Kuh und Kalb

Selbst hartgesottene Freunde der Architektur des realsozialistischen Brutalismus müssen sich möglicherweise erst einmal an den Anblick gewöhnen. Dabei war das PZO Centrotex Gebäude (budova PZO Centrotex) am Náměstí Hrdinů (Heldenplatz) im Stadtteil Pankrác als das Schaufenster der ČSSR zur großen weiten Welt geplant.

Das Umfeld tut sein übriges. Man muss schon geschickt eine Perspektive aus dem kleinen Heldenplatz aussuchen, um so etwas wie das große Bild oben zu knipsen. Ansonsten ist das Ganze von breiten und lauten Verkehrsadern umflossen und der Großteil der Architektur drumherum repräsentiert den eintönigen Teil der modernen Architekur. Das Gebäude selbst wurde von 1974 bis 1977 nach Plänen der Architekten Václav Hilský und Otakar Jurenka durch eine jugoslawische Baufirma erbaut. Hilský war unter anderem für seine Beteiligung am Wiederaufbau des zerstörten Dorfes Lidice bekannt, in dem die Nazis 1942 einen Massenmord begingen (Nové Lidice). Und für Jurenka sollte das Centrotex Gebäude sein bedeutendstes Werk bleiben.

Auftraggeber und erster Bewohner für das Gebäude war das staatliche Unternehmen für Außenhandel (Podnik zahraničního obchodu, kurz PZO genannt), das viele Unterfirmen hatte, die für bestimmte Güterkategoriern zuständig waren. Centrotex war, wie der Name suggeriert, für den Textilhandel zuständig. Im Jahre 1974 war nämlich der aus den 1920er Jahren stammende Messepalast (Veletržní palác) in Holešovice (Prag 7) abgebrannt, der der PZO als Hauptzentrale diente (wir berichteten hier). Es wurden sofort neue Gebäude für die einzelnen Subbetriebe in Angriff genommen, etwa das Gebäude der PZO Koospol (Budova PZO Koospol) in Vokovice (Prag 6) für die Handelssektion für landwirtschaftliche Güter (wir berichteten hier). Und Centrotex landete in Pankrác. Bei allen neuen Gebäuden hegte man den Anspruch, architektonische Avantgarde vorzeigen zu können.

Denn der dem Bankrott entgegendümpelnde Realsozialismus wurde zunehmend vom Handel und den Devisen aus dem Westen abhängig. Dem gegenüber wollte man als dynamisch-moderner Partner erscheinen, auch in der baulichen Außendarstellung. Deshalb wurden auch die meisten repräsentativen Räume des Centrotex Gebäudes damals mit Kunstwerken ausgeschmückt – insbesondere natürlich Textilien, wie Wandteppiche, Vorhänge oder Teppiche. Auswärtige Handelsdelegationen sollten beeindruckt werden ob der Errungenschaften der Planwirtschaft. Und da spielte die Architektur eine Rolle. Der Brutalismus war ja in den 1970er Jahren nicht nur (wenngleich dort besonders) der Avantgardestil des Realsozialismus, sondern auch im Westen. Im Zeitkontext passte die Ästhetik zum Anliegen – ohne Zweifel!

Lassen wir hier an dieser Stelle Architekt Hilský zu Wort kommen, der später meinte: „Die Arbeit des Architekten sollte Licht und Schatten haben, sie sollte kompliziert gestaltet sein, es reicht nicht aus, nur einen Grundriss zu erfinden und dann das Gebäude herauszubringen. Der Architekt muss das Gesamtkonzept im Auge haben und versuchen, dem Gesamtwerk einen plastischen Ausdruck zu verleihen. Und genau das habe ich bei der Lösung des Centrotex Palace versucht.“

In er Tat enthält das Gebäude alle stilgerechten Ingredenzien, die ein brutalistisches Gebäude erfüllen muss: Roher Beton, Stahl und Glas zu kühnen und groben geometrischen Formen zusammengefügt. Mehrere Kuben sind horizontal und vertikal kombiniert. Im Grunde sind es so zwei unterschiedlich große Gebäude, die zu einem verbunden sind. Eines (im Süden) ist 74 Meter hoch und hat am Sockel eine Grundfläche von die Grundrisse des Gebäudesockels betragen etwa 60 x 20 Meter, das andere, nördliche, Gebäude ist erheblich flacher und misst 40 x 20 Meter Grundfläche. Irgendwie sieht das am Ende doch witzig aus, was sich auch in dem Nicknamen niederschlug, den die Prager dem Gebäude schon bald gaben: Kuh und Kalb (kráva a tele). Zumindest bdeuetet das eine Form der Anerkennung von Außergewöhnlichkeit seitens der Prager.

Hinzu kommen die betongesättigten Dachaufsätze (für Technik), die mit einiger Phantasie tatsächlich an Kuh- oder Kalbshörner erinnern und dem Ganzen vielleicht nicht das schönste, aber doch ein auffälliges Aussehen geben. Unter derm Gebäude wurde gleichzeitig 1974 auch die Metrostation Pražského povstání (Prager Aufstand), die mit ihrem Namen daran erinnert, dass in der Umgebung im Mai 1945 schwere Kämpfe des Prager Aufstands tobten, zu deren Gedenken man ein passend brutalistisch gestaltetes Denkmal anbrachten, über das wir bereits hier berichteten. Der geradezu surreal gestaltete Lüftungsschacht (Bild rechts) der Metrostation ist ästhetisch dem Stil des Centrotex-Baus angepasst und lässt das brutalistische Gebäude noch brutalistischer erscheinen als es sowieso schon ist.

Obwohl das Bauwerk immer noch nach Centrotex benannt wird, ist kein Centrotex mehr drin. Die Firma wurde nach dem Fall des kommunistischen Regimes privatisiert, hob aber wirtschaftlich nie richtig ab. Schulden türmten sich auf. Eine zu dem Zeitpunkt noch nicht privatisierte Bank vergab einen Riesenkredit zur Neupositionierung des Unternehmens. Es mögen alte Beziehungen eine Rolle gespielt haben, jedenfalls nahm man dabei die Sache mit den Sicherheiten recht lax. 1999 war klar, dass die Bank die 1,5 Milliarden Kronen nicht wiedersehen würde – ein Skandal, der damals Wellen schlug. Und 2000 kam die dann Liquidation von Centrotex.

Kurz darauf zog das Innenministerium der Tschechischen Republik hier ein, denn das Gebäude bot genügend geeigneten Platz für die dort beschäftigten Bürokraten. Ja, die Kollegen vom Außenministerium haben mit dem barocken Palais Czernin möglicherweise dann doch einen noch schöneren Arbeitsplatz (wir berichteten), aber das Gebäude hier funktioniert und ist auch noch zentral und verkehrsgünstig (mit eigenem Metroanschluss!) gelegen. Unten im Souterrain befinden sich sogar Läden zum Einkaufen. Und auch für die Architektur gilt: De gustibus non est disputandum! Für die, die kein Latein können: Auf Tschechisch heißt das „Proti gustu žádný dišputát.“ So auch beim Centrotex-Gebäude: Wenn es auf den ersten Blick nicht gefällt, muss man eben mehrmals hingucken. DD)

Hotel im stadtplanerischen Sündenfall

Für die kleine, aber wachsende und immer mehr an Selbstbewusstsein gewinnenden Minderheit der Freunde brutalistischer Architektur hat Prag ja so einiges zu bieten. So kann man sich etwa, wenn man will, im etwas außerhalb des Zentrums gelegenen Stadtteil Žižkov im Hotel Olšanka einquartieren.

