Heroische Posen, muskulöse Menschen, energische Kinnpartien, fröhliches Treiben und modern simplifizierter Klassizismus – das war eigentlich während des 20. Jahrhunderts die künstlerische Symbolsprache autoritärer Regime. Das große Monumentalrelief des Bildhauers Jaroslav Brůha aus dem Jahre 1923 zelebriert allerdings eine sehr demokratische und liberale Institution, deren Rolle bei der Entstehung der Ersten Tschechoslowakischen Republik 1918 kaum überschätzt werden kann. Es handelt sich um den Turnerbund Sokol (Falke), dessen Hauptgebäude in Prag das Relief schmückt.
Das Tyršův dům (Tyrš-Haus) auf der Kleinseite (Adresse: Újezd 450/40) ist nach dem Gründer des Sokol benannt. Der war eigentlich Angehöriger der deutschen Sprachgemeinschaft in Böhmen und hieß mit Geburtsnamen Friedrich Tiersch. Im Laufe seiner Jugend begeisterte er sich aber immer mehr für die tschechische Nationalbewegung und nannte sich fortan auf gut Tschechisch Miroslav Tyrš. Die Idee hatte schon in Deutschland der berühmte Turnvater Jahn gehabt, nämlich die Stärkung des Nationalbewusstseins durch sportliche Vereinigungen (vor allem, weil Parteien dieser Ausrichtung in dieser Zeit kaum toleriert wurden). Im Gegensatz zu Jahn, der sein nationales Sportlertum mit intoleranten antsemitischen Ideen verband, verfolgte Tyrš aber eine im Kern sehr liberale Stoßrichtung. Den nationalen Sokol-Verband gründete er schon 1862, es folgte die gleichnamige Zeitschrift im Jahre 1871 und schließlich, im Jahre 1882, hatte er die verschiedene lokalen Gruppen so gut national koordiniert, dass es in Prag zu einem ersten nationalen Massentreffen aller Turnriegen kommen konnte, an dem hunderte Sportler Massenturnen vorführten. Das war auch eine politische Demonstration der Stärke im Habsburgerreich, denn bald nahmen schon zehntausende Turner daran teil.
Fast die gesamte politische Elite der Ersten Republik waren Mitglied des Sokol, allen voran die beiden ersten Präsidenten Masaryk und Beneš. Unter den Nazis war der Sokol Kern vieler Widerstandzellen, weshalb die Organisation bald verboten wurde. Auch der kommunistischen Diktatur, die 1948 kam, war man im Sokol eher wenig gewogen und wie schon unter den Nazis landeten unzählige Sokol-Mitglieder im Gefängnis. Die Kommunisten agierten aber geschickter. Die großen kollektiven Massenturnfeste passten ja eigentlich zu ihrer Kulturagenda. Mit einer Kombination von Infiltration und Imitation (durch kommunistische Jungpioniere) konnten sie den Widerspruchsgeist zwar nicht ganz brechen, aber doch hinreichend eindämmen.
Die ganz große Blütezeit des Sokol war danach vorbei, obwohl die Vereinigung heute wieder fast 200.000 Mitglieder zählt. Noch immer zählt es zum guten bürgerlichen Ton in Tschechien, sein Kind zum Sokol zu schicken.
Nun aber zum Tyršův dům selbst. Bei dem vorderen Teil des Gebäudes handelt es sich um einen alten Palast, dem Michnův palác (Michna Palast). Er wurde von dem Architekten Ottavio Aostalli 1580 auf dem Gelände eines ehemaligen Klosters erbaut und im Jahre 1623 noch einmal kräftig barockisiert. Das Unglück setzte 1767 ein. Das Gebäude wurde an die Armee verkauft, die daraus u.a. ein Pulverlager machte. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war das Gebäude mehr oder minder eine Ruine geworden.
Das Ende des Habsburgerreichs und die Gründung der Tschechoslowakischen Republik 1918 erwiesen sich für das Gebäude als Glücksfall. 1921 erwarb der Sokol das ganze Gelände. Es wurde nicht nur renoviert, sondern es wurde ein großer Anbau mit Sport- und Schwimmhallen hinter dem Gebäude errichtet. Der Architekt des Bau, dessen Grundsteinlegung 1923 erfolgte, war František Krásný. An der Wand dieses neuen Gebäudes befinden sich auch die beiden Monumentalreliefs von Jaroslav Brůha, von denen man das eine ganz oben (großes Bild) und das andere links zu sehen ist. Im großen Bild, das voller allegorischer Symbolik ist, hält der Reiter den Falken in der Hand, der ja der Namensgeber des Sokol ist. Der Falke ist sowieso – auch als Fassadenschmuck allgegenwärtig am Tyršův dům. Das andere
Relief ist etwas „rhythmischer“ strukturiert (gut sichtbar Bildausschnitt rechts) und entspricht der Liebe zur Choreographie, die die Massenveranstaltungen des Sokol stets auszeichneten. Für diese Massenturnveranstaltungen hat man übrigens in den 1920er Jahren das Carée hinter dem Palast zum asphaltierten Turnplatz mit einer Kapazität, die tausende von Turnern umfasst, ausgebaut. Man sieht das auf dem zweiten kleinen Bild rechts von oben.
Auf dem Vorplatz zur Straßenseite hin findet man wiederum ein Denkmal für den Gründer des Sokol selbst, Miroslav Tyrš. Es wurde 1926 von dem berühmten Bildhauer Ladislav Šaloun geschaffen, der unter anderem auch das Hus-Denkmal auf dem Altstädter Ring (früherer Beitrag hier) gestaltet hatte. Man sieht hier Tyrš als Sportfechter dargestellt.
Es handelt sich aber nicht mehr um das Originaldenkmal. Die Nazis, die 1939 in Prag einfielen, empfanden das freiheitlich-demokratische Erbe Tyrš‘ als bedrohlich und schmolzen die Statue flugs ein. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde dann eine exakte Kopie aufgestellt.
Der ganze Gebäudekomplex dient heute immer noch als Hauptquartier und Sportstätte des Sokol, gleichwiewohl einige Räume des Barockteils als Büros für Firmen und Organisationen vermietet sind. Außerdem befindet sich im Gebäude das Archiv, die Bibliothek und ein kleines Museum über die Turner- und Sportbewegung. (DD)