Hoch über dem Gewirr der ein- und ausfahrenden Gleise vor dem Hauptbahnhof thront sie geradezu majestätisch. Fast wie ein Palast. So, also ob sie das Getümmel der Eisenbahnen da unten nichts anginge.
Es handelt sich aber um eine Schule, genauer um die Schule zu Smetanka (Škola Na Smetance) an der Na Smetance 505/1 im Stadtteil Vinohrady. Das riesige Gebäude ist heute zugleich Grundschule (Základní škola) und Kindergarten (mateřská škola), aber bis es das wurde, hatte es schon eine lange Geschichte hinter sich. Der heutige Stadtteil Vinohrady (der erst 1922 zu Prag eingemeindet wurde und vorher eine eigenständige Stadt war) war früher ein rein landwirtschaftlich genutztes Gebiet, wie der Namen Vinohrady (=Weinberge) besagt, zum großen Teil mit Weinbau. Eines der großen Landgüter dort hieß Smetanka. Es umfasste ein recht großes Landstück, das zum Beispiel den heutigen Hauptbahnhof und die Staatsoper (die es damals beide noch nicht gab) umfasste.
Das Gut war immerhin so groß, dass sich dort neben Gutshaus und Anbaufläche auch ein Wirtshaus befand und zwischen Jahren 1859 und 1894 auch der hölzerne Theaterbau des Divadlo Pštroska (Straußentheaters), der bis 3000 Zuschauer fasste. Aber in den 1880er Jahren begann die damalige Gutsbesitzerin Františka Bachheiblová damit, ihr Land Stück für Stück zu verkaufen. Und ein großes Stück sollte dabei der Bildung dienen. Ab 1877 wurde das Gebiet von Vinohrady als Stadtgebiet erschlossen und damit brauchte man auch eine Bildungsinfrastruktur. Und hier bei der Smetanka entstand in den Jahren 1886 bis 1888 das fünfte Schulgebäude der neuen Stadt. Entworfen wurde das Gebäude von dem bekannten Architekten Antonín Turek, der in Vinohrady eine Reihe auffallend prachtvoller öffentlicher Bauten (wir berichteten u.a. hier, hier, hier und hier) entworfen hat.
Turek war ein typischer Vertreter des Historismus mit einer Vorliebe für den Stil der Neorenaissance. Hier hat er an nichts gespart. Weder bei der Größe noch bei Fassadedekoration ließ man sich lumpen. Die Lage auf der Höhe verstärkte den Effekt noch mehr. Und so wurde am 16. September 1888 die Schule durch den Prager Bischof Karel Schwarz eingeweiht, obwohl es keine konfessionelle Schule war. Der Bischof war schließlich auch in den 1870er Jahren Böhmischer Landtagsabgeordneter auf Seiten der tschechischen Nationalisten, was ihm viel Sympathie auch bei nicht-religiösen Tschechen einbrachte.
Das Gebäude mit seinem großen Mittelrisalit (über dem eine verzierte Uhr thront) und den imposanten Ecktürmen war zunächst einmal eine Grundschule für Knaben und Mädchen. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde die Schule in ein sogenanntes Realgymnasium umgewandelt. Das war eine Ende des 19. Jahrhunderts aufgekommene Schulform, deren Abschluss die Hochschulreife sicherte, aber nicht dem sonst üblichen Gymnasialabschluss entsprach, der auf einen humanistischen Bildungskanon (Latein etc.) basierte. Stattdessen standen moderne Sprachen und Naturwissenschaften im Mittelpunkt. 1944 verwandelte die Wehrmacht die Schule in ein Truppenlazarett und die Schüler wurde in andere Schulen gesteckt. Zuvor hatten die Nazis einige Schüler wegen Beteiligung an WIderstandsaktionen hinrichten lassen. Während des Prager Aufstands (siehe auch hier, hier und hier) im Mai gegen die Nazis nutzten die Aufständischen das Gebäude als Funkstation. Zuvor waren Teile des Gebäudes durch den irrtümlichen Bomberangriff der US-Air-Force im Februar 1945 beschädigt worden. Die Zerstörungen waren aber noch im gleichen Jahr repariert.
1949 wurde aus dem Realgymnasium wieder eine Grundschule, der man schon bald einen Kindergarten anschloss. Und so blieb es auch bis zum heutigen Tage. In kommunistischer Zeit kamen eine zeitlang sogar eine Tanzschule und ein Jugendzentrum dazu, die es heute aber nicht mehr gibt. 1966 wurden die alten Kohleöfen aus der Gründungszeit durch eine Zentralheizung ersetzt. Später wurden auch die Sportanlagen zur Straße Italská (sichtbar auf dem Bild links) grundlegend erneuert.
Die Schule zu Smetanka ist nicht die einzige Schule aus der Zeit des späten 19. Jahrhunderts, das sich durch besondere Bildungsbeflissenheit auszeichnete und deshalb auch Prestige erheischende Schulgebäude liebte. Das Gebäude war wohl der Stolz der Stadt, was sich auch darin zeigt, dass an allen Seiten über Blindfenstern das Stadtwappen von Vinohrady (mit dem Nationalheiligen Wenzel, der zwischen den Türmen des Stadttores wacht) angebracht wurde. Das dürfte möglicherweise erst zwei Jahre nach der Einweihung des Gebäudes hier angebracht worden sein, da Kaiser Franz Josef Vinohrady (damals Královské Vinohrady = Königliche Weinberge) erst am 7. Februar 1890 das Wappenrecht verliehen hatte. Aber die Botschaft, die der Architekt mit diesem Gebäudeentwurf aussenden wollte, wird dadurch noch einmal verstärkt. (DD)
„Me turbidae aetatis ars ecce hanc fecit“, so steht es oben auf dem Giebel des Gebäudes. Ist Latein und klingt dadurch schon per se gebildet: „Mich hat die Kunst eines stürmischen Zeitalters gemacht“. Und so was passt, denn das Gebäude in der Ostrovní 126/30 (Neustadt) hat in der Tat viel mit Bildung zu tun. Es handelt sich um das alte k.k. Schulbuchlager und Buchdruckerei (C. k. sklad školních knih a knihtiskárna) in Prag.
Der vordere Teil, den wir hier sehen, wurde im Jahr 1900 im Stil des Neobarock nach den Plänen des Architekten Viktor Beneš erbaut, der gerne ab und an Gebäude mit Bildungsbezug entwarf, etwa im Jahre 1901 das Gebäude der Deutschen Technischen Hochschule in Prag. Bevor hier dieses ausgesprochen groß geratene Bauwerk entstand, befanden sich hier vier größere Häuser aus dem Mittelalter. Von denen ist rein gar nichts mehr erhalten. Es ist quasi nichts über sie herauszufinden. Möglicherweise haben aber die Schöpfer der üppigen Stuckaturen an der neuen neobarocken Fassade hier eine Mutmaßung hinterlassen. In einer schönen Kartusche im ersten Hof sieht man ein vergoldetes Bierfass mit viel wucherndem Hopfen und Getreide (kleines Bild oberhalb links).
Daneben wird der (wieder einmal lateinische) Text in einer anderen Kartusche (Bild rechts) geradezu explizit: „Quae quondam Bacchum vilis caupona tenebam nunc musas omnes hospitio accipio“, heißt es da. Also: „Welches ich einst als billige Kneipe beherbergte, nehme nun alle Musen in Gastfreundschaft auf.“ Oder so. Es kann also sein, dass hier vor dem Schulbuchlager eine florierende Bierschänke oder eine Braugaststätte betrieben wurde. Es kann aber auch sein, dass da bei den stets durstigen Stuckateuren, die ja jetzt im Dienste dröger Bildung werkelten, der Wunsch der Vater des Gedankens war.