Hier lernt man den Prager Brutalismus in seiner (inwischen allerdings ein wenig aufgebrezelten) realsozialistischen Reinkultur erleben. Erbaut wurde das Hotel an der Táboritská 1000/23 unterhalb der Anhöhe des Parukářka Parks in den Jahren von 1986 bis 1991 nach den Plänen der Architekten Zdeněk Jakubec und Jiří Kubišta, der schon zuvor durch seine ästhetisch ansprechenden Wohnhäuser einen gewissen Bekanntheitsgrad erzielt hatte.


Das Hotel wurde alternativ auch bisweilen etwas umständlich, aber treffend Congress Sport Hotel Olšanka genannt. Und tatsächlich ging man hier für Prag durchaus neue Wege, indem man ein Hotel mit Kongresszentrum und Sporthallen (inkl. Schwimmbäder) in einem Gebäude kombinierte. Die Architekten haben dies auch optisch umgesetzt. Sie haben aus den typischen Grundingredienzien des Brutalismus – roher Beton, Stahl und Glas – eine regelrechte Landschaft aus verschiedenen geometrischen Formen (meist Kuben, aber auch Oktogone, wie beim oben zu sehenden Kongresszentrum) geschaffen, die sich durch ihre Funktionen (Sport/Kongress/Hotel) auszeichnen.

Die Freude, hier ein originelles Stück Brutalismus sehen zu können, wird ein wenig durch das recht unschöne Umfeld gemindert. Wir befinden uns im Kern eines großen stadtplanerischen Sündenfall aus der Zeit der Normalisierung (die Herrschaft der kommunistischen Betonköpfe nach der Niederschlagung des Prager Frühlings) in den 70er und 80er Jahren. Viel billiger Wohnraum und schnell, dazu große Verkehrsachsen in die Stadt schlagen. Dieser Teil von Žižkov hatte zuvor noch viel von seinem urigen dörflichen Charme erhalten, wie man ihn hier auf frühen Photos erkennen kann. Er war als Ziel von Ausflügen und Sauftouren der Bohème (Jaroslav Hašek erwähnt ihn öfters).

In der Zeit, da das Hotel fertiggestellt wurde, befanden sich ringsum schäbige Plattenbauten und mehrspurige Asphaltpisten. In diesem Kontext urbanistischer Schande, wirkte ein brutalistischer Bau nur noch schockverstärkend. Gottlob ging man nach Ende des Kommunismus 1989 dazu über, die urbanistischen Potentiale dieses reizvollen Stadtviertels (also des Großteils, der Dank der Samtenen Revolution verschont geblieben war) besser zu gestalten. Denn: „Zizkov ist der erste der alten und hässlichen Bezirke, der sein Gesicht verändert hat – diese Aufgabe erwartet uns nicht nur hier und nicht nur in Prag“, drohte damals in kommunistischen Zeiten František Gebauer, der kommunistische Vorsitzende des Bezirksnationalausschusses (Obvodní národní výbor), der als Architekt für die Stadtplanung zuständig war. Es läuft einem der kalte Schauder den Rücken hinunter, wenn man darüber nachdenkt, welch Zerstörungswerk die Kommunisten im der Stadt angerichtet hätten, wären sie noch länger an der Macht geblieben.

An diesem Ort lässt sich das nicht mehr grundsätzlich städteplanerisch reparieren. Aber immerhin machte man sich bei dem Hotel selbst Gedanken. Das Äußere, so fand man, würde dem Anspruch der Gäste nicht mehr entsprechen. Drinnen wurde modernisiert (Klimaanlage, Inneneinrichtung) und draußen umgebaut. Das geschah nach den Plänen des Architekten Darek Dupal, der aber die Größe besaß, einen der beiden ursprünglichen Architekten, Zdeněk Jakubec, mit in seine Planungen einzubeziehen. Dadurch war Kontinuität und Feingefühl angesagt. Wie es vorher aussah, kann man auf dem Photo hier erkennen. Dupal sorgte unter anderem für eine elegantere Verschalung des Kongresszentrums mit Metall (weshalb das Ganze etwas weniger brutalistisch aussieht), überzog Fassaden mit neuem Lack, fügte einige dekorative Elemente hinzu und installierte eine geschickte Außenbeleuchtung.

Das Ganze war 2013 abgeschlossen. Wirklich retten tut es das Umfeld in Sachen Ästhetik noch nicht, aber es ist ein Anfang. Oder wenigstens eine kleine Wiedergutmachung. Betrieben wird das Hotel übrigens von der Immobilien- und Hotel-Verwaltungsgesellschaft Majetková (MSDU OS), die 1990 gegründet wurde und den Gewerkschaften gehört. Das passt ja vielleicht auch ein wenig aus denkmalpflegerischer Perspektive. So bleibt wenigsten ein bisschen der innere sozialistsiche „Charme“ erhalten. (DD)

Brutalistisches Gebetshaus in Eigeninitiative

Direkt neben dem berühmten Malvazinky Friedhof (wo Karel Gott beerdigt ist) in der Peroutkova 2482/57 im Stadtteil Smíchov (Prag 5) liegt dieses auffällige Gotteshaus der Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten (Církev adventistů sedmého dne, CASD).

Recht wuchtig wirkt die Architekur im Stile des Brutalismus, der in den 70er und 80er Jahren in Ost und West en vogue war, und für den es in Prag zahlreiche herausragende Beispiele gibt (einige präsentierten wir u.a. hier. hier und hier). Der Schöpfern dieser Bauwerke ging es darum, durch klare Konstruktionen mit rohen Beton und Stahl zu einem authentischen kulturellen Statement zu formen. Gerade in Tschechien wird er oft fälschlich mit der Zeit des Kommunismus verbunden, aber natürlich gab es ihn auch auf der guten Seite des Eisernen Vorhangs.

Erstaunlich ist daher eher die Tatsache, dass man überhaupt solch ein großes Gotteshaus in den Zeiten des staatsbefohlenen Atheismus gebaut hat. Denn das Gebäude wurde in den Jahren 1982 bis 1985 nach den Plänen des Architekten Václav Tříska gebaut. An der Stelle befand sich vorher die Begräbniskapelle des Neuen Jüdische Friedhof in Smíchov (Starý židovský hřbitov na Smíchově). Der Friedhof wurde aber schon seit Jahrzehnten nicht mehr aktiv für Beerdigungen genutzt, weshalb man die Kapelle für überflüssig hielt.Der Friedhof wurde 1990 für die Öffentlichkeit geschlossen, steht aber unter Denkmalschutz. Die Kirche hat extra eine Empore neben der Mauer bauen lassen, die eine Besichtigung von außen ermöglicht.

