Mehr als 50 Kopa wert: Burg Zlenice

Sie wurde gottlob nie belagert oder sonst irgendwie in Kriegsgeschehen einbezogen. Vermutlich hätten sich Feinde die Zähne an ihr ausgebissen, so gut ist sie durch ihre natürliche Lage geschützt. Die Rede ist von Burg Zlenice (Hrad Zlenice) die auf steilem Fels über der romatischen Sázava, einem Nebenfluss der Moldau, liegt – rund 25 Kilometer von Prag entfernt. Ein Wochenendausflug lohnt sich.

Die Burg liegt auf dem Ortgebiet des Städtchens Senohraby, weshalb sie auch manchmal Hláska u Senohrab (Wachturm bei Senohraby) genannt wird. Sie hatte eine wechselvolle Geschichte, was die unzähligen Besitzerwechsel anging, aber war ansonsten immer eher so etwas wie ein adminstratives Zentrum für den örtlichen Landadel oder königliche Beamte, denn ein Schauplatz von Kriegstreiben. Die Burgruine, die von einem örtlichen Verein für Denkmalspflege seit 1996 sorgfältig in Stand gehalten wird, wurde nach 1999 über Jahre sorgfältig vom Archäologischen Institut der Akademie der Wissenschaften (Prag) unter der Leitung des bekannten Burgenforscher Tomáš Durdík erforscht. Dadurch weiß man, dass sie Ende des 13. Jahrhunderts hier errichtet worden sein muss.

Urkundlich nachweisbar ist sie allerdings erst seit dem Jahr 1318, als die Burg einem lokalen Adligen namens Oldřich ze Zlenic (Ulricus de Zlenicz; dt.: Ulrich von Zlenic) übertragen wurde. Schon bald ging sie in den Besitz eines Vertreters eines der großen böhmischen Adelsgeschlechter, nämlich Jan ze Šternberku (Johann von Sternberg), der sie aber schon 1351 seinen Brüdern überließ. Irgendwie geriet sie dann in den Besitz von Böhmens großem König (und deutschem Kaiser) Karl IV., der sie 1377 einem seiner höchsten Beamten zum Lehen gab. Ondřej z Dubé (Andreas von Dauba), ein bedeutender Jurist, der unter Karl Meister der Königlichen Kammer war und unter Karls Nachfolger Wenzel IV. das Böhmische Landesrecht schuf, lebte hier bis zu seinem Tod 1413. Danach wechselte die Burg in recht rapider Folge die Eigentümer. Nur einmal gab es Komplikationen, als Zdeněk Kostka III. z Postupic im Jahre 1458 den Vorbesitzern die Burg für schlappe 50 Kopa (dt.: Schock, das heißt ein sog. „Groschenhaufen“ von 60 Prager Groschen) abluchste, was den damals regierenden König Jiří z Poděbrad (Georg von Podiebrad) so empörte, dass er den Kaufvertrag annullierte. Beim zweiten Versuch bot Zdeněk – eigentlich ein enger Vertrauter des Königs und später dessen Burggraf in Prag – die hinreichenden 3000 Kopa. Warum er jetzt soviel zu zahlen bereit war, kann man heute nicht so recht erschließen. Denn der neue Besitzer gab sie schon 1465 auf und ließ Teile (anscheinend absichtlich und systematisch) abreißen. Danach setzte stetiger Verfall ein.

Was nach dem Ende des Kommunismus übrig war, war traurig und vor allem strukturell einsturzgefährdet. Aber: Es mag zwar größere und bedeutendere Burgen in Böhmen geben, aber kaum eine hat eine so heftig und ausdauernd engagierte Fangemeinschaft vor Ort. Die in den 1990ern gegründete Lokale Aktionsgruppe Sázava (Místní akční skupiny Posázaví) sammelt Geld und rührt heftig die Werbetrommel mit Aktionen, T-Shirt-Verkauf und vielem mehr. Infotafeln führen nun (in Tschechisch…) in die Geschichte der Burg ein. Irgendwie war die Werbung so gut, dass die Burg zu einem regionalen Zentrum für Live Action Role Playing, auch unter der Abkürzung LARP bekannt, wurde. Deshalb sieht man recht häufig Tschechen sich in phantasievollen Mittelalter-Outfit regelmäßig in Zlenice versammeln, um ebenso phantasievolle Szenen aufführen. Das scheint hier ein populärer Heidenspaß zu sein.

Und die Aktionsgruppe unterstützte natürlich auch die Renovierungsarbeiten von Durdík, der hier 1996 deshalb seine Karriere als die Autorität schlechthin in Sachen böhmischer Burgen begann. Damals wurde erst einmal der Kern der Burg statisch gesichert und eine Dachkonstruktion über dem Eingangsbereich aufgebaut, die selbigen vor zerstörerischen Wettereinflüssen schützen sollte. Gleichzeitig wurde eine hölzerne Brücke dort als Zugang zum Burgkern aufgebaut, wo sich dereinst die Zugbrücke befasst. Die geht steil hinaus, und man kann darunter erkennen, wie die Burg auf einen senkrechten Felsen gesetzt wurde, der in Kombination mit der Mauer die Burg wohl fast uneinnehmbar machte.

Weiterhin baute man neben der Burg ein Pavillon auf, von dem aus der vorbeikommende Wanderer eine schöne Aussicht auf den Fluss unterhalb der Burg genießen kann. Er wird gerne für Grillabende und ähnliches zur Verfügung gestellt – ein weiterer Beweis dafür, wie emsig das lokale Vereins- und Unterstützer-Milieu sich um die Burg kümmert. Ende der 1990er, als die meisten Arbeiten an der Burg beendet waren, schien es nur noch aufwärts zu gehen.

2010 entdeckten Forscher aber bei einer eingehenden, digital durch 3D-Modellierung unterstütztn Untersuchung, dass die Fundamentmauerwerke zu bröcklen begannen. Selbst der Turm sindeinsturzgefährdet. In den Jahren 2012 und 2013 wurden daher abermals umfangreiche Renovierungsmaßnahmen durchgeführt, die neben der Stabilisierung des Gebäudes u.a. auch den erhaltenen Innenputz konservierten. Es gab zwar auch Unterstützung von Staat und umliegenden Gemeinden, aber wieder sammelten die Bürger hier enorme Summen für ihre geliebte Burg.

Wie bereits, wird Burg Zlenice oft auch „Wachturm bei Senohraby“, weil aus der Entfernung hauptsächlich der Turm sichtbar ist. Der Eindruck, der so vermittelt wird, lässt die Burg kleiner erscheinen, als sie es ursprünglich war. Nähert man sich von unten, sieht man den Eingang der äußeren Mauer, die nur noch wenig über dem Erdboden hinausragt (Bild links). Das zeigt, dass die Burg sich flächenmäßig deutlich über die eigentliche Kernfestung auf dem Felsen erstreckte.

Und vor der Außenmauer hatte man noch eine Grabenanlage ausgehoben, die immer noch sichtbar ist. Alles zusammen hätte die Burg in der Tat schwer einnehmbar sein lassen, aber das wurde ja gottlob nie getestet.

Sicher ist, dass in den Erhalt der Burgruine schon viel Geld, Herzblut und Engagement geflossen. In ihren Herzen stimmen die Bürger der Umgebung dem guten alten König Jiří z Poděbrad zu, dass der eigentliche tiefere Wert dieses Bauwerks die 50 Kopa bei weitem übersteigt. (DD)

Wo Ludmilla zur Märtyrerkrone kam

Zumindest ist das ein schöner und imposanter Ort zum Sterben. Fast schon würdig einer künftigen Heiligen. Hoch über den Uferauen des idyllischen Flusses Berounka und rund 20 Kilometer südwestlich des Prager Stadtzentrums thront der kleine Ort Tetín, in dem heute vor 1101 Jahren – am 15. September 921 – Fürstin Ludmilla grausam ermordet wurde, was ihr posthum die Märtyrerkrone und einen Status als böhmische Nationalheilige einbrachte.

Den Ort umgibt seither eine Aura des Mystischen. Was nicht zuletzt von der pittoresken Landschaft und dem romantischen Ortskern unterstrichen wird, der seine entsprechende Wirkung kaum verfehlt. Es fängt schon damit an, dass Tetín nicht nur auf dem Rand der hohen Felsklippen des Böhmischen Karstes an der Berounka steht, sondern, dass hinter dieser „Fassade“, der Ort sich in einer Talmulde fortsetzt, die ebenfalls von Felsen und Wäldern umgeben ist – wie das Bild links zeigt.

