Skandal oder Humor?

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Viele Prager hatten früher das Gefühl, dass der Senovážné náměstí (früher auch: Heuwaagsplatz) hinter dem Heinrichsturm immer etwas hinter den anderen schönen Plätzen der Stadt zurückfiel, was die skulpturale Ausstattung der kleinen Grünfläche anging. Die war nämlich gestalterisches Ödland – bis sich die weltbekannte Malerin und Bildhauerin Anna Chromy ihrer erbarmte. Sie schenkte 2002 der Stadt einen Brunnen aus böhmischem Sandstein IMG_3379samt dazugehöriger Skulpturengruppe.

Jetzt steht sie da, die allgemein als Tschechische Musikanten (Čeští muzikanti) bekannte Gruppe von Bronzeskulpturen – vier wild herumtanzende Figuren, die mit durch Tuch überdeckten Augen je ein Instrument spielen. Warum das Ganze nun ausgerechnet „Tschechische Musikanten“ heißen soll, ist nicht so klar, denn jeder Musikant symbolisiert einen weltberühmten Fluß, von denen kein einziger durch Tschechien fließt: Die Geige die Donau, die Flöte den Amazonas, das Horn den Mississippi und die Mandoline den Ganges. Um es so richtig tschechisch wirken zu lassen, hätte man wenigstens einen Ziehharmonikaspieler als Moldau hinzufügen müssen – hat man aber nicht!.

Vielleicht steckt dahinter auch eine Prise Humor, wofür die Künstlerin allgemein bekannt ist (sie ist schließlich – obwohl sie in Italien arbeitet – gebürtige Tschechin, und die Tschechen verfügen oft über einen Hintersinnigen Humor). Dafür spricht auch, dass die Musiker ursprünglich in ausgesprochen schrillen Glitzerfarben coloriert waren, die IMG_3378inzwischen leider der wetterbedingten Erosion zum Opfer gefallen sind. Jedenfalls kann man das Werk durchaus als clevere Dekonstruktion antiker Formensprache oder als Anspielung auf das bekannte Klischee des böhmischen Musikantentums interpretieren. Zudem scheinen einige Instrumente funktionsuntüchtig zu sein – der Geige fehlen die Saiten und der Geigenbogen (Bild rechts) und die Mandoline hat ein Loch im Klangkörper, was doch recht schräge wirkt.

Wenn dem so ist, dann hatte es den erwarteten Effekt. Nichts bringt Humorlose so in Rage wie Humor, den sie nicht verstehen – also jedweder Humor. In der Akademie der Bildenden Künste standen plötzlich etliche seriöse Kunstprofessoren auf und machten ihrem Unmut Luft. Allein der Gedanke, dass die Skulpturen ein Geschenk an die Stadt waren, versetzte sie in IMG_3385Grauen. Und dass bei Chromy bereits zuvor regelmäßig Anfälle von Großzügigkeit auftraten, machte es noch schlimmer in ihren Augen, hatte doch die Künstlerin schon öfters Geschenke verteilt, etwa mit der Aufstellung der düsteren Figur des Commendatore aus Mozarts Oper Don Giovanni vor jenem Ständetheater, wo die Oper einst uraufgeführt wurde. Die Kritiker fanden nun, wenn eine weltbekannte Künstlerin ihre Werke an die Stadt verschenke, dann habe sie einen unfairen Wettbewerbsvorteil gegenüber weniger bekannten Künstlern, die ihre Werke der Stadt für Geld anbieten müssten. Schenken ginge auch deshalb schon gar nicht, führten sie moralisch entrüstet hinzu, weil dies den öffentlichen Diskurs aussetze, IMG_3381wie denn der öffentliche Raum überhaupt gestaltet werden solle.

Es folgten noch etliche Tiraden, dass diese Skulpturengruppe doch irgendwie populärer Kitsch sei. Nun ja, das kann man so sehen, wenn man keine feine Ironie dahinter sehen kann (bei der Kunst des großen Jeff Koons hat es immer ähnliche Kritik gehagelt). Es gab also im Jahre 2003 eine Protestdemonstration der Lehrenden der Akademie gegen die Platzierung von Chromys Werken in der Stadt. Bewirkt hat die aber am Ende nichts. Die Stadt Prag war glücklich, den Platz ohne Zahlung größerer Geldsummen gestalten zu können. Und die Touristen, die sich in der Gegend in Scharen herumtreiben, lieben die Figuren und machen mit Begeisterung Selfies mit ihnen. Ihnen zumindest gefällt die Musikantengruppe und möglicherweise verstehen sie auch den Witz dahinter. (DD)

Ein Gedanke zu “Skandal oder Humor?

  1. Nicht nur die Instrumente sind funktionsuntüchtig, auch die Menschen werden daran gehindert, sie richtig zu benutzen. Der Tänzer ist gefesselt, dem Hornist ist ein Tuch über die Nase gebunden, dass ihn daran hinder genügend Luft zu bekommen, um sein Instrument richtig spielen zu können.

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