Die karge Betonstruktur passt vielleicht zum Inhalt. Denn das ist keine Kirche (kostel), sondern dem Selbstverständnis der Siebten-Tags-Adventisten gemäß ein Gebetshaus (modlitebna). Dieses Selbstverständnis erteilt jedwedem ornamentalen Prunk eine Absage. Da die freikirchlichen Adventisten an eine baldige Wiederkunft Christi glauben, wäre so etwas ein unangemessenes und unzeitiges Indiz von Verweltlichung. Wie viele evangelischen Gemeinden verbinden auch die Adventisten ihr Gebetshaus mit dem Anspruch, gleichzeitg kulturelles und soziales Zentrum zu sein. Deshalb wurde ein etwas stilfremdes (im Bild links oberhalb auf der rechten Seite zu sehen) Nebengebäude gebaut, in dem es Pfarramt, Säle und Unterkünfte gibt.

Dafür, dass die Gemeinde sehr aktiv ist, spricht, dass das Gebetshaus – dem ja jede staatliche Unterstützung unter dem Kommunismus versagt war – mit viel Eigeninitiative errichtet wurde. In ihrer Freizeit halfen die Mitglieder damals bei den Bauarbeiten kräftig mit. Sonst wäre ein Gebetshaus dieses Ausmaßes wohl hier nicht entstanden. Zumindest der gesamte Vorplatzbereich ist architektonisch wohl gelungen, was selbst zugeben muss, der sonst mit brutalistischer Architektur wenig anfangen kann. Die weite Treppe und die kantig gefaltete Front, in die geschickt ein kreuzförmiges Fenster integriert wurde, sind durchaus formschön und originell. (DD)

Tunnelverwaltung und Geheimtipp für die Freunde des Brutalismus

Direkt vor dem großen Stadion Strahov (Velký strahovský stadion) im Stadtteil Břevnov findet man eines der Meisterwerke der Architektur des Brutalismus in Prag. Es ist das Gebäude der Tunnelverwaltung TSK (Budova správy tunelů TSK) in der Šermířská 2335/11.

Den Tunnel, über den es wacht, sieht man natürlich und naturgemäß nicht, weil er sich tief unter der Erde im Inneren des Berges befindet, auf dem das Gebäude steht. Das kühn mit Rohbeton, emaillierten Kacheln, Aluminiumrahlen und blau/grau getöntem Glas konstruierte Gebäude wurde in den Jahren 1980 bis 1981 nach den Entwürfen des Architekten Jiří Trnka, dem Sohn des ungleich bekannteren gleichnamigen, Malers, Bildhauers und Trickfilmregisseurs, erbaut. Der wiederum ist unter anderem durch den Bau der Metro-Station am Prager Hauptbahnhof bekannt geworden, die im Jahr 1974 eröffnet wurde.

Zu dieser Zeit hatte man mit der Umsetzung des Plans für den Bau des Strahov Tunnels (Strahovský tunel) begonnen, der als schnelle Umfahrungsmöglichkeit die enge Innenstadt vom Autoverkehr entlasten sollte. 1979 hatte man mit einem ersten Erkundungsstollen begonnen und 1985 fingen die eigentlichen Bauarbeiten am Tunnel an. Die dauerten dann bis zum Jahr 1997.

Im Bild links sieht man die Einfahrten des Tunnels für die beiden Fahrtrichtungen von der Smíchover Seite aus. Mit seinen 2004 Meter Länge ist er immer noch der längste seiner Art in ganz Tschechien. Als er geplant wurde, herrschte noch der Kalte Krieg und die Menschen hatten Angst vor dem Atomkrieg. Deshalb bekam der Tunnel so dicke beweglich schließbare Stahltüren für den Notfall, dass er zum Atombunker umfunktioniert werden konnte, der Platz für 15.000 Menschen mit einer maximalen Aufenthaltsdauer von 72 Stunden samt Nahrungs- und Wasserversorgung bietet.

Der atomare Notfall trat gottlob nie ein. Stattdessen wurde der Tunnelverkehr mit immer moderner Videotechnik ordentlich überwacht, die Anlage gut instandgehalten, der Abgasgehalt gemessen und kontrolliert und sowieso alles gut und ordentlich verwaltet. Und das tat man eben in dem schönen brutalistischen Verwaltungsgebäude vor dem Stadion. Hier zog 1980 bereits die Technische Straßenverwaltung (Technická správa komunikací, TSK) der Stadt Prag ein, die damals (genauer: ab 1977) den Prager Verkehrsbetrieben unterstand und heute immer noch hier, aber als stadteigene Aktiengesellschaft (ab 2014) residiert.

Das Verwaltungsgebäude, das von Brutalismus-Kennern manchmal liebevoll Raumschiff (kosmická loď) bezeichnet wird, ist aus vielschichtigen geometrischen Elementen komplex zusammengesetzt. Verschachtelt angesetzte Treppenaufgänge und Ummauerungen tun das Übrige, das Ganze optisch sehr abwechslungsreich erscheinen zu lassen. Da es noch vollumfänglich genutzt wird, bestehen auch keine Pläne, es abzureißen, wie es mit dem recht ähnlich und bedeutsamen Transgas-Gebäude in Vinohrady geschah (wir berichteten hier). Es scheint hier nicht einmal ein Streit darüber zu bestehen, ob man es entweder unter Denkmalschutz stellen oder abreißen soll. Es bleibt einfach, wie es ist.

Das ist gut so, denn letztlich ist das Gebäude ein Teil eines Ensembles, das man nicht zerstören darf. Zu diesem gehören noch zwei kleinere Nebengebäude und vor allem der Ventilationsturm des Tunnels, der neben einigen kleineren Luftschächten für die Belüftung des Tunnels sorgt. Der steht auf dem Vorplatz, den sich das Gebäude und das Stadion teilen. Ganze 48 Meter hoch ist er und drinnen sorgen 11 große Turbinen für die propere Entlüftung des von Abgas geschwängerten Tunnels. Vollendet wurde er schon 1990 und ist in seiner Eleganz seither so etwas wie ein Architekturdenkmal eigener Art geworden. Zusammen mit dem Stadion, das an dieser Seite ebenfalls in den 1970er Jahren brutalistisch umgestaltet wurde, hat man hier an diesem Ort ein Ensemble von Bauten, das als großer Geheimtipp für die wachsende Zahl der Brutalismus-Fans empfohlen werden darf. (DD)

Totalverwandlung

Das President Hotel in der Na Františku 100/2, direkt am Moldauufer im Norden der Altstadt sieht nach einem Meisterwerk des Brutalismus der 1970er Jahre aus, der rohen Beton, Glas und viel Stahl oft recht gigantoman in architektonische Form brachte. Der war lange Zeit als hässlich verpönt, hat aber in den letzten eine zunehmende Zahl von begeisterten Anhängern.