Und außerdem: Der Blick von vom Fluss hinauf mag ja schon beeindruckend sein, aber der von oben auf den Fluss ist es nicht minder! So weit das Auge reicht – nichts als schöne Landschaft! Es gibt gute Gründe, warum Tetín und seine Umgebung ein äußerst beliebtes Nahausflugsziel für die Prager Stadtmenschen ist. Die Schönheit des Ortes stimmt den Betrachter schon auf die mythische Vergangenheit ein, die hier überall sicht- und fühlbar ist.

Es beginnt schon mit dem Namen Tetín. Der soll sich der mittelaterlichen Überlieferung zu Folge vom Namen Tetas ableiten. Teta war eine legendäre vorzeitliche Priesterin und Schwester von Libuše, der sagenhaften Stammmutter des (später tatsächlich historisch bedeutenden) böhmischen Herrschergeschlechts der Přemysliden, das bis zum 14. Jahrhundert das Land regierte. Die andere Schwester, die heilkundige Kazi, hatte angeblich ihre eigene Burg ganz in der Nähe (wir berichteten hier). Ob es Teta je gegeben hat und, ob sie den Ort wirklich gegründet hat, ist zweifelhaft. Was man Dank archäologische Forschung weiß, ist, dass der Ort schon in der Jungssteinzeit besiedelt war, und dass in der frühen Zeit der Přemysliden-Herrschaft hier tatsächlich ein befestigtes Dorf oder eine Dorffestung aufgebaut wurde.

Kommen wir zu Ludmilla, die hier irgendwie allgegenwärtig ist. Am sichtbarsten natürlich in Form einer großen Statue, die auf einer Säule ruht (Bild rechts). Auf „Burg Tetín“ soll sie ihr gewaltsames Ende gefunden haben. Tatsächlich gibt es am Rande des Ortes eine alte Burgruine (über die wir noch berichten werden). Die stammt aber aus dem späten 13. Jahrhundert und das war doch einige Jahrhunderte nach der Mordtat. Vielmehr muss man die zu Ludmillas zeiten existierende Siedlung als eine eigene Festung betrachten, in deren Mauern sie gemeuchelt wurde. Aber wie konnte es dazu kommen und wer war Ludmilla?

Sie war die Witwe des ersten überlieferten böhmischen Přemysliden-Herrschers Bořivoj I., der sich um das Jahr 883 als erster Fürst christlich taufen ließ. Nach dessen Tod 889 wurden nacheinander die Söhne Spytihněv und Vratislav I. Herrscher des Böhmen. Als letzter starb war Ärger vorprogrammiert, denn Vratislavs Frau Drahomíra wurde zwar Regentin für die minderjährigen Söhne, aber für deren Erziehung bis zur Volljährigkeit wurde Ludmilla eingesetzt. Ob Drahomira wirklich eine Heidin gewesen war, ist umstritten, aber zumindest ergab sich schnell eine unschöne Vermischung von religiösen Glaubens- und politischen Machtfragen. Wenn man sich an die Kirchenstrukturen des Westens anhängte bedeutete das eine enge politische Bindung an das deutsche Kaisertum, was Ludmilla favorisierte und ihrem Enkel, dem späteren Heiligen Wenzel einbläute. Oder sollte man andere kirchliche Wege – slawisch oder byzantinisch – gehen? Jedenfalls fand Drahomira, das Ludmilla ihre Kreise störte.

Sie ließ Ludmilla hierhin nach Tetín verbannen. Aber das war ja nicht weit weg gelegen und Drahomira wollte wohl auf Nummer sicher gehen, dass sich die ungeliebte Schwiegermutter nicht wieder in die Politik einmischt. Und auch Ludmilla soll der Legende nach geahnt haben, dass ihr gewaltsames Ende geplant sei. Sie versenkte sich in der kleinen Kirche zum Gebet und wartete auf die Mörder, zwei Wikinger aus dem Gefolge der Drahomira namens Tunna und Gommon. Ludmillas letzter Wunsch soll es gewesen sein, dass ganz stilecht ihr Märtyrerblut vergossen werden möge. Aus lauter Gemeinheit verweigerten ihr die Mörder das und erwürgten sie kurzerhand mit ihrem eigenen Halstuch. Die Bosheit machte sich nicht wirklich bezahlt, denn Ludmilla wurde trotzdem schon bald von der Kirche zur heiligen Märtyrerin eingestuft. So sieht man sie auch auf dem barocken Bild dargestellt, das man oberhalb rechts sieht, und das sich in der 1685 erbauten Gemeindekirche der Heiligen Ludmilla (Kostel sv. Ludmily) befindet, die wiederum an Stelle der Kirche errichtet wurde, wo sie ihre letzten Gebete getan hatte. Sie ist klassisch mit Märtyrerpalme, Herzoginnenkrone und dem Halstuck, mit dem sie erwürgt wurde, dargestellt.

Drahomira verjagte nun einige der deutschen Orden, die sich in Böhmen angesiedelt hatte, konnte aber ihre Macht nur so lange genießen bis Wenzel volljährig wurde. Der machte die Entscheidungen rückgängig und regierte im Geist der Großmutter, deren Erziehung anscheinend erfolgreich gewesen war. Und so wird Ludmilla ja auch durch die erwähnte (ebenfalls barocke) Statue vor der Kirche dargestellt: Als Erzieherin, die den kleinen Wenzel (der etwas pausbäckig erscheint) auf den Armen trägt – auch das Teil der klassischen Ludmilla-Ikonographie. Wenzel sollte übrigens später von seinem Bruder ermordet werden, was auch ihm die Märtyrerkrone einbrachte.

Zurück nach Tetín: Der kleine Ort hat – nicht zuletzt wegen seiner Heiligengeschichte – drei Kirchen. Die der Heiligen Ludmilla hatten wir erwähnt. Die steht auf mittelalterlichen Fundamenten. Der Grundriss folgt noch einem gotischen Bau, der tatsächlich anstelle der älteren Kirche gestanden haben mag, in der Ludmilla kurz vor ihrem Ende betete. Heute erkennt man aber nur den Barockbau des späten 17. Ajhrhundert. DIe Kirche war lange in Klosterbesitz, wurde aber nach den Klosterenteignungen unter Kaiser Joseph II. in den 1780er Jahren zur bloßen Gemeindekirche umfunktioniert. Bei den Bildern und Skulpturen im Innenraum dominieren böhmische Heilige – allen voran Ludmilla.

Direkt neben der Ludmilla-Kirche steht die Katherinen-Kirche (kostel sv. Kateřiny). Sie ist die kleinste der drei Kirchen im Orte. Der Bau wird wesentlich schlichter, nicht zuletzt weil er auch nicht im überbordenden Barockstil gehalten ist. Sie wurde um 1200 im romanischen Stil erbaut. 1858 erfolgten Renovierungs- und umbauarbeiten, die den schlichten Originalcharakter noch unterstrichen. Auch sie war ursprünglich Klosterbesitz und hatte bei der Enteignung mehr Pech als die Ludmilla-Kirche. Sie wurde als Lagerhalle verwendet bzw. misbraucht. Die Restauration von 1858 machte den Schaden, der dadurch entstand, ein wenig gut.

Die zweifellos am dekorativsten gelegene der drei Kirchen ist jene, die man unten vom Flussufer (großes Bild oben) erkennen kann: Die Kirche des Heiligen Nepomuk (kostel sv. Jana Nepomuckého). Die wurde bereits 1357 erbaut und zwar noch unter dem Namen Kirche des Heiligen Michael. Ging ja auch nicht anders, denn als die Kirche geweiht wurde, lebte Nepomuk noch und hatte sich seine Heiligkeit noch nicht durch Märtyrertod verdient (der erfolgte erst 1393). Wie die Ludmilla-Kirche wurde sie im späten 17. Jahrhundert barockisiert.

Die Säkularisierung im Zuge bekam ihr zunächst nicht gut, aber im 19. Jahrhundert fand sich ein Retter in Gestalt des Schlossbesitzers und Dichters Vácslav Vojáček (ein gebürtiger Tetíner), der in den 1870er Jahren die Instandsetzung betrieb, so dass die Kirche heute recht schmuck aussieht. Vojáček verdankt man übrigens auch ein 1843 verfasstes Drama über Ludmilla, die ja nun einmal die Ortheilige ist. Vojáček und seine Familie sind übrigens auf den kleinen Kirchhof begraben. Der ist übrigens recht hübsch und es gibt viele alte Grabmäler sehen. Der Blick über die Mauer offenbart zudem eine herrliche Aussicht auf die Umgebung.

Der Ortskern von Tetín ist in den letzten jahren recht schön aufgemöbelt worden. In der Mitte wird der Dorfplatz nun von einem großen rechteckigen Brunnen geschmückt. An dessen Rückseite brachte man eine große Gedenktafel für einen anderen Großen der Stadt an, nämlich dem berühmten frühneuzeitlichen Historiker Václav Hájek z Libočan, dem Autor einer bedeutenden und sehr anekdotenreichen Böhmischen Chronik von 1541 (eine Episode daraus erwähnten wir bereits hier). Der wirkte nämlich in den Jahren 1533 bis 1539 hier in Tetín als Pfarrer. Die Bronzetafel wurde hier im Jahre 2015 angebracht.

