
Wie die meisten U-Bahnhöfe ist auch die Metrostation Želivského ein Werk des realen Sozialismus in Stahl und Beton. Die meisten Menschen werden ihr ästhetisch wahrscheinlich eher wenig abgewinnen können.

Eingefleischte Metro-Fans hingegen empfinden die Station an der (grünen) Linie A, die seit ihrem Bau im Jahre 1980 nach den Entwürfen der Architektin Eva Břusková kaum renoviert und verändert wurde, hingegen als sehr authentisch – ein genuines Stück Erinnerungskultur. Sie funktioniert absolut einwandfrei, aber sie strahlt mit ihren von Grünspan überzogenen Dekorationselementen an den Wänden in der unteren Bahnsteighalle den morbiden Charme sozialistischen Verfalls aus.

Die Authenzität zeigt sich auch in der künstlerischen Ausgestaltung, die ein wenig über das damalige offizielle Geschichtsverständnis aussagt. Einen Hinweis gibt darauf schon der Namen. Benannt wurde die Station nach dem hussitischen Prediger Jan Želivský, der in der Kirche St. Maria Schnee in der Neustadt predigte (früherer Beitrag hier) und zum ultra-radikalen Flügel der Glaubensgemeinschaft gehörte. Er hatte 1419 jenen gewalttätigen Aufruhr inszeniert, der dann zum Ersten Prager Fenstersturz führte, der wiederum die blutigen Hussitenkriege auslöste.
Die Hussiten (und besonders die Radikalen unter ihnen) wurden von den Kommunisten nach ihrer Machtübernahme 1948 gerne als sozial-egalitäre Proto-Revoluzzer vereinnahmt, was natürlich historisch ein wenig schief hing. Aber die Hussiten waren immer ein von den Tschechen positiv angesehener Teil ihrer Nationalgeschichte. Deshalb war die Vereinnahmung eine geschickte Strategie.

In der nach Želivský benannten Metro-Station wimmelt es folglich geradezu von Hussiten – rein künstlerisch betrachtet.
Es beginnt mit dem Mosaik der Malerin Jiřina Adamcová mit dem Titel Jan Želivský und seine Zeit (zweites Bild links von oben). Es zeigt rechts etwas abgesondert Želivský in nachdenklicher Pose stehend, was eigentlich zu außerordentlichen Gewaltbereitschaft des Predigers, der 1422 von seinen Mithussiten ermordet wurde, weil er in Prag eine theokratische Terrorherrschaft organisiert hatte, nicht so recht passt – wohl aber zu der kommunistischen Propaganda, es ginge ja nur um das friedvolle Utopia auf Erden. Nur der Schild, auf den er sich stützt, verrät seine kriegerischen Absichten.

Links davon sieht man die schreckliche Zeit, in der der Prediger lebte, jene Zeit der Hussitenkriege, die er ja eigentlich initiiert hatte. Mit der Lanze in der Hand stürmen revolutionäre hussitische Krieger nach vorne ins Schlachtgetümmel (großes Bild oben).
Die in einem kreisförmigen Brunnen stehende Metallskulptur auf dem Vorplatz stammt von dem Bildhauer František Pašek und stellt den Kelch dar. Der Kelch war eines der Hauptsymbole des Hussitentums, hatten die Hussiten doch im Zuge ihrer Ideen zur Demokratisierung der Kirche den Laienkelch für das Abendmahl in ihren Gemeinden eingeführt – was die katholische Kirche 1415 prompt zur Ketzerei erklärte.
Sie steht mitten im regen Verkehrsfluss direkt neben einem Metroeingang, was die eigentlich recht geschmackvolle filigrane Struktur der Darstellung etwas in ihrer Wirkung beeinträchtigt.

Von dem Bildhauer Jan Simota stammt wiederum das Bronzerelief Die Hussiten oben rechts neben der Rolltreppe. Es zeigt eine hussitische Heldengalerie – rechts beginnend mit Želivský selbst (zweites kleines Bild von oben rechts), dann gefolgt von Jan Hus (ganz kleines Bild links unten), der seine Schriften in der Hand hält. Mit der charakteristischen Augenklappe und mit einem Morgenstern in der Hand bewaffnet, findet sich natürlich auch der Heerführer der Hussiten, Jan Žižka von Trocnov wieder, der mit seinen militärischen Siegen die hussitische Bewegung in Böhmen am Leben hielt. Ganz links auf dem Relief hingegen sieht man nur die armen Leute, die im Hussitentum (als vermeintlichem Vorboten des Sozialismus) ihre Hoffnung sehen (ganz kleines Bild rechts unten). Dazwischen taucht immer wieder das Kelchsymbol auf.


Den Kommunisten gelang es allerdings nie wirklich, den Hussitenkult für sich zu monopolisieren, denn auch aus dem bürgerlichen nationalgeschichtlichen Denken der Tschechen lassen sich Hus, Želivský, Žižka in Tschechien nicht wegdenken. Das ist sicher der Grund, weshalb man die Kunstwerke auch heute noch in der Metro-Station bewundern kann. Sie mögen zwar den ästhetischen Vorgaben des sozialistischen Realismus der späten 1970er Jahre entsprechen, wurden aber auch nach 1989 nie als politisch anstößig empfunden. Deshalb war es auch richtig, sie als Dokument der Zeit zu erhalten. (DD)