Ein Barockhaus und zwei berühmte Schauspieler

Das Hausschild über der Eingangstür verrät den Namen: Haus zum Weißen Lamm (Dům U Bílého beránka). Schon die schöne Kartusche, die das Bild des Weißen Lammes umrahmt, erweist sich als ein geradezu typisches Stück echten Barockstils.

So soll es wohl sein, denn das Haus in der Míšeňská 67/10 auf der Kleinseite Prags liegt in einer ganz besonderen Straße. Die Míšeňská ist die einzige Straße in Prag, die heute noch nur und ausschließlich aus barocken Häusern des frühen 18. Jahrhunderts besteht. Und dieses ist daher keine Ausnahme. Diese wirklich außerordentliche stilistische Kohärenz lässt sie für entsprechende Historienfilme überaus geeignet erscheinen. Und tatsächlich war sie zum Beispiel auch einer der Drehorte für den weltbekannten Mozart-Film Amadeus des tschechisch-amerikanischen Regisseurs Miloš Forman von 1984.

Zurück zu dem hochbarocken Haus in der Míšeňská 67/10: Im Jahre 1708 kaufte der Goldschmied Jan Fischer hier eine Parzelle des aufgeteilten und bald völlig verschwundenen Thuner Gartens (Thunovská zahrada) und im Jahre 1726 wird zum ersten Mal erwähnt, dass er hier ein neues Barockhaus erbauen lassen, und zwar durch den Architekten Filip Spannbrucker (wir erwähnten ihn bereits hier).

Primär handelte es sich um sein Wohnhaus. 1864 wurde hinter dem Vordergebäude ein neuer Hofflügel gebaut, der in den 1930er Jahren abgerissen und neu aufgebaut wurde. Auch innen im Gebäude gab es ab und an Umbauten, etwa 1900 durch den Architekten František Holeček und 1933 durch František Vacek. Sie veränderten den barocken Charakter aber kaum, vor allem nicht von außen.

In dem wunderschönen zweistöckigen Haus mit Scheingiebel und der Lamm-Kartusche (die übrigens um einen kleinen Habsburger-Doppeladler – Bild oberhalb links – ergänzt ist, die möglicherweise den Erbauer Jan Fischer als ausgesprochenen Loyalisten gegenüber der katholischen Monarchie ausweist) wurde übrigens der große Bühnenschauspieler und Pionier des realistischen Schauspielstils, Eduard Vojan geboren, nachdem deshalb auch der ganz in der Nähe gelegene der Vojan Park (Vojanovy sady) benannt ist, über den wir hier schrieben. Er gebahr sich hier im Jahre 1853 und lebte hier auch bis zu seinem Tod 1920. Danach überließ er das Haus seinem ebenfalls bekannten Schauspielerkollegen Zdeněk Štěpánek, der vor allem in der Zwischenkriegszeit zum Filmstar avancierte.

Der ließ im Jahre 1948 für Vojan eine bronzene Gedenktafel mit einem Portraitrelief (siehe Bild oberhalb rechts) anbringen, die an Vojans Geburt hier 1853 erinnert. Angefertigt wurde sie von dem bekannten Bildhauer Stanislav Sucharda (den erwähnten wir u.a. hier und hier), ist mithin also ein bedeutsames Kunstwerk. Da man ihn nach dem Zweiten Weltkrieg der Kollaboration mit den Nazis beschuldigte (unter Druck hatte er wohl tatsächlich einige politisch bedenkliche Erklärungen abgegeben), wurde Štěpáneks Karriere durch etliche Schauspielverbote lange Zeit eingeschränkt und das Haus wurde verstaatlicht. Er selbst starb 1968 im gegenüberliegenden Restaurant U Tří pštrosů (Zu den drei Straußen), über das wir bereits hier schrieben, innerhalb von Sekunden während er ein Bier trank. Seine Nachfahren bekamen das Haus, das sie 1993/94 sorgfältig renovierten, nach dem Ende des Kommunismus restituiert. (DD)

Illustrer Bau des illustren Unternehmers

Umwerfend! Wuchtig! Jedenfalls einzigartig sieht das Eingangsportal des Maceška Palastes (Maceškův palác) in der Vinohradská 2165/48, Ecke Budečská, im Stadtteil Vinohrady aus.

Die illustre Architektur passt zum ebenfalls sehr illustren ursprünglichen Besitzer. Das Gebäude wurde nämlich in den Jahren 1928/29 nach den Plänen des Architekten Jan Jarolím im Auftrag des Industriellen, Lebensmittelunternehmers, Immobilieninvestors und Brauereibesitzers Emanuel Maceška erbaut. Der war, wie die Aufzähling zeigt, ein unternehmerischer Tausendsassa. Ab 1895 begann er im Kleinen mit der Wurstproduktion, nannte aber bald die größte Wurstfabrik Prags sein eigen. Von da an stieg er im großen Stil in den Lebensmittelsektor ein, vornehmlich im höheren Delikatessniveau. Die Firma war bekannt, dass ihre ungarische Salami jede echt ungarische übetraf. Und seine Streichwurst machte seinen Namen doppeldeutig bekannt, hieß sie doch „Maceška“, handelte es sich dabei doch nicht nur um den Namen des Produzenten, sondern auch um das tschechische Wort für „Stiefmütterchen“ (Blume). Als Markenbezeichnung gibt es sie übrigens immer noch und sie wurde einfach zum Synonym für tschechische Teewurst.

Nebenbei kaufte er viele Immobilien in Prag oder baute sie, darunter die neue Firmenzentrale in der Vinohradská 1254/61, in der er sich auch wohnlich einrichtete. Zur Versorgung mit den Grundmaterialien für den Lebensmittelkonzern kaufte er mittelböhmischen Votice riesige Ländereien, die er geradezu industriell (inklusive Brauerei) für die Lebensmittel aufmöbelte. Gleichzeit wirkte er so eifrig als Mäzen für das Kultur- und Sozialleben des Ortes, dass er dort viele Jahre immer wieder zum Bürgermeister gewählt wurde. Und als er für weitere Firmenbüros schließlich in Prag ein neues Gebäude bauen ließ, wollte er dabei auch gleich als Kulturförderer auftreten. Der Maceškův palác beinhaltete nämlich nicht nur Büros und Wohnungen, sondern auch ein großes Luxus Kino im Erdgeschoss mit 930 und einem Orchestergraben mit Platz für 16 Musiker (man führte ja noch Stummfilme vor, die so begleitet wurden), das im August 1929 mit dem französischen Film Madame Récamier eröffnet wurde. Daneben gab es kleiner Räume für Kulturveranstaltungen und als soziale Einrichtung zog hier das Staatliche Institut für Zahnmedizin (Státní ústav pro zubní lékařství) ein. Daneben gab es etliche Restaurants, in denen u.a. meist die Biermarke Starozámecký pivo aus Maceškas Brauerei in Votice gezapft und serviert wurde.

Besonders für die Kultursäle erwies sich Jarolím als er geeignete Architekt, da er schon bei anderen Theaterbauten mitgewirkt hatte, etwa das Gebäude des heutigen Semafor Theaters am Wenzelsplatz. Stilistisch ist das Gebäude nicht leicht einzuordnen. Es steht irgendwo zwischen zwei (zugegebenermaßen sehr ähnlichen) Stilen, dem Purismus, eine Vorstufe des Funktionalismus, der mit wenig dekorativen Elementen und klarer Geometrie optische Wirkung erzielen will, und der Kubismus, bei dem es um die Zerlegung ästhetischer Objekte in geometrische Elemente ging. Der Giebel an der Seite zur Budečská ist mit seiner Dreiecksform ein typisches Statement des Kubismus, aber der Rest der Fassade geht mit solchen Dekorationselementen eher sparsam um, mit Ausnahme des fast schon pseudo-klassizistisch wirkenden fulminanten Portals..