Aber worum ging es den tatsächlich bei diesem Schulbuchlager? Kaum ein Teil von Kakanien war so bildungsbeflissen wie Böhmen. Man denke an die Gründung der Karlsuniversität 1348. Die Habsburger gaben der Sache jedoch einen richtigen Anschubs. Die Rede ist von der von Kaiserin Maria Theresia dekretierten Allgemeinen Schulordung von 1774. Die war ein Teil des typisch aufklärerischen Bestrebens, den Elementarunterricht für die breiten Volksschichten zu verbessern und dem Gros der Menschen überhaupt erst Zugang zu Schulbildung zu ermöglichen. Sie sah auch vor, dass Lehrinhalte – und damit auch Schulliteratur – klaren Standards gehorchten, die Verlage einzuhalten hatte – inklusive der Anordung, mindestens 1000 Exemplare kostenlos an Mittellose abzugeben. Im böhmischen Teil des Reiches ging die dort einberufene Schulkommission in einem Anfall von Etatismus noch weiter. Der Staat wurde selbst zum Schulbuchproduzenten. Das öffentliche Verlagsunternehmen wurde von Anfang salopp „Schulbuchlager“ genannt.
Die Gründung erfolgte schon am 10. juni 1775. Die Institution erwies sich als sehr langlebig. Und sie bekam im Laufe der Zeit immer mehr zu tun. Ab 1866 wurde das dreigliedrige Schulsystem eingeführt und drei Jahre später die Schulpflicht auf acht Jahre verlängert. Und das hieß: Mehr Bücher wurden gebraucht und damit auch höhere Druck- und Lagerkapazitäten. Deshalb ließ man also im Jahre 1900 das ausgesprochen groß dimensionierte dreistöckige neobarocke Gebäude auf dem neu gekauften Grundstück in der Ostrovní bauen. Der Bildungsboom des späten Habsburgerreichs musste ordentlich bewirtschaftet werden. Und damals wollte man wohl einfach viel in Bildung und auch Repräsentation investieren.
Es handelt sich bei dem „Schulbuchlager“ zweifellos um eines der wuchtigsten und prachtvollsten Neobarock-Gebäude Prags. Und das will angesichts des Angebots etwas heißen! Auch die Dekoration mit korinthischen Pilastern, Stuckumrahmungen für die Fenster und unzähligen ebenfalls aus Stuck gestalteten floralen Mustern und kleinen Medaillons mit antiken Portraits kann sich sehen lassen. Sie repräsentiert visuell den von klassischen Idealen bestimmten Bildungskanon der Zeit des Habsburgerreichs – deshalb auch das viele Latein. Das Ganze setzt sich nahtlos in dem ebenfalls imposanten (ersten) Innenhof fort, mit seinen schönen Eingängen und Treppen.
Und der Bildungsaufschwung ging weiter. Als 1918 das Habsburgerreich verschwand und die Erste Republik kam, musste von Prag ein multilingualer Staat mit Slowaken, Deutschen, Ungarn und transkarpathischen Ruthenen bedient werden. Noch mehr und immer verschiedenere Bücher! Zudem gab es immer mehr neue Ansätze der Reformbildung. Kurz: Das Gebäude war riesig, aber für die neuen Aufgaben immer noch zu klein. In den Jahren 1932 bis 1939 wurde das Gebäude um einen weiteren Hinterhof und umliegende Gebäudeflügel erweitert. Als Architekten heuerte man einen Pionier der Moderne an: Alois Dryák, über den wir ja schon hier, hier, hier, hier hier und hier berichtet haben. Die nun völlig andersartige Architektur dieses Teils des Komplexes dient primär der Erweiterung der Druckereikapazitäten. Dryáks Entwurf wirkt auf den ersten Blick nicht so spektakulär wie der Neobarockbau von Beneš, ist aber dennoch als architektonisch bedeutendes Werk des Prager Funktionalismus zu bewerten.
Das neue Gebäude verbindet das alte Gebäude dann auch mit der Straße Opatovická. In der Opatovická 154/26 kann man dann auch die Außenfassade des nunmehr funktionalistischen neuen Baus von Drýak bewundern. Im Erdgeschoss des neuen Hauses hat sich heute übrigens – sehr passend! – ein großes und gutes Buchantiquariat angesiedelt (Bild links).
Wie dem auch sei: Irgendwie überlebte das Gebäude auf die düsteren Zeiten, in denen zuerst die Nazis (ab 1939) und dann die Kommunisten (ab 1948) das Schul- und auch das Schulbuchwesen in totalitärer Weise missbrauchten. Seit dem Ende des Kommunismus 1989 ist das Schulwesen wieder offener und freier geworden. Das tut der Sache gut. Und so residiert hier im ganzen Komplex heute primär der 1947 gegründete Staatliche Pädagogische Verlag (Státní pedagogické nakladatelství, abgekürzt SPN). Dessen Produkte kann man sehen und kaufen. Denn auf der Straßenseite zur Ostrovní befindet sich im Erdgeschoss ein Spezialbuchladen für Schulbücher namens Centrum učebnic (Lehrbuchzentrum), der die Produkte des Verlags führt (Bild unterhalb rechts).
In den Jahren 2002/2003 wurden Teile des Bauwerks (beide Komponenten – die neobarocke und die funktionalistische) renoviert und umgebaut. Es wurden neue Büroräume und Ateliers eingerichtet. Jetzt findet man hier nicht nur das staatliche Schulbuchwesen hier vertreten, sondern auch eine Vielzahl privatwirtschaftlicher Akteure. Die tschechische Ausgabe der Zeitschrift Vogue hat hier ihren Sitz und ebenso das Tonstudio Soundsquare. In einem der Ateliers im neuen Bauteil befindet sich das krative Designstudio Olgoj Chorchoj (das erwähnten wir bereits hier). Eigentlich ist das schon eine ganz witzige Auswahl. Man dachte sich vielleicht, wenn schon (immerhin seit 1775!) Staatsbürokraten das Schulbuchwesen des Landes verwalten, sollte sich drumherum wenigstens ein kreativ inspirierendes Umfeld im Gebäude befinden. (DD)
Über den Fenstern des ersten Stock kann man die Stuck-Reliefportraits von Literatinnen und Literaten bewundern, die im 19. Jahrhundert das anwachsende tschechische Nationalbewusstsein in den Zeiten des Habsburgerreiches vorantrieben. Hier sehen wir die Frauenrechtlerin Karolina Světlá. Ganz offensichtlich wollte man bei der Gestaltung des Gebäudes auch eine fortschrittliche Gesinnung an den Tag legen.
Wir befinden uns vor dem Gebäude der Hochschule für Finanzen und Verwaltung (Vysoká škola finanční a správní) in der Estonská 500/3 (Ecke Kodanská) im Stadtteil Vršovice (Prag 10). Man fragt sich natürlich sofort, in welcher Beziehung die hier abgebildeten Geistesgrößen zu Finanzen und Verwaltung standen. Die Antwort ist, dass dieses recht imposante dreistöckige Gebäude ursprünglich nicht für diesen Zeck gebaut wurden war. Im Jahr 1902, also um die Zeit der Entstehung des Gebäudes, hatte Vršovice eigene Stadtrechte bekommen, übrigens nur, um schon 1922 von Prag eingemeindet zu werden. Die neue Stadt brauchte natürlich auch eine Bildungsinfrastruktur. Und so baute man hier – mit schönem Blick auf den Herold-Parks (Heroldovy sady), den wir bereits hier erwähnten – eine Höhere Realschule.
Das Gebäude ist ein Beispiel für den späten geometrischen Jugendstil, wobei man besonders an den Giebeln auch Elemente der Neorenaissance einfließen ließ. Am besten erkennt man den Jugendstil-Charakter des Gebäudes an den Maskaronen über dem zweiten Stocks, die wir im Bild rechts sehen können. Ansonsten mutet die äußere Fassadenveranstaltung sehr streng und wenig ornamental an. Ein bisschen erinnert sie an die Fassaden von Industriegebäuden der Zeit.