Nur, das Hotel President ist nicht ganz das brutalistische Gebäude, als das es erscheint. Es erweckt eher nur den Schein. In den Jahren 1927 bis 1928 wurde hier an diesem Ort nämlich ein großes Gebäude im Stil eines modernisierten Klassizismus nach den Plänen des Architekten František Krásný errichtet. Es sollte als Sitz des Verbandes der Ingenieure und Architekten (Spolek inženýrů a architektů, SIA) in der Tschechoslowakei dienen. Damals hieß es natürlich noch nicht Hotel President, sondern Budovatel (Baumeister) Stilistisch sollte es eine Einheit mit dem gegenüber liegenden Gebäude der Rechtsfakultät der Karlsuniversität bilden, das gerade gebaut und 1931 fertiggestellt wurde – siehe Bild rechts oberhalb, das deshalb wohl eine vage Vorstellung vermittelt, wie das Original-Budovatel aussah.

Und in seiner Ursprungsform blieb das Gebäude auch 1949, als die SIA aus- und der Weltgewerkschaftsbund einzog. Genauer gesagt: Das, was vom Weltgewerkschaftsbund übrig war, denn als Folge des Kalten Krieges hatten sich gerade die Gewerkschaften der demokratischen Länder als Internationaler Bund Freier Gewerkschaften abgespalten, sodass hier in Prag nur noch kommunistische Scheingewerkschaften repräsentiert wurden.

Das waren eigentlich keine richtigen Gewerkschaften im Sinne einer unabhängigen Arbeitnehmer- vertretung, sondern Erfüllungsgehilfen der staatlichen Planzielsetzung. Da die Gewerkschafter – ob echt oder nicht – trotzdem weiterhin viele Delagationsbesuche erhielten, begann man 1974 nach den Plänen der Architekten Karel Filsak und Václav Hacmac mit dem Anbau eines Hotels, das ebenfalls Budovatel hieß. Dieser Anbau, der schon im modern-brutalistischen Stil erfolgte, wurde 1978 fertiggestellt. Somit war auf einer Seite das klassizistische Äußere des alten Gebäudes durch ein neues überdeckt.

Als nächster Schritt wurde dann das Innere der beiden Gebäude miteinander verbunden. Ende der 1980er Jahre wurde die gesamte Fassade rundum umbaut. Wie man am großen Bild oben sieht, blieb an der Südseite, die der Rechtsfakultät gegenüberliegt, von der klassizistischen Ansicht nichts mehr übrig. Das galt auch für die Westseite zum Ufer (Bild links). Das Verschwinden der alten Fassade und die Errichtung der neuen war wiederum ein Werk von Karel Filsak, der in den Jahren 1968 bis 1974 auch das direkt benachbarte Hotel InterContinental (ein legendärer Bau, über den wir hier berichteten) entworfen hatte. Dadurch gewinnt die Überbauung auch einen optisch-ästhetischen Sinn. Nun war das Gebäude nicht mehr mit der Rechtsfakultät abgestimmt, sondern mit dem harmonisch passenden und größeren Hotel InterContinental.

An der Fassade zur Rechtsfakultät wurde allerdings 1988 ein ästhetisches Element hinzugefügt, nämlich eine Skuptur, die von einem über alle Stockwerke reichenden Rahmen umgeben ist und vor der obersten Etage angebracht ist. Das Knstwerk hat den Titel Křídlo (Flügel) und wurde von dem bekannten Bildhauer Josef Klimeš entworfen, dem Schöpfer der berühmten Nilpferdbadewannen (wir berichteten hier) an der Barrondovbrücke, über die wir hier berichteten. Der starre Rahmen steht in anregendem Kontrast zu den nicht ganz parallel verlaufenden horizontalen Strukturen der Fassade an dieser Seite.

1999 zogen die nunmehr im demokratisch gewordenen Lande als Fremdkörper empfundenen Gewerkschafter nach Athen um. Danach begannen umfangreiche Pläne, das Ganze – bisher formal aus zwei Teilen bestehende – Gebäude zu einem großen Hotel (nun President genannt) umzuwandeln. Die 2004 beendeten Umbauten durch die deutsche Firma Hochtief hatten eine daher eine totale Neukonstruktion des Innenbereichs zur Folge. František Krásný hätte sein altes Gebäude nun definitiv nicht mehr wiedererkannt. Die Zahl der Hotelzimmer erhöhte sich z.B. von 101 auf 134. Es gilt als ein modernes Hotel der Luxusklasse (5 Sterne). Kaum ein Gebäude in Prag hat sich in so relativ kurzer Zeit so restlos in etwas anderes verwandelt wie das Hotel President. (DD)

Vom alten Kulturpalast zum modernen Kongresszentrum

Ob man es mag oder nicht: Das Kongresszentrum (Kongresové centrum Praha) dominiert sein Umfeld – schon aufgrund seiner massiven Gestalt und Größe und seiner weithin unübersehbaren Lage. Und unter der zunehmenden Zahl der Anhänger brutalistischer Architektur aus der kommunistischen Zeit erfreut es sich einer gewissen Beliebtheit unter Kennern.

Es war als großes Prestigeprojekt geplant. Alle großen Hauptstädte der kommunistischen Welt hatten damals sogenannte Kulturpaläste. Das waren repräsentative und meist enorm dimensionierte Mehrzweckgebäude für kulturelle Zwecke, mit Konzertsälen. Theatern, Kino, später Diskotheken, Sporteinrichtungen und vieles mehr. Beim Palast der Republik der „DDR“ in Ost-Berlin brachte man sogar das, was man damals „Parlament“ (Volkskammer) nannte, darin unter.

Für die kommunistische Führung der tschechoslowakei war klar, dass man so etwas ebenfalls brauche (allerdings ohne Parlament). Und fasste man 1975 den Beschluss, dass man hier ebenfalls so etwas zu bauen habe. Als Standort wählte man den Prager Stadtteil Pankrác aus, hoch über dem steilen Abhang des Nusletals, was das Kulturangebot durch eine schöne Aussicht ergänzte. Das Ganze wurde dem Architekten Vladimír Conk vom Prager Miltärprojektinstitut (Vojenský projektový ústav) übertragen, der noch während der Fertigstellung 1980 starb, so dass danach sein Kollege Josef Šnejdar das Szepter übernahm und das Projekt vollendete.