Das Gebäude ist ein geradezu formidabler Ausdruck des Aufschwungs des Maceškaschen Unternehmens-Imperium, das (nachdem Maceška vor dem Ersten Weltkrieg beinahe einmal in den Konkurs gegangen war!) in der Zeit der Ersten Republik nach 1918 geradezu glänzend florierte. Aber alls die Republik endete, sank auch Maceškas Stern…

Die Nazis übernahmen 1939 die Macht im Land. Maceška schloss sich sogleich dem Widerstand an und unterstützte u.a. finanziell Familien von Verhafteten und Hingerichteten. Wie bittere Ironie des Schicksals mutet an, dass ausgerechnet sein Haus in der Vinohradská 1254/61 durch den irrtümlichen Bombenangriff der US-Air Force am 14. Februar 1945 zerstört wurde. Nach dem Krieg wurde er in absurder Weise der Kollaboration mit den Nazis beschuldigt. Er konnte seinen Ruf rehabilitieren, aber schon 1945 (noch von der nicht-kommunistischen Regierung unter Edvard Beneš) wurde der Maceškův palác verstaatlicht. Als die Kommunisten 1948 die Macht ergriffen, folgte bald die vollständige Verstaatlichung aller seiner Firmen. Er zog sich darob in eine Hütte von Verwandeten in Bojanovice zurück und kehrte dem öffentlichen und unternemerischen Leben den Rücken zu – bis zu seinem Tod 1966.

Aber der Maceškův palác blieb immerhin als eine Landmarke in Vinohrady baulich erhalten. Er vervollständigt ein sehr veritables und geradezu einzigartiges Ensemble von kombinierten Nutz- und Kulturbauten der Ersten Republik in Vinohrady, die Modernität und Repräsentation kombinierten, etwa den nahegelegenen Radiopalast – Haus der Post- und Telegraphen-Angestellten (den beschrieben wir schon hier), den Hauptsitz der nationalen tschechoslowakischen Tabak-Direktion (wir berichteten hier) oder das Haus des Orbis Verlags (auch hier). Das Kino im Maceškův palác war übrigens noch bis 2006 in Betrieb, wenngleich defizitär. Unter dem Kommunismus war es arg heruntergekommen. Die Erben, die 2001 restituiert wurden, sahen sich mit unfairen Bedingungen (sie sollten u.a. die unbrauchbare und verrottete Sitzeinrichtung des Kinos extra kaufen). Eine Zeitlang betrieb der bekannte Schauspieler Pavel Trávníček im Gebäude ein Theater. Am Ende musste aber Nägel mit Köpfen gemacht werden.

Es begannen großangelegte Renovierungs- und Umbauarbeiten. Die waren 2014 abgeschlossen. In diesem Jahr wurde dann auch das ehemalige Großkino unter dem Namen Royal Theatre and Club Chic als vielseitige Stätte von verschiedenen Kulturveranstaltungen wieder eröffnet. In anderen Räumlichkeiten befindet sich das Theater der renommierten Schauspielerin und Tänzerin Marianna Arzumanová, die hier zugleich eine Theaterschule betreibt. Daneben gibt es in dem fünfstöckigen Riesenkomplex auch weiterhin etliche Firmenbüros und Wohnungen. Die heutige Nutzung würde den vielseitigen Unternehmer, Mäzen und Kulturfreund Emanuel Maceška wahrscheinlich zugesagt haben. (DD)

Theater – alternativ und kubistisch

Wenn man in Prag ein richtig alternatives Theater kennenlernen möchte, warum nicht im Theater Venuše ve Švehlovce (Venus im Švehlova) in der Slavíkova 1499/22 im sowieso recht alternativen Stadtteil Žižkov? Und man lernt dabei gleich auch noch eine architektonische Rarität kennen.

Schon das Entrée stimmt. Durch einen engen Durchgang muss man – weitgehend unbeschildert – erst einmal seinen Weg in einen Hinterhof finden. Es sieht auf den ersten Blick alles ein wenig so aus, als ob hier vielleicht der eine oder andere Eimer Farbe guttäte, aber nach kurzem Nachdenken kommt man zu dem Schluss, dass das dem alternativen Theater den alternativen Flair rauben würde. Dann zwängt man sich eine enge Kellertreppe hinunter. Alles ist schummerig und dunkel. Meine Frau und ich bemerken, dass wir den Alterdurchschnitt des Publikums markant heben. Nun ja, es ist irgendwie ein Theater von Studenten für Studenten (aber nicht nur), aber auf hohem Niveau.

Auf dem Weg runter hängt über dem Fußende der Treppe eine am Galgen baumelnde Frauengestalt – natürlich keine echte, sondern eines Statue, die möglicherweise die namensgebende Venus darstellen soll oder auch nicht. Dann kommt man in den Vorraum mit Kasse. Eine richtige Garderobe gibt es nicht. Der – erstaunlich gute – Wein in der Bar (eng, nur Stehplätze) wird im Plastikbecher serviert. Nahrungsangebot: Kartoffelchips (allerdings ebenfalls recht gute). wenn sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben, stellt man nicht nur fest, dass das Ganze doch eine urtümlich gemütliche Atmosphäre hat, sondern dass man sich in einem echten Kulturdenkmal, ja einer architektonischen Sensation befindet.

Es gibt nämlich kaum andere Beispiele für Theater im Stile des Kubismus, der ja so etwas wie der Nationalstil der Tschechoslowakei nach ihrer Gründung 1918 war und kaum irgendwo so florierte wie in Prag. Und dass dieses architektonische Juwel ein Theater mit leicht studentsicher Ausrichtung beherbergt, hat auch seine historischen Gründe, die eng mit den Gebäude verknüpft sind. Denn der Theatersaal gehört zum sogenannten Švehlova Kolleg (Kolej Švehlova), einem Studentenwohnheim, das in den Jahren 1923 bis1925 nach dem Entwurf von Jan Chládek erbaut wurde.

Das heutige Theater war nach der Eröffnung 1925 zunächst einmal nur als Mehrzwecksaal genutzt worden. 1928 ersann man eine neue Nutzung als studentisches Kino, das Kino Academia, das wohl (mit Ausnahme der Nazizeit) länger in Betrieb war. Nach dem Ende des Kommunismus nutzte man ihn als einen Studentenklub, den man Belmondo Klub nannte, was auf eine gewissen Popularität des berühmten französischen Schauspielers unter den Studenten schließen lässt. Währenddessen verfielen der Saal und das Kellernebengebäude langsam durch Vernachlässigung – eine Entwicklung fortsetzend, die schon unter dem Kommunismus heftig eingesetzt hatte.

Man sinnierte über eine mit Renovierung verbundene Neunutzung und am Ende – im September 2014 – eröffnete man das Ganze als Theater und Kulturzentrum Venuše ve Švehlovce, das sich ganz und gar auf studentisches und alternatives Theater fokussierte. Es gibt zwei hier „heimische“ Theatergruppen, nämlich das experimentelle Ensemble Depresivní děti touží po penězích (Depressive Kinder sehnen sich nach Geld) und seit 2015 die sozialkritische Truppe Lachende Bestien (tatsächlich dieser deutsche Namen!). Aber es gibt auch Auftritte von Gastkünstlern und -gruppen. Denn man sieht sich primär auch als offene Plattform für neue Künstler. Oben im großen Bild sieht man etwas die Inszenierung der modernen Zweipersonen-Oper Beyond the Garden des britischen Komponisten Stephen McNeff, organisiert im Januar 2022 (als Beitrag zu den Prager Opernwochen) durch die aus dem kleinen mährischen Ort Lipník u Hrotovic kommende Konzeptoper Povera. Man sieht hier eben Dinge, die man sonst nicht so sieht.

