
In der frühen Neuzeit war es gerade in Prag üblich, künstlerisch gestaltete Hausschilder am Haus anzubringen, um zu zeigen, welchem Gewerbe drinnen oder davor nachgegangen wurde (frühere Beispiel hier und hier). Ein interessantes Beispiel für die Fortsetzung dieses Brauches in der Moderne lieferte 1911 der berühmte Bildhauer Jaroslav Horejc. Der gilt als der große Meister des Art Déco des Landes. Bei dem hier gezeigten Hausschild handelt es sich jedoch um ein Frühwerk, dass noch ganz dem symbolistisch angehauchten Jugendstil seines Vorbilds, dem Wiener Bildhauer Franz Metzner verpflichtet war.

Die Horejcsche Sandsteinrelief knüpft natürlich an die Geschichte des Hauses in der Ječná 550/1/Ecke Karlsplatz in der Neustadt an und wird dadurch erst verständlich. Der Karlsplatz war seit dem 14. Jahrhundert der Viehmarkt der Stadt gewesen und das Haus, das vorher an der Stelle des heutigen stand, erfüllte dort eine wichtige Funktion. Hier wurden die Rechnungen beim Viehverkauf beglichen und zu diesem Zweck stand vor dem Haus bis zum 19. Jahrhundert noch ein großer steinerner Tisch, auf dem das Geld für die Ware herübergeschoben wurde. Deshalb hieß das ursprünglich wohl einmal gotische, aber später immer wieder umgebaute Haus auch dům U Kamenného stolu – Haus beim Steinernen Tisch.

Das heutige große Wohnhaus selbst wurde 1911 von den Architekten Theodor Petřík und Karel Roštík erbaut. Es handelt sich um ein typisches Beispiel für den späten Jugendstil, der in seiner geometrischen Formstrenge schon fast in Art Déco oder Kubismus übergeht.
Das Relief, das Horejc für die Häuserecke anfertigte, zeigt eine lebendige, wenngleich auf den ersten Blick nicht verständliche Darstellung des Treibens am steinernen Zahltisch des Viehmarktes. Der Mann in der Mitte überwacht das Ganze mit Strenge, während um ihn herum ein Gewimmel herrscht – unter anderem spielt ein Kind auf dem Tisch. Der symbolistische Stil mutet sehr archaisch an. Das passt, denn immerhin soll das Ganze ja im Mittelalter passieren.
Und das Relief ist eine Mahnung, dass man beim Spazieren durch Prag immer die Augen für die kleinen Details offenhalten sollte. Dann entgeht einem auch nicht dieses recht bedeutende Kunstwerk am unerwarteten Ort. (DD)