In den Jahren 1923/24 ließen sich die Brüder Karel und Josef Čapek in einem damals noch am äußersten Stadtrand gelegenen Teil Prags von dem Architekten Ladislav Machoň eine Doppelhaus-Villa bauen, in der sie beide 1925 mit ihren jeweiligen Familien einzogen. Josef in der linken (von der Straße aus gesehen) und Karel in der rechten Haushälfte. Die Türschilder mit den Namen sind noch zu sehen.
Das Haus wurde – obwohl etwas abgelegen – schnell zum Treffpunkt der geistigen und kulturellen Elite der Tschechoslowakei. Neben vielen Künstlern, Schriftstellern und Intellektuellen ging auch Präsident Tomáš Garrigue Masaryk hier ein und aus. Das hat weniger mit der Architektur zu tun, obwohl auch die schon einen avantgardistischen Anspruch erhob, hatte Machoň doch das Haus schon im nationalen Stil der Tschechoslowakei entworfen. In der jungen Republik wollte man keine rückwärtsgewandte Architektur mehr entwickeln, sondern – wie auch in diesem Fall – Elemente von Kubismus und Funktionalismus in den Vordergrund stellen. Das war damals sozusagen der letzte Schrei.
Vor allem waren es aber die beiden Brüder selbst, die den Ort zu einem Mittelpunkt des Prager Kulturlebens machten. Karel war mit Sicherheit der bekannteste Schriftsteller seiner Zeit und Josef gehörte zu den großen Künstlern des Kubismus im Lande und hatte sich als Theaterautor einen großen Namen gemacht (siehe früheren Beitrag hier). Beide verstanden sich auch als politische Künstler, die sich für die Werte der Republik in einem Zeitalter einsetzten, in dem überall außerhalb der Tschechoslowakei Unterdrückung und Diktatur vorzuherrschen begannen. Die Brüder Čapek waren so etwas wie die archetypischen Kulturrepräsentanten der tschechoslowakischen Demokratie, ja geradezu die moralischen Instanzen des Landes.
Karel zog übrigens 1935 zusammen mit seiner Frau aus, um in Stará Huť eine neue Bleibe zu finden, wo er zwei Jahre später starb. Josef blieb, wurde aber nach dem Einmarsch der Nazis 1939 verhaftet und starb Anfang 1945 im KZ Bergen-Belsen.
Dem Haus blieb wie durch ein Wunder ein Schreckensschicksal erspart. Die Erben der Brüder blieben dort wohnen, es wurde nicht von Krieg oder Kommunismus zerstört. Ein wenig kam es in einer Art Dornröschenschlaf herunter, blieb aber intakt und wartete darauf, wachgeküsst zu werden. Nur eine große weiße Plakette (aus kommunistischen Zeiten, obwohl sich die Kommunisten meist etwas schwer taten mit dem demokratischen Erbe der Čapeks) mit Portraits und einer Inschrift, die bezeugt, dass die beiden Brüder Gegner des Faschismus waren, erinnerte (bzw. erinnert immer noch) dass sie hier dereinst lebten.
2013 beschloss die Familie überraschend, das Haus zu verkaufen. Der Stadtbezirk 10, der übrigens die kleine Seitenstraße, in der das Haus liegt, nach den Brüdern benannte (Adresse: Bratří Čapků 1853/39), reagierte geistesgegenwärtig. Er kaufte es kurzerhand als Kulturdenkmal. Zur Zeit werden dort große Renovierungsarbeiten durchgeführt, die auch den schönen, aber heute verwilderten Garten betreffen. Das Haus scheint eine Fundgrube für Literaturbegeisterte zu sein, denn drinnen befindet sich nicht nur ein Teil der damaligen Inneneinrichtung, sondern auch unzählige hinterlassene Manuskripte und Dokumente. Es soll ein Kultur- und Forschungszentrum für Literaturwissenschaftler und ein Museum im Hause eingerichtet werden. Wann es eröffnet wird, steht noch in den Sternen. Die Renovierung ist sehr arbeitsintensiv. Wenn es soweit ist, kann
man ein neues Highlight für die Kulturstadt Prag erwarten. Von außen besichtigen kann man das Haus ja immerhin jetzt schon jederzeit.
Und wenn man schon einmal auf den Spuren der Brüder Čapek wandelt, kann man ja von Prag 10 über die Moldau zur Kleinseite (Prag 1) fahren. Dort, in der Říční 532/11, steht das Haus, in dem die beiden Brüder wohnten, bevor sie in die neue Villa einzogen. Eine Plakette (Bild unten links) erinnert dort daran, dass sie hier von 1907-25 lebten. Das Haus mit seiner klassizistischen Fassade ist allerdings älter und wurde in den Jahren 1843-48 erbaut. (DD)
Siehe auch: Auf den Spuren der Brüder Čapek I: Das Denkmal in Vinohrady
Und: Auf den Spuren der Brüder Čapek III: Wo Dášeňka Gassi ging