Zurück zum Theaterbau daselbst! Wie das ganze Gebäude des Studnetenwohnheims (das wir andernorts noch vorstellen werden), ist auch das Nebengebäude mit Theatersaal im Keller ein typisches Beispiel für eine eigentliche nur in Tschechien vorkommende Sonderform des Kubismus. Der eigentliche Kubismus, der in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg seine Blüte hatte, war durch seine Betonung abstrakter Formen so etwas wie eine Absage an jeglichen tradierten Historismus. In der Zeit der Ersten Republik versuchte man ihn (eigentlich stilwidrig) an natioanle Traditionen anzuknüpfen. Das Resultat war der sogenannte Rondokubismus, der die geometrischen Formen des Kubismus zur Darstellung folkloristischer und historischer Anspielungen verwendete (Beispiel hier). Die Säule, die man rechts sieht, ist ein Beispiel aus dem Theater. Sie erinnert an klassisch-antike Vorbilder, ist aber eigentlich eine ganz neue Konstruktion.

Das heutige Theater selbst ist manchmal so avantgardistisch, dass das Publikum mit dem Rücken zur Bühne sitzt, während das Stück an der Rückseite stattfindet (wie bei Beyond the Garden der Fall). Dann sollte man sich umdrehen, um die typisch rondokubistisch gebrochenen Säulen der Bühnenumrahmung zu bewundern. Auch so etwas sieht man selten in Theatern.

Auf der Decke des Theatersaales fallen dann aber wieder sehr strikt kubistische Muster in reinster Geometrik auf. Kreise und Quadrate lösen sich abwechselnd ab. Man sieht auch noch originale Deckenleuchter aus den 1920er Jahren. Was erstaunt, ist die Tatsache, dass zwar hier und da definitiv der Putz und die Farbe ein wenig abbröckeln, aber ansonsten das Innendekor fast vollständig im Original erhalten ist.

Wenn man zu Recht davon reden kann, dass Prag eine sehr vielfältige Theaterszene hat, dann gilt das auch für die Theaterarchitektur. Fast jeder Stil ist in Prager Theatersälen zu finden – vom Barock über Jugendstil bis zum Funktionalismus. Der kubistische Theatersaal des Venuše ve Švehlovce ragt dann doch noch einmal als besonders einzigartig heraus. (DD)

Avantgardetheater mit Bar (und Havel an der Wand)

Wer sich für Theaterarchitektur aus der Blütezeit des Prager Funktionalismus der Zwischenkriegszeit interessiert, der findet nirgendwo einen so faszinierenden Ort wie das Divadlo Archa (Archa Theater) in der Na Poříčí 1047/26 (Prag Neustadt). Passend zum radikalen Modernismus des Gebäudes passt der Anspruch des Theaters selbst, ein Hort progressiver Avantgarde und des Experiments zu sein.

Und das hat Geschichte. Und zwar eine, die weit vor die Gründung der Theatergruppe Archa im Jahre 1994 zurückreicht. Die begann eigentlich im Bauwerk daneben. Dort befindet sich heute immer noch das historisch bedeutsame Gebäude der ehemaligen Bank der Tschechoslowakischen Legion, (wir berichteten hier), kurz Legio Bank genannt, das in den Jahren.1921 bis 1923 von dem bekannten Architekten Josef Gočár im Stil des Rondokubismus erbaut worden war. In den 1930er Jahren war dieses schon recht stattliche Gebäude für die Aktivitäten der Bank zu klein und man beschloss eine Erweiterung. Dass dafür eine kleinere Brauerei abgerissen wurde, gehört zu den kleinen Tragödien der Menschheit, die man nicht zu erwähnen vergessen sollte. Als man das Gebäude zwischen 1937 und 1939 gemäß den Plänen des Architekten František Marek realisierte, war der Rondokubismus voll „out“, und Funktionalismus war angesagt. In den Proportionen passen beide Gebäudeteile harmonisch zueinander, aber stilistisch sind sie sehr unterschiedlich. Im kleinen Bild oberhalb links sieht man rechts das alte, sehr ornamentreiche Gočársche und links das schlichtere Mareksche Gebäude.

Wie im alten Gebäude, ließ die Bank in den unteren Geschossen Platz für Läden oder Restaurants. Schließlich lag der bau an einer prominenten Einkaufstraße. Jetzt wurde sogar eine große Passage eingeplant, in der sich der Eingang zum Theater befindet. In dessen Räumlichkeiten zog nun 1939 das berühmte Theater D34, das seit seiner Gründung 1933 zunächst im Mozarteum gespielt hatte. Als es in das neue Gebäude in der Na Poříčí einzog, hieß es aber schon D39. Denn der Gründer und spiritus rector des Theaters, Emil František Burian, gab dem Theater seit der ersten Saison 1934 jedes jahr die aktuelle Jahreszahl (d.h. die letzten zwei Stellen derselben). Da deutete bereits an, dass hier kein gewöhnliches Theater seine Tore öffnete.

Das D34 stand für revolutionäre Neuerungen. Es gab erste Experimente mit multimedialen Aufführungen. Genre wie Tanz und Schauspiel wurden vermischt. Im Repertoire standen moderne Stile wie Dadaismus und Autoren wie Brecht auf dem Programm. Burian führte 1935 auch die erste tschechische Bühnenadaption von Jaroslav Hašeks Roman vom Guten Soldaten Švejk auf. Neu war auch die Organisation des Theaters. Hier gab es Basisdemokratie. Jeder Mitarbeiter und Schauspieler des Ensmbles konnte gleichbereichtig über aller Angelegenheiten, wie z.B. das Repertoir, mitbestimmen. Nun ja, weil er formell die Theaterlizenz besaß, dürfte Burian wohl etwas gleich gewesen sein, aber trozdem war das alles sehr radikal. Und Burian selbst war Mitglied der Kommunistischen Partei, wenngleich er in den Zeiten der Ersten Republik sich ab und an noch non-konformistisch gegenüber der in Richtung Stalinismus abdriftenden Parteiführung gab und sich zu künstlerischer Freiheit bekannte.

Als man bei D39 angekommen war, besetzten die Nazis das Land. Weder Kommunisten, noch experimentelles Theater waren erwünscht. 1941 wurde das Theater endgültig geschlossen. Burian war schon 1940 verhaftet worden und nacheinander in verschiedenen Konzentrationslagern eingesperrt. Im Mai 1945, wenige Tage vor Kriegsende, wurde er in das umfunktionierte große Passagierschiff Cap Arcona geschleppt, das kurz darauf von allierten Bombern (deren Besatzungen nicht ahnten, dass sich hier Gefangene der Nazis und keine Feindobjekte befanden) versenkt wurde. Es war eine humanitäre Großkatastrophe. Von den 4800 Menschen an Bord überlebten nur 400 – und Burian war wie durch ein Wunder einer davon.

Nach Prag zurückgekehrt begann man mit D46 neu. Aber der einst non-konformistische Geist war der bedingungslosen Linientreue gewichen. Immer platter wurde die Parteipropaganda auf der Bühne. 1951 verwandelte man sich unter Burian sogar in das Kunst-Theater der Armee (Armádní umělecké divadlo), um dem Kampferswillen der proletarischen Revolution zu stärken, oder so…. Als Burian 1959 starb, benannte man das Theater nach ihm, dem künstlerischen Aushängeschild des Regimes, in E.F. Burian Theater (Divadlo E. F. Buriana). Nach dem Ende des Kommunismus und der Samtenen Revolution von 1989 war das Ganze dann doch etwas aus der Zeit gefallen und (wie das untergegangene Regime) sklerotisch geworden. 1991 schloss das Theater seine Pforten. Im Jahr darauf erfolgte der Umbau im Inneren des Gebäudes unter der Leitung des Architekten Ivan Plicka. Für eine hypermoderne und neuartige Theatertechnik sorgte dabei der Bühnenbildner und Architekt Miroslav Melena. 1994 war das Ganze fertiggestellt und ein neues Theater konnte einziehen: das von Theaterdirektor Ondřej Hrab gegründete und (immer noch) geleitete Archa Theater.

