Moderne Nationalheilige

Heute ist ein nationaler Feiertag in Tschechien. Man feiert die beiden Heiligen Kyrill und Method, die dereinst im 9. Jahrhundert die Slawen christlich missioniert hatten und dabei auch in einigen Regionen des heutigen Tschechiens wirkten.

Kein Wunder, dass sie sich auch unter den vielen in Stein gemeißelten Heiligen auf der Karlsbrücke befinden. Den Touristenmassen, die sich tagein und tagaus über die Brücke wälzen, fällt wohl nur selten auf, dass die beiden Slawenaposteln unter den vielen Heiligen eine künstlerische Sonderstellung einnehmen. Während die allermeisten anderen Heiligen in der Zeit des Barock (beginnend mit der Statue des Heiligen Nepomuk 1683) er- und aufgestellt wurden, ist die Statuengruppe von Kyrill und Method ein Werk der Moderne des 20. Jahrhunderts.

Dass das nicht jederman sofort auffällt, liegt am Künstler, dem Bildhauer Karel Dvořák, der 1928 den Auftrag für die Erstellung bekam, den er 1938 vollendete. Dvořák (wir erwähnten ihn u.a. bereits hier und hier) bemühte sich in dieser Schaffensperiode darum, die Formensprache des Barock und der Renaissance mit den künstlerischen Mitteln des modernen Kubismus und Funktionalismus auszudrücken. Deshalb sehen die beiden Heiligen von weitem tatsächlich ein wenig wie Barockstatuen aus. Erst bei näherer Betrachtung sieht man, dass sie moderner sind.

Aber wie kam es, dass auf der seit Barockzeiten bereits dicht mit Heiligen bevölkerten Karlsbrücke 1938 überhaupt noch Platz für die beiden modern gestalteten Heiligen war? Nun, an dieser Stelle stand natürlich zuvor eine andere Statue, nämlich die des Gründers des Jesuitenordens, Ignatius von Loyola. Die war ein Werk aus dem frühen 18.Jahrhundert, geschaffen von dem Barockmeister Ferdinand Maximilian Brokoff.

Dann kam die Große Flut von 1890, die der Karlsbrücke schwere Schäden zufügte, und den armen Ignatius zerstörte und wegspülte. Als man nach einer längeren Schockstarre darüber nachdachte, die Lücke im Skulpturenreigen zu schließen, hatten sich die Zeiten geändert. Nicht mehr die Habsburger regierten, sondern es gab nun die Tschechoslowakische Republik. Ignatius war ein Symbol der Gegenreformation, was für die Tschechen mit Zwangskatholisierung und habsburgischer Fremdherrschaft gleichgesetzt wurde. Den wollte man nun nicht mehr aufstellen. Kyrill und Method spielten hingegen die der Nationalmythologie der Republik eine positive und tragende Rolle.

Und genauso nationalmythologisch hat Dvořák sie hier auch präsentiert. Mit hoch erhobener Hand segnet Method das slawische Volk; etwas darunter überreicht Kyrill ein Buch (wahrscheinlich die Bibel) und das Modell einer Rotunde (die Bauform der ersten böhmischen Kirchen). Das slawische Volk, das da die Gaben von Glauben, Zivilisation und Bildung empfängt, ist in der Form von drei allegorischen Frauengestalten dargestellt. Sie repräsentieren die drei Teile der damaligen Tschechoslowakei – Böhmen, Mähren und die Slowakei. Man könnte fast meinen, die Skulpturengruppe wäre zum heutigen Nationalfeiertag geschaffen worden.

Hinterlasse einen Kommentar