Die Hinwendung zur Neogotik Ende des 19. Jahrhunderts war nicht nur eine Frage der Ästhetik, sondern auch so etwas wie ein nationales politisches Programm. Man wollte die eigenen Kulturwurzeln wieder beleben. Das ist bei vielen Bauten in Prag besonders schön sichtbar, weil sie sich dabei ganz explizit auf den spezifischen gotischen Baustil Böhmens im Spätmittelalter rückbesinnen. Das sieht man ganz besonders bei der Kirche St. Antonius von Padua (Kostel svatého Antonína z Padovy) am Stroßmayer-Platz (Strossmayerově náměstí) im Stadtteil Holešovice. Erbaut hat sie zwischen den Jahren 1908 und 1911 František Mikš, ein Schüler des bedeutendsten Architekten der tschechischen Neogotik, Josef Mocker (siehe auch hier). Geweiht wurde sie 1914.
Sie imitiert ganz klar die mit spitzen Erkern versehene Turmkonstruktion vieler Gebäude aus der großen Zeit Karls IV., wie man sie eigentlich nur im ehemaligen Böhmen sieht – die Teynkirche oder die Türme auf der Karlsbrücke zum Beispiel. Deutlich wird das hier beim Blick auf die St. Antonius-Kirche aus der Ferne vom Vitkov-Berg (Bild links). Die Kirchenarchitektur bietet hier also eine nationale architektonische Projektionsfläche zur Identitätsbildung – genau das, was sich die tschechischen Nationalisten im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert wünschten.
Die Kirche löste die vorherige Gemeindekirche ab, die zu klein geworden war. Holešovice war zu dieser Zeit ein enorm wachsendes Industrie- und Arbeiterviertel. Die Kirche hat beachtliche Ausmaße. Das Schiff misst in der Länge 51 Meter, die Türme sind 63 Meter hoch.
Drinnen sieht man die nüchterne Struktur der neo-gotischen Spitzbogenelemente (die bei echten gotischen Kirchen in Prag meist von einer Schicht Barock überzogen ist), die dem Raum Klarheit und ein Gefühl von Größe verleiht.
Nach der Weihung wurde die Gestaltung des Innenraums durch Altäre, Fenster und Wandteppiche noch bis in die 1930er Jahre weiter betrieben. Zunächst gab es lediglich den Hauptaltar, der sich besonders nachts bei Beleuchtung eindruckvoll ausnimmt (Bild links) und den Altar der Jungfrau Maria (kleines Bild unten rechts) dann folgten der Herz-Jesu-Altar im Nordschiff (1922, großes Bild oben), der Wandteppichaltar (1924), der Altar mit dem Begräbnis des Herren im Südschiff (1924), die Wandgemälde zum Leben des Namenspatrons Antonius in Chor (1927) und der Altar der Heiligen Agnes von Böhmen (1934), bei dem wieder bewusst ein nationales Thema aufgegriffen
wurde. Dies und vieles andere mehr gibt es im Inneren zu sehen – alles in einem schon fast handwerklich perfektionistischen Stil der „puristischen Neogotik“.
Eine Besonderheit wird man in der Regel nicht zu sehen, sondern nur zu hören bekommen. 1916 wurden die Glocken (bis auf eine kleine) für den Kriegsaufwand eingeschmolzen. Nach dem Ende des Krieges und der Gründung der Ersten Tschechoslowakischen Republik führte Präsident Masaryk eine Sammlung durch, die hauptsächlich von in den Vereinigten Staaten lebenden Tschechen getragen wurde. Die neue Glocke, die mit dem Geld gegossen werden konnte, war der Freiheitsglocke in Philadelphia nachempfunden, die angeblich 1776 die Unterzeichnung der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung durch ihr Läuten verkündete. Masaryk lag es offensichtlich daran, den Freiheitsgedanken im Lande wachzuhalten. (DD)