Bei der Gestaltung des Eingangs hat man sich so richtig ins Zeug gelegt. Das vierstöckige Miets- und Wohnhaus in der Čajkovského 1423/13 im Stadtteil Žižkov (Prag 3) wird dadurch als ein besonderes Beispiel für einen typischen Baustil der Moderne in Prag gekennzeichnet.
Es handelt sich um den sogenannten Rondokubismus, ein Baustil, der in der Tschechoslowakei in den 1920er Jahren populär, ja fast so etwas wie ein Nationalstil war. Es handelte sich um eine Weiterentwicklung des Kubismus (wir zeigten Beispiele u.a. hier und hier) der Zeit unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg. Der stellte mit seiner Betonung abstrakter geometrischer (kristalliner) Formen die bisherigen historistischen Stile in Frage. Der Rondokubismus versuchte hingegen die (eigentlich widersprüchliche) Kombination von kubistischen Elementen mit traditionellen Baustilen. Mit geometrischen Formen wollte man sich historischen Bauformen künstlich annähern.
Das Portal des Hauses ist trotz seines bewusst sehr archaisch wirkenden Charakters ein echtes Stück Kubismus – mit seinen verschachtelten Dreieckelementen. Überhaupt liebte man damals imposante Eingänge (wir zeigten bereits dieses hübsche Beispiel). Aber der Architekt und Bauunternehmer Josef Počta, dem wir dieses Gebäude aus dem Jahre 1923 verdanken, bettete dieses Portal in eine Fassade ein, die mit einfachen Elementen eine klassizistische Formsprache ausdrückt. Insbesondere der Giebel erinnert an antike Portiken. Und über dem Ganzen ragt seit 1985 der Fernsehturm Žižkov (wir berichteten hier), der daran erinnert, dass sich die Moderne in der Architektur seit ihren kubistischen Anfängen immer weiterentwickelt hat. (DD)
Wer durch diesen Teil der Stadt wandert, weiß, dass er nur Gebäude sehen wird, die schön sind und eine Geschichte erzählen können. Wie etwa das Wratislaw Haus (Vratislavský dům) in der Jilská 450/16 mitten im Herzen der Altstadt.
Die hochbarocke Fassade repräsentiert natürlich nicht den Ursprung des Gebäudes, denn die Altstadt heißt ja Altstadt, weil sie wirklich alt ist. Wir müssen also ins Mittelalter zurück, als hier an dieser Stelle zwei gotische Häuser zwei gotische Häuser (vermutlich im 14. Jahrhundert) entstanden. Die wurden in der Renaissance zu einem etwas respektableren und statusträchtigeren Palais zusammengelegt, was dazu führte, dass hintereinander immer wieder bekannte Adelsfamilien hier ihr Domizil aufschlugen – erst das Geschlecht Mladota von Solopisk, dann die Familie Kolowrat-Liebstein oder es kam immerhin der Verwalter der Güter des Geschlechts der Czernin von und zu Chudenitz, ein gewisser Johann Christoph Seifrid.
Aber das, was wir heute bewundern können, verdanken wir Philippa Josefa, Gräfin Wratislaw von Mitrowitz (1723–1800), der Gattin von Vinzenz Ignaz, Graf Wratislaw von Mitrowitz, Die wurde 1752 Eignerin und baute sofort kräftig um bzw. neu, was bis 1765 dauerte. Das Ganze wurde unter ihre eine Art Kultursalon und es soll angeblich hier damals Amateurtheater gespielt worden sein. Zurecht wurde sie zur Namensgeberin des Palastes. Aber schon unmitellbar nach der Fertigstellung ging das Haus an neue Besitzer, einer Adelsfamilie namens Morzin. Obdachlos wurde die Gräfin deshalb aber nicht, denn die Familie besaß gleichzeitig noch eine andere Großimmobilie auf der Kleinseite, den Vratislav Palast (Vratislavský palác), den sie ebenfalls im barocken Stil umbauen ließ (wir berichteten hier)
Nach etlichen anderen Besitzerwechseln zog, wenngleich nur zur Miete, 1813 ein wirklich prominenter Bewohner ein: Der Komponist Carl Maria Weber, damals frischgebackener Direktor und Dirigent des Ständetheaters (wir berichteten u.a. hier) in Prag. Trotz der erstrangigen Wohngegend fühlte sich der Komponist in Prag nie heimisch – warum auch immer (zu wenig Geld und zuviel Arbeit, so heißt es, aber wer weiß?) und auch im Gegensatz etwa zu Mozart, der Prag abgöttisch liebte. Weber verließ Prag 1816 für Dresden, wo er im Jahr darauf die Sängerin Caroline Brandt ehelichte, auf die er schon in Prag ein Auge geworfen hatte, und die auch eine berufliche Perspektive in Deutschland gesucht hatte. Wegen des frühen Umzugs kann sich Prag leider nicht rühmen, 1821 der Aufführungsort des Freischütz zu werden, eine Ehre, die nun dem Schauspielhaus in Berlin zuteil wurde.
Es folgte eine abwechslungsreiche Besitzerfolge. Um 1850 ließ ein neuer Besitzer, ein Kaufmann namens Josef Neumann, das Innere behutsam, aber kaum störend, klassizistisch überarbeiten. Etwas tiefgreifender war eine größere Modernisierung in den Jahren 1938–1939, als der Durchgang umgestaltet und in den darüber liegenden Räumen Laboratorien eingerichtet wurden. Nach dem Krieg wurde hier nämlich das Forschungsinstitut für Pharmakologie der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik (Akademie věd České republiky) eingerichtet, über die wir hier berichteten. Die zog nach 1989 wieder aus, und nach einem kleinen Umbau befand sich hier ab 1990 bis 2016 das Slowakische Institut in Prag .