Mit einer Ausnahme. Und das sind eben die Portrait-Medaillen der literarischen Größen des 19. Jahrhunderts. Und da erstaunt vor allem der recht hohe Anteil von Frauen (besonders auf der Straßenseite zur Estonská). Oder genauer gesagt: Frauenrechtlerinnen. Dabei war die Realschule ursprünglich nur für Jungen gedacht. Nun ja, eigentlich beginnt ja Frauenemanzipation auch immer irgendwie mit der Umerziehung der Männer. Links sehen wir die Schriftstellerin Božena Němcová (u.a. berichteten wir über sie u.a. hier und hier), die mit ihrem Roman Babička (Die Großmutter, 1855) berühmt wurde, aber sich auch politisch in allen Debattierzirkeln bewegte, in denen man sich damals für liberale Ideale und mehr Selbstbestimmung der Tschechen im Habsburgerreich engagierte.
Im großen Bild oben folgt die bereits erwähnte Frauenrechtlerin Karolina Světlá (wir berichteten u.a. hier). Die war ein Multitalent (sie schrieb u.a. Libretti für Opern von Bedřich Smetana), widmete sich aktiv der Bildung für Frauen und gründete die ersten Frauenvereine, die sich für mehr Geleichberechtigung einsetzten. Und daneben sieht man ihre Mitstreiterin in Sachen Frauenrechten Eliška Krásnohorská (auch hier), die sich ebenfalls für Frauenbildung einsetzte und ab 1875 die erste eigene Frauenzeitschrift Ženske listy (Frauenblätter) herausgab.
Man fragt sich, ob es um 1900 in Deutschland viele oder überhaupt Schulen gab, die sich mit den Portraits von Frauenrechtlerinnen schmückten. Das hat was mit dem Selbstverständnis des tschechischen Nationalismus, der sich nicht zuletzt aus dem Gefühl speiste, dass man in Böhmen wirtschaftlich, sozial und kulturell über dem als rückständig empfundenen Habsburgertum stand. Zumindest gefühlt… Als progressiv sahen sich auch die Männer, die auf der Straßenseite zur Kodanská zu ihrem Recht kommen. Auch hier werden wieder drei Repräsentanten des tschechischen Geisteslebens in Böhmen vorgestellt. Gab es hier etwa schon die 50:50-Frauenquote für Stuckkunstwerke?
Es beginnt mit Josef Jungmann (erwähnten wir u.a. hier), dem „Vater der tschechischen Sprache“. Er verfasste das erste Tschechisch-Deutsche Wörterbuch, das in den Jahren 1834–39 erschien. Je länger die Habsburger-Herrschaft dauerte, so empfand man, desto mehr sank das Tschechische zur bloßen „Bauernsprache“ herab. Sprache war für Jungmann und seine Schüler auch eine Frage politischer Emanzipation. Entsprechend fehlt sein Bild auch nie, wenn es um nationale Kulturikonen der Tschechen geht.
Der Nächste: Svatopluk Čech (auch hier). Der war Schriftsteller und Dichter, der sowohl für satirische Romane (z.B. Die Ausflüge des Herrn Brouček von 1888/89) als auch etwas monumentale Historienromane bekannt war, die immer irgendwie den tschechischen Patriotismus anfachen sollten. Heute gehört er sicher nicht mehr zu den meistgelesenen Autoren des Landes, aber bis tief ins 20. Jahrhundert war er so etwas wie der Nationalschriftsteller schlechthin und Garant für Auflagenstärke.
Und dann darf natürlich nicht der Großmeister der tschechisch-böhmischen Geschichts-schreibung fehlen: František Palacký (den wir u.a. hier und hier erwähnten). Mit seiner 5-bändigen Geschichte des tschechischen Volkes in Böhmen und Mähren (ab 1836), die er 1848 dann in Tschechisch als Dějiny národu českého v Čechách a v Moravěveröffentlichte, definierte er in nicht zu unterschätzenden Maße das tschechische Nationalverständnis (mit ein paar bedauerlichen anti-deutschen Untertönen).
Es war in der Zeit um 1900 nicht ungewöhnlich, dass tschechische Nationalliteraten auf öffentlichen Fassaden präsentiert wurden. Und die alte Realschule ist ein schönes Beispiel dafür. Vor allem ragt die hohe Frauenquote deutlich heraus. Und das macht sie ungewöhnlich.Und vielleicht hat die Fassade auch einen positiven Lerneffekt bewirkt. Wie dem auch sei. Die Höhere Realschule gibt es seit längerem nicht mehr. Das Gebäude wurde jeweils 1980 und 1996 gründlich renoviert und umgebaut. 1999 wurde die private Hochschule für Finanzen und Verwaltung gegründet, die dann hier einzog. Jetzt lernen hier Studenten viel über Geld, Recht, Wirtschaft, Steuern und vieles mehr. Und möglicherweise etwas weniger über Karolina Světlá, Božena Němcová oder Josef Jungmann. Aber dafür können sie sich ja die Fassade ihrer Hochschule anschauen. (DD)
In würdevoller Pose steht er über dem wuchtig gestalteten Eingangsportal des Gebäudes, dem er en Namens gab, dem Ernst von Pardubitz Kolleg (Kolej Arnošta z Pardubic) in der Voršilská 144/1 in der Neustadt. Bis 2015 konnte sich das Gebäude noch rühmen, das älteste noch funktionierende Studentenwohnheim zu sein.
Als das Gebäude 1901 eingeweiht wurde, war es nur für katholische Studenten gedacht, die so vor allen beschützt werden sollten, was sie in anderen Studentenwohnheimen vom rechten Glauben und dem Pfad der Tugend wegbringen könnte. 1896 hatte sich eine kirchennahe Vereinigung gegründet, die den Bau und die Betreuung betrieb. Die Pläne für das recht groß dimensionierte vierstöckige Gebäude im Neobarockstil entwarf der Architekt František Schlaffer (der sich auch manchmal tschechisch Šlafer schreiben ließ) und die Bauarbeiten führte der Bauunternehmer und Architekt Viktor Skuček durch. Vorher hatte hier ein einstöckiges Barockhaus mit dem Namen U černého kohouta (Zum Schwarzen Hahn) gestanden, das im 19. Jahrhundert abwechselnd als Kaserne oder als Polizeistation gedient hatte.
Als Namenspatron hätte man sich keinen Besseren ausdenken können als Ernst von Pardubitz (Tschechisch: Arnošt z Pardubic), einem der engsten Vertrauten von Kaiser Karl IV., der im 14. Jahrhundert Böhmen (und vor allem Prag) zu großer Blüte verhalf (wir schrieben darüber u.v.a. hier und hier). Als studentischer Patron eignete er sich deshalb später, weil er als erster Erzbischof des 1344 gegründeten Erzbistums Prag ein Mensch mit hohen katholischen Weihen ausgestattet war, und als erster Kanzler der 1348 gegründeten Karls-Universität (dazu unser Bericht hier) zugleich auch einen großen biographischen Bezug zu Universität und Studentenleben aufwies. Man musste 1896 bzw. 1901 wahrscheinlich nur wenig und kurz überlegen, als man den historischen Namenspatron für das Kolleg suchte. Ernst von Pardubitz bot sich förmlich an.
