
Der Katholizismus wurde in den letzten Jahrzehnten des Habsburgerreiches von vielen Tschechen mit der österreichischen Fremdherrschaft verbunden. Daraus erwuchs nach der Gründung der Ersten Republik ein gewisses Bedürfnis nach einer eigenen tschechoslowakischen Nationalkirche.

Diese Bestrebungen fanden fast vollkommen architektonischen Ausdruck in der Kirche der Tschechoslowakischen Hussitengemeinde in Smíchov (Prag 5), direkt neben dem schönen Park Santoška an der Na Václavce 117/1. Der Sakralbau stammt aus dem Jahr 1935 und wurde von den Architekten E. Sobotka und Stanislav Vachata entworfen – letzterer ein Spezialist für avantgardistische Sakralbauten, der 1939 in Zbraslav einen ähnlich modernen Kirchenbau gestalten sollte. Es handelt sich um ein nach damaligen Maßstäben hypermodernes funktionalistisches Gebäude.

Die Modernität und die architektonische Formenstrenge der Kirche entsprechen den Grundsätzen des ersten Patriarchen und Gründers der 1920 gegründeten Tschechoslowakischen Kirche (Církev československá), Karel Farský, die sich erst seit 1971 Tschechoslowakische bzw. ab 1993 Tschechische Hussitische Kirche nennt. Man wollte modern, republikanisch und national sein und dem Prunk der katholischen Kirche eine Absage erteilen. Die Kirche ist auch bekannt unter dem Namen Dr. Karel Farskýs Gemeinde der Hussiten (Husův sbor dr. Karla Farského).

Farský steht hier deshalb so besonders in Ehren, weil Smíchov am 8. Januar 1920 der Gründungsort dieser Kirchengemeinschaft war, woran ein Denkmal vor dem Gebäude erinnert. Wenngleich heutzutage die Nikolauskirche auf dem Altstädter Ring formell die tschechische Hauptkirche der Hussitenkirche ist, sieht man sich hier in Smíchov irgendwie immer noch als die eigentliche Stammkirche. Und Farský wird hier noch immerhoch in Ehren gehalten. Seine Büste befindet sich ganz prominent direkt neben dem Altar im Kirchen- bzw. Gemeinderaum.

Auch sonst präsentiert das Kirchengebäude die Botschaft ausgesprochen sichtbar für die Welt. Das beschränkt sich nicht nur auf die streng formale Bauweise mit ihren einfachen Rechteckformen, dem 21 Meter hohen Turm mit seinen in alle vier Richtungen zeigenden minimalistisch gestalteten Uhrblättern. Weithin erkennbares Symbol für die Glaubensrichtung ist der Kelch auf dem Turm. Seit die Hussiten im Mittelalter den Laienkelch als Kern ihres kirchlichen Ritus einführten, ist das Kelchsymbol Kennzeichen aller reformierten Gemeinden (auch der lutherisch-evangelischen).

Ungewöhnlicher als der Kelch ist vielleicht das Patriarchenkreuz (mit zwei Querbalken) oben auf dem Dach des Schiffes. Es hat – ebenso wie die Kreuze der russischen Orthodoxen Kirche – noch einen Schrägbalken hinzugefügt, was man auf dem großen Bild oben erkennen kann. Das erinnert daran, dass es in der Tschechoslowakischen Kirche auch immer eine panslawistische Strömung gab, die sich von der grundsätzlich westlich-liberalen Reformtheologie Farskýs im konservativen Sinne absetzte.Ein Teil spaltete sich daher 1921 ab und gründete eine eingene Tschechoslowakische Orthodoxe Kirche.

Die neuartige Stahl- und Betonbauweise (Skelettbau) ermöglichte 1935 auch eine besonders luftige Konstruktion, die viel Raum für stockwerkübergreifende Fenster ließ, besonders sichtbar bei den langen Fenster an allen vier Seiten des Turms. Und gerade bei den leicht zu übersehenden Fenstern kann man noch einmal den theologischen Grundgedanken, der hinter der Kirche steht, erkennen. Dazu gehören der Rückgriff auf das hussitische Kelchsymbol, die modern-abstrakte Darstellung und die Verwendung der 1920 eingeführten Farben der Tschechoslowakischen Fahne – rot/weiß/blau. Das es sich um eine nationale Kirche handelte, daran wollte man wohl keinen Zweifel aufkommen lassen. (DD)