In dieser Zeit wurde heftig renoviert und restauriert (vor allem auch die leider nicht öffentllich zugänglichen Deckengemälde) und seither trägt das Gebäude viel dazu bei, dass die Altstadt hält, was ihr Ruf verspricht. Die üppigen Stuckarbeiten und grotesken Maskaronen erstrahlen seither in neuem Glanz. Der unregelmäßige Aufbau der Fassade, der der Tatsache geschuldet ist, dass das Hauptportal nicht zentral, sondern ganz außen auf der linken Seite platziert wurde – vermutlich in Anknüpfung an den mittelalterlichen Ursprungsbau, trägt zur interessanten Optik des Ganzen bei. Das gilt auch für die seltsame Schlangensymbolik auf den Türen, für die ich keine Erklärung habe. Meist wurde die Schlange in der frühen Neuzeit als Hausschild für Apotheken verwendet. Ein Beispiel dafür zeigten wir hier. aber von der Existenz eine Apotheke ist in Zusammenhang mit dem Haus nicht überliefert. Aber alte Gebäude müssen auch Rätsel aufgeben können. (DD)
Das ist ein frühes Beispiel fúr das, was man heute manchmal leicht abschätzig Fassadismus nennt. Ein Gebäude wird völlig neu gebaut, aber außen bleibt die alte Fassade erhalten. Im Sinne des Erhalts von alten Stadtbildern ist das oft ja auch sinnvoll, aber es trägt meist keinen eigenen architektonischen Wert in sich. Das hier abgebildete Haus in der Vocelova 935/2 (mit Fassadenseiten zu den Straßen Jugoslávská und Legerova) in Vinohrady (Prag 2) ist eine Ausnahme. Hier entstand ein kreatives Ineinandergreifen von alt und neu.
So begann es: In den Jahren 1895 bis 1896 wurde hier an der Stelle, wo sich zuvor die 1874/75 abgerissene Stadtmauer der Neustadt befunden hatte, ein vierstöckiges Wohn- und Mietshaus gebaut. Der Architekt war Karel Janda, ein Spezialist für große Miets- und Apartmenthäuser. Das Haus folgte dem damaligen Modetrend der Prager Architektur und war ein Stück echten Historismus, in diesem Falle in seiner neobarocken Ausfertigung. Es war stilistisch vielleicht kein Gebäude, das man als grundlegend innovativ oder originell bezeichnet hätte, aber seine Stuckfassade war besonders opulent gestaltet, mit vielen Skulpturen an allen Seiten, Pilastern, Maskaronen und floralen Motiven. Es sah zumindest recht beeindruckend aus. Zu schön, um es zu zerstören.
Normalerweise hatte man da in den Zeiten des Fortschritts-optimismus der 1920er Jahre in der Ersten Republik wenig Skrupel. Historistischer Pomp war out, nüchterner Funktionalismus im Kommen. Und in genau diesen Zeiten wurde der Plan in Angriff genommen, das Gebäude einem anderen Zweck zu widmen und dafür kräftig umzubauen. Der Bildungsunternehmer Tomáš Madera erwarb damals das Haus, um hier eine private Handelsschule einzurichten, die dann 1926 – nach Abschluss der Bauarbeiten – eröffnet wurde..
Das erforderte einen radikalen Umbau, mit dem er die Architekten Pavel Moravec und Tomáš Pražák beauftragte, die später zu den Pionieren des Prager Funktionalismus gehörten (ein Beispiel dafür präsentierten wir hier). Da aber aus irgendeinem Grund beschlossen worden war, die schöne alte Fassade zu erhalten, aber sonst im Kern einen Neubau zu wagen, mussten sich die Architekten hier eine kreative Lösung ausdenken, die nicht phantasieloser Fassadimus war, aber das Neue ästhetisch einpasste und zugleich zweckmäßig war. Letzteres machte ein zusätzliches Stockwerk notwendig. Durch die Vertafelung aus dunklem Metall entstand etwas Neues, das aber einen leichten Anklang an die typischen Walmdächer von (neo-) barocken Häusern erkennen ließ.
Ansonsten wurde die alte Stuckfassade, hinter der sich im Prinzip nun ein neues Gebäude befindet, in eine moderne und optisch abgehobene Struktur eingehängt. An den beiden äußeren Ecken umrahmt das neue Gebäude um die alten Fassaden-Wände. Die vertikalen Strukturen sind beide unterschiedlich, einmal mit einem großen Erker, einmal mit kleinen Balkonen gestaltet (letzteres sieht man im Bild links unterhalb). Wenn es denn Fassadismus ist (wofür wir ein anderes Beispiel in Prag bereits zeigten), dann eine recht kühne Variante davon.
Die Dachaufbauten sind in einem oft Purismus genannten, sehr expressionistischen Stil gehalten, der moderne Abstraktion mit klassischer Formgebung in Einklang bringen wollte. Die eleganten geschwungenen Formen sind zwar (im damaligen Verständnis) ultramodern, passen aber erstaunlich harmonisch zu den geschwungenen Formen, wie für den Barock typisch waren.
Äußerlich blieb das Gebäude bis heute so, wie es auch heute noch ist. Aber hinter den Fassaden gab es wieder große Veränderungen. Die Schule wurde unter den Kommunisten geschlossen und 1951 wieder in ein Wohn- und Mietshaus zurückverwandelt. Das blieb so, auch als der Bau der unmittelbar nahen Metrostation I.P. Pavlova (wir berichteten hier) Teile des Kellers durch den Durchbruch für eine Eingangs-Treppenhaus tangierte. Heute gibt es hier Mieteinheiten und im Erdgeschoss residiert eine Bankfiliale. Nach dem Ende des Kommunismus wurde das Gebäude schön renoviert, so dass es würdig als das erscheint, was es ist: Eine originelle Kombination zweier Baustile aus zwei Bauepochen. (DD)
Das hier ist die Mutter aller Sokolovnas. So nannte und nennt man immer noch die Sporthallen des Turnerbundes Sokol. Das Gebäude der ehemaligen Prager Turneinheit (Budova bývalé Tělocvičné jednoty Pražské), auch als Prager Sokol (Sokol Pražský) bekannt, befindet sich in der Sokolovská 12/43 in der Prager Neustadt.
Der Sokol wurde im Jahre 1862 durch den sportbegeisterten tschechischen Patrioten Miroslav Tyrš gegründet. Nun ja, eigentlich war der deutschstämmig und hieß Friedrich Tirsch, aber Geschichte läuft schließlich nie nach den Gesetzen der Logik ab. Die Turnerbewegung Sokol (über die wir u.a. hier, hier, hier und hier schon berichtet haben) war nicht nur eine sportliche, sondern vor allem eine politische Organisation. Eine Massenorganisation, aus der sich später die Elite der sich 1918 vom Habsburgerreich gelösten Ersten Tschechoslowakischen Republik entwickelte. Eine Quasi-Volkspartei, die durch Massenturn-Events politische Stärke demonstrierte. Und unter den Restriktionen der Habsburger Politik, so etwas wie ein Instrument der demokratischen Willensbildung. Der Zulauf unter den Tschechen in Böhmen war enorm. Überall gründeten sich Ortsvereine und überall entstanden Sokolovnas.
