bedeutung des Begriff Funktionalismus besser erklären lässt. Durch die Nord-Süd-Ausrichtung konnte Benš den natürlichen Wechsel der Tageszeiten in die Funktionen einbeziehen. An der sonnigen Südseite befanden sich hauptsächlich die Wohnräume. Die große Fensterfront sorgte dafür, dass das Wohnzimmer von Licht durchflutet war. Die wirtschaftlichen Räume (Küche, Waschküche etc.) lagen hingegen hinten. Die Schlafräume wurden nach ganz oben platziert, was als „familienorientiert“ galt. Wirtschaftlichkeit und Ästhetik sollten zu einer Einheit verschmolzen werden. Zur Wahrung der ästhetischen Dimension hat Benš hier als einer der ersten eine raffinierte technische Neuerung eingeführt: Die Regenrinnen sind nicht, wie zuvor meist üblich, an der Außenwand befestigt, sondern in den Wänden optisch „verschwunden“, was den meisten Betrachtern wohl erst dann als eine echte Bereicherung auffällt, wenn sie es gesagt bekommen. (DD)
Warum arbeitet man so gerne in Prag? Nun, man muss nur vom Bürofenster den Blick hinaus schweifen lassen. Man sieht nichts, was das Auge beleidigt. Einfach schön ist es. Wer dabei nicht motiviert den Tag beginnt, dem ist nicht mehr zu helfen.
Das fünfstöckige Mietshaus Nr. 1221/4 am Náměstí Míru (Friedensplatz) in Vinohrady (Prag 2), auf das man von meinem Schreibtisch aus schauen kann, ist ein Beispiel. Es ist kein bedeutendes Werk, aber eben hübsch anzusehen. Vinohrady wurde Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhundert auf gehobene Wohngegend auf dem Gebiet der alten königlichen Weinberge neu angelegt. Der innere Teil um den Friedensplatz ist daher recht ästhetisch geschlossen. Die großen Mietshäuser sind in der Regel mit historistischen Fassaden geschmückt, meist im Stil des Neobarock .
So auch das Haus 1221/4, das in den Jahren 1902/03 entstand. Die prunkvolle Fassade mit Stuckskulpturen und vielen floralen Ausschmückungen wurde von dem Architekten Josef Pospíšil entworfen, der sich für die Außengestaltung vieler der umliegenden Häuser veranwortlich zeichnete (wir sahen es bereits hier und hier).
Gebaut wurde es von dem Bürgermeister und Bauunternehmer Alois Bureš. Besitzer war Bohumil Staněk, seines Zeichens Ratsherr in Vinohrady. Überhaupt fällt immer wieder auf, dass kommunalpolitische Ämter, großer Immobilienbesitz und Bauunternehmertum bei der Anlegung von Vinohrady recht oft zusammenfielen (anderes Beispiel hier). Darüber könnte man auch mal nachforschen, wenn man Zeit dazu hätte. Ist sicher eine interessante Geschichte…
Heute befindet sich im Erdgeschoss keine Baufirma und auch kein Bürgermeister, sondern eine Kneipe der gehobenen Qualitätslage. Seit drei oder vier Jahren gibt es hier The Craft. Das ist, wie der Name korrekt suggeriert, ein Bierlokal, das nicht nur eine Marke urquelligen Industriebiers ausschänkt, sondern ein ständig wechselndes und großes Angebot von Bieren tschechischer Kleinbrauereien.
Dieser elegante Schwung der Formen! Vinohrady – in dieser Zeit noch außerhalb Prags gelegen – ist eine Schatztruhe für die Freunde elegantester Jugendstil-Architektur.