Ein Team talentierter Architekten wurde zusammengestellt, bestehend aus Jaroslav Mayer, Vladimír Ustohal, Antonín Vaněk und Josef Karlík. 1976 begann man schon mit dem Bauen. Im Laufe der Zeit kamen noch andere Architekten, insbesondere für die Innengestaltung, hinzu. Man stand unter einem gewissen Zeitdruck. Das half, denn schon 1981 konnte Präsident Gustáv Husák das Gebäude feierlich einweihen. Der neue Kulturpalast füllte sich schnell mit Leben, weil schließlich nur dort die größten Events stattfinden konnten. Aber nur solange der Kommunismus herrschte. 1989 wurde nicht nur der beendet, sondern auch die mit ihm verbundene Vorliebe für die Zentralisierung von Kultur an einem Ort. Prag verfügt schließlich über ein großartiges Angebot an Kulturstätten. Immerhin leiste das Gebäude noch einen wertvollen Dienst für alle, die vom Kommunismus die Nase voll hatten, denn in einigen Räumen des Gebäudes fanden Ende 1989 Verhandlungen zwischen den alten Machthabern und den demokratischen Dissidenten über die friedliche Machtübergabe statt. Das Kulturzentrum kann sich daher rühmen, zu den historischen Freiheitsorten der Stadt zu gehören.

Und funktionell und nützlich war das Gebäude ja immer noch. Also dachte man umgehend über neuer Nutzungen nach. Dazu wurde es 1992 zuerst der Stadt Prag als Eigner übergeben, die das Ganze 1995 in eine Aktiengesellschaft mit staatlicher Beteiligung unter dem Namen Prague Conference Centre. Die modernisierte das Gebäude in den Jahren 1998 bis 2000 und baute es zum Kongresszentrum um, zu dem auch ein Hotel gehört. Und Kongresszentrum ist es – nicht nur dem Namen nach – immer noch.

Dazu bietet es die perfekten Dimensionen: 9300 Teilnehmer können in mehr als 50 Sälen, Salons und Besprechungsräumen konferieren. Der größte Saal ist der Kongressaal mit einer maximalen Kapazität von 2764 Plätzen. Der – und andere Räume – werden übrigen auch weiterhin für Kulturveranstaltungen genutzt. In Sachen Konferenzen wurde das Gebäude rasant zur großen Anlaufstelle. Schon im (Wieder-) Eröffnungsjahr 2000 fand die Jahrestagung des International Monetary Fund statt.Große Nummer! 2002 hielt die NATO hier ihren Gipfel ab und 2009 die Ratspräsidentschaft der EU. Nicht zu vergessen, dass in der Szene der Gastroenterologen und Heptatologen 2017 bei der internationalen Konferenz der ESPGHAN nicht nur das Konferenzprogramm, sondern auch die Räumlichkeiten Begeisterung ausgelöst haben dürften. Vermute ich jedenfalls. Jedenfalls wird derjenige, der drinnen tagt mit einem schönen Ausblick auf Alt- und Neustadt belohnt (siehe Bild oberhalb links).

Noch ein paar Worte zur Architektur. Von weitem sieht das Ganze (zumindest bei oberflächlicher Btrachtung) mehr oder wie ein rechteckiger Klotz aus Beton Glas aus. Näher betrachtet sieht die Sache anders aus. In Wirklichkeit handelt es sich um sehr unregelmäßig verschachtelte Kuben, die da zusammengeführt wurden. Es ist eine durchaus komplexe Struktur (man erahnt es am großen Photo oben), wie das bei brutalistischen Gebäuden der Zeit übrigen oft er Fall war.

Zudem ist dem Ganzen zur Hangseite eine arechitektonisch abgestimmte große Terrasse vorgelagert, die nicht nur eine tolle Aussicht bietet, sondern mit etlichen, oft stilistisch abgestimmten (also aus Beton bestehenden) Kunstdenkmäler übersäht ist. Oben rechts sieht man ein Beispiel dafür. Ein anders stellten wir hier genauer vor. Alles ist von Grünflächen und sogar (ganz unbrutalistischen) Bäumen durchsetzt.

Und wie sieht es innen aus? Es dominieren die klaren geometrischen Formen und vor allem eine Größendimension, die den Besucher fast ein wenig einschüchtern. Nicht nur die Konferenzsäle, sondern auch die Gänge und Foyers sind gigantisch. Die Stahlstrukturen wirken in ihrer weitläufigkeit für sich – aufgelockert durch die originell verschachtelten Treppenhäuser (Bild oberhalb rechts).

Und um künstlerische Ausgestaltung bemühte man sich auch und es es in Planern der Renovierung von 1998 bis 2000 zu verdanken, dass dabei der Grundcharakter des Ursprungsbau behutsam behandelt wurde. Die Säle wurden individuell von Künstern gestaltet. Bei vielen dominiert ein Farbton. Wände und Decken wurden mit unterschiedlichen geometrischen Elementen gestaltet. Auch einige echte Kunstwerke gibt es zu sehen. Das bekannteste ist der im Foyer des ersten Stock zu sehende Gobelin mit dem Titel Živly (Elemente), den im Jahre 1980 der Maler Rudolf Riedlbauch und seine Kollegin Ludmila Kaprasová anfertigten.

Ja, der alte Kulturpalast aus den „alten Zeiten“ hat die Transformation zum modernen Kongresszentrum (den Namen erhielt es 1995) gut bewältigt, ohne seine künstlerische Substanz völlig aufgeben zu müssen. Und a man von hier aus zwar das alte Prag sehen kann, es selbst aber nicht das Stadtbild stört (glücklicherweise liegt es auch noch optisch recht passend in einem heutigen Hochhausviertel) scheint es auch eines der wenigen völlig unumstrittenen Großprojekt der kommunistischen Zeit zu sein. (DD)

Stahl – dem Brudervolk entrissen

Der in den Jahren 1976/77 gebaute Wasserturm Děvín (Vodárenská věž Děvín) thront hoch über dem Naturschutzgebiet des Prokoptals (Prokopské údolí) und neben dem denkmalgeschützten Areal der altslawischen Wallburg von Děvín (hrad Děvín) – über die wir hier berichteten – im Südwesten Prags. Man glaubt es kaum, aber das im Stil des sozialistischen Brutalismus als Stahl, Glas und Beton konstruierte Gebäude nimmt sich tatsächlich recht dekorativ aus in seiner Umgebung.

In den 1970er Jahren wurden etwas unterhalb größere Wohnsiedlungen im Ortsteil Dívčí Hrady erbaut. Die benötigten natürlich eine Wasserversorgung. Mit dem Bau des dazu notwendigen Wasserturms beauftragte man die (damals staatliche) Firma Stavoprojekt, die dann 1972 für die Planung die Architekten Karel Hubáček und seinen Kollegen Zdeněk Patrman anheuerte, die bereits wegen ihres gemeinsamen Entwurfs für den imposanten Fernsehturm Ještěd (1973) im Jeschkengebirge berühmt geworden waren. Man zog also durchaus Meister ihres Fachs heran, damit hier ein Turm entstehen möge, der sich nicht als schrecklicher Fremdkörper in der Landschaft erweisen sollte – eine ästhetische Rücksichtnahme, die man in kommunistischen Zeiten nicht immer walten ließ. Unter den vielen Wassertürmen, die in dieser Zeit gebaut wurden, ragt er optisch schon positiv heraus.

