Fliegende Ziegenbrauerei

Ein Bierkenner kommt nicht nach Prag, um irgendein urquelliges Industriebier zu trinken. Der Experte kennt sich in der Unzahl der lokalen Kleinbrauereien aus, die zeigen, was tschechische Braukunst zu leisten vermag. Aber der wirkliche Top-Experte kennt sogar die Kleinstbrauereien, von denen nicht einmal der Experte für Kleinbrauereien je gehört hat.

Wie zum Beispiel die Winzbrauerei Zbraslavská koza (übersetzt: Zbraslavsche Ziege) in der Kaškova 659/0 im etwas abgelegenen südwestlichen Stadtteil Zbraslav (Prag 16), deren Logo – wie der Name nahelegt – eine putzige kleine Karikatur einer Ziege ist. Und die ein ausschließlich von Frauen betriebenes Unternehmen ist. Das ist gleichermaßen emanzipiert modern und traditionell. Denn vor dem Aufkommen von Großbrauereien im 19. Jahrhundert braute sich fast jede Hospoda im Hinterraum ihr eigenes Bier und das Brauen besorgte dann fast immer die Frau des Wirtes. Heute ist das Brauen insgesamt eine Art Männerdomäne geworden. Aber so muss es ja nicht sein! Und hier in Zbraslav ist es so auch nicht!

Also zurück zur Brauerei Zbraslavska koza. Die gehört Hana Křenková (im Bild rechts im roten Sweater bei der Kundenberatung), die sie zusammen mit ihrer Tochter Dominika (die sich auch um die Publicity in den sozialen Medien kümmert) betreibt. Beide (siehe hier Seite 16) haben nie eine reguläre Ausbildung als Brauer genossen, sondern sind Autodidakten. Der Bierqualität schadet das nicht. Im Gegenteil: Das Bier dieser Brauerei kann sich mit jedem anderen Profibier mit Leichtigkeit messen. Wie gesagt: Für den Top-Kenner ein Muss. Aber ganz aus dem Nichts kam die Expertise auch nicht. Hier in dem kleinen und unscheinbaren Haus der Brauerei eröffnete nämlich 1936 der Urgroßvater von Hana Křenková, Antonín Černý (nach dem das Haus U Černých benannt ist), ein ehemaliger Küfer bei der großen Staropramen-Brauerei, eine kleine Dorfkneipe mit Bierladen und Abfüllanlage, die dann zuerst an Sohn Karel ging, der sie wiederum an Enkel Antonín vererbte. Das mit dem Bier lag irgendwie in der Familie.

2014 revitalisierte Hana Křenková das Biergeschäft, das zunächst nur gelegentlich für die Nachbarschaft aufmachte, dann aber immer erfolgreicher wurde, bis man 2017 beschloss, es auch mit dem Brauen zu versuchen. Wer den sich lohnenden Weg hierher findet wird zunächst einmal zwei Dinge vermissen. Erstens: Es ist keine Kneipe und man sieht auch keinen Ausschank. Tatsächlich gibt es nur zwei kleine Verkaufsräume. Zweitens: Man sieht keine Brauanlage. Dafür ist die Kleinstbrauerei noch zu klein. Die Zbraslavská koza ist ein Beispiel für eine sogenannte Fliegende Brauerei (Létající pivovar). Das ist ein neuerer Trend in Tschechien. Begabte Bierbrauer schaffen sich keine teueren eigenen Apparaturen an, sondern nutzen Leerlaufzeiten existierender Brauereien, um dort (gegen vergleichsweise geringe Gebühr) ihre eigenen Bierrezepte realisieren zu können.

Mutter und Tochter Křenková brauten ihr Bier zunächst in der Anlage der 2012 gegründeten Familienbrauerei Zichovec in der nordwestlich gelegenen Ortschaft Louny, seit einiger Zeit wird es aber in der 2018 gegründeten Brauerei Hulvát im südböhmischen Truskovice hergestellt – ebenfalls ein Familienunternehmen, aber – da es sich bei den Betreibern um zwei Brüder handelt – rein männlich geführt. Wieder in Zbraslav, wird das frisch gebraute Bier dann in große PET-Flaschen gefüllt, die mit dem liebevoll gestalteten Ziegen-Etikett (mit Frischedatum) beklebt werden. Es gibt im Laden meist zwei Sorten Helles Bier, eines mit 11° und eines mit 12° Stammwürze. Aber es gibt ab und an auch Sondereditionen, wie zum Beispiel ein Weihnachts-Ale. Die kann man natürlich im kleinen Laden in Zbraslav (und bei immer mehr Straßen- und Stadtfesten in der Umgebung) kaufen. Seit neuestem gibt es sogar die Möglichkeit, sich Bier im Laden zapfen zu lassen! Noch ein Grund, mal hinzugehen!

Ist man erst einmal im von außen unauffälligen Laden selbst, hört man mit dem Kaufen sowieso nicht auf, denn neben dem eigenen Bier kann man hier auch Unmengen von Biersorten kaufen, die ebenfalls von Klein- und Kleinstbrauereien stammen, und die man sonst nur selten in dieser Häufung findet. Hier dringt man in die Tiefen der tschechischen Bierkunst ein. Und das Ganze kommt an. Mittlerweile gibt es sogar Merchandize in Form von Zbraslavská koza-T-Shirts zu kaufen. Es fängt vielleicht klein an: Aber Frauen-Power zeiht wieder ins Biergeschäft ein! Man würde sich nicht wundern, wenn man bald auch über Zbraslav hinaus von den Damen Křenková und ihrer Fliegenden Ziegenbrauerei mehr hören würde. (DD)

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