Mit wuchtigen Hammerschlägen bricht sich die wütende Menge den Weg frei ins Haus. Wir schreiben das Jahr 1419. Die Hussitenaufstände haben gerade begonnen. Die Szene in feinem Stuck befindet sich an der Fassade des Hauses an der Platnéřská 91/1 (Ecke Valentinská) in der Altstadt. Das Haus ist nicht untypisch für die Bereiche der Stadt, die Ende des 19. oder Anfang des 20. Jahrhunderts erneuert wurden. Viele der mittelalterlichen Häuser, die nicht mehr den Standards der Zeit entsprachen, wurden abgerissen. Gleichzeitig war dies aber eine Zeit, in der die Rückbesinnung auf die nationalen historischen Traditionen Böhmens ganz groß geschrieben wurden. Die Lösung dieses Wertekonfliktes: Ein überschwänglicher Historismus mit nationalem Einschlag, der klar macht, was für ein großes Kapitel der Geschichte hier dereinst geschrieben wurde. Gerade dieses Haus mit seiner burgartigen Silhouette und den spätgotisch anmutenden Erkern bietet ein schönes Beispiel dafür.
Die mittelalterliche Vorgeschichte inspirierte den Architekten Emanuel Dvořák beim Bau dieses Hauses in den Jahren 1902/1903 (dazu siehe hier auf S. 107). Nicht nur, dass der mittelalterliche Namen „dům U Tří mečů“ (Haus bei den drei Schwertern) beibehalten wurde, nein auch die ganze Gestaltung des Hauses (eigentlich ein großer moderner Wohn- und Büroblock) wurde ganz und gar auf das wichtigste Kapitel seiner früheren Geschichte ausgerichtet.
Und was war dieses wichtige Kapitel? Das steht auf einer schönen, wenngleich etwas verwaschenen Inschrift über dem Eingang (Bild rechts): „Na tomto místě v l. 1401-1412 měl dům slavný lékař krále Václava IV., Mistr Albík z Uničova, arcibiskup pražský“ (An diesem Ort hatte in den Jahren 1401-1412 der gefeierte Arzt Königs Wenzels IV., der Meister Albík von Neustadt, Erzbischof von Prag, ein Haus). Bei diesem Albík handelt es sich um keinen Geringeren als Siegmund Albich, der sich nach seiner Nobilitierung Siegmund Albich von Neustadt (=Mährisch Neustadt, das auf Tschechisch Uničov heißt) nennen durfte.
Albich hatte zuvor in der Neustadt gewohnt, wo er sich 1396 ein Haus in der Spalená gekauft hatte, zog dann aber in dieses Haus in der Prager Altstadt. Albich war ein anerkannter großer Mediziner und Autor von medizinischen Büchern über Seuchenprävention (z.B. „Regimen sanitatis“, 1422), die zu den ersten gehörten, die später überhaupt gedruckt wurden. Zudem war er noch Doktor der Jurisprudenz und auch theologisch gebildet. Deshalb wurde er 1399 auch Leibarzt König Wenzel IV. (Sohn des großen Karls IV., siehe früheren Beitrag hier). 1411 sorgte Wenzel auch dafür, dass Albich gegen lokalen Widerstand zum Prager Erzbischof ernannt wurde, was der Papst im Jahr darauf bestätigte. Dümmer hätte der Zeitpunkt für diese Beförderung nicht kommen können, denn in dieser Zeit begann der Konflikt zwischen Kirche und Hussiten mit aller Macht. Albich versuchte es mit einer vermittelnden Position, die ihm vor allem von den traditionellen Katholiken als klandestine Unterstützung der Häresie ausgelegt wurde. Noch 1412 trat er frustriert zurück. Versuche, weiterhin die Parteien zusammenzuführen, scheiterten. Sein Haus wurde nach der Hinrichtung Hus‘ 1415 auch noch von den aufgebrachten Hussiten, die dem nun zwischen allen Stühlen sitzenden Albich auch nicht trauten, verwüstet. Das ist jenes Ereignis, das wir im großen Bild oben sehen können. Er besann sich darob wieder auf seine medizinischen Fähigkeiten und wurde 1419 Leibarzt vom Bruder und Nachfolger des inzwischen verstorbenen Wenzel, Kaiser Sigismund.
Das war ein ganz schön aufregendes Leben, das Albich so lebte. Teile der Geschichte kann man denn auch über den Fenstern des ersten Stocks studieren. Dort haben die beiden Bildhauer Eduard Piccardt und František Kraumann vier Szenen aus Leben und Zeit Albichs dargestellt. Es beginnt auf der zur Platnéřská zugewandten Seite mit einer Szene (Bild rechts), die ihn als Arzt des etwas gekünstelt kränkelnden (wohl auch in Wirklichkeit psychisch angeschlagenen) Wenzel zeigt. Die Sorge der Umherstehenden um es Königs Wohlbefinden wirkt nicht allzu tief, aber Albich geht mit
gebotenem Ernst ans Werk. Eine feine Ironie durchzieht die Stuckreliefe der beiden Künstler hier.
Das gilt auch für das zweite Motiv (Bild links). Albich galt wohl unter seinen Zeitgenossen als recht geldgierig, aber den schönen Seiten des Lebens durchaus aufgeschlossen. Auch hier kommt die humorvolle Seite der beiden Künstler zum Tragen. Der Arzt, der ja als Bischof später eigentlich auch ein moralisches Vorbild hätte sein sollte, nimmt hier einen Geldbeutel entgegen, während er eine junge Frau in den Armen hält. Auch der Mönch im Gefolge mit Geldsäckchen in der Hand und am Gürtel scheint die Not nicht zu kennen.
Und ganz im Geiste des nationalen Pathos der Zeit werden die Künstler auf der Fassadenseite zur Valentinská dann auf einmal ganz ernst. Den von Kirche und Thron verfolgten Hussiten gehört wohl ihre ganze Sympathie. Die erste Szene zeigt, wie hussitische Märtyrer in Prag vor ihren Henker treten – stolz und ungebrochen in ihrem Glauben. Auf dem Kopf tragen sie (wie auch Hus bei seiner Hinrichtung) einen Ketzerhut. Er sollte eigentlich Schande ausdrücken, doch durch den würdigen Auftritt der Märtyrer wirken sie wie eine Krone – ein sehr effektvolles Bild!
Dem folgt die Szene im großen Bild oben. Die Hussiten (denen er eigentlich gar nicht so negativ gegenüberstand) stürmen sein Haus. Gottlob war Albich da schon aus der Stadt geflohen. Durch den Kontrast zwischen den Szenen, die ihn als Wenzels Arzt und als Geldgierigen darstellen, und dem düsteren Bild der Hinrichung frommer Hussiten bleibt ein wenig der nicht ganz historisch faire Eindruck bestehen, dass es Albich irgendwie schon recht geschehen sei. Aber vielleicht ging es auch nur darum, den tschechischen Nationalmythos der Hussiten unbeschadet in vollem Glanz erscheinen zu lassen. Dazu passt auch, dass an der Ecke des Hause noch auf gleicher Höhe eine Statue des Heiligen Wenzel steht, dem unumstrittenen Nationalhelden der Tschechen schlechthin. Gegenüber seinem hypchondrischen Namenswetter Wenzel IV. auf dem Relief wirkt er wie wie ein Vorbild an Frömmigkeit und Tugend. Wie eine kleine Lektion in das tschechische Geschichtsverständnis der Jahrhundertwende stellt sich dieses Haus dar. (DD)