Die Architekten schufen einen aus drei gleichwinklig zueinander stehenden Pfeilern mit Stahl-Ummantelung bestehenden Turm, dessen Zwischenräume mit Glas versiegelt wurden, sodass die Treppe innen windgeschützt war. Das ist eine recht einzigartige Konstruktion für Nutzgebäude dieser Art. Auch technisch unterscheidet sich der satte 50 Meter hohe Wasserturm von anderen Wassertürmen. Das erahnt man das schon eventuell als Experte, wenn man ihn von weitem sieht. Es ist oben anscheinend kein großer Tankraum für die Ansammlung von Trinkwasser, das sich dann mit Schwerkraftwirkung in die Leitungen drückt, wie das bei traditionellen Wassertürmen der Fall ist (Beispiele stellten wir u.a. hier und hier vor). Das Pumpwerk sollte der Dämpfung von Druckstößen dienen, die durch den Wasserzufluss der weitab und vor allem höher gelegenen Talsperren Jesenice und Švihov kamen. Das Pumpwerk besteht heute aus drei Pumpen mit einer Leistung von 1800 Litern pro Sekunde.

Als 1976 die Bauarbeiten begannen, war die Wohnsiedlung, deren Wasserversorgung durch den Turm gesichert werden sollte, fast fertiggestellt. Dann kam es zu einem Eklat. Einer der Firmen, die den Stahl liefern sollte, die Klement Gottwald Eisenwerke Vitkovice (Vítkovické železárny Klementa Gottwalda), wollte anscheinend ihrem schändlichen Namen gerecht werden. Klement Gottwald, der Namenspate, war der erste kommunistische Präsident der Tschechoslowakei und führte 1948 das Land in die stalinistische Diktatur. Da das sozialistische Bruderland, die Sowjetunion, der Firma einen kurzfristigen Auftrag erteilt hatte, den man nicht abzulehnen können meinte (der Bruder war ja in Wirklichkeit der allmächtige Boss), beschloss man einfach, die vertragliche Verpflichtung gegenüber den wackeren Turmbauern nicht einzuhalten. Die mussten bei den lokalen Behörden alle Hebel in Bewegung setzen, bis am Ende Anweisungen von höchster Stelle kamen, den Stahl doch zu liefern. Um ein Haar wären Menschen in ihre Wohnungen gezogen, um dann auf längere Zeit kein fließendes Wasser geliefert zu bekommen. Das konnte im letzten Moment noch abgebogen werden. Was die Sowjets dazu sagten, dass man ihnen den bereits sicher geglaubten Stahl entrissen hatte, ist mir nicht bekannt.

Ganz oben hat man schon vor einer technischen Erneuerung des Turms in den Jahren 2019/20 unzählige Antennen an einem Gerüst angebracht, um Prags Funk-Kommunikation zu verbessern. Das ist zwar vom Nutzensgesichtspunkt sicherlich sinnvoll, aber ästhetisch betrachtet sehr schade. Der Ursprungsbau von war noch von keinem Antennengewirr umgeben. Da man, dass Architekt Hubáček ganz oben die drei Stahlpfeiler mit je eier Querverbindung verknüpft hatte, damit dann seine Namensinitiale „H“ in alle Himmelsrichtung sichtbar wurde – ein Stück witziger Eigenwerbung also. Das ist – wie das Bild rechts zeigt – nunmehr allenfalls mit Mühen erkennbar. Aber auf alten Photos (siehe Bild 3 dieser Photogalerie) kann man das „H“ noch deutlich sehen. (DD).

Schräge Brücke

Sie ist in jeder Hinsicht eine schräge Brücke, die Eisenbahnbrücke Holešovice (Holešovický železniční most). Denn sie führt nicht in kürzester Linie (dem rechten Winkel) über die Moldau und hat auch noch eine deutliche Steigung.

Wer etwa mit dem Zug von Berlin nach Prag kommt, wird unweigerlich über sie hinweg fahren, denn sie verbindet unter anderem den ersten Prager Zwischenhalt auf der Strecke, den Bahnhof Holešovice, mit dem Hauptbahnhof (wir berichteten hier). Sie ist historisch gesehen die fünfte Eisenbahnbrücke, die in Prag über die Moldau führt. Die erste war das etwas nördlich der Altstadt gelegene Negrelli-Viadukt (1850), gefolgt von der ersten Vyšehrad-Brücke (1872), die 1901 durch eine neue, zweite Brücke ersetzt wurde, die heute noch existiert. Die Nummer vier wurde dann die Braník Brücke (1955), über die wir hier berichteten. Die Eisenbahnbrücken, die nicht über die Moldau führen, sind nicht mitgezählt (ein besonders schönes Beispiel stellten wir hier vor).

Sie ist kein Touristenmagnet und sicher auch eine der weniger bekannten Brücken. Dafür beeindruckt sie durch ihre Maße. Rund 387,5 Meter lang ist sie, wobei der größte Teil davon am Ufer von Holešovice über Land führt. Dabei ist sie in fünf identisch gebaute Segmente aufgeteilt, die auf V-förmigen Pfeilerkonstruktionen ruhen. Alles ist roher Beton und Stahl, so wie es in der Zeit ihrer Errichtung 1975/76 üblich war. Brutalismus nannte man den damals nicht nur in kommunistischen Ländern verbreiteten Stil, der lange Zeit als Scheußlichkeit verpönt war, aber heute immer mehr Anhänger findet. Und man muss auch zugeben, dass die großen Pfeiler der Brücke aus der Nähe betrachtet recht kolossal und überwältigend wirken. Ohne die Sprayereien, die hier leider hinterlassen wurden, würde das Ganze noch eindrücklicher wirken.

Ja, und dann ist das die Aufwärtsneigung der Brücke, die von Holešovice 45 Grad oder 0,55 Prozent beträgt. Wie man das berechnet, weiß ich auch nicht, aber hier findet man eine Anleitung. Aber auf jeden Fall scheint es relativ steil für eine solche Brücke zu sein. Der Weg aufwärts führt direkt zu einem Tunnel, der sich unter einer über dem Ufer emporragenden Felsformation namens Bílá skála (Weißer Felsen) im gegenüber liegenden Ortsteil Libeň) öffnet. Und mit diesem Tunnel sind wir schon bei der nächsten Sache, die an der Brücke schräge ist.

Die Eisenbahnbrücke ist die einzige in Prag, die den Fluss nicht senkrecht, sondern quert. Der Brückenkopf von Holešovice (linkes Ufer) befindet sich deutlich sichtbar weiter stromabwärts als der rechte Brückenkopf (Ufer von Libeň). Das sollte aber keineswegs eine bloße Spielrei sein, sondern hatte handfeste Gründe.