Und auch sonst lohnt sich der besuch des Ortes. Da ist zum Beispiel noch das barocke Schloss, das im 18. Jahrhundert für die oben erwähnte Familie Vojáček erbaut wurde und seither etliche bauliche Veränderungen durchmachte. Es befindet sich in Privatbesitz. Man kann es daher in der Regel nur von außen betrachten. Reingehen kann man allerdings in das interessante Museum und Infozentrum von Tetín, das direkt daneben liegt.

Man sieht: Tetín ist auf jeden Fall einen Ausflug wert. Es ist nicht nur der Mythos der ermordeten Ludmilla, der den Ort zum Anziehungspunkt macht. Selten sieht man auf so kleinem Ort soviel Geschichte, Kultur und malerische Natur konzentriert. Und von Prag ist es wirklich nicht weit! (DD)

Kirche mit wechselvoller Baugeschichte

Die Neustadt (Nové Město) war die von Böhmens großen König Karl IV. 1348 in Angriff genommene große Statdterweiterung Prags. Genauer: Rund um die Altstadt wurde eigentlich eine neue eigene Stadt mit eigenen Rechten gebaut. Und die brauchte natürlich auch eine Kirchen. Da war „think big“ angesagt. Eine der Kirchen sollte sogar größer werden als der Veitsdom auf der Burg. Aber auch die etwas kleinere Kirche St. Stephan (Kostel sv. Štěpána) in der Štěpánská 534/4 kann sich sehen lassen. Auf jeden Fall gehört sie zu den bedeutenderen gotischen Kirchen der Stadt.

Der König ließ sie 1351 durch einen Baumeister namens „Meister Georg“, über den wir sonst nichts wissen, als Pfarrkirche erbauen. Sie löste in dieser Eigenschaft die winzige, romanische Longinusrotunde (wir berichteten hier) ab, die sich nur wenige Meter entfernt befindet. Fertiggestellt wurde sie erst 1394 – lange nach dem Tod des Herrschers. Was da in mehr als vier Jahrzehnten errichtete wurde, war eine große dreischiffige Basilika. Richtig fertig war der Bau aber dann immer noch nicht. Erst zu Beginn des 15. Jahrhunderts wird erstmals der große Turm an der Westseite der Kirche erwähnt. Karl IV. schenkte der Kirche übrigens Reliquien des namensgebenden Heiligen Stephanus, die er auf einer Romreise erworben hatte. Zudem ließ er einen Teil des Kirchhofs als Pilgerfriedhof weihen, der als Fremdenfriedhof bezeichnet wurde. Den Kirchhof mit seiner Pilgersektion gibt es aber seit der Friedhofsreform von Kaiser Joseph II. in den 1780er Jahren nicht mehr, die aus Gründen der Hygiene und Seuchenprävention innerstädtische Friedhöfe durch große Anlagen außerhalb des Statdtzentrums ersetzte. In der Tat waren die kleinen Kirchhöfe der Statd meist hoffnungslos erfüllt. Allein während der Pest von 1502 wurden bei St. Stephan rund 13-15.000 Tote begraben.

Die Ausstattung der Kirche war von Anfang an prachtvoll. Einige große mittelalterliche Altäre (etwa der schon 1383 gestiftete Wenzelsaltar) gibt es nicht mehr. Dafür wurde in der Zeit des Barock kräftig „aufgerüstet“. Alleine im nördlichen Seitenschiff sind es mehr als vier Altäre, von denen einige von so großen Künstlern gestaltet wurden wie dem Maler Karel Škréta, der Mitte des 17. Jahrhunderts zu den bedeutendsten böhmischen Malern der Zeit gehörte. Die Barockisierung erfolgte schrittweise, beginnend um 1600 nachdem ein Blitz 1593 verheerende Schäden angerichtet hatte. Im großen Stil ging es damit aber erst 1649 – nach dem Dreissigjährigen Krieg – los, als das Interieur völlig umgestaltet und die neuen barocken Altäre aufgebaut wurden.

Deren zentrales Prachtstück ist natürlich der große Hochaltar, den man auch auf dem großen Bild oben bewundern kann. Den Mittelpunkt des elaboriert aus Holz geschnitzten Altars bildet ein Gemälde, das die Steinigung des Heiligen Stephanus darstellt, der um das Jahr 38 n. Chr. zu den ersten frühchristlichen Märtyrern gehörte. Das dramatische Gemälde, das den vonm brutaliserten Mob umringten Heiligen bereits mit verklärtem Blick in Erwartung des Seelenheils zeigt, wurde im Jahre 1669 von dem bekannten (und ursprünglich aus Bayern stammenden) Maler Matthias Zimprecht erschaffen, der es bald sogar zum Vorsitz der Malergilde der Neustadt bringen sollte.

Aber nicht nur die Innenausstattung wurde im Zeitalter des Barock aufgemöbelt. Es kam auch zu Ausbauten und Anbauten. Zu letzteren gehörte eine zusätzliche Seitenkapelle, die man 1678 an der Südseite errichtete. Es handelt sich um die sogenannte Kornel-Kapelle (Kornelská kaple) Das war übrigens die erste Beeinträchtigung der bisher vollkommenen Symmetrie des Kirchenbaus. Spätere Anbauten verstärkten diesen Trend im Laufe der doch recht regen und wechselhaften Baugeschichte noch einmal. Innen befindet sich ein Altar, der – wie der Hauptaltar – wiederum mit Gemälden von Matthias Zimprecht geziert sind.

Schon zuvor hatte man um 1604 auf dem Areal des alten Friedhofs noch einen Glockenturm noch einen externen Glockenturm errichtet. Solche, auch Campanile genannten Glockentürme, die unverbunden neben dem Kirchenschiff stehen, waren in Böhmen seit dem Spätmittelalter sehr weit verbreitet. Der Turm ist sehr massiv aus Stein gebaut (die meisten Türme dieser Art in Böhmen waren nämlich aus Holz konstruiert). Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts hingen hier vier recht stattliche Glocken, die teilweise aus dem späten 15. Jahrhundert stammten. DIe letzte von Ihnen wurde 1729 gegossen. Drei der vier Glocken wurde jedoch leider während des Zweiten Weltkriegs für die Rüstungsindustrie eingeschmolzen. Immerhin überlebte die älteste von Ihnen aus dem Jahr 1490 den Krieg.

Im Jahre 1736 gab es abermals einen Anbau an die Kirche und abermals war es eine Kapelle – diesmal aber an der Nordseite der Kirche. Es handelte sich um eine von innen nicht begehbare Nischenkapelle, die von der Neustädter Bürgerfamilie Branberger gestiftet wurde und deshalb auch Branberger Kapelle (Kaple Branbergerů) genannt wird. Drinnen befindet sich ein mit einer Pestsäule versehener Altar, der an die letzte große Pestseuche in Prag im Jahre 1713 erinnern soll, die rund 20.000 Todesopfer gefordert haben soll. Man sieht neben viel Todessymbolik hier Statuen dreier thematisch passender Heiliger, nämlich Rochus (der Heilige der Kranken). Sebastian (ebenfalls ein Patron gegen Seuchen) und die Heilige Rosalia (dito). Von außen ist die Kapelle durch ein schönes, schnörkeliges Barockgitter geschützt.

Aber die große Zeit des Barock ging irgendwann auch vorbei. Besonders in der zweiten Hälfte gehörte die Rückbesinnung auf die goldenen Zeiten der Gotik unter Karl IV. zum guten Ton unter tschechisch-sprachigen Patrioten. Unzählige neogotische Bauten entstanden oder es wurden barockisierte gotische Gebäude manchmal recht phantasievoll re-gotisiert. Letzteres tat man (zumindest teilweise) auch mit der ursprünglich gotischen, aber danach eben schrittweise im Stil des Barock überarbeiteten Kirche St. Stephan. Es begann im Jahre 1866 als man – unter nochmaliger Veränderung der Symmetrie – vor der Nordseite der Kirche einen neo-gotischen Vorbau hinzufügte – der eine Art Seiteneingang mit Treppe (Bild links) bildete

Das war aber nur der Startschuss. In den Jahren 1876 bis 1879 wurde die Kirche vom Architekten Josef Mocker (über den wir schon u.a. hier, hier und hier berichtet haben) gründlich umgebaut. Natürlich ging man nicht an die barocken Altäre (die waren zu kostbar), aber ansonsten war Neo-Gotik angesagt. Mocker war der große böhmische Experte für diesen Stil. Zu den vielen Änderungen, die er lancierte gehört zum Beispiel der Turmaufsatz, der mit seinen Seitentürmchen und Erkern ein wenig an den des Altstädter Brückenturms an der Karlsbrücke oder die Türme der Teynkirche am Altstädter Ring erinnert. Der originale gotische Turm dürfte nicht annähernd so gotisch ausgesehen haben wie dieser neo-gotische von Mocker.

