Saal mit Pferderampe

Wer eine ungewöhnliche Ausprägung des gotischen Stils in Böhmen kennenlernen will, der gehe in den Alten Königspalast in der Burg und sehe sich den Vladislav-Saal an. Schon die Ausmaße sind beeindruckend. Mit 62 Meter x 16 Meter x 13 Meter handelte es sich seinerzeit um die größte säkulare Gewölbestruktur Böhmens (möglicherweise sogar der Welt), d.h. sie kam ohne Stützpfeiler in der Mitte aus.

Aber die Größe ist nur das eine, das andere ist der Stil. Ursprünglich stand hier ein romanisches Gebäude aus der Regierungszeit von Soběslav II. im 11. Jahrhundert, wovon es im Untergeschoss noch Reste zu sehen gibt. Der Saal in seiner heutigen Form wurde jedoch unter Vladislav II. Jagiello, einem Sproß des polnischen Königsgeschlechts, in den Jahren 1493 bis 1500 gebaut.

Den Stil, der während seiner Regierung für kurze Zeit en vogue wurde, nennt man unter Kunsthistorikern sogar nach ihm Vladislav- oder
Jagiellonen-Gotik (Jagellonská gotika). Deren Blütezeit endete sehr schnell aus Gründen, die man dem Bau sofort ansieht. Es handelte sich nämlich um einen typischen Übergangsstil, in diesem Fall um ein letztes „Aufbäumen“ der Gotik und das erste Erscheinen der Renaissance, die dann die Gotik ablöste. In mancher Hinsicht erinnert dies an den Perpendicular Style im England der gleichen Zeit.

Wie man am Deckengewölbe des Vladislav-Saals sehen kann, markieren die Rippen des nicht mehr nur die architektonische Stützstruktur, sondern lösen sich spielerisch zu neuen Mustern auf. Das unterscheidet das Ganze zum Beispiel von der wesentlich strengeren Hochgotik zur Zeit Karls IV..

Erbaut wurde der Saal von dem Baumeister Benedikt Ried von Piesting, der sich anscheinend der Zeitenwende in der Architektur sehr bewusst war. Denn die verspielten gotischen Gewölbe werden bereits durch klassische Renaissanceportale und Fenster (die man von Außen schön erkennen kann) ergänzt, die an antike Vorbilder angelehnt sind.

Seit Anfang des 18. Jahrhunderts fanden in dem Saal Krönungsfeiern statt und auch heute wird er für wichtige Staatsfeste und -akte genutzt, etwa für die Vereidigung des Präsidenten. Vorher tagte hier auch der ständische Landtag, weshalb auch von einem Nebenraum aus im Mai 1618 im Zuge des Ständeaufstands der Zweite Prager Fenstersturz (unser Bericht hier) stattfand . Aber auch ohne politischen Ärger ging es hier eher etwas rauer zu. In den Zeiten König Vladislavs wurde im Saal vor allem gefeiert. Das konnte wüst werden, etwa wenn drinnen regelrechte Turniere mit Rittern auf Pferden veranstaltet wurden. Das erklärt auch, warum der sehr breite Treppenaufgang vom Hof eher eine abschüssige Rampe mit nur wenigen sehr niedrigen Stufen ist. Normal gebaute Treppen wären für Pferde ungeeignet gewesen. (DD)

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