Böhmisches Landleben mit Metallwaren

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Es passt so richtig schön zur Altstadt, obwohl es gar nicht so alt ist: Das Haus bei Rott (Dům U Rotta) am Malé náměstí 142/3 nahe des Altstädter Rathauses. Es fügt sich lückenlos in die Spätgotik- und Renaissancearchitektur der Umgebung ein, obwohl es in dieser Form ein Werk des 19. Jahrhunderts ist.

IMG_5475Nun, ursprünglich stand hier auch tatsächlich ein mittelalterliches Haus, das im Jahre 1855 von Vincenz Josef Rott gekauft wurde, der in einem kleineren Haus gegenüber ein Metallwarengeschäft betrieb, das so erfolgreich war, dass er dieses – größere – Haus erwarb, um seinen Laden darin unterzubringen. Sein Sohn Ladislav Rott übernahm nach dem Tod seines Vaters 1872 das Geschäft und beschloss, das Haus völlig umzubauen. In den Jahren 1896 bis 1897 wurde das Gebäude nicht nur baulich dem expandierenden Geschäftsbetrieb angepasst, sondern vor allem auch künstlerisch neu präsentiert. Den berühmtesten böhmischen Historienmaler seiner Zeit, Mikoláš Aleš (siehe früheren Beitrag hier), konnte Rott jr. für die Gestaltung der Fassade gewinnen, der dann seine Mitarbeiter Arnošt Hofbauer und IMG_5479Ladislav Novák die von ihm gemachten Entwürfe umsetzen ließ. Die Fresken der Fassaden haben – lange nachdem die Firma 1948 von den Kommunisten enteignet worden war – den Namen des Geschäfts im wahrhaftigen Sinne verewigt.

Obwohl eindeutig dem Jugendstil zuzuordnen, sind die Bilder in ihrer Wirkung der Ästhetik der böhmischen Spätgotik nahekommend, derer sich der Künstler schon bei dem nahegelegenen Storch-Haus (früherer Beitrag hier) bedient hat. Besonders deren überbordende Ornamentik wurde sehr feinfühlig nachempfunden. Dabei stellen die dargestellten Personen eher zeitgenössische Szenen des Landlebens dar, wobei ein frühbarock gekleideter Schmied, der eine Ritterrüstung herstellt, etwas aus der Zeit fällt (großes Bild oben). Bei diesem Bild hat übrigens Aleš seine Signatur mitsamt Datum eingefügt, wie man sehen kann. Ebenfalls tief in altböhmischer Mythik verwurzelt ist der Spruch, der ein Stockwerk oberhalb des IMG_5478Werbebanners „V.J. Rott“ in einer Kartusche angebracht ist: „Nedej zahynouti nám ni budoucím, Sv. Václave“ (Lass uns und die Künftigen nicht untergehen, Heiliger Wenzel). Es handelt sich um eine Zeile aus dem St.-Wenzels-Choral (Svatováclavský chorál), eine der ältesten Kirchenhymnen Böhmens aus dem 12. Jahrhundert, die gerade von tschechischen Nationalisten gerne aufgegriffen wurde.

Diesen Appell an die böhmische Seele nutzte die Fassadengestaltung geschickt für die firmenpolitischen Ziele.  Ladislav Rott, der ja im großen Stil mit Industrieprodukten handelte, war ein fortschrittlich gesonnenes Kind der Industriellen Revolution. Er war im Jahre 1898 der Erste, der dem Rat der Stadt die Idee unterbreitete, eine Untergrundbahn, IMG_5480die Metro, zu bauen. Die Idee war den Räten zu kühn und die Prager mussten bis 1967 warten, bis der erste Spatenstich erfolgte. Deshalb kann man die Frage stellen: Was haben Landleben und mittelalterliche Choräle mit dem Metallwarenladen dieses modernen Geistes zu tun?

Nun ja, irgendwie tragen alle die dargestellten Mägde, Knechte, Bauern und Bäuerinnen Arbeitsgeräte in der Hand, die man wohl damals im Geschäft hat kaufen können – Sensen, Sicheln, Harken. Und Landromantik mit Patriotismus verkauften sich damals gut…

Metallwaren werden übrigens im Hause schon lange nicht mehr verkauft. Nach der Privatisierung (bei der die Nachkommen Rotts anscheinend leer ausgingen) von 1993 war es erst ein Kristallglasladen, danach ein Hotel, heute ein Hardrock Café und ein Hotel. Vita brevis, ars longa: Das Geschäftsleben befindet sich im ständigen Wandel, aber die Kunst bleibt und beeindruckt weiterhin die Touristen, die auf dem Platz vor dem Hause meist in Scharen wandeln. (DD)

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