Sokolovna heißt übrigens wörtlich soviel wie Falknerei. Und Sokol heißt auf Deutsch Falke. Und die „Ur-Falknerei“ in der Neustadt ist schon ein Gebäude von historischem Rang. Es wurde schom im Jahre 1863 (ein Jahr nach der Gründung des Sokol) in dem gerade in Mode kommenden Stil der Neorenaissance nach den Plänen eines der großen Vertreter dieses Stils, dem Architekten Vojtěch Ignác Ullmann (siehe u.a. diesen, diesen und diesen früheren Beitrag), erbaut. Aber ebenso wichtig wie der Architekt war auch der eigentliche Mäzen dahinter. Jindřich Fügner, der eigentlich Heinrich Fügner hieß, war wie Tyrš/Tirsch einer jener Deutschböhmen, die den Tschechen in sich entdeckt hatten, und war neben Tyrš der wichtigste Organisator des Sokol. Sie waren ein Team. Auf den Fassaden unzähliger Sokolovnas sieht man daher die Portraits beider, Tyrš und Fügner, sehr oft zusammen (wir erwähnten Beispiele hier und hier).
Dass Fügner die oberhalb rechts abgebildete Plakette (mit der Aufschrift Sokolu a vlasti – Falke und Vaterland) gewidmet ist, ist kein Zufall. Denn Fügner war nicht nur ein idealistischer und sportlicher Patriot, sondern auch ein erfolgreicher Geschäftsmann im Versicherungswesen. Fügner konnte daher für den ersten Bau der neuen Bewegung die Mittel für den Erwerb der nötigen Grundstücke aus privater Schatulle bereitstellen. Deshalb war man ihm hier besonders verpflichtet. Das eigentliche Prachtelement der Fassade ist natürlich ein vergoldetes Portrait-Relief (Bild oberhalb links) am Dachsims mit Fügners Motto „Ni zisk ni slávu“ – wörtlich: Kein Gewinn kein Ruhm. Frei übersetzt wohl eher: Ohne Fleiß kein Preis – steht darunter.
Aber das Privileg eines solchen Portraits teilt er sich mit Tyrš, der am anderen Ende des Simses abgebildet ist, ebenfalls mit seinem Motto: „Tužme se.“ (Lasst uns streben, oder auch: Strengen wir uns an). Wir sehen es im großen Bild ganz oben. Das Gebäude wurde danach immer wieder renoviert, umgebaut, vergrößert und modernisiert. 1911 gab es eine Erweiterung in westlicher Richtung, geplant vom Architekten František Beránek. Weiter Um- und Anbauten folgten in den 1970er Jahren. Dabei wurde ein Nachbargebäude in den Komplex integriert.
1982 vergrößerte man das Gebäude noch einmal, wobei – mangels horizontaler Möglichkeiten für räumliche Ausdehnung – man das Ganze nach oben wachsen ließ. Deshalb sieht das Gebäude heute irgendwie recht originell und zusammengesetztz aus. Denn hinter die einstöckige alte Neorenaissance-Fassade baute man eine nach hinten versetzte gegliederte höhere Fassade in einem modernen, funktionalistisch anmutenden Stil auf. Diese Idee dürfte direkt von dem in einem anderen Teil der Neustadt gelegenen Palais Swéerts-Sporck (palác Sweerts–Sporckův) inspiriert worden sein, über den wir schon hier berichteten. Dort hatte der kubistische Architekt Josef Gočár 1923 eine sehr ähnliche Kontrastierung von neuer und alter Fassade konzipiert.
Ach ja, der Sokol turnt hier immer noch fleissig in seinem alten Stammhaus. Wie damals 1863. (DD)
Er ist nicht so alt wie viele Zoos vergleichbarer Städte, die meist schon im späten 19. Jahrhundert gegründet worden waren. Und dass der Zoologische Garten (unser Bericht hier) überhaupt 1931 seine Pforten eröffnen konnte, verdankte er auch nur der Großzügigkeit eines großen Mäzenaten.
Dabei hatte es schon 1891 einen Anlauf gegeben. Damals gründete sich ein Komittee, das sich für den Bau eines Zoos im Königlichen Wildgehege im Stromovka Park. Das verlief im Sande. 1899 versuchte man es noch einmal, indem man eine Genossenschaft für die Errichtung eines Zoos und Akklimatisierungsgartens (eine Art botanischer Garten, bei dem Pflanzen an eine neue Umgebung gewöhnt werden) im Kinský-Garten in Smíchov gründete. Aber anscheinend kriegte die das nötige Geld nicht zusammen und der Plan endete bevor er begonnen hatte. Aber 1904 betrat ein hartnäckiger Kämpfer für die Sache die Bühne, der Naturwissenschaftler, Ornithologe und Gymnasiallehrer Jiří Janda. Der betrieb zunächst das ebenfalls nicht realisierte Projekt eines Zoos auf der Flussinsel Štvanice, konnte aber immerhin – ausdauernd, wie er war – 1919 die Einberufung einer höchststaatlichen Kommission beim Bildungsministerium der neugegründeten Tschechoslowakei erreichen. Mit hinreichendem Geld war das aber noch nicht verbunden.
Drei Jahre später kam die Überraschung. Zur Feier des 70. Geburtstag von Staats- präsident Tomáš Garrigue Masaryk (nun gut, eigentlich war der zwei Jahre früher…) und des 250 Todestags des großen National-Pädagogen Johann Amos Comenius (starb 1670, beging man daher eigentlich auch 1920) machte der Großgrundbesitzer Alois Svoboda dem tschechoslowakischen Staat satte 82.0052 Hektar Land. Dazu gehörte unter anderem das grandiose Schloss Troja (Zámek Troja) samt Garten, über das wir bereits hier berichteten, und das seither der Öffentlichkeit zur Besichtigung zur Verfügung steht, und das heutige Gelände des Botanischen Gartens in Troja (hier). Und noch mehr. Als Grundbedingung für die Spende legte er vertraglich fest, dass auf dem Land ein Zoo, der nun über sehr viel Grünanlagen und Platz verfügte (siehe Bild rechts), gebaut werden müsse.
Nicht ein Zoo, sondern der Prager Zoo! Das ist wohl der Grund, warum die 1920 fällige Jubliäumsspende erst 1922 getätigt wurde, denn das Gelände lag in der eigenständigen Ortschaft Troja, die erst dann als Stadtteil von Prag eingemeindet wurde. Die Stadt Prag sollte aber die Oberhöheit für den Zoo haben. Aber zum Bau selbst wurde auf Initiative Svobodas 1926 die Wirtschaft-, Einkaufs- und Baugenossenschaft des Zoologischen Gartens (Hospodářského, nákupního a stavebního družstva Zoologická zahrada) gegründet, deren Vorsitzender nun kein Geringerer als Jiří Janda wurde. Der krempelte die Ärmel hoch und fing an. Zwischendurch brachte er schon Tiere in seiner Dienstvilla unter, darunter 1930 die erste Löwin, Šárka mit Namen, die ein Zirkus gespendet hatte. Und schon 1931 öffneten sich die Tore des Zoos für das Publikum. Janda blieb Direktor bis zu seinem plötzlichen Tode im Jahre 1938.