Und einige Renovierungen Mockers blieben zeitlos, etwa das Maßwerk etliche der Spitzfenster und Bögen im Schiff. Und manches von den neo-gotischen Ergänzungen hat inzwischen einen eigenständigen kunsthistorischen Wert, wie zum Beipiel das aufgemalte Maßwerk mit den schönen Fresken oberhalb des Säulengänge, die Szenen aus dem Leben des Heiligen Wenzel (Bild links) darstellen. Spätere Renovierungen in den Jahren 1935-36 und 1974/75 waren etwas zaghafter und versuchten vor allem viel von der ursprünglichen mittelalterlichen Substanz sichtbar zu machen. Gerade die wechselhafte Baugeschichte macht die katholische Gemeindekirche St. Stephan zu einem der interssantesten Kirchengebäude Prags. (DD)

Vom Kräutergarten zum Freizeitort

Wir befinden uns ganz nahe beim Touristen-Hotspot Wenzelsplatz (Václavské náměstí) oder der vielbefahrenen Vodičkova. Aber weil er nur durch recht kleine Durchgänge oder Passagen erreichbar ist, hat sich der Franziskanergarten (Františkánská zahrada) ein wenig vom Charakter einer Ruheoase bewahrt.

Der Name allein suggeriert bereits, wer die Namensgeber der fast quadratischen Garten- und Parkanlage waren. Das hängt wiederum mit der großen Kirche, an die der Garten grenzt. Ursprünglich war die gotische Kirche St. Maria Schnee (Kostel Panny Marie Sněžné), über die wir bereits hier berichteten, von Kaiser Karl IV. 1348 als Teil eines Klosters des Karmeliterordens geplant. Das wurde nicht so recht fertig und im 15. Jahrhundert predigten hier stattdessen Hussiten, die von hier aus 1419 den Ersten Prager Fenstersturz organisierten. 1603 begann hier wieder richtiges Klosterleben als die Franziskaner einzogen. Und auf die geht auch der Garten zurück. Als die Mönche ihn anlegten, dachten sie noch nicht unbedingt an Ruhe suchende Touristen. Obwohl anscheinend schon im 17. Jahrhundert sehr formal-barock gestaltet, diente das Ganze doch als ein Nutzobjekt, nämlich als Obst- und Kräutergarten. Der Anbau von Heilkräutern unterstützte die karitative Arbeit der Mönche.

Die Mönche betrieben in Nebengebäuden der Kirche unter anderem eine Klosterapotheke. Mitte des 18. Jahrhunderts wurde in der Mitte der Anlage ein kleiner Pavillon gebaut, dessen Inneres leider nicht öffentlich zugänglich ist, was schade ist, da sich drinnen wohl schöne barocke Deckenfresken befinden. Drumherum befindet sich tatsächlich noch ein kleiner Kräutergarten, der einen Eindruck vermittelt, wie es damals unter den Franziskanern war. Diese Nutzung hielt lange an, weshalb der Garten im Kern gut überlebte. Größeren Schaden richteten die deutschen Besatzer nach 1939 an. Während des Weltkriegs wurden hier nämlich große Wasserbecken für den Feuerschutz ausgehoben, was optisch doch recht nachteilig war. Erst 1985 schüttete man sie wieder zu.

Zu diesem Zeitpunkt war der Garten schon lange nicht mehr Privateigentum der Franziskaner. Unter dem Codenamen Aktion K hatten die Kommunisten, die 1948 die Macht ergriffen hatten, im Jahre 1950 begonnen, die Kirche zu verfolgen, Geistliche zu internieren und Klöster zu liquidieren. Das machte auch nicht vor den Franziskanern der Kirche Maria Schnee nicht halt, die brutal vertrieben wurden. Die Kommunisten öffneten noch im selben Jahr den Garten für die Öffentlichkeit. Nun konnte man den Garten für eine Rast oder als Durchgang, etwa vom Wenzelsplatz zum Jungmann-Platz, nutzen.

Anscheinend wurde er in dieser Zeit nicht so verschönert und/oder gepflegt, wie man es nun hätte erwarten sollen. Nach dem Ende des Kommunismus wurde er 1989 bis 1992 erst einmal geschlossen, um tiefgreifende Umbau- und Verschönerungsmaßnahmen durchzuführen. Die Franziskaner waren inzwischen restituiert worden und ins Kloster zurückgekehrt, aber der Garten sollte weiterhin öffentlich bleiben. Der Architekt Otakar Kuča (ein Gartenspezialist) und die Architektin Ivana Tichá realisierten ein Konzept, das Motive des alten formalen Barockgartens deutlich aufnahm, aber modern ergänzte. Alles wurde sehr geometrisch geordnet und es wurden viele Möglichkeiten geschaffen, im Schatten zu sitzen und den Anblick der Umgebung zu genießen. Dazu tragen insbesondere die bepflanzten Arkaden an den Seiten bei.

Vorsichtig ergänzt wurde die barocke Nachempfindung des Gartens durch einige passende Beispiele moderner Bildhauerkunst. So gibt es aus dieser Zeit einen Springsprunnen Der Junge mit der Muschel (Chlapec s mušlí) des Bildhauers Stanislav Hanzík. Bekannter ist die mysteriös wirkende Figurengruppe Die drei tanzenden Alraunen (Divoženky a Poletuchy) des Bildhauers Josef Klimeš, der die um einen Wasserbrunnen ergänzt wurden. Die Alraunen, eine Mischung von Pflanze und Sagenwesen, sind stabil konstruiert und werden gerne von kleinen Kindern als Spiel- und Klettergerät verwendet bzw. zweckentfremdet. Den Freizeitwert des Gartens, der auch von Einheimischen (und nicht nur Touristen) genossen wird, steigert das irgendwie.

Und im Jahre 2014 erfolgte sozusagen der „finishing touch“. An den beiden südlichen Eingängen des ummauerten Areals wurden zwei große metallene Türen angebracht. Auf ihnen erzählt der Bildhauer und Medailleur Petr Císařovský Etappen aus dem Leben des Heiligen Franziskus, dem Namensgeber des namensgebenden Ordens für den Garten. SIe sind zwar erkennbar modern, spielen aber – vor allem in der kassettenförmigen Struktur – auf Beispiele mittelalterlicher Kirchtüren (Beispiel hier) an.

Ein kleiner Spielplatz rundet die Sache ab. Man muss also nicht nur auf den Skulpturen der Alrauen klettern. Und die Hecken, die den Garten noch in quasi-barocker Weise geometrisch aufteilen, eignen sich hervorragend zum Versteckspielen. Trotzdem ist es hier nicht lärmig, sondern sehr beschaulich und erholsam.

Und so ist der Franziskanergarten mittlerweile zu einem Ausdruck echten Geschichtsbewusstseins geworden, der alte Traditionen mit moderner Freizeitkultur verbindet. (DD)

Idylisches Dorf und Filmkulisse

Die Umgebung von Prag ist reich an kleinen Dörfern mit idyllisch anmutendem Dorfkern. Das gilt auch für die ansonsten landschaftlich etwas eintönige Moldauebene im Kreisgebiet von Mělník, kurz bevor der Anstieg zum Erzgebirge (tsch.: Krušné hory) beginnt. Hier findet man etwa 25 Kilometer nördlich von Prag das kleine Örtchen Vrbno, dessen Kern seit 2004 zurecht eine geschützte Denkmalzone (památková zóna) ist, die sogar immer wieder einmal als Filmkulisse dient.

Die Ursprünge reichen tiefer in die Vorgeschichte zurück, als man es hier auf den ersten Blick sehen kann. Es lohnt sich, den kleinen historischen Lehrpfad um den Ort zu erwandern. Da lernt man, dass ganz in der unmittelbaren Umgebung Archäologen in den letzten Jahren reichliche Funde aus der Steinzeit (rund 5000 v. Chr.) und aus der Bronzezeit (rund 2000 v. Chr.) ausgegraben haben. Der Ort als feste dörfliche Siedlung dürfte im 11. Jahrhundert gegründet und seither kontinuierlich besiedelt worden sein, urkundlich erwähnt wird es aber erst im Jahre 1241. Die frühe Besiedlung mag viel damit zu tun haben, dass die die flache Flussauenlandschaft gut bewässert und auch recht fruchtbar ist. Aber die Nähe zum Fluss hat auch is heute ihre dunklen Schattenseiten, wie noch zu sehen sein wird.

