Vom verfluchten Haus zur Parlamentsbibliothek

1620 – die Schlacht am Weißen Berg ist entschieden. Die Sieger schlagen den Ständeaufstand, mit dem sich die Böhmen gegen die absolutistischen Tendenzen der Habsburger wehren wollten, brutal nieder. Die Zwangskatholisierung setzt ein. Wer nicht mitmacht muss Repressalien fürchten. Der kaiserliche Leutnant Antonio Vittali hat Angst, dass sein Haus auf der Kleinseite möglicherweise irrtümlich von einem katholischen Mob überfallen werden könnte. Deshalb bringt er an der Frontseite seines Hauses ein schönes Stück katholischer Symbolik an, ein in eine Kartusche gerahmtes Bild der Jungfrau Maria. Das macht klar, dass er auf der „richtigen“ Seite steht. Die Maria hängt hier immer noch. Das Schicksal des Hauses nahm jedoch noch viele unerwartete Wendungen.

Heute ist es zuvörderst als Palais Sternberg (Šternberský palác) bekannt. Ein Gebäude dieses Namens gibt es auch andernorts. Denn: Richtig bedeutende Adelsfamilien konnten es sich in der Regel leisten, neben ihrem dem Monarchen nahen Palast im Prager Burgbezirk auch einen anderen Palast unten auf der Kleinseite zu unterhalten. Das alte Adelsgeschlecht von Sternberg, war in der Tat bedeutend. Deshalb gibt es nicht nur ein Palais Sternberg bei der Burg (wir berichteten hier), sondern auch ein Palais Sternberg, direkt am Kleinseitner Ring (Malostranské náměstí 7/19) – eben jenes Haus mit der Maria.

Ursprünglich standen an der Stelle des heutigen Palais zwei gotische Häuser aus dem 13. und 14. Jahrhundert, die Anfang des 16. Jahrhunderts im Renaissancestil umgebaut wurden. Beide Häuser fielen dem großen Feuer von 1541 zu Opfer. Angeblich war der Besitzer eines der beiden Häuser zur Zeit des Feuers abwesend und seine Dienerschaft hatte Angst, die Anordnung zu brechen, niemanden ins Haus zu lassen – auch nicht etwaige Löschhelfer. Weshalb das Haus besonders schweren Schaden nahm… Und ein Jahr später wurde der Besitzer auch noch ermordet, weshalb es hieß, es läge ein Fluch auf dem Haus.

Wie dem auch sei: 1664 wurden beide Häuser von Adolph Wratislaw von Sternberg gekauft. Nach dessen Tod im Jahre begann sein Sohn Franz Damian von Sternberg damit, die beiden Häuser zu einem einzigen zusammenzufügen – so wie es heute der Fall ist. Es wurde dazu auch die heute noch den äußeren Eindruck prägende einheitliche Barockfassade gestaltet. Die Umgestaltung des Hauses war wahrscheinlich das Werk des damals sehr bekannten Architekten Giovanni Battista Alliprandi. Man merkt heute trotz der gemeinsamen Fassade immer noch an der für Barockarchitektur sehr untypischen asymmetrischen Gestalt des Hause (die beiden Hälften sind unterschiedlich breit; ein Teil ist etwas nach hinten gerückt), dass hier zwei sehr unterschiedliche Häuser verschmolzen wurden. Das Photo oberhalb links vermittelt immer noch den Eindruck von zwei Häusern.

Neben der Maria wurde nun auch das in Stein gemeißelte Wappen der Familie Sternberg über den Arkaden im Erdgeschoss angebracht. Franz Josef Graf Sternberg Manderscheid war einer derer aus dem Geschlecht, der das Haus zu neuem Ruhm verhalf, und zwar als Zentrum von Kunst und Wissenschaft. 1796 gründete er hier die Gesellschaft Patriotischer Kunstfreunde (deren Präsident er ab 1802 war), die den Grundstock für das spätere Nationalmuseum legte. Auch spätere Generationen von Sternbergs betätigten sich hier als Förderer von Forschung, Literatur und Kunst. Das Haus galt fortan als Salon der Aufgeklärten Prags.

1901 hatte die Familie es der öffentlichen Hand übergeben und es fanden die Sitzungen des Böhmischen Landesausschusses (was einer Landesregierung entsprach) hier statt. Dazu wurde über den Hinterhof eine direkte Gangverbindung zum nahegelegenen Landtag im Palais Thun eingerichtet. Das Palais Thun ist heute der Sitz des tschechischen Abgeordnetenhauses. Und auch der Palais Sternberg gehört seit 1993 zum Parlament. Drinnen befindet sich die Parlamentsbibliothek. Über den Vordereingang kann man Räume für öffentliche Veranstaltungen und Lesezimmer erreichen. Im Foyer ist einer kleine Ausstellung von Geschenken, die ausländische Staatsmänner dem Parlament geschenkt haben. Erstaunlich, wie vielfältig die das Genre des Kitsches aus aller Welt doch sein kann. (DD)

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