Dass Janda im Zoo besonders geehrt wird, ist selbst- verständlich. Es gibt Gedenkplaketten und 2016 wurde eine Denkmalsbüste für Janda zum 85. Jubliäums der Zooeröffnung aufgestellt, ein Nachguss des Originals des bedeutenden Bildhauers Karel Otáhal (Bilder rechts und oberhalb links). Bei der Einweihung waren nicht nur der gegenwärtige Zoodirektor Miroslav Bobek, die damalige Prager Bürgermeisterin Adriana Krnáčová, die Sängerin Pavlína Filipovská und andere Prominente dabei, sondern es wurde auch der neu angeschaffte Große Ameisenbär der Öffentlichkeit vorgestellt. Janda hätte sich darüber gefreut.
Aber Jandas Eifer wäre ohne das Engagement und die Großzügigkeit von Alois Svoboda möglicherweise ins Leere verlaufen. Ihn zu ehren, wäre eine Unterlassung gewesen. Schon im Oktober 1996 wurde nahe des Haupteingangs ein großes Denkmal errichtet, das ein Portraitrelief des großen Mäzens (Bild links) zeigt, aber nicht nur das. Svobodas Anliegen war ja nicht nur der Zoo. Das Schloss und überhaupt das darüber hinausgehende Wohlergehen des neuen Stadtteils Troja sah er als Gesamtkonzept. Als solches wird er auch bei dem Denkmal geehrt, denn da steht (ins Deutsche übersetzt): „Im Jahre 1922 schenkte Alois Svoboda, ein Gutsbesitzer aus Troja, der Tschechoslowakischen Republik das Schloss Troja und das ausgedehnte Gelände, auf dem sich der Prager Zoo befindet. Gewidmet Quido Schwank, Baumeister, Stiftungsrat und Enkel. Praha. Troja 1996“.
Und damit sind wir bei Svobodas Enkel, der das Werk weiterführte: Quido Schwank. Der hatte immer noch beträchtlichen Besitz aus dem Erbe, der 1948 von Kommunisten enteignet wurde. 1993 wurde Schwanks Eigentum rückerstattet, aber er beschloss, den Restitutierungserlös einer von ihm gegründeten Stiftung zu übergeben, die Nadace Quido Schwanka – Zelená Troja (Quido Schwank Stiftung – Grünes Troja), die 1999 – ein Jahr nach seinem Tod – in Nadace Quido Schwanka – Troja, město v zeleni (Quido Schwank Stiftung – Troja im Grünen) umbenannt wurde. Deren Aufgabe ist es, durch soziale Einrichtungen (etwa eine Altenbegegnungsstätte) und viel Naturschutz das idyllisch am Moldauiufer gelegene Troja zu einem lebenswerten Stadtteil am Rande Prags zu machen.
Das Denkmal sollte also umfassend dem wohltätigen Wirken von Großvater und Enkel gerecht werden. Geschaffen hat es Josef Nálepa, ein bekannter Bildhauer mit Spezialisierung auf Portraitbüsten und Schüler des berühmten akademischen Bildhausers Karel Pokorný. Fast drei Meter hoch ist die halbrund gekrümmte Stele des Denkmals. Svoboda und Schwank wurden dadurch geschickt diagonal gegenübergestellt. Auch die Gegenüberstellung von Büste (Schwank) und Relief (Svoboda) verstärkt den künstlerischen Effekt. Über den beiden sieht man den Plan des Zoos, wie er damals aussah. Ein Denkmal, das den beiden Wohltätern Trojas und des Zoos gerecht wird. (DD)
Selbst hartgesottene Freunde der Architektur des realsozialistischen Brutalismus müssen sich möglicherweise erst einmal an den Anblick gewöhnen. Dabei war das PZO Centrotex Gebäude (budova PZO Centrotex) am Náměstí Hrdinů (Heldenplatz) im Stadtteil Pankrác als das Schaufenster der ČSSR zur großen weiten Welt geplant.
Das Umfeld tut sein übriges. Man muss schon geschickt eine Perspektive aus dem kleinen Heldenplatz aussuchen, um so etwas wie das große Bild oben zu knipsen. Ansonsten ist das Ganze von breiten und lauten Verkehrsadern umflossen und der Großteil der Architektur drumherum repräsentiert den eintönigen Teil der modernen Architekur. Das Gebäude selbst wurde von 1974 bis 1977 nach Plänen der Architekten Václav Hilský und Otakar Jurenka durch eine jugoslawische Baufirma erbaut. Hilský war unter anderem für seine Beteiligung am Wiederaufbau des zerstörten Dorfes Lidice bekannt, in dem die Nazis 1942 einen Massenmord begingen (Nové Lidice). Und für Jurenka sollte das Centrotex Gebäude sein bedeutendstes Werk bleiben.
Auftraggeber und erster Bewohner für das Gebäude war das staatliche Unternehmen für Außenhandel (Podnik zahraničního obchodu, kurz PZO genannt), das viele Unterfirmen hatte, die für bestimmte Güterkategoriern zuständig waren. Centrotex war, wie der Name suggeriert, für den Textilhandel zuständig. Im Jahre 1974 war nämlich der aus den 1920er Jahren stammende Messepalast (Veletržní palác) in Holešovice (Prag 7) abgebrannt, der der PZO als Hauptzentrale diente (wir berichteten hier). Es wurden sofort neue Gebäude für die einzelnen Subbetriebe in Angriff genommen, etwa das Gebäude der PZO Koospol (Budova PZO Koospol) in Vokovice (Prag 6) für die Handelssektion für landwirtschaftliche Güter (wir berichteten hier). Und Centrotex landete in Pankrác. Bei allen neuen Gebäuden hegte man den Anspruch, architektonische Avantgarde vorzeigen zu können.