Im Mittelalter gehörte das Dorf erst zur Herrschaft von Mělník, dann einer örtlichen Adelsfamilie namens Mléčkové z Vrbna. Schon im Jahr 1257 (hier, S.11f) ist dokumentiert, dass die Kirche (und damit wohl das ganze Dorf) dem soeben von der großen böhmischen Heiligen Agnes von Böhmen gegründeten Ritterorden der Kreuzherren mit dem roten Stern (Rytířský řád křižovníků s červenou hvězdou). Womit wir beim eigentlichen Kern des Kerns des Dorfes sind, der Kirche der Kreuzerhöhung (Kostel Povýšení sv. Kříže).

Deren Ursprünge gehen mindestens bis in das 12. Jahrhundert zurück. Bevor die Kirche in den Besitz der Kreuzherren überging, gehörte sie wohl einer Krankenhausbrunderschaft. Es handelte sich um einen einfachen rechteckigen Bau ohne Glockenturm im Stil der Romanik. Der ist im Kern und in seinen Dimensionen auch immer noch erkennbar. Die einfache und robuste Konstruktion weist darauf hin, das die Kirche auch als Wehrkirche konzipiert war. Bei Renovierungsarbeiten nach dem Hochwasser von 2002 fand man übrigens auch Reste eines romanischen Portals, das in gotischer Zeit übermauert worden war. Heute kann man den von den Restauratoren sorgfältig freigelegten Torbogen außen vom Kirchhof aus bewundern – direkt neben einer groß dimensionierten Grabstatue in Engelsform aus dem späten 19. Jahrhundert.

Ebenfalls bei den Renovierungen fand man eine mittelalterliche Wandmalerei der Kreuzerhöhung – und zwar im Chor, der im 14. Jahrhundert, also in Zeiten der Hochgotik, an die Kirche angebaut wurde. Immer wieder gab es auch danach kleinere Umbauten. In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurde erst der spätgotische Glockenturm hinzugefügt.

Und in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts unternahm man schließlich eine behutsame Barockisierung, wie das bei Kirchen in dieser Zeit ausgesprochen häufig getan wurde. Die barocke Neugestaltung veränderte bei näherer Betrachtung den optischen Grundcharakter der kleinen Dorfkirche schon recht beträchtlich, ohne dass die romanisch/gotische Struktur verschwand. Von außen kann man das am deutlichsten bei dem kleinen Vorbau für den heutigen Haupteingang sehen (kleines Bild links), der sich durch einen sehr klassisch anmutenden Giebel auszeichnet.

Insgesamt repräsentierte die Barockzeit mit ihrem bescheidenen, aber dennoch sichtbaren Prunk auch ein wenig den ökonomischen, kulturellen und sozialen Auschwung in dieser Zeit. So ist im Jahr 1764 für die Kinder des Dorfes erstmals eine richtiggehende Schule für die dokumentiert. Nicht nur die Kirche, sondern auch das Dorf als solches wurde immer mehr modernisiert.

Im Jahre 1790 baute man noch auf dem Gelände des Kirchhofs eine kleine Kapelle an, die lange Zeit als Leichenhalle diente. Sie war der Heiligen Barbara (sv. Barbora) gewidmet. Sie ist achteckig im Grundriss. Innen sieht sie – anscheindend als Folge von Hochwassern – arg beschädigt und ebenso arg heruntergekommen aus. Aber von außen verleiht sie mit ihrer ungewöhnlichen Form dem Dorf eine originelle architektonische Note.

Der kleine Kirchhof wurde übrigens im Jahre 1880 aufgelöst. Nur wenige Grabsteine blieben erhalten, darunter das oben erwähnte Engelsgrab der Familie Plačký, die – wenn man von der Größe des Grab Schlüsse ziehen will – wohl im Dorf eine wichtigere Rolle spielte.

Die lange Prägung durch Kreuzherren und Kirche hat das Dorf auch sonst ihren Stempel aufgedrückt. Schon an der im 18. Jahrhundert errichteten Friedhofsmauer findet man außen eine kleine barocke Nischenkapelle, die dem böhmischen Nationalheiligen Nepomuk (sv. Nepomucký) geweiht ist (Bild links im Vordergrund), der allerdings schon seit langem die Nepomuk-Darstellung zu fehlen scheint. Und am Ausgang des Kirchplatzes hin zur Hauptstraße findet sich die ähnlich dimensionierte Kapelle der Fünf Wunden Christi (Kaplička Nejsvětějších Pěti ran Kristových) aus dem Jahr 1705 (kleines Bild rechts). Leider auch sie ein wenig renovierungsbedürftig.

Und rund um den Kirchplatz stehen allerlei hübsche alte Gebäude. Dazu gehört das katholische Pfarrhaus (Haus 1, Bild links), das in dieser Form hier seit 1862 steht. Sehen kann man unter anderem noch die alte Schule von 1878 (Haus 60), die alte Gaststätte (Haus 27) und natürlich hauptsächlich viele größere Bauernhöfe mit ihren typischen Hoftorbögen, von denen das Haus Nr. 4 (rechts) zu den schönsten gehört.

Haus Nr 25, gegenüber der Kapelle der Fünf Wunden Christi, stammt aus dem späten 19. Jahrhundert und wurde danach immer wieder umgebaut. Das ist aber nicht das Besondere daran. Man muss nahe herankommen, um neben der Haustür ein kleines Metallschild zu sehen (Bild links). Es zeigt uns, wie hoch das Wasser beim großen Moldauhochwasser von 2002 stand, das verheerende Verwüstungen verursachte. Insgersamt wurde 30 Häuser in Vrbno so zerstört, dass sie abgerissen wurde. Einer der Schutzdämme, die das Dorf von einem nahe vorbeilaufenden Nebenkanal der Moldau trennt, hielt dem Wasserdruck nicht mehr stand, und die Katastrophe nahm ihren Lauf. Trotz der Reparaturarbeiten, die danach erfolgten, brach an einer anderen Stelle beim (geringfügig kleineren) Hochwasser von 2013 abermals ein Damm. Und wieder richtete das Wasser Zerstörungen an. Das ist der Grund, warum die Schönheit des Dorfes sich bisweilen immer noch mit dem Eindruck eines gewissen Verfalls vermischt. Spuren einer solch geballten und doppelten Verwüstung sind halt schwer zu tilgen.

Aber die Gewalt der Wassermassen dürfte den Bewohnern des Ortes in früheren Zeiten gewiss ebenfalls vertraut gewesen sein – möglicherweise noch gravierender, denn bis Ende des 19. Jahrunderts war der Fluss noch ungebändigt. Vermutlich sind solche Ereignisse damals sogar wesentlich häufiger auf der Tagesordnung gewesen. Man denke an das große Hochwasser von 1890, das weiter oberhalb in Prag sogar Teile der Karlsbrücke zerstörte. Das betraf auch Vrbno und Umgebung. Der Fluss lag dereinst sogar näher am Dorfe, wie ein heute toter Flussarm zeigt, der sich nur wenige Meter vom Dorfkern befindet. Der lädt wiederum zu einem (Hunde-) Spaziergang in einer idyllischen Auenlandschaft ein und hat seine einstige Gefährlichkeit wohl weitgehend eingebüßt. Und man kann nur hoffen, dass die repararierten Dämme zum Kanal beim nächsten Hochwasser halten werden.

Trotz der noch verbliebenen Spuren der letzten Hochwasser-Katastrophen ist und bleibt das Dorf ein kleines romantisches Idyll. Die hübschen Häuser des Dorfkerns und die kleinen verwunschenen Sträßchen haben deshalb schon seit längerem als Drehort das Interesse der Filmschaffenden geweckt. Etliche tschechische, aber auch internationale Fernseh- oder Kinofilme wurden hier in Vrbno gefilmt. Dazu gehören die Artistenserie Circus Humberto aus dem Jahr 1988, die historische Krimiserie Dobrodružstvá kriminalistiky (in Deutschland.: Täter unbekannt – Sternstunden der Kriminalistik), die in den Jahren 1989 bis 1993 lief, die tschechische Maigret-Verfilmung Maigretův první případ (dt.: Maigrets erster Fall) von 1991 oder die internationale Victor Hugo-Verfilmung von Les Misérables mit Liam Neeson aus dem Jahr 1998. Bleibt zu hoffen, dass der Filmruhm dafür sorgt, dass Vrbno seine schönen Glanz bald wieder neu aufpolieren kann. (DD)

Dorfkirche und Glockenturm

Von der Autobahn aus fällt das Ensemble von Glockenturm und Kirche jedesmal auf, wenn man von Prag Richtung Norden fährt. Irgendwann wird man doch zu neugierig. Also befindet man sich irgendwann auf dem schönen Hügelgebiet im Ortsteil Vepřek von Nová Ves u Nelahozevsi im Kreis Mělník rund 25 Kilometer nördlich von Prag. Und man steht wirklich auf altehrwürdigem historischen Boden!

