Woodrow Wilson sorgte – entgegen seinem Wahlversprechen – als amerikanischer Präsident 1917 für den Eintritt seines Landes in den Ersten Weltkrieg gegen die Mittelmächte. Der Einsatz der US-Soldaten sollte, so Wilson, „die Welt sicherer für die Demokratie“ machen und allen Nationen das Recht auf Selbstbestimmung geben. Beides behagte natürlich allen liberalen Nationalisten in Böhmen, die unter dem Habsburgerreich litten, das für sie weder Demokratie noch Selbstbestimmung repräsentierte. Kein Wunder, dass Wilson in der Tschechoslowakei nach dem Weltkrieg außerordentlich populär wurde. Zudem hatten sich in Amerika die exilierten tschechischen und slowakischen Unabhängigkeitsbewegungen 1918 im Pittsburgh Agreement auf die Gründung einer unabhängigen Tschechoslowakischen Republik geeinigt – eine Idee, die Wilson sofort unterstützte.
Kurzum: In den Zeiten der Ersten Republik sah man Wilson als so etwas wie den Geburtshelfer der Nation und ehrte und feierte ihn entsprechend. Dazu gehörte auch – rechtzeitig zum 10. Jahrestag der Republik – ein satte 3,50 Meter hohes Denkmal auf hohem Sockel, das nach den Entwürfen des Bildhauers Albín Polášek gegossen wurde. Das Geld für die Errichtung des Denkmals kam von einer Sammlung durch in Amerika lebende Tschechen (zu denen übrigens auch Polášek gehörte) und Slowaken. In Gegenwart von Präsident Masaryk (der in Amerika das Pittsburgh Agreement mit unterzeichnet hatte) wurde es 1928 eingeweiht.
Allerdings muss sich der heutige Betrachter des Denkmals vor dem Hauptbahnhof mit einer exakten Kopie begnügen. Die Nazis, die 1939 in Prag einmarschierten, konnten Wilsons Kampf für Demokratie und Selbstbestimmung nichts abgewinnen. Das Denkmal wurde demontiert und 1941 eingeschmolzen.
70 Jahre später, am 5. Oktober 2011, wurde das Denkmal daher ein zweites Mal in großem Stil und mit viel Prominenz eröffnet, darunter Tschechiens damaliger Präsident Václav Klaus, die damalige amerikanische Außenminsterin Madeleine Albright und Tschechiens Ex-Präsident Václav Havel.
Und so steht Wilson vor dem Hauptbahnhof im Vrchlický Garten, nur wenige Meter entfernt von der Stelle, wo das Denkmal ursprünglich stand, die aber in der Nachkriegszeit von Erweiterungen des Bahnhofs überbaut wurde. Am Originalstandort innen im Bahnhof ist heute eine entsprechende Plakette angebracht.
Die Pose Wilsons mutet ein wenig „theologisch“ an, so als ob er der Freiheit und Unabhängigkeit der Tschechen seinen frommen Segen geben wollte. Vielleicht sorgt er sich draußen im Park in diesen Zeiten darüber, ob die Welt weiterhin ein sicherer Ort für die Demokratie sei. Und vor ihm kann er in unmittelbarer Nähe den unaufhörlich rollenden Verkehr auf einer der großen Verkehrsschneisen Prags hören, die zwar vielleicht nicht zu den schönsten, aber doch zu den größten und meistbefahrenen Straßen der Stadt zählt. Die ist nämlich auch nach ihm benannt: Wilsonová. (DD)