Ein grandioses Musterbeispiel ist das vierstöckige Wohnhaus in der Římská 1199/35 (Prag 2). Es steht hier seit 1903 und wurde damals auf dem Gebiet eines ehemaligen Gartens erbaut, Eichmanka genannt. Eigentümer, Bauherr und Architekt waren ein und die elbe Person, nämlich ein gewisser Karel Horák. Der war in Vinohrady wohl etabliert und angesehen – vor allem als lokaler Vorsitzender des Turnerbunds Sokol (Falke), über den wir schon hier berichtet hatten. Da versammelten sich auch Unsportliche, denn im Grunde war der Sokol die große Sammelbewegung aller patriotischen und liberal gesinnten Tschechen, die sich für eine größere demokratische Selbstbestimmung Böhmen im Habsburgerreich einsetzten.
Die Verbindung von kommunalpolitischer Vernetzung, Architektenbüro und Baufirma war profitabel und Horák war wohl ein reicher Mann. Das zeigt sich nicht nur darin, dass er sich gleich nebenan, in der Římská 1222/33, noch ein großes Mietshaus bauen konnte, sondern auch in der luxuriösen Gestaltung. So steht schon über dem Eingang in großen vergoldeten Jugendstil-Lettern der Schriftzug: „Karel Horák – Architekt a Stavitel“, d.h. Architekt und Baumeister.
Damit nicht genug der Selbstdarstellung, denn das Thema tauch noch einmal auf der Höhe des ersten Stocks auf, wo zwei allegorische Plastiken in Stuck die Architektur (eine weibliche Figur mit einem Gebäude in der Hand) und die Baumeisterei (eine männliche Figur mit Hammer und Maschinenrad) symbolisch darstellen. Beide sind künstlerisch hochwertig und Kritiker finden bisweilen, sie kämen denen des damals überaus bekannten Bildhauers Stanislav Sucharda im Geiste nahe, der unter anderem das große Palacký-Denkmal am Moldauufer erschaffen hatte (früherer Beitrag hier).
Oben unter dem Giebel findet man eher ein pastorales Motiv als Stuckrelief. Je eine männliche und eine weibliche (kleines Bild links) Figur können beim Pflücken von Früchten beobachtet werden. Stilistisch passt das harmonisch zu den beiden Allegorien weiter unten.
An der Fassade hat sich gottlob seit 1903 wenig nichts geändert – außer dass sie nach der Wende 1989 wieder ein wenig restauriert wurde. Ansonsten gab es innen noch einige Umbauten. Horák konnte die Frucht seiner Arbeit nur ein Jahr genießen; er starb 1904. Schon im Jahr darauf ließ seine Witwe und Erbin Marie Horáková (beide Häuser gehörten ihr nun) von dem Architekten Jindřich Břeněk insbesondere den Hof vergrößern und im obersten Stock ein Fotoaltelier einrichten. Weitere Umbauten erfolgten 1928 und 1930.
Und so fehlt heute ein klassisches Merkmal vieler der damals in Vinohrady gebauten Miets- und Wohnhäuser, nämlich dass sich im Erdgeschoß ein einziger großer Wohnungsbereich befand. Das ist heute nicht mehr so. Das Erdgeschoss wird heute gewerblich genutzt. Ein kleiner Buchladen hat hier vor einigen Jahren seine Pforten aufgemacht.
Anscheinend hat der Denkmalschutz hier so seine strikten Auflagen gemacht. Jedenfalls hat die kommerzielle Nutzung den optischen Eindruck kein bisschen beeinträchtigt. Die schönen Stuckaturen und die schnörkeligen Balkon- und Türgitter erfreuen immer noch das Auge des Betrachters. Horák sei Dank! (DD)
Als es 1956 eröffnet wurde, galt es als das „Synomym für Luxus“ – was per se eine Seltenheit in den Zeiten des Kommunismus war. Und das Dům Módy (Haus der Mode) an der östlichen Hälfte des Wenzelsplatzes (Václavské náměstí 804/58) ist seither geblieben, was es war: Der Ort, wo man wertvolles Textil einkaufen kann.
