Denkmal für die Selbstmörder

Auf den ersten Blick sieht es aus wie eine normale Straßenlaterne. Doch sie ist merkwürdig verbogen und das gelbliche Licht leuchtet nach oben. Die Brücke hinauf in die schwindelerregende Höhe. Dort, wo sich so viele Menschen das Leben nahmen. Es ist das Denkmal für die Selbstmörder, die sich von der Nusle Brücke (Nuselský most) aus in den Tod stürzten.

Als die Brücke 1973 eröffnet wurde, galt sie als ein Musterbeispiel des Brutalismus – gigantisch und aus puren Rohbeton gebaut. Die Dimensionen sind beeindruckend. 22.000 Kubikmeter Beton, 4000 Tonnen Stahl und eine Länge von über 500 Meter, die sie von Vinohrady über das Nusletal mit Pankrac verbindet. Und dann ist da die Höhe, die immerhin 43 Meter beträgt. Und die wurde bald zu einem Problem. Wer hier runterstürzt, ist tot. Wie sich zeigte, auch ohne Ausnahme. Überlebende gab es nie. Wer also wirklich entschlossen war, auf gründliche Weise sein Leben zu beenden, für den war die Brücke die Gelegenheit. Rund 300 (!) Menschen begingen hier seit der Eröffnung der Brücke Selbstmord. Eine genaue Statistik gibt es nicht, aber die Zahl dürfte ungefähr stimmen.

Die ungewöhnliche Idee, für die Selbstmörder ein Denkmal zu setzen kam dem Bildhauer Krištof Kintera als er 2005 mit Kindern unter der Bücke herging, um daraufhin eine Skizze anzufertigen. „Durch meine eigene Entscheidung – genau wie meine Lampe, die genug Mut in sich fand, nicht wie andere Laternen zur Erde zu leuchten, sondern stattdessen zu den Sternen, sodass jeder Mensch selbst entscheiden muss, wann er herunterspringen möchte“, fasste der aus einer bekannten Künstlerfamilie stammende Kintera seine daraus entwachsene Idee zusammen. Das war zweifellos eine ausgesprochene Provokation, weil es traditionell christlichen Vorstellungen über die Sündhaftigkeit des Selbstmordes wiedersprach. Folglich gab es heftige Debatten darüber, vor allem natürlich im Statdtrat von Prag 2 (wo sich die Brücke befindet), der die Aufstellung zu genehmigen hatte. Die begannen 2009, als das Projekt umsetzungsreif war, und dauerten zwei ganze Jahre. Das Denkmal sorgte für eine ausgesprochen polarisierte Diskussionen, bis am Ende der damalige Bürgermeister von Prag 2, Jiří Paluska, verkündete, dass die Mehrheit des Rates für das Denkmal sei.

Am 16, Juni 2011 erfolgte dann die offizielle Einweihung, bei der rund 40 Personen anwesend waren. Seitdem steht sie am Nordhang des Nusletal unterhalb der Brücke und leider etwas schwierig zu erreichen. Man braucht schon etwas Mühe, um die Aufschrift auf der kleinen Metalltafel zu lesen, die auf Augenhöhe angebracht ist: „Memento mori – an diejenigen, die sich an diesen Orten aus eigenem Antrieb das Leben genommen haben“ (Memento mori – těm, kteří si v těchto místech z vlastního rozhodnutí vzali život). Ach ja, ganz am Rande erwähnt: Weil die Laterne tatsächlich leuchtet, ist sie nicht nur Denkmal, sondern auch unter der Nummer 194143 im Prager Straßenbeleuchtungssystem registriert. Und gottlob sind übrigens auf die Selbstmorde an der Brücke seit einiger Zeit dramatisch zurückgegangen.

Schon in den 1990er Jahren wurde, u.a. weil sich eine Mutter mit ihrem Kleinkind herabstürzte, das Gitter an den Gehwegen erhöht, aber mit geringem Erfolg. 2007 machte man Nägel mit Köpfen und montierte eine hohe, nach innen gebogene und völlig glatte (um Kletterversuche zu vereiteln) Gitter- und Glaskonstruktion an. Die ist sogar patentiert und zahlreiche Städte aus aller Welt haben sich bereits für die Lösung interessiert. Um ganz sicher zu gehen, geht hier auch die meist sehr effiziente Prager Polizei regelmäßig auf. Noch im Februar 2024 wollte ein Jugendlicher von der Brücke springen und wurde von einer Polizeipatrouille bemerkt, die ihn behutsam überredete, das Selbstmord keine Lösung sei. Tatsächlich ist seit über neun Jahren niemand mehr von der „Selbstmörderbrücke“ (sebevražedný most) gesprungen. Die Lampe unten leuchtet daher im Andenken derer, für die diese Sicherheitmaßnahmen zu spät kamen. (DD)

Hinterlasse einen Kommentar