Hussiten als Hingucker

Das Bild des Schlachtgetümmels ist zweifellos der farbige Tupfer auf diesem recht kolossal geratenen vierstöckigen Wohn- und Mietshaus in der 28. Pluku 80/5 im Stadtteil Vršovice (Prag 10). Es handelt sich eindeutig um eine Kampfszene aus den Hussitenkriegen, die zu Beginn des 15. Jahrhunderts Böhmen verwüsteten.

Das war im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert ein sehr populäres Thema, denn der damalige tschechische Nationalismus liebte irgendwie alles, was mit dem Frühreformator Jan Hus, dem Hussitentum und den Hussitenkriegen des frühen 15. Jahrhunderts zu tun hatte. Wahrscheinlich stellt das Gemälde die Schlacht am Vítkovberg dar, bei der die Hussiten 1420 unter ihrem Heerführer Jan Žižka die Ritterheere des deutschen Kaisers Sigismund schlugen, um so ihre Glaubensfreiheit und Prag vor der Eroberung zu retteten. Im 19. Jahrhundert wurde die Geschichte zum Nationalmythos erhoben. Hus, Žižka und den vielen erfolgreichen Kämpfe ihrer Anhänger gegen die katholischen (und meist deutschen) Kreuzritter wurden allerorten Denkmäler errichtet. Und sie erschienen zunehmend (nicht nur) als Fassadendekoration von Wohnhäusern patriotisch gesonnener Tschechen, die so ihrer Haltung zur Habsburger „Fremdherrschaft“ demonstrieren wollten. Ein typisches Beispiel präsentierten wir bereits hier.

In diesen Kontext muss man die Schlachtszene an diesem Haus in Vršovice verstehen. Das Gebäude selbst wurde hier 1911 nach den Plänen des bekannten Architekten Bohuslav Homoláč (wir erwähnten ihn bereits hier und hier) erbaut. In späteren Jahren experimentierte Homoláč mit moderneren und avantgardistischen Stilen – etwa dem Jugendstil und dem frühen Kubismus -, aber hier war er noch ganz dem Historismus (in diesem Fall der Neorenaissance) verpflichtet, der in dieser Zeit schon mehr als zwei Jahrzehnte so etwas wie der tschechische Nationalstil war. Die meisten Häuser, die in dieser Zeit in dem aufstrebenden Vršovice (das erst 1922 Teil von Prag wurde), waren in diesem Stil erbaut worden, der aber langsam, aber sicher aus der Mode kam. Aber trotzdem fällt dieses Haus auf, und zwar nicht nur wegen des überbordenden Dekors, das aus viel Stuck und einem ungeheuren Reichtum an verzierten Erkern und Balkonen. Eine sehr abwechslungsreich gestaltete Fasssade, ohne Zweifel. Der „Hingucker“ ist jedoch das Bild.

Das zentral oberhalb des zweiten Stocks platzierte bunte Gemälde der Schlacht aus den Hussitenkriegen setzt dabei einen interessanten Kontrast. Es hebt sich nicht nur durch seinen Farbenreichtum von der rein monochromen Fassade ab, sondern greift sitilistisch nicht auf die (Neo-) Renaissance zurück. Die Malerei ist wesentlich plakativer und moderner als dies normalerweise bei Prager Neorenaissance-Gebäuden und ihren Fassaden der Fall war (Beispiele hier und hier). Das Bild zeigt einen Ausschnitt einer Schlachtszene. Von links kommend sieht man die hussitischen Kämpfer, die ihr Glaubenssymbol, den Laienkelch, als Abzeichen tragen, rechts sind die wesentlich grimmiger dreinblickenden Kreuzritter mit ihren Kreuzen auf den Schilden zu sehen.

Wer der Maler dieser Szene war, entschließt sich meiner Kenntnis. Zwischen dem Bild und der sonstigen Dekoration des Hauses besteht auch kein wirklicher Zusammenhang. Nicht in generell in Sachen Stil (passend zu den Hussiten wäre ein eher neogotisches Haus gewesen), sondern auch, was die figuralen Motive der übrigen Fassadengestaltung angeht. Die sind vor allem im Erdgeschoss Reliefs mit floral ummrahmten Mädchengestalten, die in einer eher zeitgenössichen (im Sinne der Zeit des Baus des Hauses) Bauerntracht stecken und definitiv nicht spätmittelaterlich-hussitisch daherkommen. Trotzdem oder gerade deshalb ist das gemalte Schlachtgeschehen die wirkliche Besonderheit des Hauses. (DD)

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