Das Archa ist nicht mehr so radikal basisdemokratisch organisiert wie das D34. Es verfügt dafür auch über kein festes Ensemble. Eher gleicht es einem flexiblen Produktionshaus, das Künstlern und Ensembles produktionstechnische und technische Hintergründe für ihre Arbeit bietet. Auf diese Weise will Hrab individueller Kreativität (statt Kollektivismus) fördern. Es entstehen im Haus selbst oft neue avantgardistische Projekte und Produktionen von Künstlern. Zudem gibt es Gastauftritte (etwa die Royal Shakespeare Company aus England). Und zu den Künstlern, die hier schon innovative Projekte realisierten, gehörten der britische Art-Rock-Musiker John Cale, der japanische Improvisationstänzer Min Tanaka, der US-Songwriter Randy Newman, der tschechische Schriftsteller Jaroslav Rudiš mit seinem Kabarett, die deutsche Experimentalband Einstürzende Neubauten oder der US-Dichter Allen Ginsberg, der hier 1996 einer seiner letzten Lesungen absolvierte – und viele, viele Künstler von Weltrang mehr. Mit seiner genre- und medienübergreifenden Konzeption, die multimediale Kreativplattform und internationales Netzwerk zugleich ist, setzt das Archa das positive künstlerische Erbe des ursprünglichen D34 damit in moderner Form fort.

Das alles muss – zumal manchmal ein etwas linksalternativer Unterton vorherrscht – nicht jedermanns Geschmacks sein (das will as Archa wohl auch nicht), aber in seiner Kategorie gehört das Archa zum renommiertesten, was Prag in Sachen Avantgarde-Theater zu bieten hat. Was aber auf keinen Fall bestreitbar ist, ist die Tatsache, dass die Architektur der Theaters aus den 1930er Jahren (auch nach den ästhetisch sehr behutsamen Änderungen von 1994) immer noch mit dem modernen Anspruch des Theaters mithält. Der strenge Funktionalismus von Mares ist zeitlos. Der Eingangsbereich und das Treppenhaus sind sehr licht gehalten. Die Betonpfeiler sind schlank und mit Marmor verkleidet;; der Stahl der Treppen und vor allem die auffallend dominierenden Glasbausteine als (zu Lichtspielen einladende) Wandvertäfelung geben dem Raum eine einzigartige Atmosphäre, die kühl-modernistisch, aber zugleich auch einladend wirkt.

Gegenüber dem Originalbau radikaler verändert wurden jedoch die beiden Theater- und Bühnensäle, die zusammen 1200 Zuschauern Platz bieten können. Hier war der technische Fortschritt so groß, dass nur ein recht großzügiger Umbau 1994 die Einrichtung passend für anspruchsvolle Multimedia-Events gestalten konnte. Die beiden großen Säle können zusammengelegt werden und bei beiden sind alle Bauteile mechanisch so flexibel verschiebbar, dass quasi jedes Bühnenformat in jeder Form und Größe für jeden Zweck und jedes Format verändert werden können. Das ist beeindruckend. Rund 200 Aufführungen mit rund 40.000 Zuschauern absolviert das Theater im Jahr. Das Bild oben zeigt eine im Archa speziell dafür konzipierte Multimedia-Aufführung anlässlich des Signal Light Festivals im Oktober 2021.

An dieser Stelle muss auch die Bar des Hauses erwähnt werden. Die ist natürlich modern und cool (doch gemütlich) und man sitzt hier gerne, um die wohlsortierte Getränke-Auswahl zu genießen. Und fällt der Blick auf das Bild von Václav Havel, dem Schrifsteller, Dissidenten und ersten Präsidenten des Landes nach 1989. Das Bild zeigt ihn, wie er 2008 die Uraufführung seines letzten Stückes mit dem Titel Odcházení (Verlassen) hier im Archa kommentiert. Das war damals eine Sensation und es zeigt, dass das Archa die künstlerische Tradition des alten D34 weiterentwickelt (Havel als Vertreter des Absurden Theaters passte dazu!), aber sich von der am Ende künstlerisch ruinösen kommunistischen Ideologie Burians (trotz des linksalternativen Habitus) gelöst hat. (DD)

Große Schauspielerin mit Anliegen

Von ihrem Sockel aus könnte die Statue eine traumhafte Aussicht genießen, wäre sie lebendig. Auf jeden Fall hat man dem Gedenken an die ausgesprochen emanzipierte Schauspielerin Hana Kvapilová einen prominenten Platz eingeräumt. Direkt neben dem hübschen Sommerpalast (letohrádek Kinských) der Fürsten Kinský, in dem sich heute das Volkskundemuseum (wir berichteten hier) befindet – mit Blick auf die Auen des parkhaften Kinský Gartens (Zahrada Kinských) und die steilen Höhen des Petřínbergs.

Die 1860 als Johanna Kubesch (was sie später in Kubešová tschechisierte) Geborene hatte von Anfgang an viel Bildung und einen Drang zur persönlichen Freiheit und Selbstbestimmung mitbekommen. So war sie 1871-75 auf die Prager Höhere Schule für Mädchen (Vyšší dívčí škola) gegangen, die zu den ersten höheren Bildungseinrichtungen für Mädchen in Böhmen überhaupt zählte. Klavierunterricht nahm sie bei keinem Geringeren als Antonín Dvořák. Als 1873 die Firma ihres Vaters pleite ging und die Familie in Armut verfiel, arbeitete sie in mehreren Jobs, um zu helfen. 1884 stieß sie dabei auf ein Kleintheater, wo sie ihr Debut feierte. Ihr Talent wurde bereits erkannt und sie bekam ungehend mehrere Rollen in verschiedenen Theatern angeboten, so dass sie 1886 beschloss, die Schauspielerei voll beruflich zu betreiben. Sie heuerte bei dem in Prag-Smíchov ansässigen Švanda Theater (Švandovo divadlo) an, das Tourneen durch ganz Böhmen organisierte. Während der Tourneen verliebte sie sich in ihren damals ungleich bekannteren Kollegen Eduard Vojan (wir erwähnten ihn hier) und verlobte sich mit ihm 1887.

Sie war solch ein Erfolg, dass sie schon 1888 nicht mehr auf Tour musste. Sie stieg in den tschechischen Theater-Olymp auf und wurde beim prestigeträchtigen Nationaltheater (Národni divadlo) in Prag angestellt, wo sie in der zeitgenössischen, von Jaroslav Vrchlický verfassten Komödie Noc na Karlštejně (Eine Nacht in Karlstejn, 1884; heute in der Filmmusicalversion der 1970er Jahre bekannt) debütierte. Jetzt ging es nur noch aufwärts. Privat fand sie – Vojan war inzwischen „abgehäkelt“ – neues Glück, als sie 1890 bei den Proben zu dem Stück Die Sieben Raben (Sedm havranů) den Regisseur Jaroslav Kvapil kennen- und lieben lernte. Den damals schon berühmten Dichter, Schrifsteller, Librettisten (er schrieb 1901 das Libretto zu Antonín Dvořáks Oper Rusalka), Freimaurer und Regisseur heiratete sie 1894 und nahm fortan den Namen Kvapilová an.