Eigentlich dürfte die Nähe der durchaus vielbefahrenen Autobahn D8 (E55) wegen des Lärms nicht für alle Bewohner als Glücksfall wahrgenommen werden. Für Historiker und Archäologen war es aber ein ebensolcher. Denn erst während des Baus der Autobahn legte man Kulturrelikte frei, die darauf hinwiesen, dass hier auf dem Gebiet des pittoresken kleinen Dörfchens (Bild links) schon in der Steinzeit hier Menschen siedelten. Die Siedlungsgeschichte blieb seither ungebrochen. Auch keltische Funde aus der Bronzezeit (Knovízer Kultur) grub man bei der Gelegenheit in Vepřek aus. Auch nach der Fertigstellung der Autobahn kamen immer wieder Archäologen hierher, um dann – wie etwa in den Jahren 1992 bis 1995 – in Sachen böhmischer Frühgeschichte reich fündig zu werden.

Aber richtig in die Geschichte trat Vepřek erst 1346 ein, also in der Regierungszeit von Karl IV., als Böhmen seinen Aufschwung nahm. Da wurde der Ort erstmals in einem Register schriftlich erwähnt. Und nur unwesentlich später, im Jahre 1352, erbaute man hier die Kirche Mariä Geburt (Kostel Narození Panny Marie), unter der Schutzherrschaft (Patrozinium) der Gottesmutter geweiht wurde. Zieht man vor seinem geistigen Auge alle moderneren Gebäude aus dem Ortsbild von Vepřek weg, dann muss man zu dem Schluss kommen, dass auch ohne die späteren Anbauten die Kirche recht stattlich und groß war für eine so kleine Gemeinde. Ursprünglich handelte es sich nur um einen fast quadratischen Bau, der etwa den mittleren Teil des heutigen Gebäudes (Bild rechts) ausmachte.

Primär diente die Kirche natürlich als örtliche Pfarrkirche für die anscheindend ebenfalls im Jahr 1352 ins Leben gerufene Pfarrgemeinde.

Aber es gab offentsichtlich noch einen „Nebenzweck“ für das Gebäude. Besonders auffallend sind nämlich bei dem ursprünglichen Bauteil die weit oben liegenden Fenster und die dicken Mauern mit ihren Stützstreben. Das sieht recht solide aus und sollte es wohl auch sein. Obwohl unter Karls Herrschaft in Böhmen recht große Rechtssicherheit herrschte, war man in diesen Zeiten trotzdem nie sicher vor Überfällen. Die Kirche wurde wohl möglicherweise als eine sogenannte Wehrkirche konzipiert, in der die Anwohner bei Gefahr Zuflucht suchten und sich verteidigen konnten – bis die Eindringlinge die Geduld verloren und abzogen oder Hilfe von außen kam. Diese Art von Kirchen nahm vor allem im 14. Jahrhundert erstmals einen größeren Aufschwung und verbreitet sich zunächst hauptsächlich in Süddeutschland und Böhmen.

In dieser Form blieb die Kirche bis zum 17. Jahrhundert bestehen. Der Dreissigjährige Krieg hinterließ auch in Vepřek seine Spuren. Nach der Niederlage Böhmens gegen die Habsburger in der Schlacht am Weißen Berg (1620) hatte die Kirche lange Zeit keinen eigenen Pfarrer, sondern wurde von einer anderen Gemeinde „mitbedient“. Ein eigener Pfarrer wurde erst 1737 hier wieder eingesetzt.

Das heißt aber nicht, dass sich in Sachen Erneuerung der Kirche sich in dieser Zeit nichts tat. In den Jahren 1684 bis 1697 wurde die Kirche grundlegend im Stil des Barock umgebaut und verändert. Das Schiff wurde durch eine Apsis und einen Vorbau deutlich verlängert. Die ursprünglich hochgotischen Fenster des alten Gebäudeteils wurden recht originell barockisiert, wie man im Bild rechts sehen kann. Die Kirche erhielt in dieser Zeit im wesentlichen damit die äußere Form, die sie auch heute noch hat.

Trotzdem gab es in der Folge immer wieder kleinere Erneuerungen. 1752 wurden vor allem im Innenraum weitere Barockisierungen vorgenommen. Kleinere Umbauten und Reparaturen gab es in den Jahren 1892, 1902 und 1907, die sich aber nicht übermäßig signifikant auf das Außenbild auswirkten. In den Zeiten des Kommunismus litt die Kirche, wie in dieser traurigen Epoche üblich, ein wenig an Vernachlässigung und auch heute denkt man, ein paar Eimer Farbe könnten gut tun. Aber insgesamt steht es um die Kirche, die von einem hübschen alten Kirchhof mit alten Gräbern umgeben ist, gut. Und irgendwann wurde oben auch ein kleiner Turm, Dachreiter genannt, angebracht, denn die Kirche hat keinen eigenen und integrierten Kirchturm.

Den brauchte sie auch eigentlich nicht. Denn die „Skyline“ von Vepřek prägt nicht nur die Kirche Mariäa Geburt, sondern vor allem der separate Glockenturm (zvonice), der die eigentliche Sehenswürdigkeit des Ortes ist (siehe auch großes Bild oben). Diese Art von freistehendem Campanile ist typisch für die Region nördlich von Prag um Slaný und Mělník, und der von Vepřek gehört zu den schönsten Exemplaren im regionstypischen Stil. Erbaut wurde er im Jahre 1456. Damals gehörte das Dorf dem Domkapitel des Prager Veitsdoms. Durch den Bau des Turmes wurde die Kirche, die sich nur wenige dutzend Meter entfernt befindet, in die Lage versetzt, die Menschen der Umgebung mit hinreichender Phonstärke auf anstehende Gottesdienste aufmerksam zu machen. Im 15. und 16. Jahrhundert war der Glockenturm mit zwei Glocken ausgestattet, mittlerweile sind es deren sogar drei.

Der Turm ist schon seit 1958 als geschütztes Denkmal registriert. Seit der letzten gründlichen Renovierung im Jahr 2002 sieht er blitzblank aus und ist in bestem Zustand. Eine Infotafel vor dem (für Besucher geschlossenen) Eingang des Glockenturms liefert Informationen über die Konstruktion und Geschichte des Turms und über die dazugehörige Kirche. Bei dem Glockenturm handelt es sich um ein gestuftes Gebäude mit quadratischem Grundriss. Nur das Erdgeschoss ist aus Stein gebaut und weiß verputzt. Ein fein verarbeitetes Gesims schließt diesen Teil oben ab. Der Überbau und das Walmdach sind aus Holz konstruiert. Die Dachkonstruktionen sind hübsch mit Holzschindeln bedeckt. Ein kleines vergoldetes Metallkreuz schließt den Turm oben auf dem Dach ab. Das Ganze steht in einer kleinen und wohl gepflegten Grünanlage, von der aus man hinunter auf die schöne umgebende Landschaft blicken kann.

Um diese Landschaft in ihrer Schönheit (trotz der Autobahn in der Nähe) zu bewundern, eignet sich Vepřek übrigens ausgezeichnet als Ausgangspunkt eines kleinen Wanderausfluges entlang der Moldau, die hier ruhig ihrem Zusammenfluss mit der Elbe entgegen strömt. (DD).

Von den Kleinen Leuten fußläufig zum Rathaus

Warum es diesen putzigen Namen trägt, entzieht sich meiner Kenntnis: Das Haus zu den Kleinen Leuten (dům U Človíčků), das – normalerweise von Touristenströmen umflutet – direkt gegenüber dem Altstädter Rathaus am Altstädter Ring (Staroměstské náměstí 479/25) liegt. Vielleicht sah sich der Bürgermeister, der hier einst fußläufig nahe bei seinem Amtssitz wohnte, als Vertreter der kleinen Leute. Ist aber eher nicht wahrscheinlich.

Den Namen wechselte das im Laufe der Zeit sowieso immer wieder. Im Mittelalter sprach man wohl vom Haus zur Blauen Gans (Dům U Modré husy). Im 16. Jahrhundert gehörte es einem gewissen Bindra, der hier ein Weinlokal betrieb, und folglich hieß es damals U Bindrů (Bei Bindra). Und heute spricht man ab und an vom Haus zum Blauen Stern (U Modré hvězdy). Auf jeden Fall ist das Haus sehr alt. Im Keller finden sich anscheinend noch Reste romanischer Kellergewölbe aus dem 12. Jahrhundert. In der zweiten Hälfte 14. Jahrhundert, der Zeit Karls IV., entstand hier ein sehr solide gemauertes zweistöckiges Haus im hochgotischen Stil, der diese große Epoche in der Geschichte Prags auszeichnet. Von diesem mittelalterlichen Gebäude sind noch sichtbare und substanzielle Spuren zu sehen. Man erkennt sie etwa noch an den Arkaden im Erdgeschoss, die von Spitzbögen gestützt sind.