Denn der dem Bankrott entgegendümpelnde Realsozialismus wurde zunehmend vom Handel und den Devisen aus dem Westen abhängig. Dem gegenüber wollte man als dynamisch-moderner Partner erscheinen, auch in der baulichen Außendarstellung. Deshalb wurden auch die meisten repräsentativen Räume des Centrotex Gebäudes damals mit Kunstwerken ausgeschmückt – insbesondere natürlich Textilien, wie Wandteppiche, Vorhänge oder Teppiche. Auswärtige Handelsdelegationen sollten beeindruckt werden ob der Errungenschaften der Planwirtschaft. Und da spielte die Architektur eine Rolle. Der Brutalismus war ja in den 1970er Jahren nicht nur (wenngleich dort besonders) der Avantgardestil des Realsozialismus, sondern auch im Westen. Im Zeitkontext passte die Ästhetik zum Anliegen – ohne Zweifel!
Lassen wir hier an dieser Stelle Architekt Hilský zu Wort kommen, der später meinte: „Die Arbeit des Architekten sollte Licht und Schatten haben, sie sollte kompliziert gestaltet sein, es reicht nicht aus, nur einen Grundriss zu erfinden und dann das Gebäude herauszubringen. Der Architekt muss das Gesamtkonzept im Auge haben und versuchen, dem Gesamtwerk einen plastischen Ausdruck zu verleihen. Und genau das habe ich bei der Lösung des Centrotex Palace versucht.“
In er Tat enthält das Gebäude alle stilgerechten Ingredenzien, die ein brutalistisches Gebäude erfüllen muss: Roher Beton, Stahl und Glas zu kühnen und groben geometrischen Formen zusammengefügt. Mehrere Kuben sind horizontal und vertikal kombiniert. Im Grunde sind es so zwei unterschiedlich große Gebäude, die zu einem verbunden sind. Eines (im Süden) ist 74 Meter hoch und hat am Sockel eine Grundfläche von die Grundrisse des Gebäudesockels betragen etwa 60 x 20 Meter, das andere, nördliche, Gebäude ist erheblich flacher und misst 40 x 20 Meter Grundfläche. Irgendwie sieht das am Ende doch witzig aus, was sich auch in dem Nicknamen niederschlug, den die Prager dem Gebäude schon bald gaben: Kuh und Kalb (kráva a tele). Zumindest bdeuetet das eine Form der Anerkennung von Außergewöhnlichkeit seitens der Prager.
Hinzu kommen die betongesättigten Dachaufsätze (für Technik), die mit einiger Phantasie tatsächlich an Kuh- oder Kalbshörner erinnern und dem Ganzen vielleicht nicht das schönste, aber doch ein auffälliges Aussehen geben. Unter derm Gebäude wurde gleichzeitig 1974 auch die Metrostation Pražského povstání (Prager Aufstand), die mit ihrem Namen daran erinnert, dass in der Umgebung im Mai 1945 schwere Kämpfe des Prager Aufstands tobten, zu deren Gedenken man ein passend brutalistisch gestaltetes Denkmal anbrachten, über das wir bereits hier berichteten. Der geradezu surreal gestaltete Lüftungsschacht (Bild rechts) der Metrostation ist ästhetisch dem Stil des Centrotex-Baus angepasst und lässt das brutalistische Gebäude noch brutalistischer erscheinen als es sowieso schon ist.
Obwohl das Bauwerk immer noch nach Centrotex benannt wird, ist kein Centrotex mehr drin. Die Firma wurde nach dem Fall des kommunistischen Regimes privatisiert, hob aber wirtschaftlich nie richtig ab. Schulden türmten sich auf. Eine zu dem Zeitpunkt noch nicht privatisierte Bank vergab einen Riesenkredit zur Neupositionierung des Unternehmens. Es mögen alte Beziehungen eine Rolle gespielt haben, jedenfalls nahm man dabei die Sache mit den Sicherheiten recht lax. 1999 war klar, dass die Bank die 1,5 Milliarden Kronen nicht wiedersehen würde – ein Skandal, der damals Wellen schlug. Und 2000 kam die dann Liquidation von Centrotex.
Kurz darauf zog das Innenministerium der Tschechischen Republik hier ein, denn das Gebäude bot genügend geeigneten Platz für die dort beschäftigten Bürokraten. Ja, die Kollegen vom Außenministerium haben mit dem barocken Palais Czernin möglicherweise dann doch einen noch schöneren Arbeitsplatz (wir berichteten), aber das Gebäude hier funktioniert und ist auch noch zentral und verkehrsgünstig (mit eigenem Metroanschluss!) gelegen. Unten im Souterrain befinden sich sogar Läden zum Einkaufen. Und auch für die Architektur gilt: De gustibus non est disputandum! Für die, die kein Latein können: Auf Tschechisch heißt das „Proti gustu žádný dišputát.“ So auch beim Centrotex-Gebäude: Wenn es auf den ersten Blick nicht gefällt, muss man eben mehrmals hingucken. DD)
Heute ist der 1. Mai – der Tag der Arbeit. Da ist an dieser Stelle immer Arbeiterromatik zu bewundern, deren Spuren man in Prag überall findet. So wie dieses schmucke Relief, das definitiv nicht aus den Zeiten stammt, als die Kommunisten schon an der Macht waren. Aber sie planten natürlich auch damals bereits böse Dinge.
Dabei hatte es mit dem Gebäude am Tylovo náměstí, 15/3 (Tyl Platz) ganz harmlos mit einer zünftig böhmischen Gaststätte (hostinec) angefangen. In den Jahren 1879/80 ließ nämlich der Grundbesitzer und Gastwirt František Možný hier neben dem Marktplatz ein damals noch dreistöckiges Gebäude im Stil der damals modernen Neorenaissance bauen, in dem dann seine Gaststätte U Možných (Bei Možný) betrieben wurde. Die Baupläne stammten entweder von dem Architekten Antonín Bureš oder dem vor Ort ungleich bekannteren Alois Bureš (einem späteren Bürgermeister von Vinohrady) entworfen. Genaueres weiß man nicht, weil die Pläne anscheinend nur mit „A. Bureš“ signiert wurden.
Um zusätzliche Gästezimmer für das der Hostinec angeschlossene Hotel Možnýs einrichten zu können, erweiterte man 1882 den Bau zur Rückseite, so dass nun eine weitere Fassade in der dahinter liegenden Lublanšká 146/46 entstand. Hier findet man nicht nur immer noch den Schriftzug U Možných über dem Portal, sondern kann auch einen Eindruck bekommen, wie die Fassade im Stil der Neorenaissance ursprünglich aussah (siehe kleines Bild oberhalb links). Im Erdgeschoss der Seite auf der Lublanšká befindet sich heute übrigens wieder eine Gaststätte, die immerhin im Namen an das alte U Možných erinnert.