Es kamen immer größere und anspruchsvollere Rollen, etwa die der Ophelia in Shakespeares Hamlet. Aber es waren nicht nur die bewährten Klassiker, die sie berühmt machten. Mit ihrem Mann teilte sie vor allem ausgesprochen fortschrittliche Überzeugungen. Das schlug sich auch Rollen nieder. Sie nahm immer mehr Rollen in zeitgenössischen sozialkritischen an, die sich mit der Selbstbestimmung (bzw. negativ mit der Fremdbestimmung) der Frau auseinandersetzten. Dazu gehörten Auftritte in Anton Tschechows Stück Drei Schwestern oder auch Henrik Ibsens Stück Nora oder ein Puppenheim (sie war die erste Nora-Darstellerin in Böhmen überhaupt). Wegen ihrer offen geäußerten Ansichten und ihrer darauf fußenden realistischen Schauspielkunst wurde sie unter konservativen Kritikern zur Zielscheibe, wie zum Beispiel der Dramatiker und Schriftsteller Jaroslav Hilbert (wir erwähnten ihn bereits hier), der sie 1903 in einem Beitrag heftig angriff. Dem standen aber unzählige begeistere Anhänger gegenüber und immer mehr Kritiker sahen in ihr eine große Pionierin der modernen Schauspielerei. Sowohl als Schauspielerin als auch als durchaus politische Person kam ihr letztlich allenfalls noch die berühmte Otýlie Sklenářová-Malá an Bedeutung nahe (wir berichteten hier). Sie war eine große Schauspielerin mit Anliegen.

Auch ihr internationaler Ruhm wuchs und wuchs. Sie ging auf internationale Kurz-Tourneen, von denen die nach Zagreb und Belgrad in den Jahren 1902 und 1906 besonders große Erfolge waren. In Belgrad bekam sie sogar den vom König gestifteten Sankt-Sava-Orden verliehen – eine der höchsten Auszeichnungen des Königreichs Serbien.

1907 verstarb sie plötzlich im Alter von nur 46 Jahren auf dem Höhepunkt ihrer Karriere. Eine in der Familie wohl als Erbkrankheit vorkommende Diabetes ließ sich nicht kurieren (das Insulin als Medizin wurde erst in den 1920er Jahren entdeckt). Ihr Mann wurde von dem Verlust schwer getroffen, und verschwand danach weitgehend aus der Öffentlichkeit (nur 1917 tauchte er noch einmal als Unterzeichner eines Manifests für die Unabhängigkeit des Landes von der Habsburger Monarchie prominent auf).

Die Asche seiner Frau ließ Kvapil im Kinský Garten begraben, in dessen Nähe sich bis heute das Švanda Theater befindet, wo Hana Kvapilová einst ihre Schauspielkarriere begann. Im Jahre 1914 wurde an ebendieser Stelle ein Denkmal für Hana Kvapilová errichtet. Die etwas überlebensgroße, auf einem Sockel sitzende Statue ist das Werk des bekannten Bildhauers Jan Štursa, den wir in diesem Blog u.a. schon hier und hier erwähnten. Štursa galt damals als einer der großen modernen Bildhauer, der zu den Hauptvertretern des Kubismus gehörte. Das Denkmal für Hana Kvapilová ist jedoch in hohem Maße dem traditionellen Klassizismus verpflichtet, was vielleicht nicht so ganz mit der Modernität der Ideenwelt der Schauspielerin im Einklang stehen mag. Aber umso mehr passt es sich ästhetisch in das architektonische Umfeld des Sommerpalastes ein. Es ist ein schöner Ort, der dem Denkmal, so wie es ist, viel Würde verleiht. (DD)

Ein Grab, das lächeln lässt

Jemand, der die Menschen zum Lachen brachte, verdient auch einen Grabstein, der lächeln macht. So wie Jiří Červený, der große Gründervater des tschechischen literarischen Kabaretts, der heute vor 60 Jahren, am 6. Mai 1962 starb. Und wer die Menschen zum Lachen bringt, hat sich obendrein auch noch seine Ruhestätte auf dem großen Nationalfriedhof auf dem Vyšehrad mehr als verdient (über den wir hier berichteten).

Jiří Červený, der Sohn des berühmten böhmischen Musikinstrumentenbauers Václav František Červený und Vater der noch berühmteren Opernsängerin Soňa Červená, gründete 1909 die Kabarettgruppe Červená sedma, zu Deutsch: Die Rote Sieben (das war nicht politisch gemeint, vielmehr ist Červený das tschechische Wort für rot). Die trat zunächt eher nebenberuflich organisiert auf, aber 1916 erlaubte der Erfolg eine Professionalisierung. Full-time trat man zunächst einmal im Rokoko-Theater am Wenzelsplatz als Stammhaus auf. 1918 verlegte man den Aufführungsort in das kleine Theater im Hotel Central (Bild oberhalb links) in der Hybernska (Neustadt), wo auch schon Kulturgrößen wie Franz Kafka und Karl Kraus aufgetreten waren.

Der Erfolg war so gigantisch, dass man 1919 sogar eine Filiale in Brünn aufmachte, die irgendwann wegen des übermäßigen Andrangs geschlossen werden musste. In Prag zog man 1921 in eine Bar des Gemeindehauses (Obecní dům; Bild rechts) – eine Location, die sich als eher ungünstig erwies, weil es dem Betreiber mehr darum ging, dass die Leute aßen und tranken, als dass sie dem Kabarett zuhörten. Auch ebbte das Publikumsinteresse allmählich ab. Im Frühjahr 1922 trat man zum letzten Mal auf.

Was blieb, war das Erbe von Jiří Červený und seinen Červená sedma. Die waren die Pioniere des tschechischen Kabaretts. Bühnenhumor sollte nicht mehr nur derb, sondern auch künstlerisch und intellektuell anspruchsvoll sein. Szenische Aufführungen wechselten mit Liedern oder Opernparodien ab. Das Zeitgeschehen wurde in cleveren Kommentaren einbezogen. Červený komponierte dabei viele Lieder und einige davon wurden zu Hits (hier Červenýs Komposition Písnička z mládí in der Fassung von Oldřich Kovář) im Lande. Nach dem Ende der Roten Sieben widmete sich Červený mehr dem Film, und zwar hauptsächlich als Filmkomponist und Schauspieler, etwa in Kinoerfolgen wie Hříchy lásky (Die Sünde der Liebe) von 1929, Černý plamen (Schwarze Flamme) von 1930 oder Srdce v celofánu (Herz in Zellophan) von 1939.

Seit 1930 engagierte er sich auch für eine Autoren- und Komponistenorganisation, die die Urheberrechte von Kunstschaffenden gewahrt sehen wollte. Dann erfolgte eine Zwangspause als die Nazis im Land einmarschierten, unter denen er sogar eine zeitlang inhaftiert war. Nach dem Krieg knüpfte er nur gelegentlich an seine Kabarettistenkarriere an. Die Zeit des Kommunismus war dafür bekanntlich kein sonderlich fruchtbarer Boden. Hauptsächlich arbeitet er für die staatliche Vereinigung zum Schutz des Urheberrechts (Ochranný svaz autorský).

Das oben abgebildete Grab, das man ihm dann 1962 setzte, wurde mit einer Karikatur versehen, die der Schauspieler, Kabarettist, Sänger und Maler Emil Artur Longen in den 1920er Jahren angefertigt hatte, als er zusammen mit Jiří Červený bei den Červená sedma mitwirkte. (DD)

Theater des böhmischen Genies

Ja, so war das mit der Kultur unter dem Kommunismus: Auch sie musste dem großen Plan gehorchen und konsequent der Schaffung des richtigen Klassenbewusstseins dienen. Nur, dass das so mit dem Planen nie so richtig klappte. Das in der Solidarity 1986/53 im Stadtteil Strašnice befindliche Theatergebäude des Strašnické divadlo Solidarita ist so etwas wie ein Denkmal dafür, dass die Sache echt nach hinten losgehen kann. Und dafür kann man nur dankbar sein.