Der Architekt Josef Hrubý hatte Glück gehabt. Ein Jahr vor dem Beginn der Planungen war Stalin gestorben. Das politische Tauwetter setzte allmählich ein. Kleine Freiräume im Bereich des Künstlerischen taten sich auf und niemand wurde mehr gezwungen, im realsozialistischen Zuckerbäckerstil (ein Beispiel dafür findet sich in Prag hier) zu bauen. Und so konnte Hrubý bei seinen Plänen wieder an der avantgardistischen Funktionalismus der Ersten Republik anknüpfen. So steht nun neben dem Pomp des alten Wenzelsdenkmals ein modernes Gebäude, dessen Fassade mit Panelen aus heimischem gelbem Granit und graubraunem Travertin klar strukturiert wird.
Drinnen gab es Technik vom Feinsten. Ein zentrales Ventilationssystem sorgte für gute Belüftung, eine automatische Feueralarmanlage und drei Hochgeschwindigkeits-Aufzüge für den Transport der Kunden zu den einzelnen Etagen. Dazu gab es noch ein Café. Ganz oben auf dem Dach wurde eine Dachterrasse eingerichtet, auf der bis heute Modeschauen veranstaltet werden. Vor allem, wenn man daran denkt, dass das Modehaus in kommunistsichen Zeiten entstanden ist, wirkt es auch heute noch ausgesprochen mondän.
Nun ja, ein wenig Realsozialismus musste man 1956 natürlich schon vorgeben. Dazu brachte man über dem Eckeingang ein Relief des Bildhauers Vladimír Janoušek an. Der dürfte möglicherweise darunter geltten haben, dass er das so machen musste. Janoušek war nämlich ein moderner Avantgardist und beeinflusst von Henry Moore. Er liebte die abstrakte Kunst definitiv mehr als den Brutalklassizismus des Stalinismus. Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 galt er sogar als verfemter Künstler, der nicht mehr öffentlich ausstellen durfte.
Aber bei diesem Relief wird das glückliche Leben der (Textil-) Arbeiterklasse in naturalistischer Weise idealisiert, wie das damals halt so üblich sein musste. Trotzdem ist das Ganze irgendwie putziger (vielleicht sogar ironischer) als das sonst bei diesem Genre der Fall ist. Der Schäfer, der das blökende Schaf in den Armen trägt, konstrastiert in seiner Pastoralität mit einer modernen Textilverarbeitungsmaschine. Die wird wiederum von einer Frau mit Schutzbrille bedient. Die für „Realsoz“ so typische Verbindung von ideologischem Modernismus und reaktionärer Ästhetik wirkt hier so seltsam wie sie ja eigentlich auch grundsätzlich ist.
2019 wurde das Gebäude innen modernisiert. Wie es sich für ein Modehaus gehört, bleibt man modern. Der Kommunismus, unter dem es entstanden war, ist inzwischen passé. Und zur neuen, kapitalistischen Welt passt das Modehaus heute auch wesentlich besser. (DD)
Als man in den 1870er Jahren den ehemaligen Pferdemarkt Prags zu dem großen Wenzelsplatz (Václavské náměstí) ausbaute, den wir heute kennen, konnten sich Architekten aller Richtungen im großen Stile selbst verwirklichen. Das Haus mit der Nummer 777/12 gehört zu den Pionierbauten am Orte.
Es handelt sich um das Peterka-Haus (Peterkův dům), das in den Jahren 1898/99 von dem Architekten Jan Kotěra (siehe auch hier) erbaut wurde. Der wurde in der Zeit kurz vor dem Ersten Weltkrieg so etwas wie der große Vorläufer der funktionalistischen Moderne in Böhmen. Das Peterka-Haus ist allerdings ein Frühwerk und ein ebenfalls bedeutendes Werk des frühen Jugendstils. Entworfen hatte es Kotěra für einen Bankier namens Peterka, der sich eine erstklassige Lage für sein Haus ausgesucht hatte. Von der Rückseite hat man heute noch einen Blick auf den Franziskanergarten und die schöne Barockirche St. Maria Schnee (Kostel Panny Marie Sněžné), über die wir hier berichteten.
