Heute ist Nationalfeiertag, der sogenannte Tag der Tschechischen Staatlichkeit. Hinter dem sperrigen Namen verbirgt sich realiter der Todestag des Heiligen Wenzel (tschech.: Svatý Václav). Als solcher ist er auch (ein nicht gebotener) kirchlicher Feiertag. Der von seinem Bruder Anfang des 10. Jh. ermordete und flugs zum Märtyrer des Glaubens erhobene Fürst ist so etwas wie der Nationalheilige des Landes, dessen Abbild man fast überall in Prag findet – so auch in besonders hübscher Form auf dem Giebel dieses Hauses in der Kodaňská 559/23.
Das groß dimensionierte Wohnhaus wurde im Jahre 1909 von dem Jugendstilarchitekten Václav Šourek erbaut und befindet sich am Randes des schönen und gepflegten Herold-Parks (Heroldovy sady) im Stadtteil Vršovice (Prag 10), der 1882 an dieser Stelle eingerichtet wurde. Die Aussicht von den oberen Stockwerken über den Park bishin zur Burg muss atemberaubend sein, was erklärt, weshalb das Gebäudeensemble, zu dem das Haus gehört, in so gutem Schuss ist – es handelt sich um eine Luxuslage. Entsprechend prachtvoll ist auch das Haus dekoriert. Den Heiligen umgibt ein üppiger, mit Rokokoelementen aufgemöbelter Jugendstil.
Wie dem auch sei: Der Heilige Wenzel auf dem Giebel überragt den Park in seinem Glanze. Und da es sich bei den Gebäuden in der Kodaňská ja um eine Art Ensemble handelt, fühlte sich später anscheinend der Besitzer eines der Häuser bemüßigt (genau weiß man es nicht), die Symmetrie in Sachen Wenzel hineinzubringen. Auf dem Giebel des bauidentischen Gegenstücks in der Kodaňská 537/29 finden wir ihn nämlich noch einmal. Diesmal ist Wenzel allerdings nicht kunstvoll in bemaltem Stuck als Relief gefasst, sondern (etwas naiv, wie ich finde) nur aufgemalt. Auch die Ikonographie ist etwas anders gehalten. Das Relief über Haus 559/23 begnügt sich mit den Attributen Pferd, Krone und Lanze mit Königsfahne. Der sonnenförmige Heiligenschein scheint zu unterstreichen, was für ein Friedensbringer für die Tschechen der alte Wenzel ist. Auf die sonst meist für Wenzel typischen
Attribute Schild und Schwert wurde verzichtet. Dadurch wirkt er endgültig unkriegerisch. Das gemalte Bild von 537/29 zeigt ihn vor einer Kirche (kein offizielles Attribut dieses Heiligen) und mit dem eigentlich ikonographisch klar vorgeschriebenen Schild, das dem anderen Wenzel fehlt. Auf dem Schild befindet sich der böhmische Wenzelsadler. Der ist aus heraldischer Sicht ein korrektes, aber eher seltener verwendetes Staatssymbol für Böhmen, das sich normalerweise mit einem Löwen schmückte. Da der Adler aber auch das Wappentier Mährens ist, wollte der Künstler vielleicht so die Gemeinsamkeit aller Tschechen betonen. Diese Art der Darstellung war seinerzeit auf jeden Fall üblich. Überhaupt passen beide Bilder an dieser überragend prominenten Stelle ganz und gar zu dem Nationalismus der Tschechen in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Aber das ist nur eine Hypothese, denn – wie gesagt – wirklich wissen weiß man nichts. Nur eines weiß man: Um einen künstlerisch gelungenen Wenzel zu sehen, muss man nicht zum von Touristen überlaufenen Wenzelsplatz gehen, sondern kann dabei die Schönheit des Herold-Parks genießen. (DD)