Bei der vorderen Seite zum Tyl Platz sieht man nichts mehr von Možný und auch nichts mehr von der Neorenaissance-Fassade. Denn in den 1930ern begannen hier umfangreiche Umbauten. 1932 wurden zunächst einmal eine 4. und 5. Etage durch den Architekten und Bauunternehmer Alois Vavrouš aufgesetzt. Und 1937 (eine Zeit, das die Neorenaissance völlig „out“ war) ersetzte die Firma des Bauunternehmers Karel Skorkovský – ein Pionier neuer Betontechniken und des Autobahnbrückenbaus – die Fassade komplett. Sie behielt die Struktur der alten Fassade bei, aber die alte Ornamentik verschwand. Das ganze bekam einen nüchternen und fast funktionalistischen Touch – so wie wir es heute noch sehen.
Mit dem neuen und modernen Stil kamen auch neue Besitzer. Možnýs Gaststätte gab es da schon lange nicht mehr. 1938 eröffnete hier die Prager Zentrale der Konsum-Genossenschaft Včela (Spotřební družstvo Včela). Und die brachte das steinerne Relief über dem Haupteingang an. Včela – zu Deutsch: Biene – was war das überhaupt? Zurück zum Ursprung: Die genossenschaftliche Organisation wurde 1905 als Zentraler Arbeiter-Konsumverein (Ústřední dělnický spolek konsumní; abgekürzt: ÚDSK) von Angehörigen der böhmischen Sozialdemokratischen Partei (Česká strana sociálně demokratická, abgekürzt ČSSD) gegründet, die sich 1878 noch als Teil der österreichen Sozialdemokraten formiert hatten, aber ab 1897 als eigene separate Landespartei agierten. Es ging dem Konsumverein um freiwillige Selbstorganisation von Arbeitern (eine recht liberale Form des Sozialismus), die sich zusammen organisierten, um günstiger das Lebensnotwendige erwerben zu können (Kaufkraftbündelung).
Es kam die Erste Tschechoslawische Republik (1918) und mit ihr politische Umbrüche im Parteiensystem. Als sich 1921 Teile der Partei abspalteten, um die Kommunistische Partei zu gründen, teilten sich beide Gruppierungen – Sozialdemokraten und Kommunisten – eine zeitlang den Konsumverein. In den 1930er Jahren, als man hier am Tylovo náměstí einzog, war der Verein aber bereits fest in kommunistischen Händen. 1931 gründeten die Sozialdemokraten ihren eigenen Konsumverein Rovnost (Gleichheit) und die Kommunisten benannten den alten ÚDSK-Verein, den sie nun endgültig steuerten, in Včela um. Der verfolgte zumindest vordergründig weiterhin einen guten Zweck. Und so steht auch auf dem Kernstück des Reliefs über dem Eingang das anrührende Wort bratrství (Brüderlichkeit).
Die Včela betrieb weiterhin eine Kette von Läden, in denen nicht so gut betuchte Menschen gut und preisgünstig einkaufen konnten. Gleichzeitig diente das Hauptgebäude am Tyl Platz aber auch dazu, Listen mit vertrauenwürdigen Genossen anzulegen, die irgendwo im Genossenschftssystem Funktionen ausübten, über die man weitere Linientreue einschleusen konnte, um so die Sozialdemokraten zu verdrängen und Machtmittel an die Hand zu bekommen. Die Včela war damit zugleich eine brave Genossenschaft, aber auch ein strategisches Werkzeug der Kommunsiten, um sich ein „menschliches Anlitz“ zu verschaffen, und im leninistische Unterwanderungs- und Infiltrationstaktiken zu planen und umzusetzen. Als die Kommunisten dann 1948 die Macht ergriffen, spielte die „Biene“ im nunmehr staatlich kontrollierten Zentralrat der Genossenschaften (Ústřední rada družstev) eine wesentliche Rolle. Einige wichtige Amtsträger des Regimes, wie etwa der stalinistische Staatspräsident Antonín Novotný, kamen aus der Včela-Genossenschaft.
Als Včela hier einzog, gab es bereits klare Weisungen aus Moskau, dass die Zeit avantgardistischer Experimente vorbei sei, und dass in Sachen Ästhetik sozialistischer Realismus und Zuckerbäckerstil strikt angesagt seien. Folglich ist das über dem Eingang werbende Relief arg bieder, altmodisch und strotzt von dick aufgetragener Allegorik. Das Medaillon in der Mitte (mit der Aufschrift bratrství ) zeigt die klassischen Symbole der Arbeiterklasse (hauptsächlich Zahnräder) und der Bauern (Pflug). Da es sich aber um eine Konsumgenossenschaft handelt, befindet sich auch noch eine große Einkauftasche dazwischen. Eingerahmt wird das Medaillon von den üblichen kraftvollen sozialistischen Realkörpern: Links eine muskulöser Arbeiter mit Hammer (Bild oberhalb rechts) und rechts eine barbusige Allegorie der Landarbeiterin mit Korb. Es ist immer wieder erstaunlich, wie sehr schon bei solch frühen Manifestationen des Sozailsitsichen Realismus, der radikal-progressive Anspruch der Kommunisten mit der extrem antiquierten und recht spießigen Ästhetik kollidierte.
Auch die „Biene“ hat hier ihre Zeit schon länger hinter sich. In kommunistsichen Zeiten wurde das Hauptquartier verlegt. Es wurden hier fortan hauptsächlich Wohnungen vermietet. Nach dem Ende des Kommunismus wurde das Gebäude privatisiert. EIn großer Umbau, bei dem unter anderem ein zusätzlicher Dachboden hinzugefügt wurde, erfolgte 1997. Kurz danach wurde dann hier das Clarion Hotel Prague City eröffnet. Das wird solide nach kapitalistischen Prinzipien betrieben. Ob sich die Gäste Gedanken über dieses kleine Stück kommunistscher Ästhetikgeschichte über dem Eingang machen, wenn sie unter dem Relief in das Hotel eintreten? (DD)
Skulpturaler Überschwang findet sich viel auf neobarocken Hausfassaden in Prag. Aber diese hier in der V jirchářích 147/3 in der Neustadt setzt gewiss Maßstäbe.
Insbesondere im Erdgeschoss wurde neben der wuchtigen Rustizierung der Fassade eine Unzahl von kleinen Konsolen, floralen Elementen, Friesen, Vasen, Schlussteinen und gehörnten Maskaronen angebracht. Der Stuckateur hatte sicher sehr viel zu tun. Aber das, was dieses Haus zum „Hingucker“ macht ist eindeutig das Übermaß an Putten. Das sind meist kaum bekleidete und meist auch recht dickliche Kindergestalten, die als Dekorationselement früher gerne genutzt wurden. und die man leicht mit Engeln oder Eroten (Amor) verwechseln kann, aber im Gegensatz zu diesen nicht unbedingt mit Flügelchen dargestellt werden müssen. Daran erkennt man sie in diesem Fall. Und hier wimmelt es nur so von ihnen.