An der Stelle stand zuvor ein barockes Gebäude aus der Zeit um 1732, von dem nur wenig im Untergeschoss erhalten sein soll. Bei der Gestaltung des fünfstöckigen Wohn- und Bürohauses lehnte sich Kotěra noch an Vorbilder an, die von dem Architekten Vilém Tierhier entworfen waren. Das Haus ist horizontal dadurch optisch aufgeteilt, dass es einen gewerblichen Teil in den unteren zwei Stockwerken (mit unterschiedlichen Deckenhöhen, Bogenfenstern und Rustifizierungen) und den regelmäßiger und schlichter gestalteten oberen Wohnteil gibt. Der untere Teil zeichnet sich dazu noch durch einen burgartigen Toreingang aus, über dem sich eine vergoldete Marienskulptur befindet.
Die Fassade der oberen drei Geschosse ist mit floralen Motiven in Stuck geschmückt. Die sind das Werk des Architekten und Bildhauers Josef Pekáreks, der später durch seine allegorische Skulptur der Moldau am Janáček-Kai (Janáčkovo nábřeží) am westlichen Moldauufer nahe der Schützeninsel (Střelecký ostrov) berühmt wurde. Im gegensatz zu anderen Werken des „floralen“ Frühjugendstil ist das ganze aber nicht überladen, sondern kultiviert zurückhaltend. Dieser Stil setzt sich wohl auch im inneren Teil des Gebäudes fort.
Die Krönung des Gebäudes ist jedoch der im großen Bild oben gezeigteSkulturenschmuck auf Höhe des obersten Stockwerks – eine weibliche Allegorie des Ruhms und eine männliche Allegorie des Arbeitsfleißes. Sie sind das Werk des Bildhauers Stanislav Sucharda, der später durch das Denkmal für den Nationalhistoriker František Palacký am Moldauufer berühmt wurde.
Architekt Kotěra hat sich übrigen selbst im Erdgeschoss mit einer kleinen, sehr jugendstiligen Plakette am Gebäude verewigt…. (DD)
Aus den Zeiten der beginnenden Moderne und der erwachenden Renaissance könnte dieses alte Gemäuer zu entstammen. Nur dieser seltsame fünfzackige Stern macht einen dann doch stutzig – unverkennbar ein Sowjetstern. Ja, der stalinistische Zuckerbäckerstil gehörte zu den eigenartigsten Kapiteln der Architekturgeschichte. Dass die Kommunisten als vermeintliche Speerspitze von Fortschritt und Weltrevolution ein derart rückwärtsgewandtes Kulturverständnis pflegten, mutet wie eine Groteske an.
In Prag sind die Podolí Schlafsäle (Koleje Podolí) in der Na lysině č.p. 772/12 im Stadtteil Podolí eines der erstaunlich seltenen Beispiele für waschecht stalinistische Architektur dieser Art. Ansonsten würde einem sonst nur noch das legendäre Hotel International in Prag Dejvice (wir berichteten) einfallen. Bei den Koleje Podolí handelt es um den Campus der Studentenwohnheime der Tschechischen Technischen Universität Prag (České vysoké učení technické v Praze, ČVUT), über die wir bereits hier berichteten. Im Gegensatz zum Hotel International (oder schlimmer noch: zum Kulturpalast in Warschau) leistete man sich hier aber nicht eine pompöse architektonische Machtdemonstration, die das ganze Umfeld dominiert, um den Sieg des Proletariats zu verkünden. Tatsächlich fügt sich das Ganze einigermaßen harmonisch in die wohl in der Ersten Republik zwischen den Weltkriegen entstandene Wohnbesiedlung des hoch über der Moldau befindlichen Podolí ein. Und es gibt auf dieser Welt, so muss man (Stalinismus hin oder her) feststellen, sicher weniger wohnliche Studentenwohnheime.