Es begann damit, das man zwischen 1948 und 1951 im bisher sehr ländlichen Strašnice (siehe auch hier oder hier) ein großes Wohnbauprojekt, die Siedlung Solidarität (Sídliště Solidarita), realisierte. Die Wohnblöcke waren noch nicht primitive „Platte“, sondern wirken auch heute noch wegen ihres gottlob etwas zurückhaltenderen stalinistischen Zuckerbäckerstils durchaus wohnlich, zumals das Areal durch Grünanlagen aufgelockert ist, wie man im Bild links sieht. Und natürlich gehörte zu dem Projekt auch Kultur im Sinne zur Bewusstseinsbildung der Arbeiter- und Bauernklasse, oder wie immer man es damals auch nannte.

Entsprechend wurde in den Jahren 1958 bis 1961 nach den Entwürfen des Architekten Karel Poličanský ein passend Solidarita genanntes Theater gebaut, das umfänglich als Kulturhaus geplant war und auch eine Bücherei und ein Restaurant beinhaltete. Schon bei Betreten wurde man an die zwingende Einheit von Proletariat und Kultur erinnert, denn über dem Eingang prangte (und prangt immer noch) ein Keramikrelief, das einen arbeitenden Techniker, eine realsozialistisch glückliche Familie und eine Harfenspielerin darstellt. Dieses Stück Kunst am Bau war das Werke des Bildhauers Valerián Karoušek, der eigentlich ein durchaus oppositioneller Künstler war und als Bergsteiger Bekanntheit erreichte (1970 ging er bei einer Expedition in die peruanischen Anden für immer verschollen).

Das Theater funktionierte zunächst primär als Standort für lokales Amateurschauspiel. Das wurde anders als hier 1967 das Jára-Cimrman-Theater seinen Sitz aufschlug. Das erwähnt man schon Stolz auf der Infotafel vor dem Bau. Cimrman? Jedermann weiß in Tschechien, wer Jára Cimrman war. Bei eine Umfrage, wer der größte Tscheche aller Zeiten gewesen sei, ergab sich 2005, das Cimrman noch vor Größen wie Masaryk, Havel, Karl IV. oder dem Heiligen Wenzel locker die Nummer 1 schaffte. Die Jury akzeptierte dieses Volksverdikt leider mit dem (absurden) Hinweis nicht, das Cimrman angeblich nur eine fiktive Figur sei. Dabei war Cimrman das „böhmische Genie“ des 20. Jahrhunderts – Philosoph, Universalgelehrter, Erfinder, Dramatiker, Dichter, Musiker, Naturwissenschaftler, Gynäkologe, Lehrer, Reformator, Abenteurer, Spitzensportler. Er war der Erfinder der runden Briefmarke und der Antimoskitobrille. Auch den Dreifachhammer, mit dem drei Nägel auf einmal eingeschlagen werden konnten, gäbe es ohne ihn nicht. Dass Edison als Erfinder der Glühbirne gilt, ist nur dem Umstand zu verdanken, dass Cimrman auf dem Weg zum Patentamt fünf Minuten aufgehalten worden war. Beinahe hätte er den Nordpol entdeckt und natürlich stammen die Pläne des Panamakanals von ihm. Und dennoch kam dem genialen Böhmen nie der Ruhm zu, den er verdient hatte – eine persönliche und tschechische Tragödie.

Der Welt wurde Jára Cimrman, der irgendwann um 1914 verschwand, erst 1966 ins Bewusstsein gerufen, und zwar in einer (angeblich) kabarettistischen Sendung der Autoren und Darsteller Zdeněk Svěrák und Ladislav Smoljak. Dort wurde die Geschichte so präsentiert, dass offenbar viele Hörer darin eine Satire auf die stets Plansoll übererfüllende realsozialistische Gesellschaft der Zeit sahen. Das tat der Popularität keinen Abbruch. Im Gegenteil! Als Svěrák und Smoljak 1967 ein eigenes Jára-Cimrman-Theater (Divadlo Járy Cimrmana) in dem bis dato kaum bekannten Theatergebäude in Strašnice aufmachten, war fortan jeder der rund 250 Sitze über Jahre im Voraus ausgebucht. Cimrman wurde zum Nationalmythos. Die absurden Stücke, die – wie Svěrák und Smoljak betonten – aus dem eigenhändigen Nachlass Cimrmans stammten, fanden Ableger in anderen Theatern des Landes. Die latente Subversivität kam den Bürgern, die des Husák-Regimes nach 1968 überdrüssig waren, entgegen. Zwei Jahre vor dem Fall des Kommunismus drehten Svěrák und Smoljak noch den Film Nejistá sezóna (auf Deutsch etwa: Unsichere Saison) von 1987, der sich mit dem Zensurregime der Kommunisten hart auseinandersetzte, und bei dem Cimrman nie namentlich erwähnt wurde, aber immer als ein ominöser „Meister“ durch die Dialoge schwebte. Weite Teile des systemkritischen Films wurden im Theater von Strašnice gedreht, das so – ganz im Gegensatz zum systemkonformen Ursprungsplan – zum Hort des Dissidententums wurde.

Allerdings war es damit nach dem Ende des Kommunismus 1989 bald vorbei, denn 1992 zog das Cimrman Theater in ein anderes Gebäude im Stadtteil Žižkov um. Es wurde etwas ruhiger um das Strašnicer Theater, das 1996 eingehend renoviert wurde (u.a. wurde das Flachdach in ein immer noch recht flaches Walmdach umgewandelt) und auch nicht mehr den Beinamen Solidarita trägt, den heute nur noch das Restaurant führt. Mehrere Theatergruppen haben es seither als Stammsitz verwendet. Ab 2004 war es die Gruppe Company.cz unter der Leitung der bekannten Schauspielerin Eva Bergerová und im Jahr 2013 kam das X10-Theater, das aber seit September 2017 hauptsächlich in neuen Räumlichkeiten im Zentrum von Prag (Neustadt) residiert. Seit 2018 ist es wiederum Bühne für das Divadlo Radka Brzobohatého, ein Theater, das von dem auch aus dem Fernsehen bekannten (und namensgebenden) Schauspieler Radoslav Brzobohatý zusammen mit seiner Frau, der Schauspielerin Hana Gregorová, gegründet wurde, die das Theater seit dem Tod ihres Mannes mit der Produzentin Ála Šebková betreibt. Das Theater unterhält mit Klassikern und Komödien und ist immer noch gut besucht. Dass es mal zum Zwecke kommunistischer Bewusstseinsbildung gegründet wurde, hat man sowieso schon lange nicht mehr bemerken können. (DD)

Kirche mit Theater im Nebengebäude

Die Ortschaft Strašnice war bis zu der Zeit, als sie 1922 zu Prag eingemeindet wurde, so klein, dass sie über keine eigene katholische Pfarrgemeinde verfügte und folglich auch über keine entsprechende Kirche. Doch die Bevölkerung wuchs und schließlich brauchte man doch ein eigenes Gotteshaus. Lange Zeit musste man mit einem Improvisorium auskommen, doch seit 1994 ist der Stadteil (Prag 10) mit einem Stück moderner Avantgardearchitektur gesegnet.

Die Kirche der Unbefleckten Empfängnis Mariens (Kostel Neposkvrněného početí Panny Marie) in der Ke Strašnické 1000/10 (Ecke Krupská) kann also zwar als solche noch nicht auf eine sehr lange Geschichte, aber immerhin auf eine lange Vorgeschichte zurückblicken.

Die katholischen Bürger der Gemeinde nahmen nämlich schon 1924 das Schicksal in die eigene Hand und gründeten einen „Verein für den Bau der Kirche in St. Strašnice“. 1928 hatte der Verein – ein Beispiel für zupackende Selbsthilfe im Sinne des katholischen Subsidiaritätsprinzips – genügend Geld gesammelt und es wurde losgebaut.