Die große, in Stuck gegossene Statue des Ernst von Pardubitz über dem Eingang ist das Werk des Bildhauers und Restaurators Čeněk Vosmík (den wir bereits u.a. hier und hier erwähnten). Unter dem guten Erzbischof/Kanzler befindet sich eine kleine ovale Kartusche mit seinem Wappen. Und um den katholischen Charakter der Institution noch einmal zu unterstreichen, wurde über der Statue noch eine andere Statue an der Fassade auf Höhe des zweiten Stocks angebracht, die die gekrönte Jungfrau Maria mit dem ebenfalls gekrönten Jesuskind darstellt. Im Jahr 1945 hörte das Kolleg auf, eine eigenständige katholische Institution zu sein, und wurde direkt der Karlsuniversität übertragen, die es weiterhin als Studentenwohnheim betrieb – wenngleich säkular und überkonfessionell. Über die Zeit genügte es aber nicht mehr den gewachsenen Ansprüchen, die Studenten an ihre Unterbringung stellen. Das Wohnheim wurde 2015 geschlossen, womit ein doch bedeutsames Kapitel der Universitätsgeschichte zum Ende kamm. Zwischen 2018 und 2020 wurde das Gebäude gründlich renoviert und umgebaut, sodass sich heute hauptsächlich Fakultätsbüros und eine Mensa befinden. (DD)
Ein ungewöhnliches Gebäude mit ungewöhnlicher Geschichte, in dem die Dramatik der Spannungen zwischen der tschechischen und deutschen Bevölkerung Prags ihre tiefen Spuren hinterlassen hat: Das Gebäude der Rechtsfakultät am nám. Curieových 901/7 in der nördlichen Altstadt direkt am Moldauufer.
Die 1348 gegründete Karlsuniversität (unser Bericht hier) hatte von Anfang an eine Rechtsfakultät. Das Recht gehörte zu den anerkannten Kernwissensgebieten im Mittelalter, so wie man sich auch heute noch kaum eine Welt ohne Juristen vorstellen kann.. Damals war aber die Zahl der Studenten noch ziemlich gering und das alte Universitätsgebäude im Herze der Altstadt reichte alle Fakultäten aus. Mit der Zunahme des Bildunsgniveaus wuchs die Zahl der Studenten und man brauchte mehr Platz. Ende des 19. Jahrhunderts wurde der Plan gefasst, mehrere neue Gebäude für die einzelnen Fakultäten zu bauen. Für die Juristen traf es sich günstig, dass in dieser Zeit das Areal des alten Jüdischen Ghettos in Josefov und die Umgebung im Norden der Altstadt grundlegend saniert und großzügig neu bebaut wurde (wir berichteten u.a. hier). Dadurch entstand viel Platz, den man nun nutzen wollte, und so beschloss die k.u.k.-Regierung 1906, an dieser Stelle ein geeignetes Grundstück zu kaufen.
Als Architekten des neuen Gebäudes wähle man Jan Kotěra (wir berichteten über ihn u.a. hier und hier) aus, der ein Star der modernen Architektur, ja vielleicht so etwas wie der Begründer der modernen Architektur in Böhmen überhaupt war. Der legte auch Pläne im Stil des späten geometrischen (ins Art Déco übergehenden) Jugendstil vor, aber den Verantwortlichen, allen voran Erzherzog Franz Ferdinand d’Este (das ist der, dessen Ermordung 1914 in Sarajevo den Ersten Weltkrieg auslöste), ging das zu weit. Als 1907 der Grundstein durch den Rektor der Karlsuniversität, Leopold Heyrovský, ein Kenner des Römischen Recht und renommierter Rechtshistoriker. der als Schüler des großen Theodor Mommsen sein Handwerk gelernt hatte, gelegt wurde, hatte der Plan schon starke Modifizierungen erfahren. Es sollte alles viel mehr an klassische Architektur erinnern. Aber auch das sollte nicht so schnell realisiert werden. Denn bald wurde der Erzherzog erschossen, der Weltkrieg kam und mit ihm ein Baustopp. Als kurz nach dem Krieg wieder über den Weiterbau nachgedacht wurde, gab es kein Habsburgerreich mehr, sondern eine unabhängige Tschechoslowakei.
Mit der neuen Republik veränderte sich zunächst die Karlsuniversität, die vorher in eine deutsche und eine tschechische Universität aufgeteilt war. Jetzt war die tschechische Universität die alleinige Rechtsnachfolgerin der Karlsuniversität. Und auch die für das Gebäude vorgesehen Rechtsfakultät sollte eine rein tschechische sein. Aber auch das Bauwerk selbst war betroffen, denn besonders bei öffentlichen Bauaufträgen legten die Verantwortlichen im neuen Staat oft einen bedauerlichen Nationalchauvinismus an den Tag (ein anderes Beispiel erwähnten wir hier). Man fand heraus, dass Architekt Kotěras Mutter Deutsche war. Weil man der Überzeugung war, dass nur ein reiner Tscheche ein solches Gebäude bauen durfte, veranstalteten die Behörden einfach eine neue Ausschreibung für das Gebäude, um so den ungewünschten „Halbtschechen“ auszuschalten. Das war, wenn man ehrlich ist, recht mies. Aber Kotěra wurde von seinen Architektenkollegen als bedeutender Pionier der modernen Baukunst hoch verehrt. In einem herzanrührenden Akt der Solidarität weigerten sie sich alle Architekten in Prag geschlossen und unter Protest, an der Ausschreibung teilzunehmen, sodass Kotěra der einzige Bewerber blieb. Zähneknirschend mussten die Verantwortlichen ihn nun doch akzeptieren.
Kurz nach Baubeginn starb Kotěra im April 1923. DIe Arbeiten wurden danach von seinem Schüler Ladislav Machoň (wir berichteten hier und hier) fortgesetzt, der sich wo immer möglich genau an die Pläne seines Lehrer hielt. 1925 liefrete er die Ausführungsplänbe und in der Jahren 1926 bis 1931 wurde das Gebäude fertiggestellt und im selben Jahr begann auch der Lehrbetrieb. Das Gebäude war gewisse eines: Groß genug! Es wurde auf einer enormen Grundfläche von 4864 m² erbaut und ist vier Stockwerke hoch. Vor allem von der Moldauuferseite betrachtet erkennt man die wahren Ausmaße (Bild rechts). Sechs Baufirmen mussten ein Konsortium bilden, um das Ganze fertigzustellen. Am Ende fehlte sogar ein wenig das Geld. Auf einige künstlerische Extras, wie zum Beispiel ein für innen in der großen Aula geplantes Riesenmosaik über die Entwicklung des Juristenstandes seit der Antike des Malers Max Švabinský, musste verzichtet werden. Aber auch ohne sie wirkt das Gebäude überwältigend und opulent ausgeschmückt.
Vor allem aber beim Hauptportal an der Nordseite wird der eigentliche architektonische Charakter des Bauwerks sichtbar, nämlich das Bemühen des Architekten, den klassizistischen Stil zu wahren, aber diesen durch moderne geometrische Formen auszudrücken. In mancher Hinsicht nähert sich Kotěra bei der Fassade, die man im großen Bild oben sieht, bereits dem Stil des sogenannten Rondokubismus, der kurz darauf modern wurde (Beispiele brachten wir u.a. hier und hier). Insbesondere die rechtwinkligen Dreiecksformen, aus der die Fassade größtenteils zusammengesetzt zu sein scheint, deuten klassische Proportionen an, ohne welche zu sein. Jedenfalls fällt das Gebäude schon auf den ersten Blick als ungewöhnlich auf.
Das gilt auch für die im Stil des 1930er-Jahre-Klassizismus gehaltenen modernen Skulpturen, nicht nur auf dem Dreiecksgiebel oben, sondern auch direkt über dem Portikus. Dort befinden sich vier Relief mit allegorischen Symbolen des Rechts. In dem Bild rechts sind sie zusammengestellt. Man sieht das römische Liktorenbündel (o.l.) aus Ruten und Beil, dass für die Rechtsvollstreckung stand (und von den Faschisten später als Symbol missbraucht wurde) und darunter (u.l.) die Attribute der Gerechtigkeit Waage und Schwert. Daneben (o.r) findet sich eine Darstellung der Gründungsurkunde der Karlsuniversität und darunter (u.r.) ein Buch mit dem Datum 28.X.1918. Man könnte meinen, es ginge da um die Verfassung des 1918 gegründeten neuen Staates, aber die erste provisorische verfassung wurde erst im November 1918 vom Tschechoslowakischen Nationalausschuss beschlossen (die reguläre Verfassung folgte 1920). In der Tat handelt es sich beim 28. Oktober 1918 um den Tag der Unabhängigkeitserklärung.