Putten waren im Zeitalter des Barocks überaus populär in Kunst und Architektur. Folglich feierten sie Ende des 19. Jahrhunderts, als die neobarocke Variante des Historismus en vogue wurde, ein glorioses Comeback. So wie bei diesem Haus, das geradezu archetypisch den neobarocken Stil repräsentiert. Ironischerweise steht das dreistöckige Mietshaus auf der Stelle eines älteren (echten) Barockgebäudes, einem Kontorhaus, das 1889 abgerissen wurde, was Platz für dieses und das unmittelbare Nachbarhaus schuf. Ob das originale Barockhaus allerdings so überladen mit Puttendekoration war wie das neuere neobarocke Gebäude, entzieht sich meiner Erkenntnis. (DD)
Ein kleines Meisterstück in Sachen Industriearchitektur mitten in der Neustadt. Genauer: In der Opatovická 160/18, wo man das alte Gebäude von Verlag und Druckerei Josef R. Vilímek (Nakladatelství a tiskárna Josef R. Vilímek) bewundern kann. Hier wurde einst den Tschechen Karl May nahe gebracht.
Die Geschichte begann mit Josef Richard Vilímek, seit 1852 Herausgeber der populären Humoristické Listy (Humoristische Blätter), der 1872 in der Neustadt einen eigenen Verlag gründete. Das Geschäft lief gut. Bald konnte noch eine Buchhandlung eröffnet werden. Aber der richtige unternehmerische Geist kam in die Sache, als Vilímek 1886 das Geschäft an seinen Sohn Josef Richard Vilímek jr. übergab. Der hatte den Riecher, sich rechtzeitig um tschechische Übersetzungen von ausländischen Super-Bestsellern zu bemühen, die er in sorgfältig illustrierten Ausgaben (er beschäftigte bedeutende Künstler wie Zdeněk Burian) herausgab. Der Riesenhit waren dabei die Werke von Karl May (der heute wahrscheinlich bei den Tschechen noch beliebter ist als in Deutschland). Es begann mit Der Sohn eines Bärenjägers, der ab 1890 in zwölf Folgen in Vilímeks Zeitschrift Naší mládeži(Unsere Jugend) veröffentlicht wurde. Ab 1892 kam auch Jules Verne ins Repertoire und bald darauf der Erfinder des Sherlock Holmes, Arthur Conan Doyle. Und viele mehr. Vilímeks Verlag gehörte bald zu den Großen im Lande.
1899 machte ein Brand im väterlichen Verlagsgebäude in der Spálená den Umzug in die nahe Ferdinandova třída (man blieb also in der Neustadt) nötig. Aber das reichte nicht. Es musste ein zusätzliches Gebäude als Hauptstandort her. Von 1928 bis 1930 entstand dieses Gebäude hier in der Opatovická, entworfen von dem Architekten Jan Chládek, der in den Jahren 1911 bis 1913 an der Akademie der bildenden Künste Wien bei der Architektenkoryphäe Otto Wagner studiert hatte, von dem er einen gewissen Hang zu historisierender Architektur übernommen hatte. Die halbrunde Fassade des Gebäudes mit den modernen, aber klassizistisch angeordneten Pilastern und den geometrischen Ornamenten ist jedenfalls eine beindruckende Kombination von Tradititon und Moderne. Sie unterstreicht sowohl den kulturellen als auch den industriellen Auftrag, den das Gebäude erfüllen sollte . Den Bau führte die Baufirma Bohumil Belada aus.
Und es lohnt sich ein Ausflug in die nahe Spálená 89/15. Dort war das alte Neorenaissance-Gebäude, das der Vater als Verlagshaus genutzt hatte, und das nach dem Brand wieder hergerichtet wurde. Über einen Hinterhof (der über einen kleinen, sehr versteckten Durchgang erreichbar ist) gelangt man weiter zum Innenhof des neuen Gebäudes in der Opatovická 160/18, das dadurch mit dem alten Gebäude verbunden wurde. Der Hof ist etwas heruntergekommen und ein paar Eimer Farbe täten gut. Er ist aber eigentlich sehr prachtvoll und repräsentativ angelegt.
Während die äußere Front zur Opatovická hin trotz aller klassizistischen Referenzen den industrie-architektonischen Charakter des Bauwerks betont, liebte Architekt Chládek hier anscheinend das historistisch Verspielte. Man kann sich vorstellen, dass sich Vilímek jr. hier so etwas wie eine Ruheoase gegönnt hat. Jedenfalls erinnert das Ganze ein wenig an einen Renaissance-Palais. Die große Terrasse, die Erker, die Arkaden mit den freistehenden Säulen darüber und die kleine Grünfläche in der Mitte (die heute leider arg verwahrlost aussieht) müssen schon recht spektakulär ausgesehen haben, als sie zu Vilímeks Zeiten noch frisch waren. In solch einem Hinterhof eines „profanen“ wirtschaftlichen Nutzgebäudes hätte man so einen Schatz nicht erwartet.
1933 (fünf Jahre vor dem Tod von Vilímek jr.) wurde die Firma in eine Kommanditgesellschaft umgewandelt, geleitet von seinem Schwiegersohn Jan Sainer. Der Verlag erwarb sich fortan eine zusätzliche Reputation für gehobene Kunstbuchausgaben. Alles das hörte 1949 auf. Die Kommunisten waren an der Macht. Druckerei und Verlag wurden liquidiert und verstaatlicht. Er wurde in die staatliche Buchproduktion eingegliedert. Nach dem Ende des roten Spuks wurde das Gebäude durch direkten Verkauf an eine Firma privatisiert, die dann prompt unter dem Namen Vilímek agierte, was zu heftigen Rechtsstreitereien mit Vilímeks Nachfahren führte, bis 1994 das Haus wieder verkauft wurde.