Was dann 1930 eingeweiht wurde, war keine Kirche im strikten Sinne (dazu reichte das Geld dann doch nicht), sondern ein großes Gemeindezentrum, das gleichzeitig als Pfarrhaus und sozialer und kultureller Treffpunkt diente. Der Saals wurde entsprechend nicht nur für Gottesdienste genutzt. In dieser Hinsicht ähnelte das Ganze eher den protestantischen oder hussitischen Gemeindezentren der Zeit (Beispiele dafür zeigten wir unter anderem hier und hier). Auch der damals moderne, eher funktionalistische Stil der Architektur könnte dazu passen. Nur das Kreuz auf dem Turm deutet auf den Katholizismus hin, da die evangelischen und hussitischen Kirchen dort meist das Kelchsymbol bevorzugten.

Weltkrieg, Naziherrschaft und Kommunismus sorgten dafür, dass diese eher als vorläufig gedachte Lösung so blieb, wie sie war. Erst die (kurz darauf schon wieder unterdrückten) Liberalisierungen des Prager Frühlings von 1968 ließen unter den Gemeindemitgliedern neue Ideen für eine Weiterentwicklung entstehen. Die mussten aber bis zum Ende des Kommunismus 1989 auf Realisierungsmöglichkeiten warten. Nur wenige Monate vor dem Beginn der Samtenen Revolution begann man mit Unterstützung des Prager Erzbischofs und Kardinals František Tomášek (der für seine mutige Opposition zu den Kommunisten bekannt war) mit den Planungen.

Bevor man überhaupt mit dem Bauen begann, wurde der Grundstein angefertigt und 1990 geweiht – und zwar von keinem Geringeren als Papst Johannes Paul II.. Der kam aber dafür nicht nach Strašnice. Vielmehr wurde der Stein nach Bratislava gebracht, wo sich der Papst gerade während einer Tour durch die Tschechoslowakei befand. Aber: Er ist vom Papst geweiht und darauf ist man in Strašnice stolz.

Der Bau selbst begann 1992 und wurde im Juni 1994 abgeschlossen. Der Architekt Jindřich Synek plante die Kirche auf dem grundriss eines gleichschenkligen Dreiecks. Aus der Ferne gleicht sie einer dreiseitigen Pyramide, wobei eine Seitenfläche leicht gewölbt ist. Der Eingangsbereich ist eingebuchtet und perspektiv interessant angerdnete Gänge, die an Kreuzgänge erinnern mögen, führen zu den Eingängen. Ganze 25 Meter ist die Kirche hoch, deren Spitze ein Kreuz trägt. Es handelt sich um eine eher seltene Form des Kreuzes, nämlich um ein sogenanntes Gabelkreuz, dessen Y-Form sich wahrscheinlich aus der Lebensbaumsymbolik ableitet..

Während die neue Kirche mit ihrem luftig gestalteten Innenraum heute das Gotteshaus der Gemeinde ist, wurde das alte Gemeindegebäude von 1930 in seiner Zweckbestimmung ein wenig geändert. Beide Gebäude sind miteinander verbunden. Und teilweise dient das Gebäude noch als Pfarrhaus. Hauptsächlich kennt man es heute aber als Sitz des Miriam-Theaters (Divadlo Miriam). Seit 1995 ist der ehemalige Kirchensaal des Gebäudes, über dessen Eingang immer noch eine Marienstatue hängt, Theater. Es gibt dort viel Kindertheater (mit christlich-humanistischem Programm, wie man betont) und es Sitz der 1989 gegründeten Theatergruppe Petrklíč, die ebenfalls meist Stücke mit werteorientiertem Inhalt vorführt.

Daran zeigt sich, dass wir es bei der Kirche der Unbefleckten Empfängnis Mariens in Strašnice nicht nur äußerlich um ein Stück avantgardistisch-moderner Architektur handelt, sondern dass auch drinnen möglicherweise ein moderner Geist herrscht – einer, der Theater und Religion gelassen nebeneinander bestehen lassen kann. (DD)

Scheinpyramide

Blickt man drunten vom Tal des kleinen Baches Brusnice hinauf, wirkt das Gebäude tatsächlich wie eine kolossale Pyramide. Schließlich heißt es ja auch Hotel Pyramida. Nur, dass der erste Eindruck trügt. Es ist keine echte Pyramide, sondern in dieser Hinsicht eher eine optische Täuschung. Und „Pyramida“ hieß es ursprünglich auch nicht.

Aber, dass es kolossal ist, darauf kann man sich einigen. Es handelt sich um ein Meisterwerk des besonders, aber nicht nur in sozialistischen Ländern in den 1960er bis 1980er Jahren modischen Stil des Brutalismus . Kühne Konstruktionen aus Stahl, Glas und rohem Beton waren angesagt. In den letzten Jahren gibt es unter Prager Städteplanern immer wieder Diskussionen, ob es diese Gebäude verdienen, unter Denkmalschutz gestellt zu werden, oder ob man sie als Fremdkörper in einer historisch gewachsenen Stadt abreissen soll. Manche stehen nun unter Schutz (Beispiel hier), andere fielen der Abrissbirne zum Opfer (hier). Und jedes Mal gab es vorher intensive politische Diskussionen.

Das heutige Hotel Pyramida blieb von solchen Diskussionen bisher verschont, nicht nur, weil selbst Kritiker des Brutalismus nicht wollen können, dass eine letztlich doch eine Stück Geschichte (wenn auch nicht das beste) Stilrichtung nicht gänzlich aus dem kulturellen Gedächtnis verschwinden sollte. Vor allem sind es zwei Gründe, die wohl das Pyramida weitgehend unumstritten sein lassen: Erstens: Obwohl fußläufig vom Burgbezirk gelegen (was es bei Touristen beliebt macht), stört es aufgrund seiner Lage an keiner Stelle das historische Stadtbild. Zweitens: Obwohl in den Zeiten des Kommunismus gebaut, entspricht das Hotel grundsätzlich auch heute noch allen modernen Standards, die man für ein gehobenes Etablissement dieser Art erwarten kann.

Warum? Nun, wie wir wissen, waren, um es mit Orwell zu sagen, im Kommunismus alle gleich, aber manche gleicher. Und dieses Gebäude war zunächst einmal den erheblich Gleicheren zugedacht worden. Das erkennt man schon am ursprünglichen Namen des Komplexes in in der Bělohorská 125/24 im jenseits der Burg gelegenen Stadtteil Břevnov (Prag 6): Dům rekreace ROH. In anderen Worten, es handelte sich um das exklusive Gäste- und Freizeithaus des offiziellen kommunistischen Gewerkschaftsverbandes ROH (Revoluční odborové hnutí; zu Deutsch: revolutionäre Gewerkschaftsbewegung) der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik.

Deren Funktionäre sollten bei ihren Erholungs- und Dienstaufenthalten im schönen Prag nahe den Touristenzentren einen Aufenthalt genießen, der alle Annehmlichkeiten bot: Swimming Pools, Tagungsräume, Säle, Sportmöglichkeiten, Saunen, Läden, Friseursalons, Kino, Theater, feine Restaurants, moderne Technik (die in den wenigen früheren Privilegiertenunterkünften bisweilen fehlte), schöne Aussicht – eben so wie es sich für die Avantgarde der Arbeiterklasse geziemte. Nachdem eine Kommission den geeigneten Ort in Břevnov festgelegt hatte, gab es 1967 eine Ausschreibung in Form eines Architekturwettbewerbs für den besten Entwurf des Gebäudes. Die meisten eingereichten Entwürfe waren stilistisch dem Brutalismus verpflichtet, was angesichts der Größe des Projektes nicht erstaunt.