Drinnen wirkt das Gebäude wesentlich moderner und unkonventioneller als außen. Das hat auch etwas damit zu tun, dass für die skulpturale Ausstattung am Ende nicht viel Geld übrig war. Möglicherweise – aber das ist natürlich eine Frage des Geschmacks – hat das der Sache gut getan. Die eigentlich und ursprüngliche von Kotěra gewollte Modernität kommt so auf einmal zum Tragen. Was die Skulpturen angeht, so ist die im Eingangs-Foyer vom Bildhauer Josef Václav Myslbek (der durch die große Reiterstatue des Heiligen Wenzel auf dem Wenzelsplatz berühmt wurde) geschaffene Allegorie Hingabe (Oddanost) die einzige bemerkenswerte. Und sie ist auch nicht sehr optisch präsent oder gar dominierend.
Vom Foyer aus betritt man das große Hauptatrium, das oft salopp als Schwimmbad oder Basin (bazén) bezeichnet wird. Der quadratische Raum mit zwei symmetrischen Treppenaufgängen an den Seiten erstreckt sich über die ganze Höhe des Gebäudes. Von oben kommt das Tageslicht durch eine Facettenglasdecke hinein, was die Architektur sehr leicht erscheinen lässt. Eine überbordene Ausstattung mit Skulpturen, wie es ursprünglich geplant worden war, hätte vermutlich die überwältigende Gesamtwirkung des streng strukturierten Raumes sogar beeinträchtigt. Jetzt wirkt er ganz für sich. Und der edle Marmor der Verkleidung verleiht dem ganzen trotzdem einen Hauch von Luxus.
Rund um das Hauptatrium strukturieren die Wandelgänge oder Galerien mit ihren eckigen Pfeilern rhythmisch geordnet die Fassaden. Von ihnen aus erreicht man die Hörsäle über ungewöhnlich breite Treppen. Das Atrium ist ja eine Art mit Gls überdachter Innenhof. Dahinter (d.h. südlich) befindet sich übrigens noch ein echter, d.h. nicht überdachter Hof. Das Atrium mit seiner lichten Konstruktion wurde aufgrund seiner ästhetischen Qualitäten oft zweckentfremdet (was Geld in die Kassen der Universität spült), etwa für Filmaufnahmen (eine Übersicht auf Tschechisch findet sich hier) oder für kommerzielle Veranstaltungen wie die Mercedes-Benz Prag Fashion Week. Aber auch etwas zwecknähere internationale wissenschaftliche Tagungen finden hier öfters statt, man denke an die European Society of Criminology Annual Conference von 2014.
Im ersten Stock kann man zur Nordseite hin die große Aula, auch Collegium Maximum genannt, bewundern. Das Collegium Maximun ist mit 560 Plätzen nicht nur der größte Saal, sondern auch architektonisch vielleicht der konservativste Teil des Fakultätsgebäudes (der Erzherzog hätte ihn geliebt). An den Seiten vermitteln großzügige Arkaden einen Hauch von Renaissance-Architektur. Die in den 1960er Jahren erstellten großen Gobelins mit Szenen aus der Zeit der Universitätsgründung unter Karl IV. unterstreichen diese Botschaft. Fast alles an der Innenausstattung ist übrigens original aus den späten 1920ern/frühen 1930ern.
Ganz oben findet sich noch ein großer Saal, das sogenannte Amphitheater. Warum es so heißt, ist leicht ersichtlich. Es handelt sich um einen aufsteigenden und halbrunden Saal, der eben genauso aussieht wie ein altes römisches Amphitheater. Das Amphitheater wirkt (trotz der Anlehnung an ein antikes Vorbildmodell) sehr modern. Es befindet sich aber wohl auch weniger von der Originaleinrichtung darinnen.
Die Rechtsfakultät, die schon mit den Intrigen gegen Kotěra ein unschönes Kapitel der tschechisch-deutschen Beziehungen durchlebt hatte, durchlebte nach der Nazi-Besetzung 1938 einen neuen, noch schrecklicheren Tiefpunkt. Im November des 1939 kam es zu Massendemonstrationen von Studenten gegen die Besetzung, die brutal niedergeschlagen wurden. Danach schlossen die Nazis einfach die tschechischen Universitäten. Teile des Gebäudes der Rechtsfakultät wurden im Laufe des Krieges zu einem Lazarett für Luftwaffenangehörige. Der größte Teil wurde aber zu einem örtlichen Hauptquartier der SS umgewandelt. Während des Prager Aufstands im Mai 1945 (siehe u.a. auch hier, hier und hier) fanden um das Gebäude heftige Kämpfe mit vielen Opfern statt, woran eine sehr drastisch von dem Bildhauer Jan Znoj 1946 gestaltete Gedenktafel (Bild oberhalb rechts) an der Außenwand erinnert.
Es gibt im Gebaäudeinneren noch eine, leicht kuriose Erinnerung an die Zeit des Mißbrauch der Räumlichkeiten durch die Nazis. Als die SS abzog wollte man das Gebäude schnell wieder für den Lehrbetrieb nutzen. Die Spuren der barbarei wurden deshalb etwas unsorgfältig beseitigt. In einem der kleineren Hörsäle sieht man unter einer Uhr durch den dünnen Putz noch vage die Umrisse (Bild links) eines damals dort befindlichen deutschen Adlersymbols, das augenscheinlich ein Hakenkreuz in den Krallen hielt. Gottlob haben sich die Zeiten – und damit das deutsch-tschechische Verhältnis – so gewandelt, dass das Relikt Besuchern eher als putziges Kuriosum vorgestellt wird und weniger als ein Memento des Schreckens, das es eigentlich ist.
Mit der Vertreibung der Nazis waren die Leiden der Studenten hier nicht zu Ende. Im Februar 1948 übernahmen die Kommunisten die Macht und es gab abermals riesige Studentendemonstrationen, die abermals brutal niedergeschlagen wurden. Auch viele Studenten der Fakultät wurden verhaftet und/ober relegiert. Deshalb ist man auch Stolz, dass sich unter den Lehrern auch ein Großer unter den Dissidenten und Mitunterzeichnern der Charta 77 befindet, nämlich Petr Pithart. Der war neben Václav Havel einer der Architekten der Samtenen Revolution von 1989, die den Kommunistenspuk beendete. Er wurde 1990 der erste richtig nicht-kommunistische Ministerpräsident und später Senatspräsident. Immer mehr ein Intellektueller denn ein Machtpolitiker konzentriert er sich seit 1994 hier auf seiner Lehrtätigkeit als Politologe bei der Fakultät, bei der er in den 1960er Jahren sein Jurastudium abschloss. Die Türe seines Büro wird bei Führungen von den Studenten, die ihn hoch verehren, immer gerne stolz gezeigt.
Ach ja, wo wir gerade beim Thema Führungen ist: Man kann dabei für die Sehenswürdigkeiten in den verschiedenen Stockwerken den Aufstieg eine der prachtvollen Treppen benutzen, die das Atrium umgeben. Aber es biete sich eine wesentlich originellere Option an. Es gibt hier nämlich noch einen echten Paternoster, der hier nur noch fahren darf, weil er unter Denkmalschutz steht (ein anderes Beispiel findet man in Prag hier). Der Paternoster der Fakultät ist insofern eine Besonderheit, als er der einzige von der berühmten Autofirma Škoda gebaute ist – oder zumindest der einzige noch existierende. Er ist nach einer Renovierung, die im Jahre 2018 abgeschlossen wurde, immerhin ab und an in Betrieb. Auf Höhe des zweiten Stocks gibt es eine kleine Ausstellung über den Paternoster.