Man hatte anscheinend beim Bau der Brücke von den Fehlern des Bau der Braník Brücke zwischen 1948 bis 1955 gelernt. Die führt auch in einen gegenüber liegenden Tunnel, der dann eine Kurve im Berg machen sollte, damit die Strecke am Ende wieder parallel zum Ufer des Flusses verlaufen konnte. Weil die Brücke senkrecht auf den Fels zulief, hatte man die Kurve sehr eng gestaltet und am Ende war das Ganze nur ein- statt zweispurig befahrbar und das auch nur mit kleinen Zügen. Eine kostspielige technische Panne, die es nun natürlich zu vermeiden galt Bei einem schräg einfahrenden Tunnel ließ sich das ohne allzu viel Aufwand (der sich beim Graben eines zwangsläufig viel weiteren Bogens ergeben hätte) verhindern. Und so ist der Eisenbahntunnel unter den Bilá Skála (Železniční tunel pod Bílou skálou) mit seinen 331 Metern Länge, der in den Jahren 1967 bis 1974 vob der damals noch staatlichen (seit 1992 privatisierten) Konstruktionsfirma Sudop Praha gebaut wurde, bis heute tadellos und ohne Kapazitätsprobleme für den anfallenden Zugverkehr geeignet.

Auf beiden Ufern kann man jeweils auf einem kleinen Wanderweg unter der Brücke hinweggehen, die sich nur wenige hundert Meter flussaufwärts der Brücke der Barrikaden (Most Barikádníků) von 1980 befindet, und über die wir bereits hier berichteten. Auf dem Ufer von Holešovice stößt man dabei, wie man im Bild rechts sieht, auf überwucherte Relikte der Zeit, als es die Brücke noch nicht gab, dafür aber die Bahn am Ufer entlang Richtung Innenstadt fuhr.

Noch eine Bemerkung zur Technik. Die großen, vorgefertigten Komponenten der Brücke konnten so zusammengefügt werden, dass für die Fertigstellung der Flussverkehr nicht gesperrt werden musste. Ende 1975 konnte man bei der Brücke schon Belastungstests durchführen, die sie perfekt bestand. Der talentierte Architekt, der die Brücke für die damals staatliche Firma Stavby silnic a železnic (Verkehrs- und Eisenbahnbau) entworfen hatte, erlebte es nicht mehr, wie die Brücke im Dezember 1976 für den Verkehr freigegeben wurde. Vilém Možíš starb schon Ende 1975 – bevor die Züge über seine Brücke rollten. (DD)

Jüdischer Friedhof, seit 1990 geschlossen

Als in der zweiten Hälfte im Zuge der Industrialisierung die Gesamtbevölkerung von Smíchov dramatisch anwuchs, wuchs auf die jüdische Gemeinde dort. Und die brauchte einen eigenen Friedhof, der auch ihren religiösen Vorschriften entsprach. Zwar gab es bereits den sogenannten Alten Jüdischen Friedhof in Smíchov (Starý židovský hřbitov na Smíchově; unser Bericht hier) aus dem Jahre 1788, aber es war absehbar, dass der allmählich zu klein wurde.

Also wurde im Jahre 1903 der Neue Jüdische Friedhof in Smíchov (Starý židovský hřbitov na Smíchově) gegründet. Was die Frage des Ortes für den neuen Friedhof anging, so war die leicht zu beantworten. Denn es gab unterhalb im Tal beim Ortsteil Malvazinky bereits Land, das bereits zur Nutzung als Friedhof ausgewiesen war. 1875 war hier nämlich der große Friedhof Malvazinky (heute bekannt als der Begräbnisort für Karel Gott) für die nicht-jüdischen Bürger Smíchovs, das damals übrigens noch nicht zu Prag gehörte (das kam erst 1922). Bei den verschiedenen neuen Friedhöfen wurden damals meist großzügige Vergrößerungskapazitäen vorsorglich eingeplant. Und das recht liberale Smíchov stellte das entsprechende Land gerne der örtlichen Beerdigungsbruderschaft (Hebräisch: Chewra Kadischa) der jüdischen Gemeinde zur Verfügung. Obmann der Bruderschaft und Tempel-Vorsteher der damals recht großen Israelitischen Cultusgemeinde in Smíchov war damals der Unternehmer Heinrich Taussig, der 1908 verstarb und somit zu den früh dort Begrabenen gehörte. Nur eine kleine Mauer (Bild oberhalb links) trennt den allgemeinen vom jüdischen Friedhof.

Der Alte Jüdische Friedhof wurde stillgelegt und bis in die 1930er Jahre allenfalls sporadisch für Beerdigungen geöffnet. Der Neue Jüdische Friedhof von Smíchov war schließlich groß genug angelegt. VIele örtlich Prominente fanden hier ihre letzte Ruhestätte, nicht nur Heinrich Taussig und viele seiner Familienangehörigen, sondern zum Beispiel auch die Angehörigen der Familie großen Industriellendynastie Portheim (wir erwähnten sie u.a. hier und hier). Zu erwähnen ist auch der Jurist, Übersetzer und sozial engagierteDichter Friedrich Adler, der u.a. die deutsche Übersetzung von Bedřich Smetanas berühmter Oper Die Verkaufte Braut (Prodaná nevěsta) anfertigte, die wahrscheinlich heute weltweit häufiger gespielt wird als die tschechische Originalfassung.

6025 Quadratmeter rund 800 Gräber umfasst der Friedhof heute. Allerdings war er ursprünglich größer ausgelegt. Durch den Holocaust der Nazis waren fast alle jüdischen Gemeinden geschrumpft. Der zentrale, 1890 gegründete Neue Jüdische Friedhof (Nový židovský hřbitov), die jüdische Sektion des großen Olšany-Friedhof in Žižkov, wurde nun immer mehr Hauptbegräbnisstätte für die verschiedenen jüdischen Gemeinden in Prag. Weil das Land für einen Zuwachs an Grabstätten absehbar nicht mehr genutzt werden würde, wurde ein unbenutzter Teil im Norden des Friedhof als Bauland freigegeben.

In den Jahren 1982 bis 1985 wurde ein Teil für den Bau eines, architektonisch recht brutalistisch gestalteten Gotteshauses (Bild links) der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten verwendet. Im Jahre 1990 wurde der Friedhof dann endgültigstillgelegt, das heißt, nicht mehr für neue Begräbnisse genutzt. Der Friedhof wurde darob auch für Besucher geschlossen, was verständlich wegen der Gefahr von Grabschändungen, aber auch traurig ist, weil der Friedhof über die Jahre einen schönen alten Baumbestand entwickelt hat, der zum meditativen Spazieren durch die Anlage eigentlich einlädt. Hinzu kommen viele schöne Grabsteine, die viel über die Grabkultur der Zeit des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts sagen. Die Adventisten waren aber immerhin so nett, dass sie vor der Mauer am Eingang eine erhöhte Rampe installierten, die als eine Aussichtsplattform dient und den Blick über fast das ganze Areal erlaubt. (DD)

Wenig frequentiert, aber ästhetisch ansprechend

Die Metrostation Radlická wurde am 26. Oktober 1988 eröffnet. Sie liegt an der Metrolinie B (gelb) im Südwesten Prags. Die von der Architektin Hana Labounková entworfene Station (Baubeginn 1984) hat etliche Besonderheiten aufzuweisen.