Aber die Altstadt und ihre Häuser haben sich immer wieder erneuert – so auch das Haus zu den Kleinen Leuten. Zwischen 1546 und 1571 wurde das gesamte Gebäude schrittweise in ein Renaissancehaus umgewandelt, was vor allem zur Öffnung der Arkade führte, die sich nun auch auf das benachbarte Gebäude 478/26, dem dům Na kamenci, erstreckte.

Mitte des 17. Jahrhundert wurde ein gewisser Bohuslav Daniel Vořikovští z Kunratic Besitzer des Hauses. Der kam aus einer Familie, die sich während des Dreissigjährigen Krieges 1648 bei der Verteidigung der Stadt gegen die Schweden äußerst verdient gemacht hatte. Er trat auch als Mäzen auf, der 1696 die heute in dieser Form nicht mehr erhaltene Statue der Pieta auf der Karlsbrücke stiftete. Klar, dass der im Jahr 1700 zum Bürgermeister der Altstadt gewählt wurde. Ab dem Jahr 1710 baute er das Haus im spätbarocken Stil so aus, wie wir es im Kern heute noch bewundern können – als wahren Repräsentationsbau, der auch noch extrem gut fußläufig zum Rathaus lag. Gegen Ende des 18. Jahrhundert wurde die barocke Fassade noch einmal ein wenig überarbeitet. Insbesondere die Fenster wurden dem klassizistischen Zeitgeschmack angepasst und wirken daher nicht mehr so verspielt, wie sie vielleicht in den Zeiten des früheren Bürgermeisters gewesen sein mögen.

Heute residiert hier aber kein Bürgermeister mehr (über dessen heutige Residenz berichteten wir bereits hier; über die eines seiner Vorgänger hier). Im Erdgeschoss befinden sich Läden und ein Bistro für Touristen, darüber ein kleines Hotel. Nach 1926 wurde das Haus zum Zweck der Vergrößerung der Hotelkapazität mit dem benachbarten dům Na kamenci verbunden. Beide Häuser hat man durch den Anstrich, der jeweils die Kontraste der Fassade herausstreicht, optisch zugleich von einander abgehoben und doch irgendwie zu einer optisch harmonierenden Einheit verschmolzen. Zusammen ergeben sie jedenfall ein hübsches Ensemble. (DD)

Romanisches Juwel in Podolí

Sie ist ein Stück Mittelalter in einem ansonsten baulich stark vom 20. Jahrhundert geprägten Umfeld: Die kleine Kirche des Heiligen Erzengels Michael (Kostel svatého Michaela archanděla) im Stadtteil Podolí (Prag 4), die an der Moldau unter den Felsen von Braník und des Vyšehrad gelegen ist.

Die heutige katholische Gemeindekirche stammt aus dem Anfang des 13. Jahrhunderts und wurde im Jahre 1222 erstmals urkundlich erwähnt. Sie gehörte damals wohl zum (königlichen) Kapitel des Vyšehrad. Pfarrkirche für Podolí wurde sie erst 1856. Als kleine Ruheoase abseits der Touristenströme entpuppt sie sich bei näherem Hinsehen als ein kleines Juwel früher mittelalterlicher Sakralarchitektur, das auch von den künstlerischen Entwicklungsstufen, die in den Jahrhunderten danach kamen, nicht unberührt blieb, und von ihnen bereichert wurde.

Das fing im 14. Jahrhundert mit einer leichten Gotisierung der spätromanischen Kirche an. Im 17. Jahrhundert – es war die Zeit des Barocks – gab es mehr Neuerungen , etwa der Hauptaltar mit einem Altarbild des Erzengels Michael, dem Namensgeber der Kirche. Draußen im Kirchhof wurde ein Glockenturm aufgebaut, dessen oberer Teil als Holz mit Schindeldach ist. Drinnen hängt eine ältere Glocke aus dem Jahr 1482, die 1993 um zwei zusätzliche neue aus dem Hause der bekannten Glockengießerwerkstatt Tomášková-Dytrychová (siehe auch hier) ergänzt wurde

Im 19. Jahrhundert gab es noch einmal etliche Veränderungen. Der Kirchhof wurde 1885 geschlossen und ein neuer Friedhof etwas oberhalb der Kirche eingerichtet. Man findet aber noch viele erhaltene Grabsteine, sodass diese Kirche authentischer wirkt als viele andere Gemeindekirchen, deren Friedhöfe schon in den 1780er Jahren (aufgrund einer Verordnung Kaiser Josephs II.) aufgelöst wurden. 1887 führte man Umbauarbeiten durch, die auf eine Re-Romanisierung abzielten. Das heutige, im Kern neo-romanische Erscheinungsbild geht auf diesen Umbau zurück. Dazu gehört auf das Mosaik des Malers und Restaurators Bohumil Jaroš über dem westlichen Eingang, das den Erzengel Michael darstellt.

In den Zeiten des Kommunismus fiel sie der allgemein üblichen Vernachlässigung anheim, bis sich zu Ende das Blatt wendete. 1980 wurde Jan Rosůlek Pfarrer der Gemeinde. der war ausgebildeter Architekt und Verfechter des modernen Avantgardismus. Er hatte schon in der Ersten Republik der Gruppe Devětsil angehört, einer Architekten- und Künstlervereinigung, die sich einem progressiven Kunstverständnis verschrieben hatte. Rosůlek, ein Bruder der Schauspielerin Marie Rosůlková, hatte sich 1947 zum Priester weihen lassen (nachdem er eine zeitlang der Religion abgeschworen hatte). Danach war er zahlreichen Drangsalierungen und Berufsbeschränkungen durch die Kommunisten ausgesetzt, bevor er 1980 immerhin die kleine Pfarre in Podolí übernehmen durfte. Er nutze die Gelegenheit, die Kirche mit ein wenig moderner Avantgarde anzureichern. Dabei sind insbesondere die 1988 eingesetzten Buntglasfenster nach Entwürfen des Malers Antonín Klouda zu erwähnen. Die Glasmosaike – oberhalb links ein Ausschnitt eines Bildes des Gekreuzigten – verliehen dem Kirchenraum einige kräftige neue Farbtupfer.

Die Kirche als solche besteht aus einem schlichten, geradezu archaisch wirkenden einschiffigen Bau. Wenn es von der östlich vorbeigehenden Straße Pod Vyšehradem so aussieht, als ob sie zwei Schiffe hätte, dann liegt das nur daran, dass die Fassade eines Anbaus dem östlichen Abschluss des Schiffes mit dem Altarraum gleicht.

Das ist eines von vielen Dingen, die die äußere Gestaltung der Erzengel-Michaels-Kirche ausgesprochen abwechslungsreich erscheinen lassen. (DD)

Schlossruine tief im Gestrüpp

Wo nach Gold gegraben wird, da lauern Diebe. Deshalb hielt sich lange Zeit der Glaube, die kleine Burg oberhalb des rund 25 Kilometer südlich von Prag gelegenen Dorfes Žampach am malerischen Fluss Sázava sei zum Schutz der Goldgräber in der Umgebung gebaut worden.

Nun ist es tatsächlich so, dass die Landschaft, die die Burgruine (die zum Ort Jílové u Prahy gehört) umgibt, seit dem Mittelalter das Goldbergrevier ganz Mittelböhmens war. Überall kann man beim Wandern die Eingänge uralter Stollen (kleines Bild links) sehen, von denen einige wenige sogar für das Publikum geöffnet sind. Das ging noch bis Ende der 1960er Jahre so. Dann war das Ganze endgültig nicht mehr lukrativ und wurde eingestellt. Deshalb glaubte man lange einer vermeintlich mittelalterlichen Urkunde, dass die heute Včelní Hrádek genannte Burg im Jahre 1045 zum Schutz der örtlichen Goldgräber gebaut wurde. Inzwischen hat sich das Dokument als Fälschung des 18. Jahrhunderts herausgestellt.

Erst für das Jahr 1402 ist die kleine Burg sicher dokumentiert, und zwar als im Besitz des Prager Patriziers Johánek Šimonovic z Prahy, der sie damals unter dem Namen Nussberk weiter verkaufte. Als richtige Burg hatte das Ganze nach den Hussitenkriegen im frühen 15. Jahrhundert ausgedient. Die Besitzer wechselten und die Burg wurde eigentlich nur noch als Bauerngehöft geführt. Irgendwelchen Verteidigungszecken – ob für Goldgräber oder nicht – schien sie nicht zu dienen und auch nie gedient zu haben.

