Die große Kathedrale

Was soll man über den Veitsdom (Katedrála sv. Víta ) schreiben? Jedermann kennt ihn, kein Tourist in Prag kommt um einen Besuch herum. Dieser Status als Prager Hauptattraktion ist allerdings auch rundum verdient. Die große Kathedrale überragt die Burg oben auf dem Berg – und damit die ganze Stadt. Sie ist die größte Kirche Tschechiens und eines der ganzen großen Meisterwerke der europäischen Gotik. 124 Meter ist sie lang, der höchste Turm ragt 99 Meter in die Höhe. Beeindruckend!

Und da sie auch Krönungskirche und Grablege der böhmischen Könige war, hat sich in ihren Innenräumlichkeiten die geballte Geschichte und Kunstgeschichte des Landes angesammelt. Trotz der Bedrängung durch hektisch von ihren Reiseführern zur Eile angetriebenen Touristenmassen sollte man sich daher nach Zahlung des Eintritts viel Zeit nehmen, sich alles anzuschauen.

Unter Kaiser Karl IV., der Prag erstmals zur Weltstadt machen wollte, wurde der gotische Bau 1344 begonnen, zunächst von dem französischen Baumeister Matthias von Arras , dann nach dessen Tod 1352 vom dem deutschen Baumeister Peter Parler und dessen Söhnen (das war dieselbe Dynastie, die auch den Kölner Dom erbaut hatte).

Das ist natürlich nicht die ganze Baugeschichte. Schon im 10. Jahrhundert hatte es hier eine mehrfach vergrößerte romanische Kirche gegeben. Und als die Parler mit dem Bauen aufhörten, war die Sache auch nicht zu Ende. Wie die meisten gotischen Großkathedralen in Europa, blieb auch diese unvollendet. Vor allem die Hussitenkriege im frühen 15. Jahrhundert setzten der Bauentwicklung zunächst einmal ein Ende.

Der Aufsatz des großen Turms an der Seite des Schiffes ist ein Werk des Architekten Bonifaz Wohlmut aus den Jahren 1560-62 und mithin ein Werk der Renaissance.

Und mit der Gegenreformation, die nach der Schlacht am Weißen Berg und dem Sieg der katholischen Habsburger im Jahre 1620 begann, setzte eine dramatische Barockisierung des Innenraums ein. Und noch immer waren Teile des Schiffs und die ganze Westfassade so unvollendet, wie sie die Parler zurückgelassen hatten.

Erst 1859 wurde ein Dombauverein gegründet, der mit der fertigstellung begann. Wie beim Kölner Dom muss sich der Besucher auch beim Veitsdom immer vergegenwärtigen, dass nicht alles echte Gotik ist, was wie Gotik aussieht. Die Architekten, die sich nun an die Vollendung machten, waren Vertreter einer werktreuen Neogotik – zunächst Joseph Kranner (siehe früheren Beitrag hier), dann ab 1873 Josef Mocker (siehe auch hier) und dann nach dessen Tod 1899 Kamil Hilbert , der es immerhin schaffte, dass die Kathedrale rechtzeitig zum 1000 Todestag des Heiligen Wenzel im Jahre 1929 fertiggestellt und eröffnet wurde.

Man sieht es vor allem der (damals sehr umstrittenen) Westfassade an, dass Mocker und Hilbert die früheren Werke der Parler intensiv studiert hatten – allen voran den Kölner Dom. Mit den beiden spitzen Türmen sieht die Fassade dem Kölner Vorbild (früherer Beitrag hier) verblüffender ähnlich als es die Parler wohl damals in Prag geplant hatten. Und deshalb ist auch das wunderschöne mittelalterlich wirkende Rossettenfenster in der Westfassade realiter ein Werk aus dem Jahre 1925. Der Maler František Kisela hatte es im Stil alter Vorbilder entworfen. Die Glasbilder stellen die Schöpfungsgeschichte dar.

Überhaupt sind schon alleine die farbigen Glasfenster, die vor allem im 19. und 20 Jahrhundert eingebaut wurde, ein Tour für sich wert. Sie sollen hier nicht alle aufgezählt werden, aber es sei gesagt, dass sich hier die besten und bekanntesten Künstler der Zeit verweigt haben. Am berühmtesten sind vor allem diejenigen des großen Jugendstilmalers Alfons Mucha (links) aus dem Jahre 1931 in der erzbischöflichen Seitenkapelle, die die Christianiserung der Slawen darstellen – ein Motiv, dass dem Nationalbewußtsein der Zeit der Fertigstellung des Domes entsprach.

Aber man sollte nicht nur die alte Gotik und die sie abbildende Neogotik des 19. und 20. Jahrhunderts im Auge behalten, sondern auch die Bau- und Kunstphasen dazwischen. Dazu bieten die kolossalen Königs- und Heligengrabmale eine Gelegenheit. Die meisten befinden sich inder Krypta, aber einige besonders prachtvolle auch im Hauptschiff. In der Mitte beeindruckt das monumentale Grabmal Kaiser Ferdinands I. (nebst Gemahlin aund Sohn). Das in weißem Marmor gestaltete Werk des flämischen Bildhauers Alexander Colin aus dem Jahre 1589 ist ein Meisterwerk der Spätrenaissance. Das Grab des Heiligen Nepomuk (Beitrag hier) wiederum ist Hochbarock vom Feinsten.

Unter allen Grabmalen ist natürlich das des Heiligen Wenzels das wichtigste. Der böhmische Herzog, der 935 von seinem Bruder Boleslav ermordet wurde, ist der Nationalheilige der Tschechen schlechthin. Sein Grab war schon Teil des ursprünglichen romanischen Baus, denn der reuige Bruder hatte ihn dort 938 bereits begraben lassen. Heute ist ihm eine große Kapelle, die Sankt-Wenzels-Kapelle (kaple sv. Václava) im Dom gewidmet, in der sein schlichter Sarg steht.

Der Veitsdom ist übrigens nicht nur Grablege für unzählige böhmische Herrscher seit dem 10. Jahrhundert, sondern auch die Krönungskathedrale. Hier werden auch (in der Regel unzugänglich) die Kronjuwelen samt Krone aufbewahrt. (DD)

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