Am Ende setzte sich der Entwurf des Architekten-Ehepaars Neda Cajthamlová und Miloslav Cajthaml durch. Dabei gab es durchaus veritable Konkurrenz, etwa das Architekten-Ehepaar Věra und Vladimír Machonin, das durch den Entwurf für das Prager Einkaufszentrum Kotva (wir berichteten hier) berühmt wurde. Deren Entwurf – ein Rundbau mit gekrümmten Wänden, war vielleicht noch avantgardistischer, aber technisch schwerer (und teurer!) zu realisieren. Also bekamen die Cajthamls den Zuschlag, deren Ideen auch originell, aber vor allem auch noch technisch handhabbar zu sein schienen.

Das Gebäude, das die Cajthamls entwarfen, bestand aus einem Gebäudekern mit dreieckigem Grundriss von dem sich drei Arme nach außen bewegen. Deren Stockwerke weichen nach oben hin immer weiter zurück. Das vermittelte von weitem den optischen Eindruck, es handle sich um eine Pyramide, deren Spitze ein wenig abgeflacht ist. Eine echte Pyramide hätte keine drei Arme, die herausragen, sondern natürlich vier gleiche dreieckige Seiten, die auf einem quadratischen Grund stehen. Aber weil der optische Effekt oberflächlich dem einer Pyramide gleicht, erklärt es sich von selbst, warum man heute vom Pyramida spricht.

Die Umsetzung dauerte sehr lange. 1979 begann eine erste Bauphase, 1983 eine zweite. Anfang 1987 konnte man eröffnen. Aber es war ja mit allen den Einrichtungen und den 610 Betten ein sehr großes Projekt gewesen. Als Gewerkschaftszentrum hatte es allerdings ausgedient. Im März 1990 löste sich der ROH auf. Die Zeit der staatlichen Einheitsgewerkschaften war vorbei; freie Gewerkschaften ersetzten sie nun. Das Gebäude wurde zur Privatisierung freigegeben. Davor renovierte der Architekt Jaroslav Procházka das Gebäude, um es den Standards eines 4-Sterne-Hotels anzupassen, unter anderem durch die Vergrößerung der Räume, deren Zahl von 610 auf 336 sank. Dabei bezog er das Ehepaar Cajthaml mit in die Planungen ein. Das garantierte die Erhaltung des Gesamtcharakters des Gebäude, das im selben Jahr unter Denkmalschutz gestellt wurde.

Als Hotel, das heute der Hotelkette Orea gehört, erfreut sich das Pyramida immer noch großer Beliebtheit, weil es schließlich neben dem üblichen Hotelluxus – Dank der Tatsache, dass es mal ein Bau für die Privilegierten des Kommunismus war – auch noch ein ungewöhliches Kulturangebot bietet, dass auch von den Bewohnern der Umgebung angenommen wird. Dazu gehört neben dem Kino vor allem das Theater (Divadlo Dlabačov), das übrigens in den 1990er Jahren einmal kurz dem grandiosen Puppenduo Spejbl und Hurvinek übergangsweise eine Bühnenheimat bot. Und auch sonst macht das Hotel durchaus etwas her – auch innen, wie die schöne geschwungene Treppe im Foyer zeigt, die ausgesprochen leicht gegenüber dem Brutalismus der äußeren Gesatlt kontrastiert. Auf jeden Fall scheint das Hotel in keine Weise abrissgefährdet zu sein. (DD)

 

Vielseitiges Talent

Als man sie noch nicht auf Film bannen konnte, war es nicht so leicht, die Leistungen großer Schauspieler und ihr künstlerisches Erbes der Nachwelt zu vermitteln. Zu vergänglich sind das gesprochene Wort und die wirkungsvolle Geste auf der Bühne. Nimmt man allerdings die die Größe und Opulenz der Gedenkplakette am Wohn- und Sterbeort als Maßstab, dann ist auch heute noch eindeutig klar, dass Josef Jiří Kolár, der heute vor 125 Jahren (am 31. Januar 1896) starb, zu den ganz Großen seiner Zunft in Böhmen gehörte.

Die im Jahre 1912 auf Höhe des ersten Stocks des vierstöckigen Wohn- und Mietshauses in der Na Zderaze 2007/7 (Ecke Záhoranského) in der Neustadt angebrachte Gedenktafel ist jedenfalls überdurchschnittlich monumental ausgefallen. Sie ist das Werk des Bildhauers und Medailleurs Karel Opatrný. Über dem Portraitrelief Kolárs mit dem Hinweise, er habe hier zuletzt gelebt und sei hier gestorben, hat Opatrný noch eine kleine antikisierende Allegorie auf das Theater eingefügt – mit einer trauernden Muse über einem Putto, der eine klassische Theatermaske in der Hand hält. Als die Bronzeplakette an dem 1907 im feinsten Spätjugendstil erbauten Haus angebracht wurde, war Kolár (geb. 1812) bereits 16 Jahre tot, aber nicht vergessen.

Nun ja, der Mann hatte auch einfach was auf dem Kasten, wie man so salopp sagt. Schon als kleines Kind konnte er fließend Altgriechisch und Latein lesen und verstehen. Später kam die bühnenreife Beherrschung von Deutsch, Französisch, Italienisch und Englisch (für das er wohl einen besonderen Faible hatte) hinzu. Nach einem erfolgreichen Studium in Naturwissenschaften und Philologie an der Prager Karlsuniversität, kam noch Ungarisch dazu, da er 1833 als Hauslehrer einer Adelsfamilie nach Budapest ging, und dort gleich noch ein abgeschlossenes Medizinstudium dranhängte. Wie viele Intellektuelle der Zeit begann er, einem tschechischen Patriotismus zu entwickeln, weswegen er mit einem ungarischen Adligen in einen Streit über den Vergleich der ungarischen und tschechischen Sprache ein Duell ausfocht, bei dem er verletzt wurde, aber gottlob überlebte.

Ein nationalistischer Chauvinist war er aber nicht, was nicht nur seine Liebe zur internationalen Weltliteratur, sondern auch die Tatsache, dass er schon ein Jahr nach dem Duell die aufstrebende junge, aber deutschstämmige Schauspielerin Anna Manetínská ehelichte.

Ende der 1830er wieder in Prag, überzeugte ihn dort der Dramatiker Josef Kajetán Tyl (der Dichter des Textes der tschechischen Nationalhymne, worüber wir hier berichteten), ins Theatergeschäft einzusteigen. Dort überzeugte er nicht nur als Darsteller in Stücken von Goethe, Schiller und Shakespeare, sondern wurde vor allem als Übersetzer Shakespeares in Tschechische berühmt. Dem Erfolg seiner Hamlet-Übersetzung (1853) folgte das Projekt einer ersten tschechischen Gesamtausgabe des Stratforder Barden, das 1872 abgeschlossen war. Englische Literatur liebte er sowieso, was auch erklärt, warum er sich Josef Jiří Kolár nannte, obwohl er eigentlich nur Josef Kolár hieß. Er hatte einfach den Vornamen seines Idol Lord George Byron ins Tschechische übersetzt – eben Jiří! – und in seinen Namen eingefügt. Nebenbei schrieb er noch einige eigene Stücke, die meist nationalpatriotische Themen hatte, etwa Žižkova smrt von 1851 über den Tod des Hussitenfeldherren Jan Žižka. Heute meist vergessen, waren sie damals große Erfolge. Um das Bild dieses vielseitigen Talents abzurunden, sei noch erwähnt, dass er auch als Theatermanager erfolgreich war. Ab 1862 leitete er das Provisorische Theater, aus dem sich dann 1881 das heutige Nationaltheater (Národní divadlo) entwickeln sollte. Dessen Chefdramatiker wurde er dann auch sogleich. Kurzum: Kolár brauchte den Film nicht, um seinen Nachruhm zu sichern. Sein Platz in der Geschichte der Bühne ist hierzulande für immer gesichert. (DD)