Zu den etwas berühmteren Besitzern des Anwesens in der Zeit der Renaissance gehörte nach 1591 für eine kurze Zeit der als Scharlatan verschrieene englische Alchimist Edward Kelley (den erwähnten wir schon hier), der in Prag wirkte – erst im Auftrag von Kaiser Rudolph II. in Prag, später für Fürst Wilhelm von Rosenberg. Im Dreissigjährigen Krieg wurde das Gehöft sogar verlassen und erst 1695 von dem böhmischen Adligen und Prager Ratsherrn Ferdinand Ignaz Schönpflug erworben und wieder aufgebaut. Es folgte eine lange Reihe von Besitzerwechseln, die sich bis ins Jahr 1789 hinzog.

In diesem Jahr erwarb nämlich Karl Joseph Biener Ritter von Bienenberg das Anwesen. Der war ein großer Wissenschaftler und Pionier der böhmischen Archäologie und zugleich Kaiserlicher Richter und Kreishauptmann für den Bezirk. Ihm verdankt, auch wenn man es sich einem zunächst nicht erschließt, Včelní Hrádek tatsächlich seinen Namen. Das tschechische Wort „Včel“ bedeutet im Deutschen soviel wie „Bienenzucht“, was sich wiederum klar auf den Namen des Ritters von Bienenberg bezieht. Man liegt wohl nicht fehl, wenn man dahinter so etwas wie tschechischen Wortwitz vermutet. Aber der gute Ritter tat noch mehr als bloß dem Ganzen einen putzigen Namen zu geben, den es heute noch trägt.

Er baute nämlich die alte und heruntergekommene Burg zu einem kleinen und hübschen Schloss im Stil des Klassizismus um. Das, was heute noch zu sehen ist, ist im wesentlichen dieses Gebäude, während der mittelalterliche Bau von der Zeit hinweggetragen wurde, so dass nur noch einige kleine Erdwälle im Wald – und die auch nur schwach – erkennbar sind. Das Schloss machte nun nicht einmal mehr den Eindruck, zur wehrhaften Verteidigung zu dienen. Die Zeit der Burgen war vorbei.

Als Ritter von Bienenberg 1798 starb, setzten abermals zahlreiche Besitzerwechsel ein. Das Schloss kam ein wenig herunter, aber es schien noch immer recht wohnlich zu sein. 1947 übernahm schließlich die Stadt Jílové das Schloss. Wer denkt, dass öffentlicher Besitz und kompetenter Denkmalschutz Hand in Hand gehen, wurde eines besseren belehrt. Dass das im Kommunismus ab 1948 erst recht nicht klappte, erstaunt nicht. Aber als der zu Ende ging, ließ die Stadt das schöne Kulturgut abreißen, nachdem Dank der vorherigen Vernachlässigung ein Dach einstürzte.

Trauriges Ende. Aber ein wenig ist doch noch übriggeblieben von den klassizistischen Außenmauern, insbesondere denen der Wirtschaftsgebäude. Sie zu finden, ist ein kleines Abenteuer. Man muss einen unmarkierten Abstecher durch ein Feld oder einen Wald machen, der neben einem anstelle alter Burgteile sich dort befindenden Landwirtschaftshof wuchert, und sich durch das Gestrüpp schlagen. Dann findet man die Ruinen, die sicher für Kinder ein idealer Abenteuerspielplatz sind. Und das, obwohl die Geschichte der Burg gar nicht so abenteuerlich war. Denn die Goldgräber haben sich damals anscheinend selbst zu helfen gewusst, und brauchten keine schwertbewaffneten Rittersleut zu ihrem Schutz. (DD)

Tschechische Zeitmessung

Gehen bei den Tschechen die Uhren anders? Zumindest früher war das tatsächlich so. Diese Sonnenuhr aus dem Jahre 1608 bemisst das altböhmische Zeitmaß, bei dem nicht die Uhrzeit, sondern die Zeit, die seit dem Sonnenaufgang vergangen ist, in Stunden dargestellt wird. Die gemalte Sonnenuhr war übrigens lange unter dem Putz des Hauses verschwunden und wurde erst 1995 wiedergefunden und frisch rekonstruiert.

Zurecht kann man erwarten, dass ein Haus mit solch einer Uhr noch mehr zu bieten hat. Und so ist es auch mit dem Velikovský Haus (Velikovský dům) in der Tomášská 518/1, Ecke Malostranské náměstí (Kleinseitner Ring) auf der Prager Kleinseite. Auf eine lange Geschichte kann dieses dreistöckige Wohnhaus an zurückblicken. Zum ersten Mal wurde es 1354 schriftlich erwähnt. Während der Hussitenkriege nahm es um 1420 schweren Schaden, wurde aber wieder aufgebaut. Ein größerer Umbau mit Vergrößerungen fand um 1470 statt. Einer der mittelalterlichen Besitzer gab dem Haus wohl den Namen. Bisweilen wurde es auch Lázeň (Bad) genannt, was wohl auf einen früheren Verwendungszweck hindeutet.

Beim Großen Feuer von 1541, das große Teile der Kleinseite verwüstet hatte, wurde das bis dato gotische Haus arg in Mitleidenschaft gezogen. Aber zwischen 1543 und 1552 baute man es wieder neu auf. Beim Wiederaufbau wurde es allerdings – dem Geschmack der Zeit entsprechend – in ein Renaissancegebäude umgewandelt. Mehr Wandel erfolgte: Die Uhr von 1608 war wohl Teil von einem von mehreren Umbauten im Stil des Barock, die im Laufe des 17. Jahrhunderts erfolgten – insbesondere in den Jahren 1638, 1653 und zuletzt 1680. Aber tatsächlich sieht man von allen diesen barocken Um- und Neubauten heutzutage zumindest äußerlich relativ wenig.

Denn der „alte“ Eindruck, den das Haus von außen heute beim Betrachter hinterläßt, geht auf sehr historistische Renovierungen des 19. Jahrhunderts zurück. Es begann im Jahre 1838 mit der klassizistisch angehauchten Fassadengestaltung durch den Architekten Josef Tredrovský, der hier viele Elemente des böhmischen Renaissancestils, etwa den schönen Erkerturm, einfließen ließ. Das heißt, er griff dabei eher auf die vorbarocke Gestalt des Hauses zurück.

Vollendet wurde dieser Rückgriff durch die zierlichen Sgraffito mit feinem Blumenzierat (Akanthus), die man auf dem Erker und dem Giebel sehen kann. Die sind das Werk des Bildhauers Celestýn Klouček, der sie im Jahr 1899 anfertigte. Zu diesem Zeitpunkt gehörte das Gebäude übrigens dem Adelsgeschlecht der Grafen Sternberg. Franz Adam Graf von Sternberg, dem bereits das Nachbargebäude, der Sternberg Palais (Šternberský palác; siehe auch unseren Beitrag hier) gehörte, erwarb das Gebäude im Jahr 1761. Deshalb wird es manchmal statt Velikovský dům auch Šternberský dům (Sternberg Haus) genannt.

Obwohl die beiden Häuser architektonisch und stilistisch recht unterschiedlich sind, bilden sie im Erdgeschoss durch die spätmittelalterlichen Arkaden so etwas wie eine Einheit. Da sich der Arkadengang auch auf das neben dem Palais Sternberg gelegene Smiřický Palais (palác Smiřických) erstreckt, kann man heute bei Regen immer noch die gesamte Nordseite des Kleinseitner Rings trockenen Fußes bewältigen. Die angrenzende Ostseite des Kleinseitner Rings ist genauso gestaltet, was mit zur Schönheit des Ortes beiträgt.

Die Nachfahren von Graf Sternberg übergaben Haus und Palais übrigens 1901 dem Böhmischen Landesausschusses (was einer Landesregierung entsprach) hier statt, denn das Gebäude liegt sehr nahe beim Landtag im Palais Thun. Das Palais Thun ist heute der Sitz des tschechischen Abgeordnetenhauses. Beide Sternberg-Gebäude gehören seit 1993 zum Parlament. Um es als Verwaltungsgebäude des Parlaments nutzbar zu machen, renovierte man das Šternberský/Velikovský Haus. Dabei fand man auch die alte Sonnenuhr und setzte sie wieder instand. Ach ja, und wer mit der alt-tschechischen Zeitrechnung nichts anfangen kann, der findet eine zweite Sonnenuhr (zur Platzseite des Kleinseitner Rings hin), die die Stunden auch auch konventionelle Weise anzeigt. 1608 hat man halt an alles gedacht. (DD)