Dieses hier wurde in den Jahren 1953/54 nach den Plänen einer Arbeitsgruppe der Fakultät für Architektur der ČVUT unter der Leitung des Architektur-Professors Otakar Schmidt erbaut. Es solle eine Art standardisierte Blaupause für Studentenwohnheime in anderen tschechoslowakischen Universitätsstädten werden. Davon wurde nur wenig realisiert – etwa in Brno beim Bau der dortigen Wohnheime für Studenten. Denn ab 1956 setzte die Entstalinisierung – das sogenannte Tauwetter – in den kommunistischen Ländern ein, die auch das Ende des Zuckerbäckerstils dort einläutete. Insofern ist das Koleje Podolí gerade im städtebaulichen Kontext von Prag etwas ganz besonderes. Deshalb wurde die ganze Anlage auch im Jahre 2019 unter Denkmalschutz gestellt. Auch wenn die Gebäude mit einer politischen Schreckenszeit verbunden werden, kann man sie als ein Kapitel der Prager Architekturgeschichte schließlich nicht verbannen.
Es handelt sich um einen großen Gebäude-Komplex mit insgesamt acht Gebäuden. Da sind zunächst einmal die sechs eigentlichen Wohnheime mit den Zimmern für Studenten. Insgesamt fast 1500 Studenten konnten hier ursprünglich nach ihrem harten Studienalltag ihr Haupt zur Ruhe betten. Heute, wo mehr Komfort in den Räumlichkeiten gefragt ist, sind es nach einer eingehenden Renovierung 1993 bis 1998 immer noch über 1000. Die in zwei Reihen stehenden Wohnheime sind innen wie außen antikisierend üppig ornamentiert, insbesondere an den Eingängen. Das auffälligste Merkmal sind die geradezu italienisch anmutenden Loggien und Arkaden, die zum Teil die Gebäude einer Reihe miteinander verbinden. Damals war noch nicht so deutlich, dass eine sozialistische Wirtschaft Raubbau am Land betreibt, sondern man verwendete (verschwendete?) noch gute und solide Materialien. In den 1960er und 1970er Jahren frönte man dann andernorts der billigen Betonplattenbauweise und konnte sich so etwas nicht mehr leisten.
Neben den sechs Wohnheimen gibt es noch ein flacheres Verwaltungs-Gebäude am Eingangstor des umzäunten Areals. Dort befindet sich auch das oben im großen Bild gezeigte Portal mit dem Sowjetstern. Von dort aus hat man auch einen schönen Ausblick auf das kolossalste gebäude des ganzen Komplexes, der immer noch zur ČVUT gehört. Die Mensa ist geradezu ein Musterbeispiel für sozialistischen Neuklassizismus. Auf den ersten Blick erinnert es fast an eine leicht modernisierte Version des Moskauer Bolschoi Theaters, das allerdings dem frühen 19. Jahrhundert seine Existenz verdankt. Die Architekten des Stalinismus orientierten sich recht genau an den klassischen Vorbildern einer Zeit, deren Kultur sie vorgeblich ablehnten.