Seither haben sich in dem recht großen Gebäude zahlreiche Firmen und Institutionen eingemietet. Darunter ist sogar wieder eine Druckerei (wie zu Vilímeks Zeiten) und zur Abwechslung eine kleine Moschee. Ja, und wenig außer der Architektur selbst erinnert noch an das Stück bedeutender Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte, dass hier dereinst seinen Platz hatte. Denn leider sieht die Fassade heute schon ein wenig vernachlässigt und trübe aus. Sie könnte Anstrich und Renovierung gebrauchen. Nur wenn man ganz genau hinschaut, kann man auf dem Fries über den hohen Erdgeschoss verbleichte Reste des Namenszuges der Firma sehen: Nakladatelství Jos. R. Vilímek. (DD)
Ein Planetarium ist so etwas wie ein Theater, in dem Astronomie vorgeführt wird – meist durch Projektionen im Inneren einer Dachkuppel. Es ist daher nicht mit einer Sternwarte zu verwechseln, von der aus man direkt (durch Teleskope) das Weltall beäugt. Und wer in der Goldenen Stadt an solch einem Sternentheater interessiert ist, ist beim Planetarium Prag (Planetárium Praha) in der Královská obora 233 im Stadtteil Bubeneč am Rande des großen Stromovka-Parks natürlich an der richtigen Stelle.
Die wechselhafte Geschichte erkennt man schon von außen, wenn man vor dem Gebäude im typischen Stil des Sozialistischen Realismus ein Modell eines amerikanischen Mondlandegeräts stehen sieht. Amerikanische Erfolge der Raumfahrt zu feiern, war bis 1989 streng verpönt. Das Gebäude wurde zwischen 1957 (dem Jahr, in dem die Sowjets den ersten Satelliten ins All schossen) und 1960 nach den Plänen des bekannten Architekten Jaroslav Frágner errichtet. Der war vor dem Zweiten Weltkrieg als avantgardistischer Funktionalist bekannt, musste sich aber hier im Sinne der Parteilinie in einem recht konservativen Klassizismus (in Form eines Rundtempels) ergehen. Immerhin, das passt zu dem schönen englischen Landschaftsgarten der Umgebung. Und natürlich verbarg sich hinter der konservativen Optik moderne Technik. Zum Beispiel bei der vom Ko-Architekten František Bäumelt statisch geschickt konstruierten Kuppel, die aus 216 segmentierten Fertigteilen in fünf Typen besteht.
Schon 1952 hatte das tschechoslowakische Kulturministerium unter seinem Minister Václav Kopecký (einem stalinistischen Hardliner) den Bau beschlossen und einen Investitionsplan erstellt. 1954 bestellte man die eigentliche Planetariumstechnik bei dem im Ostblock führenden (damals schon staatlichen) Unternehmen Carl Zeiss in Jena in der damaligen „DDR“, wozu Teile der Projektionskuppel gehörte, die 23,5 Meter Durchmesser haben sollte. Das wurde erst einmal eingelagert, denn der Bau begann ja erst 1957. Und mit dem Einbau des Zeiss-Projektionsapparates (man sieht ihn oberhalb rechts) im März bis Mai 1960 war das Gebäude im Prinzip fertiggestellt. Die Eröffnung erfolgte Schrittweise. Es gab einen „Probelauf“ im Juli/August des selben Jahres nur für Besucher der gerade stattfindenden 2 Tschechoslowakischen Spartakiade. Am 20. November erfolgte dann die formelle Eröffnung.
Das Planetarium war zunächst einmal offiziell Teil des alten Ausstellungs- geländes Prag (Výstaviště Praha), wo 1891 die große Industriemesse stattgefunden hatte, das aber seit 1953 nach dem bekannten Dichter und kommunistischen Widerstandskämpfers Julius Fučík (wir berichteten hier) in Kultur- und Freizeitpark Julius Fučík (Park kultury a oddechu Julia Fučíka) umgetauft worden war (was man 1979 wieder rückgängig machte)
Im Jahr der Eröffnung gründete man auch gleich ein „Dach“ für das Planetarium und die beiden anderen wichtigen Publikumsmagneten in Sachen Astronomie, nämlich den Verwaltungs-Verbund Planetum. Dazu gehören seither das Štefánik-Observatorium (Štefánikova hvězdárna) auf dem Petřín-Berg oberhalb der Kleinseite und die Sternwarte Ďáblice (Ďáblice hvězdárna), die weiter außerhalb liegt und über die wir bereits hier berichteten. Zusammengefasst kann man da nur sagen, dass dem astronomisch Interessierten in Prag recht viel geboten wird. Und das Planetarium wurde immer wieder modernisiert (etwa die Ausstellung 1979). Und 1988 baute man ein brandneues Projektionsgerät unter der Kuppel ein, das 1984 von Zeiss Jena entwickelte Cosmorama, das 1991 noch mit 60 computergesteuerten Diaprojektoren aufgerüstet wurde. Man war damit technisch völlig up-to-date.
Aber das Publikum hat im digitalen Zeitalter an immer raffiniertere optische Tricks gewöhnt, so dass in diesem Bereich der Wechsel von Technologien in immer schnellerer Folge geschieht. Schon 2003 wurde das neue digitale Planetarium Digistar 3 eingebaut, das nicht von Zeiss gebaut wurde, sondern der amerikanischen Firma Evans & Sutherland, die als erste ein auf reiner Computergraphik beruhendes Content-System entwickelt hatte. Das Planetarium war damit das erste digitale Planetarium im Lande. Und schon 2009 wurde dann das noch modernere digitale Projektionssystem Sky-Skan Definity installiert, das 2014 noch einmal mit der Version 8K so aufgebrezelt, wurde, dass das Prager Planetarium weltweit nun eines mit der höchsten Auflösung bei seiner digitalen Aufführung ist.
Aber es gibt ja nicht nur eine digitale Welt, sondern auch eine reale. Neben der Vorführung unter der Kuppel kann man unten im Foyer eine umfassende und real-physische Ausstellung zu Sternenwelt, Astronomie und auch Raumfahrt bewundern, die es hier schon seit Anbeginn gibt. Am Anfang gab es nur Sputnik, nicht Telstar. Nur Kosmonauten, keine Astronauten. Der Sozialismus eroberte den Weltraum. Und von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen. Und so weiter.
Das wurde nach dem Ende des kommu- nistischen Grauens schnell geändert. Und 2014 wurde die Ausstellung noch einmal gründlichst neugestaltet. Sie ist jetzt politisch fair und würdigt die Leistungen aller Beteiligten – sowohl die unbestreitbaren Pioniertaten im Ostblock, als auch die in den USA (deshalb das Mondlandegerät vor dem Eingang), als auch die der Europäer. 2021 wurde eine Nachbildung des Cockpits der US-Raumfähre Atlantis (Bild links) hinzugefügt. Viele der Ausstellungsstücke sind interaktiv gestaltet. Nicht nur, aber vor allem auch Kinder lieben das Planetarium (das deshalb selbstredend Führungen und Kurse für Schulklassen anbietet). Es ist alles so, wie man es sich an einem solchen Ort wünscht: Lehrreich und zugleich unterhaltend. (DD)