Ja, das Gebäude der Rechtsfakultät gehört zweifellos zu den interessantesten öffentlichen Gebäuden der frühen Moderne der Tschechoslowakei, sowohl als Baudenkmal als auf als Ort einer spannungsgeladenen Geschichte. Und gottlob haben spätere Umbauten und Renovierungen – etwa 1954, 1968 und 1970 – wenig am Originalcharakter des Bauwerks verändert. Es gab keine groben Verschandelungen – was in den Zeiten des Kommunismus keineswegs häufig vorkam. In den Jahren 1996 und 2007 gab es abermals kleinere Umgestaltungen. Zuletzt baute man im Dachgeschoss ein exakt nachgebauten Gerichtssaal ein, in dem die Studenten praktische Übungen machen können. Gute Idee! Universitäre Gebäude sind normalerweise selten das Ziel von touristischen Besichtigungen, aber dieses Gebäude sollte sich der Kulturbeflissene nicht entgehen lassen. (DD)
In den engen Gassen der Altstadt kann man ihn fast übersehen: Den Konvikt mit der kleinen Bartholomäuskirche (konvikt s kostelem sv. Bartoloměje) in der Bartolomějská 291/11. Sollte man aber nicht, denn hinter dem ganzen Gebäudekomplex verbirgt sich eine mehr als interessante Geschichte.
An dieser Stelle hatte 1372 der königliche Notar und Reformprediger Jan Milíč z Kroměříž (auch als Johannes Milicius bekannt) ein Heim und eine Schule für reuige Prostituierte aus der Altstadt errichten lassen. Diese „Jerusalem“ genannte Anstalt nahm in den Hussitenkriegen zu Beginn des 15. Jahrhundert schweren Schaden und verfiel. Es folgten etliche private Eigner bis ins 17. Jahrhundert. 1659 ging das Areal an die Jesuiten über, die hier ein Konvikt aufbauten. Ein Konvikt ist ein sogenanntes Studienhaus für Studenten und Schüler, dass auf Regeln basiert, die denen des klösterlichen Lebens ähneln. Es herrschten also Lerneifer, Disziplin und vor allem auch Frömmigkeit. Deshalb baute man dazu eine kleine Kapelle auf, die allerdings schon 1678 abbrannte.
Die Jesuiten ließen sich nicht entmutigen. Sie unterrichteten weiter im Konvikt und bestellten sich einen der großen Baumeister des Prager Barocks, Kilian Ignaz Dientzenhofer (wir berichteten u.a. hier und hier), um in den Jahren 1726 bis 1731 eine neue und noch prachtvollere Kirche zu erbauen. Für die Innenausstattung der kleinen Kirche gewann man den maler Wenzel Lorenz Reiner und den Bildhauer Mathias Wenzel Jäckel – beide damals als Meister ihres Faches bekannt. Die einheitliche Fassade von Kirche und Konvikt wirkt hin zur Bartolomějská sehr schlicht. Erst vom Innenhof erschließt sich der barocke Charakter des Gebäudes. Interessant sind vor allem die ungewöhnlich schwungvollen Laibungen der Fenster und die Auflockerung durch Heiligenskulpturen. Die kann man nur bewundern, wenn man sich in den Innenhof der gegenüber liegenden Verkehrswissenschaftlichen Fakultät der Technischen Universität (siehe großes Bild oben).
Im Jahre 1773 löste Papst Clemens XIV. den Orden der Jesuiten auf. Er wurde zwar im Jahre 1814 von Papst Pius VII. wieder ins Leben gerufen, aber es zog ihn nicht mehr an seine alte Wirkungsstätte, dem Prager Konvikt, zurück. Die Gebäude wurde säkularen Zwecken aller Art zugeführt, bis dann im Jahr 1853 die Kongregation der Schwestern von der hl. Elisabeth (bisweilen auch die „Grauen Schwestern“ genannt) hier einzog und hier ihr frommes und zurückgezogenes Leben führte. Das blieb so bis zum Jahr 1949, in dem ein besonders unschönes Kapitel der Geschichte des Orts begann.
Ein Jahr zuvor hatten die Kommunisten ergriffen und nun ging man daran, den kirchlichen Institutionen – allen voran den Klöstern – den Garaus zu machen. Die braven Schwestern wurden kurzerhand herausgeworfen und verschleppt. Danach wurde die Kirche als Lagerraum missbraucht. In den 1970er Jahren zog sogar in die Gebäude des Konvikts die tschechoslowakische Staatsicherheit (StB) ein. Angeblich sollen StBler in der Kirche auch einige ihrer Opfer gefoltert haben. Das sinistres Wirken wurde aber durch durch die Samtene Revolution und das Ende des Kommunismus 1989 beendet. Die fiesen Schergen, Spitzel und Spione zogen aus.
Danach wurde Anfang der 1990er Jahre erst einmal renoviert und restauriert. Die Kirche wurde zu einer katholischen Gemeindekirche, da es ja keine klösterliche Einrichtung mehr gab, der sie dienen konnte. Die übrigen Gebäude des ehemaligen Konvikts bzw. Klosters wurden privatisert und nunmehr als Büro- und Wohnraum genutzt. Aber es gibt auch unter anderem eine Bar, ein Restaurant, das Nationale Filmarchiv, das sogar ein kleines Programmkino (das Ponrepo) in einem echten Barocksaal betreibt. Irgendwie ist das Ganze zu einem Ort von Geselligkeit und Kultur geworden.
Wenn man durch die Hoftür an der – wie gesagt, recht unauffälligen – Straßenseite eintritt, ist man unweigerlich verblüfft, welch eine paradiesische Ruheoase sich einem bietet. Man merkt, dass der Ort dereinst dem kontemplativen Lernen gewidmet war (damals lag er übrigens noch nicht in der Touristenmeile, sondern war von kleinen Feldern umgeben). Die mehrstöckigen Barockarkaden vermittelt geradezu einen mediterranen Flair.
Unter einem der Arkadenbögen befindet sich eine kleine Statue des Heiligen Wenzel. Auch wenn es so aussieht: Es handelt sich aber um kein Relikt der Zeit, in hier noch die Jesuiten pädagogisch wirkten, sondern um eine 1999 von dem Bildhauer Jiří Líbal in Kunststein angefertigte Kopie einer Brunnenfigur des berühmten Barockkünstlers Johann Brokoff. Wenzel wird hier übrigens nicht, wie es meist der Fall ist, mit seinen herzöglichen Herrscherinsignien (Lanze mit Fahne und Schild mit Adler) dargestellt, sondern in seiner weniger bekannten Rolle als Patron der Winzer und des Weins, große Trauben in den Armen haltend. Das passt zur Atmosphäre des Platzes. (DD)
Prag als Wissenschaftsstadt – an vielen Orten der Stadt wird man an die Geschichte großer Forscher erinnert, die hier wirkten. So etwa in der U Nemocnice čp. 497/4 in der Neustadt, wo sich diese Gedenkplatte befindet.
Man gedenkt hier Professor Franz Hofmeister, dessen Todestag sich heute zum 100. Male jährt. Die Plakette wurde allerdings 2010 zu Ehren des 160. Geburtstags des gebürtigen Pragers angebracht. Gleichzeitig fand in dem Gebäude ein Symposium statt, das seine außerordentlichen wissenschaftlichen Leistungen würdigte. Hier, in der heutigen Medizinfakultät der Karlsuniversität, wirkte Hofmeister auch viele Jahre. Damals (d.h. seit 1882) war die Universität in eine deutsche und eine tschechische Universität aufgeteilt, und das Gebäude gehörte zum deutschen Teil. Deshalb ist die Gedenkplakette auch zweisprachig in Tschechisch und Deutsch gehalten.
Hofmeister ist bekannt als großer Pionier der Biochemie. Nach ihm ist die sogenannte Hofmeister-Reihe benannt, bei der es um eine Klassifizierung von Ionen in Bezug auf die Löslichkeit von Proteinen handelt. Er war auch der erste, der darauf kam, dass Eiweisse eine Struktur aus Aminosäuren und Peptidbindungen aufweisen. Ich bin kein Biochemiker und mir ist das zu hoch, aber der Experte wird sich freuen, dass die Plakette zu seinen Ehren die passende und alle Fragen klärende chemische Formel bereithält.