Betrieben wird das Ganze vom Studentenwerk der ČVUT (Studentská unie ČVUT), einem studentischen Selbstverwaltungsorgan. Dass die Mensa einem klassischen Theater früherer Zeiten gleicht, ist wohl kein Zufall. Denn die Mensa ist mehr als ein Ort zur Nahrungsaufnahme für Studenten. Sie ist auch ein wenig das Kulturzentrum für die Studenten, die hier wohnen. Die Kultur wird hier von einer Studentenvereinigung in Selbstverwaltung betrieben, die sich ganz amerikanisch cool Pod-O-Lee nennt, was aber nur eine Verballhornung des tschechischen Podolí ist. Ganz offiziell heißt es sowieso Studentská unie ČVUT. Es gibt einen Musikklub, Fitnessräume (Pod-O-Gym), Bars, Saunen, eine Teestube. Selbst in einem der Wohnheime gibt es eine Bierkneipe. Draußen befinden sich Spielplätze und Sportanlagen. Abgesehen davon, das der Weg zur eigentlichen Technischen Universität in der Neustadt etwas weit ist, scheint man das Studentenleben hier doch recht gut genießen zu können. (DD)
Als sie gebaut wurde, stand sie inmitten von unberührter Landschaft mit einem wunderschönen Blick über die Stadt Prag. Ganz so sieht es heute im Umfeld der Villa Rothmayer (Rothmayerova vila) nicht mehr aus. Das ändert aber nichts daran, dass es sich um ein architektonisches Meisterwerk des Prager Funktionalismus aus der Zeit der Ersten Republik handelt.
Die kleine Villa, die der Architekt Otto Rothmayer in der U páté baterie 896/50 im Stadtteil Břevnov (Prag 6) für sich selbst und seine Frau baute, ist heute von drei Seiten von moderneren Gebäuden – darunter ein großes Krankenhaus – umbaut. Immerhin gibt es noch den Garten und das Umfeld zur Talseite ist schön begrünt. Man kann also noch erraten, warum Rothmayer hier wohnen wollte.
Rothmayer war ein Schüler von Josip Plečnik (siehe auch hier), der als Lieblingsarchitekt von Präsident Tomáš Garrigue Masaryk und moderner Gestalter des Präsidententraktes auf der Burg in die Geschichte einging. Wie sein Lehrmeister wollte auch Rothmayer eine Architektur schaffen, die dem Modernisierungsanspruch der Ersten Republik entsprach. Und das galt auch für sein eigenes Haus. Dafür schwebte ihm eine auf Wohnlichkeit bedachte funktionalistische Konstruktion vor, die ästhetisch aber an traditionelle mediterrane Baukunst anknüpfte. Der zylindrische Turm (mit eine Wendeltreppe innen) und die Gartenveranda sind der sichtbare Ausdruck dieser Verbindung von Modernem und Traditionellen.
Das Haus überlebte die Zeiten von Krieg und Kommunismus einigermaßen intakt, weil es immer von Nachfahren Rothmayers als Einfamilienhaus genutzt wurde, die sich bewusst waren, dass es sich bei dem Bauwerk um ein erhaltenswertes Kulturdenkmal handelte. 1981 erklärte der Staat es auch offiziell zu einem ebensolchen. Große Teile der Inneneinrichtung und vor allem der Garten (links) blieben somit auch erhalten. 1992 – der Kommunismus war passé – wurde es sogar als besonders geschütztes Denkmal eingetragen. 2008 zogen die letzten Privatnutzer aus und die Stadt nutzte die Gelegenheit zum Kauf. Mit den Nachfahren vereinbarte die Stadt eine umfassende Renovierung und die Eröffnung als Museum. Als Teil des Museums der Hauptstadt Prag (Muzeum Hlavního Mesta Prahy) – wir berichteten – kann man es seit 2015 nun ab und an in Führungen besuchen.
Das ermöglicht die Besichtigung des auf den Stil des Hauses abgestimmten Interieurs und des modernen Gartens (mit Pool). Für die geschmackvolle Gestaltung, die mit Sammlerstücken aus dem ganz Land – etwa die im rechten Bild gezeigte kleine Madonnenstatue im Vordergarten im passend modernen Stil – angereichert ist, zeichnete sich auch Rothmayers Frau, die Künstlerin und Textildesignerin Božena Horneková-Rothmayerová verantwortlich. Prag ist eben mehr als nur die Altstadt, sondern auch ein Mekka für die Moderne, wie dieses sehenswerte Stück Architektur zeigt. (DD)
Der Brutalismus scheint als Architekturstil umso mehr Anhänger zu finden, desto mehr er in unseren Städten der Abrissbirne anheimfällt. Der ungebremste Gestaltungswille in den rohen Materialien Beton, Stahl und Glas, der sich städteplanerisch in den 1960er und 1970er Jahren in Ost und West Bahn brach, war nie jedermanns Geschmack. Und manches der Gebäude war so, dass man nie wusste, ob man beim Anblick fasziniert oder erschaudert sein sollte. Schon wegen dieses prickelnden Gefühls sollte man diesen Stil nicht verschwinden lassen.
