Der Glockenturm

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Man könnte meinen, es handle sich um einen Teil der alten Stadtbefestigung. Aber nein, der Heinrichsturm (Jindřišská věž) war ursprünglich der Glockenturm einer Kirche, genauer: der auf der gegenüberliegenden Straßenseite liegenden Kirche St. Heinrich und Kunigunde, die mittlerweile aber selbst einen Glockenturm mit Glocken hat. Benannt ist er übrigens IMG_3320nach dem deutschen Kaiser Heinrich II. (973–1024) und seiner Frau, der viel fürdie Anbindung Böhmens an des Reich geleistet hatte.

Der Heinrichsturm an der Jindřišská 909/14 in der Prager Neustadt überragt mit seinen 67,7 Metern an Höhe die daneben schon fast zwergenhaft wirkende Kirche bei weitem. Es handelt sich um den größten Glockenturm Prags überhaupt. Der Turm wurde in den Jahren 1472-75 errichtet, allerdings nur als Holzkonstruktion. Einen steinernen Turm kann man erst um 1600 nachweisen..

Immer wieder wurde der Turm im Laufe seiner Geschichte beschädigt – 1648 von den Schweden im Dreissigjährigen Krieg, 1757 von den Preußen im Siebenjährigen Krieg und 1801 durch einen heftigen Sturm. Immer wieder wurde er repariert, wennggleich nach dem Orkan von 1801 lange Zeit das Dach fehlte. Das gestaltete 1878 der Architekt und Neogotik-Spezialist  Josef Mocker – und zwar so opulent, dass der Turm erst dadurch nicht nur richtig mittelalterlicher-als-mittelalterlich aussah, sondern überhaupt erst seine enorme Höhe erreichte. Ganze 32,6 Meter ist die Dachkonstruktion hoch (großes Bild). Außerdem ähnelt er dadurch mehr einem der mittelalterlichen Stadtbefestigungstürme und nicht einem Glockenturm.

IMG_3317Die Glocken, die darin hingen, fielen den Weltkriegen zum Opfer. Sie wurden für die Waffenproduktion eingeschmolzen. Nur die älteste erhaltene von ihnen, die 723 Kilogramm schwere Marienglocke aus dem Jahre 1518, existiert noch.

Ach ja, es ist müssig zu sagen, dass die Verwahrlosung in kommunistischen Zeiten ihm auch zusetzte. Nach der glücklichen Beendigung dieses finsteren Kapitels der Geschichte ging man im Jahre 2001 daran, ihn kräftig zu reparien und rekonstruieren, vor allem innen. Dabei wollte man die alte Bausubstanz nicht beschädigen. Es entstand quasi ein Turm IMG_3549im Turm, eine neue Stahl- und Betonkonstruktion, die frei im alten Turm steht und einen geringstmöglichen Abstand zu den alten Wänden hält. Das wurde so geschickt gemacht, dass man es optisch innen gar nicht mehr bemerkt. Ein Modell im 6. Stock veranschaulicht die Konstruktion sehr schön (Bild links).

Und drinnen gibt so allerlei zu sehen und erleben. Da ist die Aussichtsplattform ganz oben im 10. Stock (zu Fuß oder per Aufzug erreichbar) und ein sehr feines Restaurant mit schöner Aussicht in den Stockwerken 7 bis 9., das nicht billig, aber sein Geld wert ist. Es gibt gehoben tschechische Küche und man sitzt inmitten der hölzernen Dachbalken IMG_3553des Mockerschen Turmaufsatzes. Durch die Lammellen der großen Fenster kann man den Blick auf die Neustadt oder – vor allem – auf die Türme der Teynkirche am Altstädterring und die Burg auf der anderen Seite der Moldau genießen. Vor allem bei Sonnenuntergang ist das ein unvergesslicher Anblick.

Darunter gibt es einen Whiskyladen, eine sehr wohlsortierte und gemütliche Whiskybar, eine Austellung zu den Glocken und der neuen Turmkonstruktion, eine andere Ausstellung IMG_3319über die schönsten und höchsten Türme der Stadt (mit kleinen Modellen nebst historisch/technischen Beschreibungen) und eine kleine Kunstgalerie. Und Glocken kann man auch hören, nur nicht wie früher, draußen auf der Straße. Die Gäste des Restaurants (das angemessermaßen auch Zvonice – Glocken – heißt) können drinnen aber ab und an dem Glockenspiel lauschen, das der Glockengießer Petr Rudolf Manoušek 2003 hier installierte. Es besteht aus 10 kleineren Glocken, die die Namen jener Glocken tragen, die im Verlauf der Geschichte im Turm hingen, aber inzwischen verloren gingen. Eine Unzahl von Melodien erklingen nun im Heinrichsturm und erfreuen die Zuhörer. (DD)

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