Die Plakette mit dem Portraitrelief des bärtigen Forschers, die sich schön an die Ästhetik des klassizistischen Fakultätsgebäudes aus dem Jahr 1844 anpasst, ist das Werk des bekannten Medailleurs und Bildhauers Milan Knobloch (siehe auch diesen früheren Beitrag). Er hat die schwungvolle Unterschrift des am 26. Juli 1922 verstorbenen Wissenschaftlers, der die letzten drei Jahre seines Lebens in Würzburg lehrte, in die Gedenktafel einbezogen. (DD)
Als kleines Kind hatte Alois Klar sich nach einem Sturz eine schwere chronische Sehbehinderung zugezogen. Trotzdem legte er eine steile akademische Karriere hin. Erst Gymnasialprofessor in Litoměřice (1786), dann Professor für Altphilologie an der Karlsuniversität (1806), schließlich Dekan der Philosophischen Fakultät (1820). Er hatte gezeigt, dass man es auch mit Sehschwäche schaffen konnte. Und er wollte, dass andere auch diese Chance erhielten, um nicht als Blinde von bloßer Barmherzigkeit anderer abhängen zu müssen. Kurz: Er gründete das Klar’sche Institut für Blinde (Klárův ústav slepců).
1807 hatte Klar schon zusammen mit Prokop Ritter von Platzer die Prager Blinden-Erziehungs-Anstalt ins Leben gerufen, die später durch ein zweites Institut, die Heilanstalt für unbemittelte Augenkranke, ergänzt wurde. Die Finanzierung kleiner Gebäude und der Ausstattung in der Burgstadt verdankte man einer Sammlung und der Förderung des damaligen Oberstburggrafen Josef Graf von Wallis. Das war ein kleiner Anfang. Den Unterricht für die Kinder übernahm oft Klars Frau Rosina. Aber Klar strebte nach größerem. 1832 – ein Jahr nach seiner Emeritierung – rief er das Prager Privat-Institut für arme blinde Kinder und Augenkranke und begann mit einer großen Sammlung. Die wurde ein Erfolg. Sogar Kaiser Franz I. ließ sich nicht lumpen und spendete ein Stück Land an der Prager Kleinseite. Die Fertigstellung erlebte Klar nicht mehr, denn er starb 1833. Aber auf dem gespendeten Grundstück an der heutigen Pod Bruskou131/3 wuchs ab 1836 ein riesiges Gebäude heran, in dem Klars Werk vollendet werden sollte.
Klar hatte noch seine für damalige Zeit höchste modernen Vorstellungen über den Betrieb darlegen können, nach denen nun verfahren werden sollte. Es war ein „ganzheitliches“ Konzept, das lebensnahe Bildung, sportliche Leibesertüchtigung, Heilung und moralischen Beistand (wofür u.a. eine große Kapelle des Erzengels Rafael gebaut wurde) vereinte. Viele Ideen dazu hatte er sich bei Johann Wilhelm Klein geholt, der 1826 die Versorgungs- und Beschäftigungsanstalt für erwachsene Blinde in Wien gegründete hatte und als eine der führenden Kapazitäten der Blindenfürsorge in Europa galt. Als 1844 das von den Architekten Vincenc Kulhánek und dem berühmten Dombaumeister Josef Kranner (siehe auch hier) eingeweiht wurde, führte bereits Alois Klars Sohn Paul Alois Klar dessen Lebenswerk fort und leitete die Anstalt. Ab 1880 übernahm der Enkel von Alois, Rudolf Maria Ritter von Klar (inzwischen wurden nämlich die Verdienste der Familie durch einen Adelstitel anerkannt) die Blindenanstalt, die weiterhin als eine vorbildliche Institution galt. Nach dessen Tod im Jahre 1898 wurde Emil Wagner der Direktor.
Unter dem Ritter von Klar hatte die Anstalt eine große Wachstumsphase durchlebt. In den Jahren 1884/85 wurde der Bau daher erweitert und damit endgültig fertiggestellt. Aber der Grundcharakter des streng und schlicht gestalteten zweiflügeligen klassizistischen Gebäudes mit seinem Mittelrisalit blieb. Auf dessen Giebel befindet sich ein Relief des Bildhauers und Malers Josef Max. Es stellt ein passendes alttestamentarisches Motiv dar, nämlich wie Tobias seinen blinden Vater (mit Fischgalle) wieder sehend macht (zum Nachlesen: Bibel Tobias 6). Er wird vom Erzengel Rafael begleitet, dem ja – recht folgerichtig – auch die recht große Kapelle der Anstalt gewidmet ist, deren kleinen Glockenturm mit seinem vergoldeten Ziffernblatt man über dem Gebäude sehen kann. Auf dem Relief sieht man auch einen kleinen Hund, der an dieser Stelle in der Bibel nicht vorkommt. Das musste aber einfach sein, weil die Tschechen ja Hundenarren sind und so etwas lieben.
Des Ritters Nachfolger Wagner baute die Anstalt noch einmal kräftig aus. Denn es gab ja noch viel Platz. Das Grundstück, auf dem das bereits recht groß dimensionierte Gebäude stand, bot die Möglichkeit eines zusätzlichen neuen Gebäudes. Ein kleiner Park trennte nun das alte vom neuen Haus, das dann in den Jahren von 1906 bis 1909 durch den Architekten Josef Piskač errichtet wurde. Das am heutigen Nábřeží Edvarda Beneše 627/3 erbaute Bauwerk war stilistisch grundverschieden von dem alten klassizistischen Gebäude.
Es herrschte ein opulenter, durch Erker und Türme dekorierter Neorenaissance-Historismus vor, der durch Jugendstil-Ornamentik ergänzt wurde. Unter anderem wurden ein Schwimmbad und eine Turnhalle eingebaut. Man blieb weiterhin an der Spitze des Fortschritts in Sachen Blindenpädogogik.
Die beiden Gebäude dienen heute nicht mehr ihrem gemeinsamen Zweck. Ein kleines Mäuerchen mit Zaun trennt sie heute sogar. Denn das neue, unter Wagner erbaute, Gebäude beherbergt heute die örtliche Bezirksstaatsanwaltschaft. Leider befindet sich das Haus in einem recht heruntergekommenen Zustand, er seiner historischen Bedeutung nich gerecht wird. Man kann nur hoffen, dass da irgendwann einmal etwas unternommen wird.
Und auch das alte Gebäude (das besser in Schuss gehalten wurde) ist schon lange keine Blindenanstalt im umfassenden Sinne, wie es Klar einst vorschwebte, mehr. Ihrem ursprünglichen Zweck diente sie bis kurz nach dem Zweiten weltkrieg. Dann wurde sie in eine Sekundarschule für Blinde verwandelt, die immerhin nach Alois Klar benannt wurde. Dann brachte das Ende des erfreuliche Kommunismus im Jahr 1989 einige bauliche Nebenwirkungen mit sich. Die neuen demokratischen Institutionen mussten sich räumlich neu einrichten. Das Parlament zum Beispiel, das von den Kommunisten in das heutige Neue Gebäude des Nationalmuseums verlegt worden war, wurde wieder in den alten Thun Palast zurückverlegt, und auch der Ministerpräsident brauchte ein provisorisches Domizil bis die dazu vorgesehene Villa Kramář wieder fertig restauriert war. Der wurde deshalb erst einmal hier untergebracht.