Manche Gebäude nach brutalistischer Manier findet man per Zufall. So ging es mir. Wer in Prag ein zu verzollendes Päckchen aus dem Ausland empfängt, muss selbiges meistens beim Postamt von Košíře (Plzeňská 290/139, Praha 5) abholen, wo im dritten Stock praktischerweise auch das örtliche Zollamt residiert. Man muss also nicht lange herumirren, um alles abzuwickeln. Steigt man, wie ich es vor einiger Zeit eben wegen einer solchen Postsendung tun musste, an der Straßenbahnhaltestelle Klamovka aus, um dorthin zu gelangen, sieht man schon von weitem eine wahre Orgie in gewellter Metallverschalung, Glasfenstern und Beton.
Alles sieht hier schon ein wenig abgenutzt aus und passt sich somit der Umgebung in diesem nicht sonderlich prachtvollen Teil von Prag an. Von weitem erinnert einen das Gebäude an die Aufbauten eines großen modernen Ozeanriesen. Die schräge Vorderseite scheint dabei dem Seewind zu trotzen. Die blaue oder manchmals auch dunkelrotte Metallverschalung und die durchgehenden Fensterfronten strukturieren das Gebäude vor allem in den mittleren Stockwerken horizontal.
Die Verschalung des den brutalistischen Stil geradezu definierenden Rohbetons findet sich in Prag ansonsten noch bei dem etwas bekannteren Einkaufszentrum Kotva, das in den Jahren 1972 bis 1975 von dem Architektenpaar Věra Machoninová und Vladimír Machonin erbaut worden war (wir berichteten hier). Allerdings hatte man im Kotva kein Wellblech für die Verschalung verwendet, sondern eine besondere Metalllegierung. Aber das Kotva steht ja auch in der mondänen Neustadt. Für das abgelegenere und ärmere Košíře reichte anscheinend auch billigeres Material.
Innen herrscht schiere Funktionalität. Die Post- und Zollbürokraten arbeiten in nüchternen und schmucklosen Büros. Die Räume für größere Öffentlichkeiten, also die Wartesäle und die Schalterhalle im Erdgeschoss sind, wie häufig in derartigen Gebäuden, ausgesprochen niedrig. Das wirkt schon ein wenig niederdrückend. Man merkt, dieser Bau soll nicht zum beeindruckten Verweilen einladen, sondern eine reibungs- und ablenkungsfreie Regularität bürokratischer Abläufe unterstreichen. Immerhin hat man sich im Eingangsbereich zu ein wenig Ornamentik in bunter Bekachelung hinreißen lassen – in den modischen Violetttönen, wie sie damals beliebt waren.
Das Gebäude entstand in den Jahren 1980 bis 1983. Entworfen haben es die Architekten Jindřich Malátek und vor allem auch Václav Aulický, dem wir u.a. den Fernsehturm Žižkov (Žižkovská televizní věž, siehe auch hier) und den leider inzwischen abgerissenen Transgas-Bau (wir berichteten hier) verdanken – beides für Aficionados des Brutalismus geradezu Krönungen der Schöpfung. Dieses Bauwerk wirkt – trotz der „Kunst am Bau“, die sich davor befindet (großes Bild oben, Bild rechts) weniger avantgardistisch und experimentell als die beiden zuvor genannten Gebäude. Nicht als spektakuläres, sondern eher als typisches und (immer noch) alltagstaugliches Werk des Brutalismus muss man es wohl bezeichnen. (DD)