Da ist zunächst einmal der Name. Sie gehört nämlich zu den wenigen vor 1989 gebauten Metrostationen, die imer noch ihren ursprünglichen Namen tragen. Viele andere Stationen insbesondere im südlichen Verlauf der Linie B trugen nämlich zuerst nicht den lokalen Ortsnamen, sondern waren dem sozialistischen Brudervolk (wie die Station Anděl, die ursprünglich „Moskva – Praha“ hieß) oder kommunistischen Parteigranden (etwa bei der Metrostation Roztyly, die zunächst nach dem stalinistischen Bürgermeister Václav Vacek benannt war) gewidmet. Das war bei der Radlická nicht der Fall. Rein geographisch nach dem sie umgebenden kleinen Ortsteil Radlice (in Prag 5) benannt, blieb den Nutzern das Erlernen eines neuen Namens nach der Samtenen Revolution erspart. Radlická blieb Radlická – bis heute.

Vielleicht hatten die kommunistischen Machthaber in ihrer historischen Endphase die Station nicht mehr als wichtig genug empfunden, um sie als ideologische Bannerträgerin zu nutzen. Sie ist nämlich die am wenigsten frequentierteste Station im Prager Metro-System. In der morgentlichen Rush Hour steigen im Durchschnitt nur rund 2400 Menschen hier ein und aus. Der Grund ist wohl, dass es in der Umgebung es recht wenig große Wohnzentren und -blöcke gibt. Sieht man die Station von außen, würde man das alles kaum glauben. Denn die Anlage und der Vorplatz sind außergewöhnlich großzügig gestaltet. Der Eingangsbereich wurde an einen Hang gebaut und der Vorplatz liegt etwas vertieft, so dass fast der Eindruck eines großen rechteckigen Amphitheaters ensteht. Betritt man dann drinnen die Lobby, stellt man fest, dass sie relativ klein ist. Es gibt auch nur eine Lobby, während es bei anderen Stationen zwei (d.h. eine an jedem Ende) gibt.

Womit wir bei den Maßen der Station Radlická sind. Es fängt schon damit an, dass sie eine vergleichsweise geringe Tiefe hat. Lediglich 11,5 Meter geht es zum Bahnsteig hinunter. Die Metrostation Vinohrady mit ihrer rekordverdächtigen Rolltreppe liegt zum Beispiel ganze 53 Meter tief unter der Erde, also beinahe das fünffache! Deshalb wurde sie sich nicht wie ein unterirdischer Tunnel gebaut, sondern im „Tagebau“ ausgegraben. Eine Rolltreppe gibt es auch nicht, aber immerhin einen Lift. Die Gesamtlänge der Station beträgt 251 Meter, wovon etwas über 100 Meter den 10,16 Meter breiten Bahnsteig ausmachen, der Rest wird für verschiedene technische Einrichtungen verwendet. Der Bau wurde von der 1971 gegründeten, damals staatlichen (aber seit 1992 privatisierten) Bau- und Infrastrukturfirma Metroprojekt durchgeführt.

Und dann ist da noch die ästhetische Dimension, die man bei manchen Stationen in der Phase zu Ende des Kommunismus mal gerne beiseite ließ, was aber hier nicht der Fall war. Die ungewöhnliche Hügellage inspirierte wohl zu einer ihr angepassten Gestaltung. Die Station setzt sich durchaus von anderen der Zeit ab.

Außen handelt es sich ein Werk des sozialistischen Brutalismus. Besonders die großen Treppen zeugen von dem stil-typischen Formwillen in rohem Beton. Zusätzlich wurden farblich kontrastierende Keramik-Kacheln angebracht, die ein wenig auf den ersten Blick wie Ziegel wirken. Das nimmt dem ganzen ein wenig die Wuchtigkeit und lässt es weniger brutalistisch erscheinen als es (technisch gesehen) ist.

Auf dem Vorplatz findet sich eine stilistisch einwandfrei dazu passende abstrakte Skulptur in Granit und Bronze. Der Name der Skulptur lautet Beziehung von Technik und Natur (Plastika Vztah přírody a techniky) darstellen, wobei eine Art Zwiebel aus Bronze den Aspekt der Natur symbolisiert, während die sie umrahmenden kantigen Granitblöcke die Technik repräsentieren. Die Natur scheint sich dabei von den Fesseln der Technik zu befreien. Die Plastik ist das Werk des vielseitige Malers und Bildhauers Zdeněk Hošek, der nicht nur abstrakte Sujets beherrschte, sondern auch realistische Statuen anfertigte, wie etwa sein Denkmal des berühmten Komponisten Antonín Dvořák (1982) in dessen Geburtsort Nelahozeves – sein vermutlich bekanntestes Werk.

Drumherum befinden sich halbkreisförmig angeordnete Sitzbänke. Wer bei gutem Wetter sich hier hinsetzt, bekommt wegen der Lage in einer Senke und der leichten Begrünung oberhalb wenig von der etwas einfaltslosen Architektur der Umgebung mit, sondern könnte meinen, man befinde sich in einer bebauten Insel im der Natur. Was nicht ganz falsch ist, den von hier aus kann man, sobald man die unmittelbare Umgebung verlassen hat, tatsächlich schöne Wanderungen durch die bergige Landschaft machen (um etwa das hier zu sehen). Es handelt sich um einen touristischen Geheimtipp.

Gehen wir hinein. Auffallend ist die meist in Türkistönen gehaltene Verkachelung, wobei die Kacheln stark glänzen. Das lässt zum Beispiel die sehr kleine Lobby etwas größer und luftiger aussehen. Wie überhaupt in der Station Radlická gerne mit Lichteffekten gearbeitet wurde. Ästhetisch verstärkt wird der Effekt durch ein dreifarbiges Kachel-Mosaik (Bild rechts), das über dem Treppenaufgang installiert ist. Gestaltet wurde dieses Mosaik von dem Designer und Bildhauer Alexius Appl, der schon an der skulpturalen Gestaltung der ebenfalls zur Linier B gehörenden Metrostation Palmovka (1987) mitgewirkt hat. Farblich ist das Mosaik mit der Bekachelung der Lobby abgestimmt. Sicher, man darf hier keine künstlerische Sensation erwarten, aber insgesamt ist die Station recht ansprechend gestaltet. Das gilt auch für den Bahnsteig unterhalb. Dort reflektiert sich eine geschickte gelbfarbene Beleuchtung – man sieht sie im großen Bild oben – in den ebenfalls türkisen Kacheln. Die zwischen den Leuchtkörpern befindlichen Lamellen bieten einen optsichen Kontrats dazu. Sie sind allerdings nicht nur ein passend gestalteter Teil der künstlerischen Gestaltung, sondern dient auf in ausgeklügelter Weise der Lärmreduzierung.

Ach ja, seit Beginn des Jahrtausends wurden in der Umgebung zahlreiche Bürogebäude gebaut, darunter die regionale Filiale der Bank ČSOB im Jahr 2006. Seit 2008 ist die Station auch an die Linien 7 und 21 der Prager Straßenbahn angeschlossen. Es tut sich etwas. Vielleicht wird sie irgendwann ihren Status als am wenigsten frequentierte Metrostation hinter sich lassen. (DD)