Aber dieses provisorische Zwischenspiel endete schließlich im Jahr 1993. In diesem Jahr übernahm das Abgeordnetenhaus, für dessen Betrieb der Thun Palast eigentlich zu klein war, einige Gebäude der Umgebung für administrative Zwecke, darunter auch den Smiřický Palais am nahen Kleinseitner Ring. Hier residierte bis dato die 1919 gegründete staatliche Institution der Tschechischen Geologischen Dienstes (Česká geologická služba), die nun ihrerseits ein neues Domizil brauchte und in der alten Blindenanstalt (genauer: im alten Gebäude) fand. Der Geologische Dienst betreibt hier nun Forschung und Datenerfassung, die für die Öffentlichkeit von Nutzen sind, etwa bei Planung von Infrastrukturprojekten und Umweltgutachten, und kümmert sich um Bildungsprojekte in Sachen Geologie. So endete die Verbindung des Gebäudes mit seinem ursprünglichen Zweck, dem umfassenden Wohl der Blinden, endgültig.
Heute erinnert äußerlich wenig an die bahnbrechende Sozialeinrichtung, die hier einst ins Leben gerufen wurde. Wenn man genau hinschaut, kann man unter den Jugendstil-Ornamenten auf der Fassade des neuen Gebäudes immerhin Motive entdecken, die noch daran erinnern – etwa das rechts abgebildete Relief mit dem Bild eines Blinden. In Ehren gehörten wird das Werk von Alois Klar jedoch immer noch. Das schlägt sich sogar im Ortsnamen nieder. Wir befinden uns ja hier am nördlichen Rand der Kleinseite, ganz nahe beim Waldstein Palast. Und dieser nur wenige Häuserblöcke umfassende Teil der Kleinseite wurde 1922 – also in den Zeiten der Ersten Republik (als man „Deutsche“ wie Klar an sich eher selten würdigte) – feierlich in Klárov umbenannt. Damit ehrten die Tschechen ihn als einen ihrer großen Wohltäter. Und dass er das war, daran bestand nie auch nur der geringste Zweifel. (DD)
Auf den ersten Blick könnte man meinen, dieses altertümliche Gebäude in der Na Zderaze 269/4 (Prager Neustadt) mit dem irgendwie nicht passenden Schornstein sei ein Zeugnis der frühen Industriellen Revolution in Böhmen. Tatsächlich ist es aber das, was von einem alten Kloster übrigblieb, das später verschiedenen, nicht-klösterlichen Zwecken zugeführt wurde. Das, was man hier sieht, ist die Probstei – eines von zwei Gebäuden, die vom alten Klosterkomplex erhalten sind.
Das Kloster von Zderaz (klášter Na Zderaze) wird im Jahr 1090 zum ersten Mal schriftlich erwähnt, als unter Vratislav II., dem ersten König Böhmens, hier von seinem getreuen Ritter Zderaz (daher der Name des Ortsteils) eine Kirche geründet wurde, die um 1190 zu einem Kloster des Ordens der Chorherren vom Heiligen Grab erweitert wurde. In dieser Zeit wurde auch die Klosterkirche Kirche St. Peter und Paul (Kostel sv. Petra a Pavla) vergrößert und im 14. Jahrhundert noch einmal gotisiert. Während der Hussitenkriege kam das Klosterleben zum Erliegen und die Kirche wurde verwüstet (die Neustadt, in der sie liegt, war Hochburg besonders radikaler Hussiten). Die Ordensleute waren darob so echauffiert, dass sie erst 1623 – als nach der Schlacht am Weißen Berg die Katholiken Böhmen wieder voll unter Kontrolle hatten – wieder hier einzogen und ihr Klosterleben zu führen.
1715 begann mit einer Großspende, die einen prachtvollen Ausbau ermöglichte, die große Zeit des Klosters. Nach den Entwürfen des italienisch-böhmischen Barockarchitekten Johann Blasius Santini-Aich (wir berichteten u.a. hier) wurde das Kloster vergrößert, modernisiert und auf Barock gestylt. 84 Mönche taten hier ihr Werk. Es gab ein Krankenhaus und eine Schule. Die Kirche wurde völlig neugebaut. Zusätzlich wurde noch eine kleine Kapelle zum Heiligen Geist (Kaple Božího hrobu, siehe Bild rechts) gebaut, eine damals in vielen europäischen Barockkirchen vorkommende Nachempfindung der Grabeskirche in Jerusalem. Die glückliche Zeit dauerte bis 1784 als im Zuge der Kirchenreform Kaiser Josephs II. das Kloster aufgelöst und säkularisiert wurde. 1789 war das Ganze in eine große Kaserne verwandelt, wo statt betenden Mönchen nun Soldaten, die gedrillt wurden, hausten. Und da die Soldaten eine Waffenschmiede brauchten, wurden auch Schornsteine errichtet.
Das ging so bis 1898. In diesem Jahr verschwanden die Kasernen innerhalb Prags und das Geländes des alten Klosters ging an die neu gegründete Tschechische Technische Universität Prag (České vysoké učení technické v Praze; abgekürzt: ČVUT). Die hatte schon 1874 nebenan am Karlsplatz ihr neues Hauptgebäude errichtet (unser Bericht hier). In den Jahren 1904/05 wurden dann zur Erweiterung durch moderne Forschungseinrichtungen alle Gebäude (inklusive der Kirche St. Peter und Paul, was heutige Denkmalschütze zum Heulen bringen könnte) des Klosters abgerissen – bis auf die etwas gotisierte Grabkapelle zum Heiligen Geist, die nun in einem Innenhof abseits der Blicke der Touristen steht, und eben der Probstei, die neben der Kirche St. Peter und Paul zu den größten Bauwerken des Klosters gehörte.
Deren Gebäude gehört zu den späteren Ergänzungen der barocken Ausbauphase des Klosters und wurde im Jahre 1756 fertiggestellt. Hier residierte der (Stifts-) Probst, ein Titel, der bei den Chorherren soviel wie der Vorsteher eines eigenständigen Klosters bedeutet und in der Kirchenhierarchie direkt unter dem Bischof steht. Der brauchte natürlich so ein großes Amtsgebäude.
Die Barockfassade ist sehr schlicht und streng gehalten, weshalb sie aus der Ferne auf den ersten Blick schon fast wie ein Werk des Klassizismus wirkt. Deshalb wohl auch der erste, aber falsche Eindruck, dass es sich in Kombination mit dem Schornstein um ein frühes Fabrikgebäude handeltt. Heute befinden sich hier ein Teil der Verwaltung der ČVUT. (DD)
In Prag findet sich manches Schloss, das keines ist. Zum Beispiel das Schlösschen in Strašnice, auf Tschechisch Strašnický zámeček genannt.
In der Tat sieht das Gebäude in der V Zátočce 42/1 so aus, wie es heißt – eben wie ein kleines Schloss. Doch tatsächlich wurde das Bauwerk im Stil der Neorenaissance 1877 im Auftrag der damals noch nicht von Prag eingemeindeten Gemeinde Strašnice (heute Prag 10) von dem Architekten und Bauunternehmer Emil Brabec (der u.a. auch die Kreditgenossenschaft im Stadtteil Karlín gebaut hat) als weiterführende Schule gebaut. Der putzige Turm, der etwas später aufgesetzt wurde, beherbergte anscheinend (so vermute ich) die Schulglocke. Neben dem „Schloss“ gab es damals einige „Pavillons“ genannte kleine Gebäude, die für Grundschüler der ersten bis achten Klasse gedacht waren.
Der Schulbetrieb endete 1909 als in der Nähe eine größere Schule erbaut wurde. 1950 verschaffte sich das Gebäude einen schlechten Ruf, weil hier die örtliche Sektion der kommunistischen Staatssicherheit einzog, um die Bevölkerung der Umgebung zu bespitzeln und einzuschüchtern. Die von der Stadt errichtete Infotafel neben dem Gebäude zeigt ein gestelltes Photo, wie ein Sicherheitsdienstler gerade einen dissidenten Jugendlichen abführt. Heute befindet sich hier die örtliche Polzeiwache, die aber dem Schutz der Bürger in einem nunmehr demokratischen Staat, und nicht der Terrorisierung der Bevölkerung wie unter dem Kommunismus dient. (DD)